„Licht, mehr Licht!“ – zu Jana Husmann…
19. Mai 2011 at 10:30 am 14 Kommentare
… und ihrem Buch „Schwarz-Weiß-Symbolik: Dualistische Denktraditionen und die Imagination von ‚Rasse'“
Die meisten Bücher, die zum Thema Anthroposophie und Waldorfpädagogik erscheinen, veranlassen mich emotional zu einem relativ schlichten „Ja“ oder einem ebenso schlichten „Nein“, sie sind entweder gut oder schlecht, leicht abzulehnen oder eben nützlich. Das vorliegende Buch erweckt in mir das Bedürfnis nach einem langen, langen „JA – aber…“, und was wäre besser, um eine weitere Riesenrezension zu starten? Zuerst gebe ich in den Abschnitten I – III eine Übersicht über die in dem Buch diskutierte These, soweit ich sie erfasst habe, gehe anschließend (IV.) auf Jana Husmanns Aktivitäten als Anthroposophiekritikerin und (V.) ihre Darstellung der anthroposophischen Rassenlehre ein. Dann erlaube ich mir, an vier Stellen verschwenderisch pedantische Ergänzungen zu dem Buch vorzunehmen: VI. Antike Philosophie, VII. Geschichte des esoterischen Rassismus, VIII. Ahriman und Luzifer: Steiners okkulte Typologie „des Bösen“, IX. Husmanns Bedenken gegenüber der Möglichkeit einer „ent-rassistierten“ Anthroposophie. Die Abschnitte sechs bis neun sollten auch einzeln lesbar sein.
I. Das Gespenst
„Ein Gespenst geht um in der westlichen Wissenschaft…“ beginnt der slowenische Philosoph Slavoj Žižek sein Buch „Die Tücke des Subjekts“ (dt. Frankfurt a.M, 2001, S. 7) und fährt fort:
„…das Gespenst des cartesianischen Subjekts. Um es auszutreiben, haben sich alle wissenschaftlich-akademischen Mächte zu einer heiligen Allianz zusammengschlossen: der Obskurantist des New Age … der postmoderne Dekonstruktivist … der habermasianische Kommunikationstheoretiker … der Kognitionswissenschaftler … der Fundamentalökologe … der kritische (Post-)Marxist … und die Feministin (die betont, dass das angeblich geschlechtslose Cogito in Wirklichkeit eine männlich-patriarchale Bildung ist). … Obgleich alle diese Parteien offiziell in erbitterte Kämpfe verwickelt sind (die Habermasianer gegen die Dekonstruktivisten, die Kognitionswissenschaftler gegen die Dunkelmänner des New Ade…), sind sie sich doch alle in der Ablehnung des cartesianischen Subjekts einig.“
Žižeks brilliant formuliertes – und natürlich an Marx angelehntes – Projekt, das autonome Subjekt vor den Auflösungs- bzw. Verleugnungsversuchen besagter Parteien zu retten, kommt aber gleichzeitig einer nicht minder beliebten Stimmung entgegen, die Postmodernismus, große Teile feministischer Theorie, Ökologie usw. zusammen mit dem New Age einer prämodernen Gesinnung bezichtigt, oder sie, mit Adornos Worten, theatralisch verdächtigt, nicht weniger als “das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie” (Adorno: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 10.2, 556) zu sein.
Dabei wird gern übersehen (um beim gewählten Gespensterbeispiel zu bleiben), dass etwa das cartesianische Subjekt, die res cogito, traditionell keineswegs Žižeks psychoanalytische Vorstellung vom „exzessiven, nicht anerkannten Kern des Cogito“ (Žižek, a.a.O.) stützt. Es sollte ursprünglich tatsächlich „männliche“ Attribute tragen und dualistisch von der Natur abgespalten sein – mit der Kritik an diesen Programmpunkten hat eine postmoderne Philosophie also durchaus auch viele richtige Punkte angepeilt. In diesem Sinne möchte ich die vorliegende Dissertationsschrift von Jana Husmann, „Schwarz-Weiß-Symbolik“ verstehen und würdigen, die sich eines klassischen Gegenstandes postmodern-poststrukturalistischer Kritik annimmt, ihn historisch bearbeitet und dabei tatsächlich auf eine neue Ebene hebt: Sie untersucht die Entstehung eines Selbstbildes des „vernünftigen“, „logozentrischen“ „Abendländlers“, der sich mit ehemals göttlichen Attributen versieht und meint, sich ontologisch über „die Natur“, den außereuropäischen „Anderen“ und – natürlich – „die Frau“ zu erheben. Claudia von Werlhof hat diese ideelle Grundlegung und Gemeinsamkeit von Sexismus und Rassismus in den frühen Achtzigern pathetisch-plakativ „Hausfrauisierung“ genannt, Husmann spricht von „Säkularisierung, Naturalisierung und Respiritualisierung“ schwarz-weiß-symbolischer Mythen. Ihr Buch diskutiert die „abendländische“ Philosophiegeschichte chronologisch durch, legt aber einen klaren Schwerpunkt auf eine Figur, die auf diesem Blog Dauergast ist: den Okkultisten, Philosophen und Lebensreformer Rudolf Steiner (1861-1925). Dessen Deutung der Weltgeschichte als Spielplatz geistig-geistlicher Mächte, die sich zur festen Erde verdichteten und in ferner Zukunft wieder vergeistigen werden, passt schließlich idealtypisch in ihr Untersuchungsfeld. Auch Steiners esoterisch überbaute Rassentheoreme passen zu der These, dass neuzeitlicher Rassismus letztlich eine verweltlichte, biologisierte Form religiös-geschichtstheologischer Vorstellungen darstellt.
Um eines vorwegzunehmen: Das Buch lohnt Lektüre und Anschaffung, sowohl für anthroposophi(ekriti)sch als auch für historisch Intererssierte, allerdings stehen auch große Teile online zur Verfügung, so eine Leseprobe und die Möglichkeit, das Buch nach Stichwörtern zu durchsuchen.
II. Ursprung im „Reich des Wortes“
Husmann untersucht also die Geschichte abendländischer Dualismen, ausgehend von der griechischen Antike über christliche und gnostische Diskursfelder bis in die Neuzeit. Ein Schwerpunkt liegt auf Farbmetaphern von Schwarz und Weiß in diesen verschiedenen Konzepten. Genuin mythisch-mythologische Licht-/Finsternissymbolik habe sich in der Neuzeit ungebrochen in philosophische und Wissenschaftskonzepte übertragen, namentlich in der Konstruktion von schwarzen und weißen „Rassen“ Gestalt angenommen.
Nach Horkheimer/Adornos „Dialektik der Aufklärung“ schlägt die Illusion einer rationalen Verfügbarkeit der Welt erneut in Mythologie um („Je weiter aber die magische Illusion entschwindet, um so unerbittlicher hält Wiederholung unter dem Titel der Gesetzlichkeit den Menschen in jenem Kreislauf fest, durch dessen Vergegenständlichung im Naturgesetz er sich als freies Subjekt gesichert wähnt.“ Dialektik der Aufklärung (1944), Frankfurt a.M. 1988, S. 18). Die verwandte These, dass das Erbe eines „christlich-abendländischen Dualismus“ auch den Rationalismus der Aufklärung negativ geprägt habe, dass schließlich aus beider Drang, zu ordnen und zu kategorisieren, auch die ersten Rassenspekulationen hervorgegangen seien, ist verbreitet, aber selten ausführlich ausgeführt.
Husmann zitiert zunächst aus relativ aktuellen Symbollexika, die den symbolischen Bedeutungen der Farben Schwarz-Weiß erstaunlich oft noch heute „rassische“ Assoziationen zuordnen. Ein Lexikon der Traumsymbole von 2005 führt etwa noch das Stichwort „Neger“ mit der Erklärung „Widerstreit des Hellen gegen das Dunkle, meist negatives Innenleben.“ (Husmann-Kastein, 61). Sie diskutiert des Weiteren im Kapitel „Angst vor der schwarzen Republik“ die Erkennungsfarben verschiedener politischer Parteien durch, die etwa im Sommer 2009 in eine rassistische Wahlwerbungder Grünen mündeten.
