“Vollgas mit Handbremse“(2.): SchülerInnenpartizipation an Waldorfschulen – Ein Rückblick
4. Juli 2009 at 12:55 pm 2 Kommentare
Wie erwähnt ist der/die LehrerIn für Steiner zentrale pädagogische Figur. Eine SchülerInnenVertretung stand für ihn gar nicht zur Diskussion, von emanzipatorischen Bestrebungen der Jugend hielt er nicht sonderlich viel: Sein Urteil über die „Wandervogelbewegung“ der Jugend seiner Zeit war etwa, dass „die Alten“ die „Jungen“ nicht mehr verstehen würden, entsprechend „Klüfte“ zwischen sich und der Jugend aufrichteten, „So dass wir uns zuletzt einzig und allein darauf zurückziehen können, durch das Wort zu befehlen, das und jenes muss geschehen.“ ( Vortrag in Stuttgart, 17. Juni 1921, in: GA 302 ). Die Emanzipation der Jugend müsse durch „das Innerliche des Verhältnisses von Lehrer zu Schüler“ zu einem „gesunden“ [!?] Maß reguliert werden, dass sich auf „unseren ganzen Menschen“ stützen sollte.
Sein persönliches Verhältnis zu den SchülerInnen der ersten FWS war entsprechend hierarchisch, wie Helmut Zander in seinem Standardwerk zur Anthroposophie herausarbeitet („Anthroposophie in Deutschland“, Vandenhoeck&Ruprecht, 2007, II, S. 1402 )
„Steiner hörte zu, aber er diskutierte nicht, er war gegenüber Vorschlägen nicht unzugänglich, traf seine Entscheidungen aber allein. Steiner pflegte eine patriarchale Kommunikationsstruktur, indem er nicht diskursiv, sondern via Augenaufschlag reagierte.“
SchülerInnen einer zehnten Klasse etwa baten schriftlich um ein Gespräch, da sie einige LehrerInnen und entsprechend den Zustand des Unterrichts kritisierten. Steiner hörte sie an und entließ sie „freundlich“, aber „ohne Diskussion“.
„Als die Schule nach den Ferien wieder anfing, stellten“ die SchülerInnen „mit Verwunderung fest, (…) in zwei wesentlichen Fächern andere Lehrer bekommen“ zu haben „und dass der ganze Unterricht so war, wie wir ihn uns schon lange gewünscht hatten.“
( Rudolf Grosse: Erlebte Pädagogik. Schicksal und Geistesweg, Dornach 1968, S. 1402, zit. nach ebd. )
Steiners Vorbehalte gegen eine aktive SchülerInnenmitwirkung sind sicher auch aus seiner Zeit zu erklären. Die Haltung gegenüber Mitverwaltung von SchülerInnen dürfte im Regelschulsystem in den Zwanzigern keinesfalls offener gewesen sein ( war es allerdings in weiten Teilen der Reformpädagogik ). Ebenso wie im öffentlichen Schulwesen hat sich diese Haltung aber auch an FWSen über das letzte Jahrhundert hin allmählich geändert.
Das m.W. einzige Mal, in der eine SchülerInnenvertretung in einem für die Waldorfpädagogik konstitutiven Werk als Element der „Selbstverwaltung“ eine Rolle spielt, ist in Stefan Lebers Buch „Die Sozialgestalt der Waldorfschule“ ( Fischer Taschenbuch, Frankfurt a.M., 1984, Lizenzausgabe d. Verlags Freies Geistesleben, Stuttgart 1978, bes. S. 192-301 ). Der beschreibt, nach seiner Darstellung am Beispiel bisher fünfjähriger eigener Erfahrungen an seiner Schule, die Rolle einer „Schülerkonferenz“ mit konstitutiver Mitverantwortung, aus der u.a. auch zwei Deligierte „zur Teilnahme an der Allgemeinen Lehrerkonferenz“ bestimmt werden sollen. Leber realisiert, dass die „schulischen Prozesse der Zusammenarbeit der Schüler und Lehrer bedürfen.“ ( S. 300 )
Anders, als Zander ( „Anthroposophie in Deutschland, a.a.O., S. 1402, Fußnote ) behauptet, ist bei Leber auch sowohl von der „kritischen Funktion“ sowie „formalisierten Mitwirkungsregeln“ dieser „Schülerkonferenz“ die Rede ( und zwar Ersteres S. 298 bzw. Zweiteres 299, 300 ).
2. SchülerInnenpartizipation an Waldorfschulen – ein Rückblick
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5. Schule für Menschen
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1.
Helga | 5. Juli 2009 um 12:42 pm
Gute Artikel bisher. Aber unpraktisch, dass sie nur umgekehrt chronologisch erscheinen.
Und warum heißt die Serie „Vollgas mit Handbremse“ in „Anführungsstrichen“?
2.
Nachrichten | 8. Juli 2009 um 9:47 am
Ein sehr interessanter Artikel. Sollten Sie noch weitere Informationen haben – wurde ich mich freuen