Unterrichtspraktische Vorteile und anthroposophische Entwicklungsmythologie
20. Januar 2011 at 2:22 pm 8 Kommentare
Vorwort von Ansgar Martins — Im Januar 2011 hat die Historikerin und Kulturjournalistin Miriam Gebhardt eine historisch-kritische Biographie zu Rudolf Steiner vorgelegt (Rezension hier). Eine knappe, aktuelle Einschätzung bietet Gebhardt auch zur heutigen Situation der Waldorfschulen, die ich hier gern zur Verfügung stellen möchte (vorangegangen ist in im Buch eine ausführliche Diskussion von Steiners Erziehungslehre). Der Deutschen Verlagsanstalt danke ich für die „Abdruck“- Genehmigung.
Waldorfpädagogik heute
(aus: „Rudolf Steiner. Ein moderner Prophet“, München 2011)
von Miriam Gebhardt
Im Lauf des 20. Jahrhunderts hat sich die Waldorfschule von einer krassen Außenseiterin des Reformdiskurses zur wichtigsten Reformschule in Deutschland entwickelt, und das, obwohl sie sich Jahrzehnte lang nicht an den allgemeinen pädagogischen Diskussionen (vor allem im akademischen Bereich) beteiligt hat, eine eigene kritische Aufarbeitung ihrer Desiderate und Defizite schuldig geblieben und als ein Reformkonzept aus dem frühen 20. Jahrhundert ihrerseits seither unreformiert geblieben ist. Wenn wir an alternative Schulformen denken, denken wir heute dennoch fast automatisch an Steinerschulen. Wie kommt das?
Rein organisatorisch war die Gründung eines eigenen anthroposophischen Schulverbandes, des „Bundes der Freien Waldorfschulen“, ein kluger Schachzug, dazu gab es keine Parallele. Auch die Erkenbarkeit bis hin zur Schrifttype und Baustil mochte hilfreich gewesen sein. Stärker als bei anderen Schulreformen scheint auch eine dezidierte Opposition zur öffentlichen Schule gerade in Zeiten hoch emotional geführter Diskussionen um angebliche Erziehungskatastrophen und Bildungsnotstände in diesem Lande vielen Menschen attraktiv erscheinen. Die größten Zuwachsraten erlebte die Waldorfpädagogik allerdings in den frühen achtziger und neunziger Jahren, also zu einem Zeitpunkt, als die um sich greifende marktliberale Ideologie das Individuum verstärkt aus sozialstaatlichen Bindungen lösen und einer zunehmend sowohl räumlichen als auch institutionell entgrenzten Wirtschaft zuführen wollte. Diese Entgrenzung des Individuums hat in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, dass Mittelschichteltern immer stärker einen geradezu totalen Anspruch auf die Förderung der intellektuellen und psychosozialen Ressourcen ihrer Kinder erheben. Nichts darf und kann mehr dem Zufall überlassen werden, die Werte und Ziele, die das eigene Handeln der Erwachsenen bestimmen, sollen möglichst ungebrochen an den Nachwuchs weitergegeben werden. Dabei sind Privat-Kindergärten und -schulen wie die Waldorfschule (und Alternativen gibt es kaum) eine enorme Hilfe, denn sie gewährleisten von vorneherein eine große Homogenität der sozialen Beziehungen. Eltern und Lehrer teilen Haltungen und Lebensstile, und so darf darauf gehofft werden, dass auch die schulische peer group eine Verlängerung der familiären Lebenswelt darstellt. Auf diese Weise sollen die Kinder möglichst lange vom gesellschaftlichen Wertepluralismus ferngehalten werden, wobei die absolute Ablehnung des Mediengebrauchs das ihre dazu beiträgt.
Die gestiegene Beliebtheit der Waldorfschule ist daher weniger ein Indiz für anti-moderne, anti-wissenschaftliche Sehnsüchte im Bereich der Schule, auch wenn das für eine Minderheit der Familien eine gewisse Rolle spielen dürfte – sie ist in erster Linie ein Symptom für Abstiegsängste in den Mittelschichten und damit einhergehende totale Einwirkungsphantasien der Eltern bezüglich der Karriere ihrer Kinder. Mit der Auswahl der Schule wollen sie ihre Kinder möglichst lange und intensiv an das eigene Herkunfts- und Erziehungsmilieu binden, in der Hoffnung, auf diesem Weg der familiäre kulturelle Kapital zu pflegen. Waldorf heute ist eben nicht für alle da, sondern für einen bestimmten gesellschaftlichen Ausschnitt.