Es stellt sich bald die Frage, wie das dualistische Denken, dessen Dominanz sich in den alten Gegenüberstellungen Gott-Welt, Mensch-Tier, Kultur-Natur, Geist-Materie, Mann-Frau etc etc ausdrückt, geistesgeschichtlich entstanden ist. Hier widmet sich Husmann unter Ausklammerung der iranisch-zoroastrischen Ideenwelt der griechischen Antike. Sie postuliert unter Berufung auf Gerburg Treusch-Dieter und lustigerweise in Übereinstimmung mit Jaspers oft kritisierter These von der „Achsenzeit“ einen geistesgeschichtlichen Umschlag um 800/600 vor Christus (S. 64). Das vorherige mythische Weltbild (Ernst Cassirer und Jean Gebser würden sich freuen) sei mit der „Vorstellung vom ‚Heiligen Paar‘ verbunden“, matriarchalisch geprägt und „vom zyklischen Kult der Wiedergeburt“ bestimmt (ebd.) gewesen. Das ab 800 v. Chr. einsickernde Weltbild sei dagegen das dualistisch-anti-zyklische Postulat eines „geistigen, symbolisch männlichen Schöpfungsprinzip“ gewesen (spaßigerweise setzte Rudolf Steiner, was Husmann leider nicht analysiert, exakt an diesem Punkt den Wechsel von der „Kulturepoche der Empfindungsseele“ zu der der „Verstandesseele“ an). Husmann enthält sich trotz ihrer offenbar kritischen Sicht auf die Entwicklung von der Polarität zur Dualität glücklicherweise der politischen Forderung eines Harald Strohm nach „mythischer Rücktransformation“ in vor-antiken Mythos.
Anders aber als Strohm schildert sie, diesmal unter Berufung auf Jan Assmann und Christina von Braun, allerdings, wie diese geistesgeschichtliche Revolution zustandegekommen sein könnte. Die Entwicklung der griechisch-phonetischen Schrift habe erstmals zu einer „atomisierten“ Darstellungsmöglichkeit für Vokale und Konsonanten geführt und es, so Assmann, damit zuerst ermöglicht, „mündliche Rede unverkürzt, vollständig und fließend wiederzugeben“ (zit. auf S. 63). Auf Grundlage dieses Schriftsystems habe sich ein „körperunabhängiges, abstraktes Reich des Wortes“ entwickelt – und der logische Schluss: Die konzeptionelle Trennung von Körper und Intellekt. Nach dieser Trennung, die die antike Philosophie prägte, sei es, so Husmann unter Berufung auf C.v. Braun, zur Identifikation des „Geistigen“ mit Männlichkeit und des „Körperlichen“ mit Weiblichkeit gekommen. Punkt. Die Leser_innen (zumindest solche, die, wie bedauerlicherweise ich, nur oberflächlich Ahnung von Geschlechterforschung haben) bleiben im Unklaren darüber, woher diese Verbindung stammen könnte. Zwar weiß auch ich seit Judith Butler, dass die Trennung von gender und sex, also: „kulturell konstruiertem“ und biologischem Geschlecht, hinfällig ist (weil auch die Wahrnehmung von sex niemals authentisch, sondern auf Grundlage kultureller Eigenschaftszueschreibungen stattfindet), aber: wie kommt es zur Assoziation von „Geist“ und Männlichkeit bzw. „Körper“ und Weiblichkeit?
Wie auch immer. Nach Diagnose der dualistischen Symboliken eilt Husmann hurtig die verschiedenen antiken Philosophien durch. Dabei lässt sie Kyniker, Skeptiker und Epikureer unerwähnt, führt aber als Beispiel für Vertreter dualistischer Weltbilder Platons Konzept von ewigen „Ideen“ und schattenhafter Materie sowie die Stoiker an. Natürlich ist auch Aristoteles unvermeidlich bzw. sein Hylomorphismus, der die Platonischen Urtypen verwirft und den Fokus auf das konkret existente Ding („ousia“) als Hybriden seiner spezifischen geistigen „Form“ (morphe) und von dieser gestalteter materieller Grundlage (hyle) legt. Aristoteles‘ berühmte Stereotypisierung, dass der Mann vornehmlich den geistigen Part, die Frau dagegen den Materiellen verkörpere, hat Geschichte gemacht.
III. „Weißwerden“
Karriere des Dualismus in Kirche, Gnosis und Aufklärung
Diese dualistischen Geist-Materie-Spekulationen prägten auch die christliche Weltsicht, etwa die „Logostheologie“ (S. 91), in der der jungfräulich-reine Körper Marias nicht von der Sünde „befleckt“, sondern vom göttlichen Wort buchstäblich beschrieben wird (hier fällt wieder die These des Zusammenhangs zwischen Dualismus und griechischer Schrift ein). Husmann diskutiert die Beschreibung Christi als „weißes“ Lamm, überhaupt Schwarzweißssymbolik im Neuen Testament und natürlich die Darstellung Christi als des Ehegatten seiner weltlichen „Gemeinde“: Hier werde die mythisch-zyklische Symbolik des Heiligen Paares einer dualistischen Wertung unterworfen.
Und schließlich wird, als Vollendung altertümlichen Schwarz-Weiß-, Licht- und Finsternisdenkens, die spätantike synkretistische Religiosität Gnosis behandelt. Die Gnostiker der verschiedenen Schulen hatten eines gemeinsam: Den Glauben an einen unendlich lichten Himmel und an eine davon nach allen Regeln der Kunst hermetisch abgeschottete Hölle. Unglücklicherweise, so glaubten die Gnostiker, sei diese Hölle nichts anderes als unsere Erde mitsamt der menschlichen Nöte und Leiden. Die Schöpfung sei entsprechend ein großer kosmischer Unfall und der Sturz des Menschen aus dem Licht in Finsternis, Sünde und Materie gewesen. In einem komplizierten Weg der Askese und der Frömmigkeit müsse jeder Mensch seinen demütigen Rückweg ins Lichtreich antreten. Auf diesem Weg wurden des Öfteren drei Gruppen von Menschen, gewissermaßen drei Tauglichkeitsgrade unterschieden: Die Pneumatiker, geistig und dem lichten geistigen Dasein schon am nächsten, die Psychiker, noch der irdischen Seele verhaftet, und die gänzlich trostlosen Hyliker, der irdisch-dämonischen Materie verfallen. Auch und gerade hier finden sich die Zuordnungen von schwarz und weiß – zu den beiden antagonistischen Daseinsebenen, aber auch zu „weißen“ Erleuchteten und „Lichtgewändern“ bzw. „schwarzen“ Erdverhaftungen. Besonders ungünstig kommen bei Husmann die Manichäer weg, deren verästelte Kosmogonie und Heilsgeschichte sie (offenbar inspiriert von Harald Strohms irritierend gnadenloser Antimanichäismus-Polemik) zusammenfasst. Am Ende bringt sie allerdings auch einen Fall positiv konnotierter gnostischer „Schwärze“ („Das erste schwarze Wort Gottes“): In der Kabbalah.
Das Mittelalter und die höfische Dichtung umschifft Husmann elegant und lässt so leider (wenn ich es nicht überlesen habe) auch nicht durchblicken, was sie von dem als „Höllenmohr“ bezeichneten Teufel bei Walther von der Vogelweide oder von der Schwarz-Weißsymbolik in Wolframs „Parzival“ (vom Elsterngleichnis bis zur Hautfärbung des Feirefiz) hält. Stattdessen erklärt sie, die Übertragung der schwarzweißsymbolischen Codierung von „Licht“ und „Geist“ bzw. „Finsternis“ und niedriger Materie auf ethnische Gruppen („Rassen“) habe erst in der Neuzeit stattgefunden. Das knapp 60 Seiten umfassende Kapitel „Weißwerden: Historische Vorläufer und Anfänge rassentheoretischer Farbgebung“ stellt dann auch das Herzstück der Untersuchung und deren mit Abstand fesselndsten Teil dar. Husmann dokumentiert den „demiurgischen Humanismus“ (Sloterdijk) der Rennaissance und Aufklärung, bei dem sich der Mensch (bzw.: primär „der Mann“) den vormals Gott zugedachten Part des lichten und v.a. schöpferischen Prinzips zuordnete. Erst allmählich und in kleinen Schritten (Husmann analysiert v.a. die Stellung der galenischen Viersäfte- und Temperamentenlehre) wurde allerdings das Konzept verschiedener Hautfarben, „Rassen“ und schließlich Charakterunterschiede dieser „Rassen“ ausgebrütet. Husmann kann zeigen, dass Hautfarben als Unterscheidungskriterium überhaupt erst durch die unterschiedlich attributierten Farbsymboliken von lichtem Weiß und niederem Schwarz relevant wurden. Das hat auch Auswirkungen auf den Rassismusbegriff: Schon historisch lässt sich so nachweisen, dass bereits der „Rassenbegriff“ fiktiv aus protorassistischen symbolischen Wertungen hervorgegangen ist. Nicht zuletzt sind in diesem Kapitel die Rassentheorien Immanuel Kants und Carl Linnés übersichtlich dargestellt. Ein eigenes Kapitel widmet Husmann dem romantischen Esoteriker Carus und seiner Rassenlehre, in der die Menschheit in Tag-, Nacht- und Dämmerungsvölker eingeteilt wird.
Aber nun endlich zu dem Grund, der mir das Vergnügen verschafft, das Buch hier vorzustellen.