In ihrer sozialen Reichweite hat sich die Reformschule weit von ihren Ursprüngen als Einrichtung für Arbeiterkinder und Kinder bürgerlicher Haushalte entfernt. Während im Bundesdurchschnitt circa zwölf Prozent der Bevölkerung zur akademisch gebildeten Mittelschicht zählen, liegt der Anteil der entsprechenden Hintergründe bei Waldorfschülern bei über vierzig Prozent, mit einem besonderen Schwerpunkt bei (offenbar desillusionierten) staatlichen Lehrern. Die Hoffnungen der Eltern auf kulturelle Reproduktion schienen dabei durchaus berechtigt. Untersuchungen zeigen, dass Waldorfschüler stärker dazu neigen, wiederum Lehr- und Heilberufe zu ergreifen oder sich künstlerisch zu betätigen. Die Wahrscheinlichkeit für einen Waldorfianer, Lehrer zu werden, ist fünfmal so hoch wie für Abgänger anderer Schulen. Allerdings zeigt sich auch, dass die Neigung zu studieren leicht unterrepräsentiert ist. Der Erfolg der Waldorf-Pädagogik, der unbestreitbar ist, misst man die Abschlussquote im Vergleich zum öffentlichen Schulsystem, hängt in erster Linie von diesem sozialen Faktor ab.
Eine Bedingung für das Gelingen von anthroposophischen Schullaufbahnen ist, dass Elternhaus und Herkunftsmilieu sich auf die Weltanschauung der Steinerianer wenigstens in soweit einlassen, dass sie das romantische Kindheitsideal, eine gewisse Askese und Hochschätzung bildungsbürgerlicher Kulturwerte, einen typischen Mittelschicht-Lehrplan und eine gewisse lebensreformerische und antimaterialistische Weltsicht teilen können. Der zeitgenössischen Kindheits- und Jugendkultur sowie der Massenkultur eher abgeneigt, gelingt es Eltern von Waldorfschülern in der Regel, ihrem Kind grundlegende Konflikte zwischen Wertehaltungen in der Schule und im Elternhaus zu ersparen. Auch sind Eltern gehalten, der Forderung nach einer ganzheitlichen Formung des Kinder nachzukommen. Die Idee der in die Schule verlängerten Familie schließt natürlich auch mit ein, dass die Kinder sich einer geschlossenen Front aus Schule und Eltern gegenüber sehen und nicht, wenigstens von einer Partei, Rückenstärkung gegen die andere holen können. Die soziale und kulturelle Kontinuität bringt zwangsläufig einen verengten Horizont mit sich. Differenzierung und Pluralismus sind keine Tugenden der Waldorfschule, ebenso wenig die Symmetrie in den Lehrer-Schüler-Beziehungen. Ein basisdemokratisches Elternhaus sollte eigentlich mit der betont autoritativen Rolle, die Lehrer an der Waldorfschule spielen, in Widerspruch stehen [1].
Zentrale Aufgabe der anthroposophischen Schulausbildung ist die Entwicklungssorge und die Stärkung der persönlichen psychischen, künstlerischen und kognitiven Ressourcen sowie die Harmonisierung der individuellen Einseitigkeiten von Temperament und Konstitution. Die Pädagogik ist abgeleitet von Steiners anthroposophischem Weltbild, von analogem Denken, Ganzheitlichkeit, Lebenspraxis. Die Waldorflehrkraft versteht sich in den Anfangsjahren hauptsächlich als liebevolle Erzieherin und versteht ihre Aufgabe als Gärtner, Heilerin und Priester. Das hat Vor- und Nachteile, wie wir gesehen haben. Bestimmte soziale Fähigkeiten werden stärker ausgebildet: Unabhängigkeit und Teamfähigkeit, ganzheitliches Denken und kreative Problemlösung sehen ehemalige Waldorfschüler zumindest in ihrer eigenen Wahrnehmung als ihre besonderen Stärken an. Vor allem in ihrer Kreativität fühlen sich Waldorfschüler durch ihre Schulausbildung besonders gestärkt. Als nachteilig empfinden sie die geringe Betonung ihrer akademischen Leistungsfähigkeit und ihrer intellektuellen und allgemeinen Verbindung zur Außenwelt – im Licht der anthropologischen [sic] Lehren eine durchaus realistische Selbstwahrnehmung [2]. Darüber hinaus vermissen die Abgänger an sich tendenziell Durchsetzungswillen, Selbstdisziplin, Genauigkeit und Leistungsstreben, während sie sich andererseits für besonders interessiert, unabhängig, tolerant und selbstsicher halten. Als weiteren Vorteil empfinden die Absolventen, dass sie sich weniger stark von ökonomischen Motiven bei ihrer Berufswahl bestimmt fühlen als das allgemein der Fall ist, was aber auch mit ihrem sozialen Hintergrund zusammenhängen kann.