IV. (K)eine Liebesgeschichte: Husmann und die Anthroposophie
Die Autorin hat sich nämlich bereits mehrfach zur Anthroposophie bzw. zu „Schwarz-Weiß-Konstruktionen im Rassebild Rudolf Steiners“ zu Wort gemeldet und war in einen der jüngeren anthroposophischen Eklats verwickelt:
Am 21.06.2006 stellte das Bundesfamilienministerium einen Antrag an die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, zwei Bücher Rudolf Steiners nach § 18 des Jugendschutzgesetzes auf den Index zu setzen. Es handelte sich um die Bände 107 und 121 seiner Gesamtausgabe, Mitschriften von zwei Vortragsreihen Steiners, die bereits mehrfach in der Kritik waren, weil er darin seine evolutionär hierarchisierte Rassentheorie ausbreitet (ich komme unten noch inhaltlich auf sie sprechen).
Im dadurch eingeleiteten Verfahren nahmen die Steiner-Nachlassverwaltung sowie der „Bund der Freien Waldorfschulen“ Stellung, es gab ein gewaltiges Medienecho und an den nach Steiners Pädagogikvorstellungen arbeitenden Waldorfschulen einiges aufgeregtes Getuschel in den Gängen und hinter verschlossenen Türen, bevor die BPjM am 06.09.2007 erklärte, die Bände seien tatsächlich in der Lage, Jugendliche zu „Rassenhass“ anzuheizen. Da der Steiner-Verlag aber zugesichert hatte, kritisch kommentierte Neuauflagen auf den Weg zu bringen, entschied die Bundesbehörde, es handle sich um einen Fall „von geringer Bedeutung“ und sah von einer Indizierung ab. Noch im letzten Sommer erlebte der Vorfall ein Nachbeben, als eine rechtsanthroposophische Zeitschrift kreativ beschloss, da die zwei Bücher inzwischen immernoch nicht wieder aufgelegt würden, müsse eine skandalöse Verschwörung vorliegen.
„Die bei uns eingegangenen Reaktionen gehen von ‘geistigem Verrat’ über ‘Skandal’ bis zur ‘Katastrophe’ etc.“ (Marcel Frei: Rudolf Steiner am Dornacher Pranger, in: Der Europäer, September 2010, S. 9, vgl. Bilder und Sachen, Absatz „Grabenkämpfe“).
Und wie zuverlässig jedes Mal, wenn Anthroposoph_innen Verschwörungstheorien aus dem Hut zaubern, glauben diverse Kritiker_innen der Anthroposophie schon lange dieselbe Geschichte: Natürlich sind die aber überzeugt, dass das Ausbleiben der Neuauflage nicht aus anti-, sondern proanthroposophischen Motiven geschehe. Das ganze entbehrt, wie Ralf Sonnenberg resümmierte, einer gewissen Komik nicht:
„Die Annahme …, theosophische Insider-Literatur aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gehöre zu den bevorzugten Freizeitlektüren heutiger Teenager, zielt, sofern sie überhaupt ernst gemeint ist, an der Lebensrealität von Jugendlichen vorbei.“ (Hagalil)
Natürlich hatte das Familienministerium den Antrag auf Indiziderung der beiden Bände auch nicht gestellt, weil dort jemand spontan Lust bekam, Steiners Nachlass-Verwaltung zu mobben. Zwei Anthroposophiekritiker_innen hatten ein diesbezügliches Empfehlungsschreiben sowie entsprechende Gutachten eingereicht, als „ultima ratio, doch noch eine wirkliche Diskussion zur Anthroposophie und damit zur Waldorfpädagogik in Gang zu setzen“ (Stern): Eines von dem Berliner Grafik-Designer Andreas Lichte, der 2001 in einer Fortbildung zum Waldorf-Werklehrer die aktuelle Präsenz anthroposophischer Kulturchauvinismen festgestellt hatte. Das andere stammte von Jana Husmann (damals noch mit dem Doppelnamen Husmann-Kastein) und enthielt in vielen Punkten ihre auch online zu findenden sowie gleich noch einmal zusammengefassten Darlegungen über Steiners Rassenlehre.
Jana Husmann hatte Kulturwissenschaften und Gender Studies an der Universität Bremen und der Humboldt-Universität Berlin studiert. Nachdem sie 2003 ihre Magisterarbeit mit dem Titel „Schwarz-Weiß-Konstruktionen im Kontext des Rassismus – Zur Bedeutung von Farbsymbolik in den historischen Anfängen der Rassentheorie und sozio-politischer Identität“ vorgelegt hatte, veröffentlichte sie einige Aufsätze im Themengebiet „Kritische Weißseinsforschung“, soweit ich behaupten darf, sie zu überblicken, mit einem Schwerpunkt auf Geschlechterkonstruktion in den jeweiligen Rassen- bzw. Hautfarbekonzepten. 2007 erschien etwa ein zum Thema Anthroposophie relevanter Aufsatz mit dem Titel „Rassisierte Lichtgestalten – dunkle Krisen: Christus, Karma und Erlösung bei Rudolf Steiner“. Nachdem sie 2003-2006 Promotionsstipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung gewesen war, legte sie 2008 die nun überarbeitet in Buchform erschienene Dissertation vor.
V. Dualistische Rassentheorie bei Steiner
Husmann grenzt Steiners esoterische Anthroposophie zunächst deutlich vom völkischen Okkultismus seiner Zeit ab…
„Gegenüber dem eugenisch inspirierten Rassenmystizismus eines Lanz von Liebenfels und den zeitgenössisch empiristischen Rassen- und Entartungstheorien ist die Anthroposophie des Okkultisten und selbst erklärten Hellsehers Rudolf Steiner ihren formulierten Grundsätzen nach durch eine Rhetorik der Egalität und Ganzheitlichkeit geprägt. So proklamiert Rudolf Steiner 1906: Das ‚anthroposophische Christentum‘ verheiße einen ‚Bürger des Geistes‘ – ‚ohne Unterschied von Rasse und Geschlecht.'“ (S. 232f.)
…um anschließend klarzustellen, dass dieser egalitäre Anspruch keineswegs erfüllt werde. Strukturell parallel zu Steiners Kosmologie und Wissenschaftsanspruch ist mit geringem Aufwand eine sehr explizite Rassentheorie (wenn auch nicht von „ariosophischen“ Ausmaßen) zu finden. Husmann betont zunächst, dass Steiner damit kein Einzelgänger war, sondern die von ihr so ausführlich beschriebene Verweltlichung und Verwissenschaftlichung von Schwarz-Weiß-Symboliken fortschrieb:
„Versteht Zander die Anthroposophie gegenüber der ‚hegemonialen Wissenskultur‘ des institutionalisierten Christentums und der institutionalisierten Wissenschaft als ‚minoritäre Kultur‘, so werde ich im Folgenden herausstellen, dass jedoch bereits die anthroposophische Erkenntniskonzeption … substantiell … als Bestandteil der zeitgenössischen hegemonialen Weißen Wissenskultur zu begreifen ist.“ (S. 251)
Die Ausführungen zu diesem Punkt sind interessant, aber anders als Helmut Zander in seiner Geschichte der Anthroposophie in Deutschland übergeht Husmann – trotz sehr gewissenhafter Darstellung – weitestgehend Steiners okkultistischen Kontext. Der Mesmerismus, der aus ihm erwachsene Spiritismus und die aus diesem entstandene Theosophie verbanden religiöse Sehnsucht angesichts einer scheinbaren wissenschaftlichen Sinnentleeung mit dem Projekt, nun Religiöses wissenschaftlich zu erforschen. Parallel dazu ging Steiner, auch wenn er spiritistische Methoden polemisch als Quacksalberei zurückwies.

„Mehr Licht!“ – die Esoteriker_innen des 19. Jahrhunderts fühlten sich in einer finsteren, sinnentleerten Welt des Materialismus, der sie durch wissenschaftlich-moderne Methoden das Licht der Gotteserkenntnis wiedergeben wollten*
Allerdings folgt auch in Husmanns Buch eine Darstellung der anthroposophischen Kritik an der „materialistischen“, „ahrimanischen“ Wissenschaft der Neuzeit sowie Steiners Versuch, eine „christliche Wissenschaft“ vorzulegen. Darauf werde ich unten im Absatz VIII zu „Ahriman und Luzifer“ noch eingehen. Indem sie diese beiden Typen von (guter und böser) Wissenschaft aus dem Steinerschen Oeuvre herausdestilliert, gelangt Husmann zu einem sehr klaren Dualismus in der anthroposophischen Weltsicht. Analog dazu sei Steiners Rassentheorie konzipiert. Hier wiederholt Husmann teils nahezu wörtlich Formulierungen und Thesen aus ihren früheren Kritiken an Steiners Rassentheorie, weshalb ich der Einfachheit halber eine Zusammenfassung aus einer dieser Schriften heranziehe:
„Erstens versteht Steiner ‘Rasse’ als eine der heutigen Menschheit übergeordnete Kategorie, ‘Rasse’ erscheint hier als Bezeichnung für verschiedene Zeitalter und ‘Menschheitsstadien’. Dafür steht das sogenannte ‘Wurzelrassensystem‘, das Steiner weitgehend von der Theosophin und Okkultistin Helena P. Blavatsky übernimmt. In diesem (neognostischen) Evolutionsmodell entwickelt sich der Mensch nach Steiner überhaupt erst zu seiner heutigen physischen und seelischen Gestalt. Es beinhaltet einen Prozess vom Geistkörper zum gegenwärtig physisch festen Körper, zum sog. „Knochenleib“, in der fernen Zukunft komme es zu einer erneuten Vergeistigung.
Neben dem, der heutigen Menschheit übergeordneten Evolutionsmodell der „Wurzelrassen“ versteht Steiner ‘Rasse’ zweitens jedoch zugleich als eine Strukturkategorie der gegenwärtigen Menschheit. Hierbei entwickelt er drei bis fünfgliedrige Modelle … Außereuropäer werden durch die dunkle Materie, durch ‚Verhärtung’, Verknöcherung’ und den Begriff der Degeneration gekennzeichnet, die als weiß beschriebenen Europäer stehen für geistige Potenz und die Entwicklung hin zu einer zukünftigen lichten Vergeistigung. In diesem Sinne lässt sich auch Steiners viel zitierte Aussage verstehen: „Die weiße Rasse ist die zukünftige, ist die am Geiste schaffende Rasse.“ Vor dem Hintergrund der abendländisch geistesgeschichtlichen Tradition der Codierung des Geistes als männlich und der irdischen Materie als weiblich lassen sich diese Verknüpfungen der ‘weißen Rasse‘ mit Geist und der nicht-weißen ‘Rassen‘ mit der verhärteten Materie immer auch als symbolisch geschlechtlich codiert begreifen.“ (Schwarz-Weiß-Konstruktionen…)
Während sich die früheren Publikationen weitestgehend auf eine Darstellung von Steiners Rassenmodellen beschränkten, geht Husmann in ihrer Dissertation nun auch ausführlicher auf Steiners theosophisches Frauenbild ein (S. 259-256), das letztlich wenig originelle Polaritäten passiv-phantasievoller Weiblichkeit und aktiv-zielgerichteter Männlichkeit mit esoterischen Theorien ummantelt. Interessant ist, dass Steiner diese simplen Zuordnungen teilweise erkannte und kritisierte, ohne aber selbst davon loszukommen. Bedauerlicherweise unterlässt es Husmann vollständig, auf die aufschlussreiche Geschichte Steiners persönlicher Frauenbeziehungen einzugehen.
Ein mit „Egalität?“ übertiteltes Unterkapitel stellt die Frage, wie der anthroposophische „Grundsatz, den Kern einer allgemeinen Brüderschaft zu begründen ohne Rücksieht auf Rasse, Farbe, Stand und so weiter“ (Steiner, GA 54, 1966, 153f.), mit dieser evolutionär hierarchisierten Rassentheorie in Einklang steht. Hier verweist Husmann auf den Reinkarnationsglauben: Das geistige „Ich“ des Menschen verkörpere sich in verschiedenen Leben in verschiedenen „Rassen“:
„So können wir also gewiß sein, wenn wir auf diesen Kern unseres Wesens schauen, daß wir mit ihm teilnehmen werden nicht nur an den Sonnen- oder vielleicht auch Schattenseiten aller Rassen, aller Volkstümer, sondern wir können gewiß sein, daß wir in unserem innersten Wesen aufnehmen Beitrag auf Beitrag der Segnungen aller Rassen und Volkstümer, indem wir einmal da, einmal dort inkarniert werden.“ (Steiner, GA 121, 1982, S. 86)
Allerdings: Die negative Wertung „außereuropäischer“ „Rassen“ in Steiners Weltbild wird so eben nicht aufgehoben, sondern durch die Behauptung, immerhin auf „geistiger“ Ebene herrsche Egalität, im Gegenteil noch zementiert. Ein eigenes Kapitel widmet sich schließlich heutigen anthroposophischen Versuchen, mit Steiners Rassentheorie umzugehen. Dabei streift Husmann länger die unglücklichen Versuche eines Lorenzo Ravagli, Steiners Rassentheorien u.a. unter Bezugnahme auf die vorgeschaltete Reinkarnationslehre als „humanistisch“ zu reinterpretieren (vgl. Ravagli, die Rassen und die Rechten, Leitmotiv Zertrümmerung, Rudolf Steiners Rassenlehre). Aber auch das „Frankfurter Memorandum“ der dialogoffenen anthroposophischen Zeitschrift „info3“, das immerhin einzelne rassistische Stellen thematisiert, wird zitiert und zurecht als „Minimalkritik“ (S. 328) kritisiert. Es wird an einem Beispiel gezeigt, dass der eurozentrische Blick anthroposophischer Rassentheorien auch noch in aktuellen Waldorfschulbüchern auftaucht. Dass das entsprechende Buch heute noch als Unterrichtsgrundlage aufgelegt wird, ist umso erstaunlicher, als sogar ein überschwenglich positiver anthroposophischer Rezensent die darin Kulturchauvinismen zumindest am Rande feststellte:
„Die meisten Kapitel erschienen schon in früheren Jahren (zwischen 1954 und 1997 in den Zeitschriften ‘Erziehungskunst’ und ‘Die Drei’), vier von insgesamt vierzehn Beiträgen sind Originale und damit Erstveröffentlichungen. Beim Lesen bemerkt man durchaus den zeitbedingten Sprachhorizont, der manche Wendung heute auch kritischer bewerten läßt als zur Zeit der Erstveröffentlichung … Wenn Suchantke von Tieren kategorisierend spricht, kann man gut folgen. Unangenehm berührt jedoch kann man von dieser Sprache werden, wenn sie sich auf Menschengruppen und -rassen bezieht (‘der Indio, der Weiße, der Schwarze’ (S. 38)).“ (Creyaufmüller, Rezension)
Husmanns Darstellung ist natürlich ungleich detaillierter und kritischer. Behandelt wird von ihr natürlich auch das oben erwähnte BPjM-Verfahren. Als relativ krasser Schnitzer ist hier festzuhalten, dass sie allerdings nicht beschreibt, dass und wie sie in dieses Verfahren involviert war. Weder auf ihr Gutachten (das wird nur in einer Fußnote „der Vollständigkeit halber“ erwähnt, S. 321) noch auf ihre Motivation oder irgendeine persönliche Position geht sie ein, sondern erhält die hier fiktive Position der neutralen Außenperspektive aufrecht. Auf Husmanns Fazit für dieses Kapitel, eine um diese Rassentheorien bereinigte Anthroposophie sei kaum vorstellbar, werde ich unten (unter 4.) noch behandeln.
Was fehlt
Im Folgenden will ich an vier Punkten aufzeigen, wo die Untersuchung einseitig ist bzw. welche Themenbereiche eine Analyse farbsymbolischer Dualismen besonders mit Blick auf die neuzeitliche Esoterik noch beachten könnte. Diese Exkurse ändern nichts an der Qualität von Jana Husmanns Untersuchungen, denen großenteils schlicht zuzustimmen ist, sie stellen einzig meine eigenen Gedanken und Anmerkungen zum Thema dar und sind vielleicht für die einen oder anderen interssant.
Husmann beruft sich in ihrem Buch oft und gern auf das Buch „Die Gnosis und der Nationalsozialismus“ (Harald Strohm), das der Religionswissenschaftler Holger Nielen in einer durchaus positiven Rezension als „Kaperfahrt durch die Philosophiegeschichte“ bezeichnete. Diese Beschreibung mag auch auf ihr Buch in Teilen zutreffen. Zwar ist Strohms Buch durch weitläufige Exkurse und einen assoziativen Stil ganz anders als Husmanns nüchtern-wissenschaftliche Untersuchung, aber beide durchschreiten die abendländische Geschichte mit einem etwas mehr als nur thematisch bedingten Tunnelblick. Vom Beginn des dualistischen Denkens im alten Griechenland bis zum rassen- und geschlechtertheoretischen Schwarzweißdenken in aktuellen Symbollexika scheint sich eine kontinuierliche, ungebrochene und – in sich – logische Beziehung aufzubauen. Die beurteilt Husmann durchweg kritisch. Aber statt zu zeigen, wo und an welcher Stelle Irrtümer diese Konstrukte aufbauten und verstärkten, präsentiert sie scheinbar nur lauter Plausibilitäten: Vom Anfang eines abstrakten, körperunabhängigen „Reich des Wortes“ durch die Erfindung der „atomisierten“ Konsonanten- und Vokalschrift im Alten Griechenland bis zu Steiners befremdlicher Vorstellung, der vergeistigte Mensch zukünftiger kosmischer Perioden werde Nachkommen ebenfalls körperlos aus den Sprechorganen (er)zeugen – nach der Lektüre des Buches scheint zwischen alledem eine zwar unendlich bedrückende, aber existenziell mit abendländischer Philosophie, aufklärerischem Humanismus und neuzeitlicher Wissenschaftsgeschichte verflochtene Traditionskette zu stehen.