Es bleibt zu erwähnen, dass Steiners Schulen – wie alles, was mit Pädagogik zu tun hat – in Deutschland immer wieder heftig umstritten waren. Das liegt sicherlich an der besonderen Brisanz, die allen erzieherischen Fragen hierzulande grundsätzlich anhaftet, nicht erst seit dem Nationalsozialismus und der deutschen Teilung. Der deutsche pädagogische Diskurs war in der Vergangenheit phasenweise vergleichsweise produktiv – man denke beispielsweise an die in Deutschland gegründete Kindergartenbewegung, die auch international viel Beachtung und Nachahmung fand – andererseits scheinen unterschiedliche Erziehungskonzepte hier schon seit dem 19. Jahrhundert mit besonderer Verbissenheit umkämpft zu sein. Im Fall der Waldorfpädagogik kommt die „Versteinerung“ erschwerend hinzu – anders als im anglo-amerikanischen Ausland fehlte es den deutschen Anthroposophen an Reformwillen; Steiners Wort blieb bindend. Das musste sich besonders fatal dort auswirken, wo der Meister in völkerpsychologische, nationalistische oder gar rassistisches Fahrwasser geriet, und diese Quellentexte dann zur Unterrichtsgrundlage gemacht wurden. Zurecht wurde immer wieder der teilweise unkritische Umgang mit den Erblasten Steiners und der Steinerianer angeprangert.
Ein prominentes Beispiel ist der Fall Uehli. Der Waldorflehrer und enge Mitarbeiter des Gurus systematisierte in seinem Buch „Atlantis und die Rätsel der Eiszeitkunst“ aus dem Jahr 1936 rassistische Auslegungen der anthroposophischen Kosmologie. Darin heißt es zum Beispiel, der arischen Rasse sei bereits in der atlantischen Zeit „der Keim zum Genie“ in die Wiege gelegt worden. Im Sommer 2000 beantragte das Bundesfamilienministerium bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, das 1980 unverändert neu aufgelegte Buch zu verbieten. Es erfülle zweifelsfrei den Sachverhalt der Rassendiskriminierung. Der Geschäftsführer des Waldorfschulbundes distanzierte sich daraufhin aufgrund des großen öffentlichen Echos von Uehlis Buch und versicherte, der Titel werde von der Liste der Waldorflektüre verschwinden. Nachdem auch der Verlag die Restauflage eingestampft hat, verzichtete die Bundesprüfstelle auf eine Indizierung.
Aufregung verursachen auch immer wieder rechtsradikale Lehrer an Waldorfschulen, die sich möglicherweise von Steiners Völkerpsychologie angezogen fühlen und die Arbeitsmöglichkeit abseits vom öffentlichen Dienst schätzen. Diese Fälle lassen sich jedoch nicht verallgemeinern. Da jede Waldorfschule ihre eigenen pädagogischen Richtlinien verabschiedet, muss die eigene Schule unter die Lupe nehmen, wer wissen will, ob das eigene Kind Literatur aus dem völkischen oder rassistischen Giftschrank vorgesetzt bekommt beziehungsweise Lehrer, die sich danach ausgebildet haben.
Über die aktuelle Waldorf-Situation resümiert Helmut Zander:
„Die Identität von Waldorfschulen scheint sich in einem komplexen Prozess auszumitteln, in dem eine selektive Beanspruchung von Steiners Werk, lokale Interessen von Schulen und Kollegien und die steuernde Gewalt des ‚Bundes der Freien Waldorfschulen‘ in Stuttgart wichtige Positionen einnehmen.“[3]
Der kleinste gemeinsame Nenner bleibe aber doch immer Steiners umfangreicher Vortrags- und Schriftenkorpus.
Neben der Frage des Unterrichts auf Grundlage menschlich und historisch inakzeptabler Positionen Steiners beschäftigt auch die Frage des christlichen Religionsunterrichts immer wieder die Waldorfpädagogik. Dass Protestanten und Katholiken durch entsprechende Schulstunden priveligiert werden, war ein Kompromiss, den Steinerschulen mit dem Staat schließen mussten. Religionslehrer sind aber heute nicht den anderen Waldorf-Lehrern im Kollegium gleichgestellt. Der Dreigliederungs-Idee der Anthroposophie widersprach die Staatsnähe der großen christlichen Kirchen, und so gab es immer wieder Anläufe, die enge Vermählung von Staat und Kirche infrage zu stellen. Seit den achziger Jahren versuchen Anthroposophen auch an öffentlichen Schulen dagegen vorzugehen.
„Die Anthroposophie verträgt sich nicht mit dem Staatschristentum und damit auch nicht mit der bayerischen Politik“,
heißt es auf der Homepage des Instituts für Dreigliederung, das die Klage des Grundschullehrers Ernst Seler gegen das Kruzifix in bayerischen Klassenzimmern unterstützte.
„Anthroposophie heißt eben auch soziale Dreigliederung, welche für den Einzelnen absolute Religionsfreiheit bedeutet. Der Staat darf von daher Kruzifixe in Schulen weder aufhängen noch abhängen lassen. Die soziale Dreigliederung bedeutet aber noch mehr, nämlich völlige pädagogische Freiheit des einzelnen Lehrers. Der Staat und seine Lehrpläne haben demnach in Schulen überhaupt nichts zu suchen. Inhalt der Schulerziehung ist Privatsache. Daraus ergeben sich ganz neue Gesichtspunkte zur Beurteilung der Kopftuch-Debatte.“[4]
Neben solchen mehr oder weniger ernsthaften Umtrieben im Zusammenhang mit der Waldorfbewegung muss allerdings auch auf eine entgegengesetzte Entwicklung hingewiesen werden: Durch das rasante Wachstum der Waldorf-Pädagogik ist es immer schwieriger geworden, in der Wolle gefärbte Anthroposophen als Lehrer zu finden. Hinzu kommt eine angeblich extrem hohe Fluktuation des Lehrpersonals aufgrund der hohen Arbeitsbelastung jedes Einzelnen. Das führt dazu, dass viele Lehrkräfte an Waldorfschulen inzwischen wenig oder so gut wie nichts über die Anthroposophie wissen und daher Entsprechendes auch nur sehr begrenzt weitergeben können. Wie stark anthroposophisch orientiert eine Waldorfschule am Ende ist, hängt vom Einzelfall ab. Eine verallgemeinernde Beurteilung ist deshalb nur begrenzt möglich. Am Ende muss man bei einer Bilanz der Waldorfpädagogik wohl unterrichtspraktische Vorteile und den vergleichsweise individuellen psychosozialen Schon- und Entfaltungsraum gegen die anthroposophische Entwicklungsmythologie mit ihren anti-intellektuellen Komponenten abwägen [5].
Textauszug aus: Miriam Gebhardt: Rudolf Steiner – Ein moderner Prophet, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011, S. 297-304.
Ein weiterer Auszug ist hier online zu finden.
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- © Quirin Leppert
Miriam Gebhardt, geboren 1962, ist Historikerin und Journalistin.
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Fußnoten
[1] Till-Sebastian Idel: Waldorfschule und Schülerbiographie – Fallrekonstruktionen zur lebensgeschichtlichen Relevanz anthroposophischer Schulkultur, Wiesbaden 2007.
[2] Ebd., 193.
[3] Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland, Göttingen 2007, S. 1450.
[4] http://www.dreigliederung.de/news/01121800.html.
[5] Rüdiger Iwan: Die neue Waldorfschule. Ein Erfolgsmodell wird renoviert, Hamburg 2007.
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1.