VI. Antike Philosophie
Dem ist aber keineswegs so – schon zu Beginn von Husmanns Darlegung ließen sich auch zahlreiche Gegenentwürfe finden: In der griechischen Philosophie. Sie führt Platon und dessen Zwei-Welten-Theorie an – zweifellos dualistisch, doch ging es Platon in seiner Ideenlehre auch um die erkenntnistheoretische Überwindung der „Kluft“ zwischen abstrakten, ewigen, unentstandenen „Ideen“ und konkreter, in ständiger Veränderung begriffener Materie: Im „Liniengleichnis“ (Politeia VI, 509-510) führt Platon aus, dass nicht nur durch abstrakte Schau begnadeter Philosophen die „Ideenwelt“ zu erreichen sei, sondern auch empirisch durch analoge Bildungen der Natur. Auch hat Platon in seinem Dialog „Theätet“ immerhin einmal den Vorschlag gemacht, Ideen nicht als ontologisch höhere Strukturen von Wirklichkeit, sondern als mentale Strukturen zu erfassen. Und Husmann vergisst drittens zu erwähnen, dass Platon, anders als sein Schüler Aristoteles, von einer gleichen mentalen Befähigung bei Männern und Frauen (zumindest in seinem utopischen „Philosophenstaat“) ausging. Und wenn auch Aristoteles Urheber oder zumindest erfolgreicher Propagandist jenes leidigen Philosophems von den erkenntnisfähigen, „geistigen“ Männern und irgendwie unschöpferischen, da rein materiell-irdisch dominierten Frauen war, so war er doch auch der wahrscheinlich erste, der die Bedeutungslosigkeit unterschiedlicher Hautpigmentierungen aussprach:
„…zum Beispiel befußt und beflügelt bringt Artverschiedenheit hervor, weiße und schwarze Farbe dagegen nicht. Vielleicht liegt der Grund darin, dass jenes eigentümliche Affektionen der Gattung sind, dieses aber weniger. Und indem nun etwas teils Begriff [logos] ist, teils Stoff [hyle], so bringen die den Begriff treffenden Gegensätze Artunterschiedenheit [diaphorà eídei] hervor, die mit dem Stoff zusammengefassten dagegen nicht. Daher bringt weiße und schwarze Farbe keine Artverschiedenheit hevor, und der weiße Mensch steht zu dem schwarzen nicht in einer Unterschiedenheit der Art nach, auch dann nicht, wenn man für jeden einen Namen setzt. Denn der Mensch ist hier nur als Stoff genommen, der Stoff aber bewirkt keinen Unterschied; deshalb sind ja auch die einzelnen Menschen nicht Arten des Menschen … also ist der Mensch nur in akzidentellem Sinne weiß. … zwischen dem weißen Menschen und dem schwarzen Pferd besteht eine Verschiedenheit, und zwar eine Artverschiedenheit, aber nicht insofern, als der eine weiß, das andere schwarz ist; denn sie würden ebensogut der Art nach verschieden sein, wenn beide weiß wären.“ (Aristoteles: Metaphysik, Buch 10, IX, 1058a ca.35 – 1058b ca.22; Übersetzung von Hermann Bonitz)
Auch die an einer Stelle (S. 70) erwähnten Stoiker waren nicht die Propheten einer körperlosen, „samenhaltige[n] Weltvernunft“ [Hans Leisegang], sondern fassten die Welt in einem materialistischen Monismus als geschlossenen Mechanismus auf, in dem die „Weltvernunft“ mit einem periodisch wiederkehrenden „Weltenbrand“, einer Art „Urfeuer“, aus dem alles besteht und in das sich auch alles allenthalben aulöst, in Eins gesetzt wird. Auch das ist alles andere als eine dualistische Konstruktion, wenngleich das Feuer auch als „logos“, „Zeus“ oder „Seele“ bezeichnet wird. Gänzlich unerwähnt bleibt bei Husmann auch der Atomismus Epikurs.
Husmanns Diagnose ist insgesamt völlig richtig, doch weder die antike Philosophie noch Gnosis oder frühes Christentum sind derart kontinuierlich und bruchlos dualistisch und von Schwarzweiß-Motiven durchtränkt, wie es ihre Untersuchung suggeriert. Andererseits: Hätte Husmann jeden Pfad der Geistesgeschichte auch auf ihrer These widersprechende Gedankengebäude abgeweidet, wäre eine mehrbändige Geschichte der Philosophie entstanden und eben nur partiell eine Analyse der nunmal präsenten Schwarz-Weiß-Symboliken. Und an einigen Stellen nennt Husmann auch Farbsymboliken, die einer durchweg negativen Wertung der Farbe Schwarz widersprechen, wie die Schöpfungsvision der Kabbala oder den Kult der „Schwarzen Madonna“. Dass Husmann im Zusammenhang mit dem Letzteren schreibt, „die Templer und Katharer verbanden die schwarzen Madonnen schließlich mit dem Gralskult“ (S. 92), womit sie selbst esoterischen Traditionskonstrukten des 19. Jahrhunderts auf den Leim geht, ist eine ungewollt komische Pointe.
VII. Kontexte
Esoterischer Rassismus
Nach ihrer Darstellung von verschiedenen Explikationen der Steinerschen Rassenmodelle folgert Husmann:
„Steiner war – verglichen mit selbst erklärten ‚politischen‘ Antisemiten und Rassisten seiner Zeit – kein antisemitischer und rassistischer ‚Scharfmacher‘ [Zitat Helmut Zander – AM], seine problematischen Thesen zum Judentum und zu ‚Menschenrassen‘ werden aber nicht durch den historischen Zeitgeist erklärt, sondern lediglich ansatzweise erklärbar. Eine historische Auseinandersetzung mit Steiners Rassentheorie/n verdeutlicht dabei einerseits die Spezifik spiritualistisch-biologistischer Rassismen, zeigt andererseits aber auch, dass eine absolute Trennung zwischen Rationalität und Irrationalität, zwischen Wissenschaft und Religion, die historische Genese des ’naturwissenschaftlichen‘ Rassenkonzepts verkennt.“ (S. 354 – Hervorhebung AM)
Der letzte Satz gehört sicher zu den „spannenderen“ des gesamten Buches, die vorangehende Bemerkung aber, Steiners „spiritualistisch-biologistischer“ Rassismus werde in seiner spezifischen Form historisch allenfalls ansatzweise erklärbar, verdient, finde ich jedenfalls, eine längere Ausschweifung meinerseits. Übrigens steht Helmut Zander, auf den Husmann sich hier beruft, auf einem anderen Standpunkt:
„Steiner ist ein Kind seiner Zeit, nicht nur hinsichtlich der Evolutionstheorie. Was und wie er dachte, ist dem Horizont der Jahrzehnte um 1900 verhaftet, seine Rassenlehre ist dafür nur ein Beispiel. Aber die Konsequenzen sind, potentiell dramatisch, partiell durchaus entlastend: Steiners Rassenvorstellungen sind kein Sondergut der Anthroposophie, sondern fluidaler Zeitgeist, den Steiner mit vielen teilte. Und schaut man genau hin, realisiert man, daß er nicht zu den Scharfmachern seiner Zeit gehört. In Rassenfragen gibt es um 1900 weit Übleres. Wenn man also anthroposophischerseits anerkennen würde, daß Steiner seiner Zeit verhaftet war, könnte man seine Vorstellungen historisieren, dadurch relativieren und hätte sie entschärft – und hätte einen schweren Stein von der Anthroposophie genommen. Seine Rede von den ‚degenerierten‘ und ‚zukünftigen‘ Rassen könnte man als Positionen lesen, die um 1900 plausibel waren und sogar ,progressive‘ Dimensionen beinhalteten, etwa in der Kritik an den deterministischen Vererbungslehren. Aber das aktuelle Werturteil müßte anders lauten: Steiner hat Positionen vertreten, die wir heute für nicht mehr akzeptabel halten – Steiner hat insoweit geirrt.“ (Zander: Rudolf Steiners Rassenlehre, in: Uwe Puschner/ G. Ulrich Großmann (Hg.): Völkisch und National – Zur Aktualität alter Denkmuster im 21. Jahrhundert, Darmstadt 2009, S. 151)
Von den Quellen, aus denen Steiner seine Rassentheorien bezog, hat Husmann den Mediziner Carl Gustav Carus neu ins Spiel gebracht, der religionstypologisch übrigens selbst als Esoteriker und Propagandist einer romantischen, „stark spekulative[n] und weniger prophetische[n] Theosophie“ des 18. Jhdts einzuordnen wäre (vgl. Kocku von Stuckrad: Was ist Esoterik? Eine kurze Geschichte des geheimen Wissens, München 2004, S. 156, 168, 178f.). Sie erwähnt im Anschluss an Quellenbelege Zanders außerdem William Scott-Elliot, dem Steiner seine Details über Rassen auf „Atlantis“ verdankt (The Story of Atlantis) sowie das „Wurzelrassenmodell“, das Steiner von der Okkultistin Helena Blavatsky übernommen, „jedoch um einigen Detailreichtum ergänzt“ habe (S. 267 – eigentlich hat Steiner es erheblich verkürzt und systematisiert). Außerdem wird mehrfach auf „zeitgenössische Deszendenztheorien“, den Darwinisten Ernst Haeckel etc. verwiesen. Aus diesen Quellen ist, wie sie schreibt, das deutlich dualistische Muster tatsächlich nur zum Teil erklärbar: Degenerierende „Rassen“ gibt es auch bei Haeckel, aussterbende Indianer und die Trias von „Weißen, Gelben, Schwarzen“, auch bei Blavatsky. Die Vorbilder Steiners bei der Zuordnung von Christus zum „Weiß-Sein“ und dämonischer Mächte zu dunklen Hautfarben findet Husmann bei beiden aber trivialerweise deshalb nicht, weil Steiner sie weder von Blavatsky noch von Haeckel hat. Eine Vortragsreihe Steiners, die Husmann in diesem Zusammenhang zitiert, ohne aber ihrem Entstehungsumfeld nachzugehen, weist die Spur: GA 113: „Der Orient im Lichte des Okzidents – Die Kinder des Luzifer und die Brüder Christi“.
In dieser Vortragsreihe weiß Steiner von zwei Auswanderungsströmen zu berichten, die von dem untergegangenen mythischen Kontinent „Atlantis“ nach Indien führten: Ein „nördlicher Völkerstrom“ ging durch Europa, ein „südlicher“ durch Afrika. Der Nördliche wird von Steiner mit Christus assoziiert, der Südliche – wer ahnt es schon? – mit der Widersachermacht „Luzifer“, die auch ihr Scherflein zur Evolution beizutragen habe (und deren Rolle der nächste Abschnitt gewidmet ist). Steiner hielt diesen Vortragszyklus im schicken Prinzensaal des Café Luitpold in München. Zuvor war unter großem Brimborium das „Mysteriendrama“ „Die Kinder des Luzifer“ aufgeführt worden, auf das Steiner im Titel seines Vortragsreihe anspielte. Das Stück hatte der französische Esoteriker Edouard Schuré (1841-1929) geschrieben, der Steiners Leben und Werk auf mehrfache Weise beeinflusste. „Schurés Schrift über die Großen Eingeweihten aus dem Jahr 1889 hatte für Steiners Denken eine ebenso große Bedeutung wie dessen spirituelle Dramen für seine künstlerische Tätigkeit.“ (Heiner Ullrich: Rudolf Steiner, S. 62f.)
Schuré hatte nicht nur Steiners zweite Frau Marie von Sivers zur Theosophie gebracht, er sollte auch Werke Steiners ins Französische Übersetzen, während umgekehrt Marie Sivers diejenigen Schurés ins Deutsche übertrug. Für Schurés „Die Großen Eingeweihten“ schrieb Steiner selbst mehrermals Vorwörter, bevor sich Schuré im Ersten Weltkrieg wegen Steiners deutschnationaler Positionen von ihm abkoppelte. In den „Großen Eingeweihten“ fand Steiner einen „Masterplan der esoterischen Religionsgeschichte“ (Helmut Zander: Rudolf Steiner, S 155) vor, der „Eingeweihte“ und sich historisch ablösende kulturschöpferisch „Rassen“ enthielt. Aktuell war selbstverständlich die „weiße Rasse“ bedeutsam, die die Weltherrschaft „den Schwarzen“ abgerungen hatte. Schuré stellt nicht nur eine Schlüsselfigur für Steiners Werk dar, sondern schließt auch einen, neben der Theosophie Blavatskys, zweiten und Jahrzehnte vor Blavatskys Lehren zurückreichenden Traditionsstrang esoterischer Rassentheorien auf. Anders als Steiner, der seine Quellen wo möglich vertuschte – worüber sich schon Theosoph_innen zu seinen Lebzeiten beschwerten (Norbert Klatt: Theosophie und Anthroposophie, Göttingen 1993, S. 82ff.) – führte Schuré in Fußnoten mit Quellenangaben Bücher des Okkultisten und Martinisten Antoine Fabre d’Olivet an.
Der Linguist und Fälscher Fabre hatte 1822, 66 Jahre vor Blavatskys Secret Doctrine, sein Buch „De L’etat social d’homme“ veröffentlicht. Als das sich schlecht verkaufte, legte er es unter dem Titel „Histoire Philosophique du genre humain“ neu auf – und landete einen gewaltigen Erfolg. In dem zweibändigen Werk wird beschrieben, dass die Kulturgeschichte von sich nacheinander verdängenden „Menschenrassen“ dominiert werde. Das von Linné erfundene Schema der vier Hautfarben (Husmann, S. 154ff.) transponierte er in ein evolutionäres Muster. Begonnen habe alles mit der „Roten Rasse“, die mit dem Untergang der mythischen Insel Atlantis vernichtet wurde. Anschließend herrschte die „schwarze Rasse“, während am Nordpol die lichte „weiße Rasse“ aus dem Kosmos herabstieg. Auf wenigen Seiten schreibt sich Fabre die Kulturgeschichte und die abendländischen Mythologien so zurecht, als habe er Husmanns Theorien darüber präzise als Konstruktionsvorlage genommen: Kulturelle Menschwerdung Gottes in der „weißen“, Verkörperung des Schlechten, Niederen in der „schwarzen Rasse“.
„La race noir a pris certainement naissance dans le voisinage de la ligne équatoriale, et s’est répandue de là sur le continent africain d’ou elle a étendu ensuite son empire sur la terre entière et sur la Race blanche elle- même, avant que celle-ci eût la force de le lui disputer. Il est possible qu’à une époque très reculée, la Race noire se soit appelée sudéenne ou suthéenne, comme la Race blance s’est nommée borénne, ghiboréenne ou hyperboréenne [die Hyperboräische Wurzelrasse der Theosophen deutet sich an – AM]; et que delà soit venue l’horreur qui s’est généralement attachée au nom de Suthéen, parmi les nations d’origine blanche. On sait que ces nations ont toujours placé au sud le domicile de l’Esprit infernal, appelé par cette raison Suth ou Soth par les Egyptiens, Sath par les Phéniciens et Sathan ou Satan par les Arabes et les Hébreux.“ (Fabre d‘ Olivet: Histoire philosophique du genre humain ou L’homme Considéré sous ses rapports religieux et politiques dans l’État social, à toutes les époques et chez les différens peuples de la terre, Paris 1824, Tome II, S. 70f.)
Und für alle, die Französisch noch weniger verstehen, als ich (wobei ich die pseudolinguistischen Verballungen von sud und nord in der Originalformen lasse):
„Die schwarze Rasse wurde sicherlich in der Nähe der Äquatorlinie geboren und verbreitete sich von dort über den afrikanischen Kontinent, von dem aus sie anschließend ihre Macht über die ganze Welt ausbreitete, ja sogar über die weiße Rasse selbst, bevor diese die Kraft hatte, sie ihr streitig zu machen. Es ist möglich, dass die schwarze Rasse in einer sehr weit zurückliegenden Epoche sudéenne oder sutéenne hieß, so wie die wie die weiße Rasse sich boréenne, ghiboréenne oder hyperboréenne nannte; und dass daher das Grauen kommt, das dem Namen des Suthéen unter den Nationen weißen Ursprungs anhaftet. Man weiß, dass diese Nationen im Süden immer die Wohnstätte des höllischen Geistes darstellten, weshalb sie von den Ägyptern Suth oder South genannt wurden, von den Phöniziern Sath und Sathan oder Satan von den Arabern und Hebräern.“
Sogar der nicht eben steinerkritische anthroposophische Journalist Lorenzo Ravagli erwähnte Fabre d’Olivets Schinken negativ, allerdings behauptete er fälschlich, dass dieser „den Ariermythos in Form eines ewigen Kampfes der weißen gegen die schwarze und gelbe Rasse erzählt“ (Ravagli: Unter Hammer und Hakenkreuz, Stuttgart 2004, S. 376) und übersah damit offenbar die evolutionäre Dimension dieses Unterfangens in Fabres Schriften.