Gertrud Kiefer-Volkert | 20. Januar 2011 um 3:01 pm
Gut recherchiert, richtig erkannt …
Und so wird es also weitergehen in den Waldorfschulen mit der Selbstausbeutung von Lehrern und Eltern, Heimlichtuerei, selbstgefertigten Konzepten, gesellschaftlichem Versteckspiel und Intrigen, denn der schöne Schein soll gewahrt bleiben, für die Kinder werden diese Alternativen benötigt. Passt gut zu dem Kurs der Flucht ins Private, ist doch inzwischen allgemein bekannt, dass das Private politisch ist, also ganz auf der Höhe der Zeit. Was will man mehr?
Anmerkung AM
Hm, das sich das ändert, oder so?
2.
S.E. | 21. Januar 2011 um 3:58 pm
Find ich im Wesentlichen gut, bis auf sowas: „Die Idee der in die Schule verlängerten Familie schließt natürlich auch mit ein, dass die Kinder sich einer geschlossenen Front aus Schule und Eltern gegenüber sehen und nicht, wenigstens von einer Partei, Rückenstärkung gegen die andere holen können.“
Dass das nicht der Fall ist, zeigen doch diese zahllosen nervenaufreibenden und lächerlichen Streitigkeiten und Rudelkämpfe von Waldorflehrern und -eltern, die du doch auch kennst un beschreibst! Das ist auch nicht besser als das, was Gebhardt vorzufinden meint. Aber es ist auch was anderes als die behauptete autoritäre Einheitlichkeit.
3. Ein Geschenk zum neuen Jahr? Heiner Ullrichs Biographie „Rudolf Steiner“ « waldorfblog | 2. Februar 2011 um 1:42 pm
[…] Zu den anderen beiden neuen Steiner-Biographien: Der Besuch der toten Tante sowie Miriram Gebhardt über die Waldorfpädagogik heute. […]
4.
Cardinal | 15. Februar 2011 um 11:39 pm
Frau Gebhardt scheint nicht so meins zu sein. Wie kommt sie denn bitte auf „Die Idee der in die Schule verlängerten Familie…“?!
5.
Gertrud Kiefer-Volkert | 18. Februar 2011 um 11:16 pm
Eltern, die ihre Kinder in die Waldorfschule schicken, sollten sich nach einem gültigen Lehrplan und verbindlichen Unterrichtsinhalten erkundigen. Einer Offenlegung eines Waldorfkonzeptes wird meist ausweichend geantwortet, weil die Bildungsinhalte nicht festgelegt und die Lernziele nicht definiert sind. Aus diesem Grund kann auch nicht überprüft werden, ob und welcher Lernerfolg durch den jeweiligen Unterricht erreicht wird. So angenehm es z.B. erscheinen mag, dass in der Waldorfschule keine Leistungstests vorgenommen werden, so kann es gerade hier vorkommen, dass Kinder über Jahre hinweg am Unterricht teilnehmen und es nicht auffällt, dass ein Kind nichts lernt bei der ganzen Prozedur.
Bekanntermaßen ist das Bildungsziel in der Waldorfschule die Persönlichkeitsbildung, die weit vor der Leistung rangiert.
Die Bildungsinhalte in der Waldorfpädagogik können auch nicht offengelegt werden, weil sie aus Gründen des Konzeptes nicht festgelegt sind. Sie erschließen sich der Lehrperson aus der individuellen Beschäftigung mit der Anthroposophie. Dabei kommen auch eigene Erkenntnisse, die im Rahmen des anthroposophischen Schulungsweges (esoterische Schulung)
des Waldorflehrers erlangt werden, zum Tragen. Der persönliche Faktor ist also Teil des Konzeptes, was von vielen als (inter)subjektiv abgelehnt wird.
Die Objektivität der lehrereigenen Forschung soll durch die Überprüfung an der Wirklichkeit und durch Vergleiche mit bekannten Forschungsergebnissen vorgenommen werden, ein immenser Anspruch (Universalgenie).
Viele Reformen zur Waldorfpädagogik sind intern in der Diskussion, mehrere neue Schulbücher und ein sich Lehrplan nennendes Buch sind inzwischen auf dem Markt, doch nimmt man allgemein sehr schwer Abschied von den spezifisch anthroposophischen Wissenschaftsmethoden, die aus heutiger Sicht als überholt gelten und bestenfalls zur Aufstellung von Hypothesen taugen.