Fabres Zuordnung des Teufels zur schwarzen „Rasse“ und die umgekehrte Vergottung der „Weißen“ findet sich en detail, wenn auch in abgeschwächter Form und ihrer pseudo-etymologischen Herleitung entkleidet, bei Schuré wieder:
„In prähistorischer Zeit eroberten die Schwarzen den Süden Europas und wurden durch die Weißen von dort vertrieben. In den Volksüberlieferungen erinnert nichts mehr an sie. Dennoch haben sie zwei Spuren hinterlassen: Den Schrecken vor dem Drachen, dem Attribut ihrer Könige, und die Vorstellung, dass der Teufel schwarz ist. Sie erwiderten diese Schmähung, indem sie den Teufel weiß machten…. Trotz seiner körperlichen Widerstandskraft und … Bindungsfähigkeit bedeutete Religion für dieses Volk die Herrschaft der Macht durch Furcht.“ (Edouard Schuré: Die Großen Eingeweihten (1889), Grafing 2010, S. 28, Übersetzung von Dr. Edith Zorn)
Und wiederum abgeschwächt findet sich Schurés Vorstellung in Steiners erwähntem Vortragszyklus. Schon in dessen von Schurés Theaterstück angeregten Untertitel – „Die Kinder Luzifers und die Brüder Christi“ – schwingt die rassische Schwarz-Weiß-Polarität deutlich mit, auch in Steiners auch bei Husmann (auf S. 282) zitierten Zeilen:
„So war Luzifer sozusagen eingezogen in der südlichen Völkerströmung in die Menschheit, so war Christus eingezogen in der nördlichen Völkerströmung, beide in Gemäßheit [sic] des Charakters dieser Völkerströmungen. Und wir leben in der Zeit, in der sich diese beiden Völkerströmungen miteinander verbinden müssen, wie die männlichen und weiblichen Befruchtungssubstanzen…“ (GA 113, 1982, S. 107 – vgl. Steiners drastischere Formulierungen in GA 174b, 1. Vortrag. Anzumerken ist, dass Steiner Luzifer allerdings nicht durch schwarz, sondern durch Licht bzw. allenfalls eine rote Farbe symbolisiert sah. Der dualistische Ursprung dieser Luzifer – Christus-Polarität wird also verwischt.)
Nicht nur Schuré und Steiner übernahmen Fabres Thesen, auch Helena Blavatsky, auf die die Deutung der Weltgeschichte als Staffellauf diverser schöpferischer (Wurzel-)“Rassen“ heute meist fälschlicherweise zurückgeführt wird, kannte seine Bücher nachweislich, lobte ihn bei mancher Gelegenheit (vgl. Blavatsky: The Kabalah and the Kabalists) und hat sich offenbar daraus bedient: Auch bei Blavatsky sind „die Roten“ Überbleibsel der Atlantier und sterben aus, auch bei ihr sind „Gelbe, Schwarze, Weiße“ die Rassentypen unserer Tage – und unter ihnen „die Weißen“ entwicklungstechnische Avantgarde.
Von Blavatsky und Fabre gleichermaßen bediente sich Joseph-Alexandre Yves d’Alveydre, ebenfalls Martinist, vergessener Erfinder der von Steiner propagierten „Sozialen Dreigliederung“ und ebenfalls zuhauf in den Fußnoten von Schurés Großen Eingeweihten zu finden. Dieser arbeitete neben der evolutionären Rassentheorie den bis heute in völkischen Kreisen attraktiven Mythos des tibetischen Unterweltreichs „Agartha“ aus (Nicholas Goodrick-Clarke: Im Schatten der Schwarzen Sonne (2005), Wiesbaden 2009, S. 231f.). Ein Schüler D’Alveydres wiederum, Steiners Zeitgenosse und zeitweiliger Leiter der Französischen Theosophischen Gesellschaft, Papus (i.e. Gerard Encausse), von dem Steiner Schriften in seiner Bibliothek hatte, widmete sich dem Studium der Kabbalah und wird in diesem Zusammenhang in Husmanns Buch zitiert. Eine erstaunliche und erfreuliche Wahl, da die Martinistische Tradition in der Esoterikforschung scheinbar bisher fast konsequent übersehen wurde. Husmann zitiert aus Papus‘ Version der Kabbala und zeigt auf, wie er diesem im gnostisch-esoterischen Diskursfeld ungewöhnlichen Text nachträglich idealistische und geschlechtssymbolische Züge verstärkt einschrieb (S. 116ff.). Irritierenderweise übergeht Husmann allerdings, dass Papus in der von ihr zitierten Einführung in die Kabbala ebenfalls die Rassentheorie Fabres wieder aufwärmt, was für ihre Arbeit auch deshalb relevant gewesen wäre, weil er sie in Beziehung zu Kabbalah setzt. Zwei Kostproben:
„Als die Katastrophe, die Atlantis verschlang, sich vorbereitete, eine Katastrophe, die in allen Religionen als allgemeine Sintflut bekannt ist, ging raschen Schrittes die Zivilisation auf die schwarze Rasse über, der auch die Überlebenden der roten Rasse ihre Geheimlehre [die der Kabbala – AM] übermittelten. Als endlich die Schwarzen die höchste Stufe ihrer Zivilisation erreicht hatten, entstand ein neuer Kontinent (Eurasien) und mit ihm die weiße Rasse, die ihrerseits die Suprematie über den Planeten erwerben sollte.“ (Die Kabbala von Papus, übersetzt von Julius Nestler, Wiesbaden 2004[Husmann zitiert eine Ausgabe von 1994 – AM], S. 169)
„Aber mehr noch – gewisse heute noch dunkle Probleme der Entwicklungstheorie unter ihnen die Farbenverschiedenheit der Menschenrassen, können hier wertvolle Aufklärungen finden, die heute noch der offiziellen Wissenschaft unbekannt sind.“ (ebd., S. 170 – kursiv bei Papus)
Papus stellt hier das in der jüdischen Kabbala gesammelte „Wissen“ als von „Rasse“ zu „Rasse“ überliefertes und jeweils aktualisiertes Erbe dar, ähnlich wie die „Meister“ Blavatskys und die „Eingeweihten“ Schurés und Steiners.
Wie weit Steiner die martinistischen Theoreme verinnerlichte, ist noch unklar, er hatte allerdings mehrere einschlägige Schriften in seiner Bibliothek (Das Mysterium des Bluthügels). Außerdem ließ er Schriften des Namensgebers der martinistischen Freimaurerei, Louis-Claude de Saint-Martin (1743-1803), den er mehrfach positiv erwähnte, 1921/22 im anthroposophischen Verlag „Der Kommende Tag“ neu auflegen (Gerhard Wehr: Jakob Böhme: Ursprung, Wirkung, Textauswahl, Wiesbaden 2010, S. 186f. – der Esoterikforscher und lutheranische Theologe Wehr, den Zander, S. 476, den „Vater der kritischen Steinerforschung“ nannte, ist in der Quellenarbeit mit erstaunlicher Zuverlässigkeit auch hier immer eine Spur voraus).
Hervorgehoben sei, dass Edouard Schurés Buch Die großen Eingweihten sich nicht nur auf Literaturlisten für Waldorflehrer_innenseminare befand (vgl. dazu kritisch Die Atlantis-Debatte), sondern in einem bis heute von der Pädagogischen Sektion am Goetheanum und der Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen in einer Publikation „Zur Unterrichtsgestaltung im 1. bis 8. Schuljahr an Waldorf-/Rudolf Steiner Schulen“ (Dornach 1996) an einer Stelle als Unterrichtsgrundlage empfohlen wird. Und zwar für den Geschichtsunterricht in der 5. Klasse, in der „durch das Erzählen von Krishnas Leben … etwas von der Stimmung“ des vedischen Indien vermittelt werden soll (S. 138). Und dafür wird auf Schurés Charakterisierung Krishnas in den „Großen Eingeweihten“ verwiesen. Dort wird Krishna als „erste[r] Messias, der älteste der Söhne Gottes“ (Schuré, a.a.O., S. 63) gefeiert, der das „arische“ Erleuchtungslicht in Indien entzündete, wohin es der Held „Rama“ (aus dem hinduistischen „Ramayana“) aus Atlantis gebracht und gegen eine schwarzhäutige Urbevölkerung von Halbaffen verteidigt habe.