Immerhin ist erneut Öffentlichkeit hergestellt, es finden viele Veranstaltungen zum 150. Geburtstag von Rudolf Steiner statt, und Jens Heisterkamp von der INFO 3 glaubt sogar, dass Rudolf Steiner in den Kanon bedeutender Persönlichkeiten aufgenommen sei, so viel Aufhebens wie um ihn gemacht wird.
Kann es schaden, dass dieses deutsche Kapitel so intensiv beleuchtet wird?
6.
Gertrud Kiefer-Volkert | 20. Februar 2011 um 11:59 am
Genau, der konfessionelle Religionsunterricht, der in den Waldorfschulen erteilt werden muss, beruht auf einem Kompromiss zwischen Waldorfwelt und Staat. Nach meiner Beobachtung als Waldorflehrerin sind mir keine nennenswerten Diskrepanzen aufgefallen, man war immer um Austausch bemüht. Der Religionsuntericht schien reibungslos abzulaufen, die entsprechenden Kollegen waren geschätzt, nahmen an den Konferenzen teil und niemand redete ihn in ihre Arbeit hinein.
Doch aus dem Waldorfkindergarten blieben die Kirchen draußen.
Im Vorschulbereich herrschten streng-naturreligiöse Züge vor, bestimmten okkult-esoterische Vorstellungen die Bildungsinhalte, Erzieherinnen und Eltern mussten sich den strikten Anweisungen der anthropososphischen Lehre beugen.
Jede Farbe, jedes Material, jeder einzelne Gegenstand, der in den Kindergarten Einzug hielt, wurde dahingehend geprüft, ein sehr subtiles Regiment der Kindergartenleitung verhinderte jegliche Einmischung in das Waldorfkonzept, das nach nicht hinterfragbaren Anweisungen Steiners aufgestellt schien.
Große Mühe gab sich der Waldorfkindergarten, durch Elternmitarbeit und einschlägige Vorträge, Elternabende und weitere Unterweisungen, diese spezielle Kleinkindpädagogik und die waldorfspezifische Vorschulerziehung an die Elternhäuser zu vermitteln. Mit diesem absolutistisch anmutenden Herrschaftsanspruch kamen jedoch nicht alle Elternhäuser zurecht, jegliche Debatten galten als destruktiv und wurden von vornherein abgewiegelt.
Von demokratischen Strukturen oder gar Pluralität war nichts zu erkennen – kein Wunder, ist doch Rudolf Steiner ein erklärter Antidemokrat gewesen, früh fängt es an, die Eltern und Kinder in diese unpolitische Richtung zu formen.
In der Folge gibt es in der Waldorfschulzeit keinen den öffenltichen Schulen vergleichbaren Politikunterricht, findet wiederum Unterricht im Sinne der Gründerfigur statt, was im Grunde staatsfeindlich ist.
Wehret den Anfängen!
7.
Gertrud Kiefer-Volkert | 12. März 2011 um 1:16 pm
Romantisches Kindheitsideal – was ist daran schlimm?
Immerhin ist es ein Rückstand von mehr als einem Jahrhundert. Praktisch sieht es dann so aus, dass auch in den Außenanlagen der Waldorfkindergärten die klassischen Spielgeräte wie Klettergerüst, Schaukel und Wippe oder Rutschbahn nie Einzug gehalten haben, auch deren Nachfolger wie Klettergärten, Wasserspielplätze, Spielburgen wird man im Waldorfkindergarten vermissen. Dort werden die Kinder immer noch mit Reigenspielen beschäftigt, werden Blumenkränzchen gewunden oder Strohpuppen gebastelt – romantisch eben.
Fahrzeuge wie Dreirad, Laufrad, Roller oder Rutschauto fehlen ganz.
Auch wird man keine Gesellschaftsspiele im Freien finden.
Sicher sind die ^
Die u.a. aus der Waldorfpädagogik abgeleitete Naturpädagogik gehört heutzutage zum Spektrum jedes Kindergartens dazu.
8. Ein Geschenk zum neuen Jahr? Heiner Ullrichs Biographie „Rudolf Steiner“ | Waldorfblog | 9. November 2014 um 11:50 pm
[…] Zu den anderen beiden neuen Steiner-Biographien: Der Besuch der toten Tante sowie Miriram Gebhardt über die Waldorfpädagogik heute. […]