Relevant wäre im Kontext theosophischer Neognosis auch das 1902 erschienene Buch „Die Gnosis“ von Blavatskys engem Mitarbeiter George R.S. Mead, der er sich freilich auch nicht nehmen ließ, die theosophische Rassenlehre in aller Deutlichkeit in seinem Werk anzuführen und zur Herleitung der historischen spätantiken Gnosis zu nutzen. Auch Steiners Schüler und Plagiator Max Heindel (i.e. Carl-Louis Grasshoff) sowie dessen Schüler Jan v. Rijckenborg (i.e. Jan Leene), der die theosophische Kosmogonie dezidiert gnostisch-weltfeindlich umschrieb, wären ergiebige Forschungsgegestände. Schließlich ließe sich auch in den symbolisch-kosmischen Personifizierungen der frühneuzeitlichen „Rosencreutzer-Manifeste“ so einiges an einschlägigen Motiven finden: Etwa die Rolle des mordenden „Mohren“ in der Chymischen Hochzeit Christiani Rosencreutz…
Die Geschichte des Esoterischen Rassismus ist noch ungeschrieben. Es stünden allenfalls die Schlusskapitel, betreffend Blavatsky und die Prominenten unter ihren Nachfolger_innen (zu denen ich hier auch Steiner zähle), sowie die aggressiven „ariosophischen“ Rassist_innen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts (vgl. die Arbeiten von Nicholas Goodrick-Clarke) und die Wirkungen in lebensreformerischen und New Age-Kreisen in eben diesem Zeitraum. Husmann hat mit ihrer Untersuchung von Carus und ihrer Thematisierung v.a. geschlechtssymbolischer Wertungen in Steiners Rassentheorie wichtige Details kartiert, aber leider andere der deswegen hier erwähnten Diskursfelder nicht einmal angeschnitten, obwohl sie die betreffenden Personen (z.B. Papus) durchaus erwähnt. Andererseits: Wäre, wie oben schon gesagt, jeder verzweigte Nebenpfad, der zu dichotomen, mythologisch aufgeladenen Rassebildern führte, von ihr kartiert worden, hätte die Druckfassung der Dissertation wahrscheinlich mehrere Bände umfasst. Vielleicht dürfen wir uns aber irgendwann auch über eine ergänzende Habilitationsschrift freuen.
VIII.Ahriman und Luzifer:
Zu Steiners „Typologie des Bösen“
Husmann beschreibt die anthroposophische Evolutionslehre als eine „neognostische“ und entsprechend selbst als dualistisch. Der böse Dämon „Ahriman“ stehe als finsterer Pol, als „Herz des Materialismus“ Christus, dem lichten Geist der Weisheit und durchgeistigten Wissenschaft entgegen. Die Tendenz deutet sich an, aber de facto präsentierte Steiner den Dämonen Ahirman erst 1909, nachdem er schon neun Jahre Theosophie mit dem Anspruch auf spirituelle Wissenschaftlichkeit getrieben hatte.
Vorher trieb „nur“ ein böser Geist in Steiners Kosmologie sein Unwesen, und der hieß Luzifer. Steiner hatte ihn, tatsächlich in der Tradition neognostischer Betrachtungen, ursprünglich nur als „Lichtbringer“ (und nicht als finstere Gestalt) eingeplant. Er gab in seinen frühen theosophischen Jahren sogar eine Zeitschrift heraus, die Luzifer hieß, erst später erklärte Steiner diesen zum bösen Geist: „So weit war damals der Inhalt der Anthroposophie noch nicht ausgebildet“ (Steiner, GA 28, Dornach 2000, S. 315). Und nicht als vollständiger Bösewicht, sondern als „notwendiges Gegenprinzip“ zu Christus erschien auch der zum Dämon degradierte Luzifer anfangs. Steiner fabulierte über ihn als denjenigen, der die Menschen in der Bewusstseinsgeschichte vom Göttlichen abgelenkt und damit die evolutionäre Grundlage von „Freiheit“ geschaffen habe. Erst allmählich deutete sich in Steiners Denken die Rolle an, die später dem von Husmann so zentral gestellten Ahriman zufiel: 1905 erschien Jehova, den Steiner mit deutlich antijüdischer Konnotation als Herrscher eines „Vor-ich-haften“, „alttestamentarischen“, aber evolutionär notwendigen „Gruppenbewusstseins“ beschrieb, welches erst durch den liebenden, „ich-haften“ Christus abgelöst worden sei. Vor dem Kommen Christi seien allerdings Jehova und Luzifer Antagonisten und „in einem fortwährenden Kampfe“ gewesen: Ohne das korrigierende „Luziferprinzip“ wäre die Menschheit mit Jehova „der Erde verfallen“ und letztere zu „einem versteinerten Planeten“ geworden (GA 93a, Dornach 1987, S. 188f.).
1908 tauchte ein neuer böser Geist aus der babylonischen Mythologie, „Sorat“, diesmal als ernstzunehmender Widerpart Christi auf (GA 104), verschwand aber schnell wieder von der Bildfläche. 1909 dann installierte Steiner plötzlich den zoroastrischen „Erzverpester“ Ahriman und präsentierte ihn als Gegenspieler zu dem luftigen, somnambulen Lichtdämonen Luzifer – die beiden stünden sich gegenüber wie Tag und Nacht, Fühlen und Denken, „Philistertum“ und Schwärmerei, Geist und Materie, erklärte Steiner religiös verzückt. Christus, fleischgewordenes Wort und geistgewordener Leib, sei quasi die dialektische Aufhebung und Ergänzung der beiden. Steiner präsentierte jedenfalls „den“ Christus als den Überwinder des Dualismus:
„Der Mensch hat fortwährend die Gleichgewichtslage zwischen diesen beiden Mächten anzustreben, zwischen demjenigen, das ihn hinausführen möchte über sich selbst, und demjenigen, das ihn herabziehen möchte unter sich selbst. … Dieser Dualismus, der in Wirklichkeit ein Dualismus ist zwischen Luzifer und Ahriman, dieser Dualismus spukt im Bewußtsein der modernen Menschheit als der Gegensatz zwischen Gott und dem Teufel. Und das ‚Verlorene Paradies‘ müßte eigentlich aufgefaßt sein als eine Schilderung des verlorenen luziferischen Reiches, es ist nur umgetauft.“ (GA 194, Die Sendung Michaels – die Offenbarung der eigentlichen Geheimnisse des Menschenwesens (1919), Dornach 1994, S. 164f.)
„Der Mensch muß den Weg finden zwischen dem Lichte und der Schwere, zwischen Luzifer und Ahriman, und deshalb müssen wir die Möglichkeit haben, nicht in irgendeinem Dualismus zu denken, sondern in der Trinität zu denken. Wir müssen die Möglichkeit haben zu sagen: Die persische Dualität Ormuzd und Ahriman ist heute Luzifer und Ahriman, und der Christus steht in der Mitte drinnen, der Christus ist derjenige, der das Gleichgewicht bewirkt. – Nun hat alle religiöse Entwickelung bisher, insbesondere die theologische, eine sehr verderbliche Gleichung aufgestellt, sie hat die Christus-Figur so nahe als möglich an die Luzifers herangebracht. Es ist fast ein Wiederauferstehen des altpersischen Ormuzd, wenn man erlebt, wie heute von Christus gesprochen wird. Man denkt nur immer die Dualität, also das Böse im Gegensatz zum Guten.“ (GA 342, Vorträge und Kurse über religiöses Wirken (1921), Dornach 1993, S. 160f.)
Für Husmanns Darstellung der nichtsdestominder vorhandenen Dualismen bei Steiner, wäre es durchaus zumutbar gewesen, auch diese komplexere Mythologie zu berücksichtigen. Luzifer taucht zwar an drei oder vier Stellen in ihrem Buch auf, u.a. wird Ahriman in einer Fußnote als „Ausdifferenzierung des luziferischen Prinzips“ beschrieben (S. 249), was auch immer das heißen soll, aber es wird an keiner Stelle gerechtfertigt, warum Husmann diesen Komplex aus ihrer Analyse vollständig ausklammert. Sie zitiert in ihrem Kapitel „Ahriman: Geist der materialistischen Wissenschaft“ zwar lediglich Quellen ab 1909, also nach Steiners Etablierung von Ahriman in seiner Theosophie, behauptet aber fälschlich, Steiner habe „bereits 1907“ von ahrimanischen Geistern gesprochen (S. 250), die Quellenangabe dazu nennt einen Vortrag Steiners „vom 09.10.1907“ – tatsächlich stammen die Zitate aber aus einem Vortrag vom 09.10.1918 (GA 182, S. 151), als Steiner das Paar Luzifer-Ahriman schon länger in Gebrauch hatte.
Warum diese Umdisposition zu einer trinitarischen Vorstellung für Husmanns Untersuchung relevant gewesen wäre, zeigt sich bei einer der Lektüre von Steiners rassentheoretischen Ausführungen um das Jahr 1909. Denn diese durchlaufen denselben konzeptionellen Transformationsprozess. In das Zeitfenster 1909/10 fallen just die beiden Steiner-Bücher, die im erwähnten BPjM-Verfahren relevant waren. Beide werden von Husmann ausführlich analysiert und interpretiert, ich empfehle dazu deshalb ihren Text und begnüge mich damit, die Parallele zur erläuterten Trias Ahriman-Christus-Luzifer aufzuzeigen:
– In einem Vortrag am 03.05.1909 plauderte Steiner über den Untergang von Atlantis und die Menschen-„Rassen“, die diese Katastrophe überlebten. Dabei gab es seiner Vorstellung nach grob drei Gruppen: Erstens solche mit zu starkem Ich-Gefühl, die so egoistisch waren, dass das im Blut wirkende Ich sich rot auf ihrer Haut ausgeprägt habe – sie waren daher entwicklungsunfähig und degenerieren seitdem als „rote Rasse“ der „Indianer“. Umgekehrt seien nach Osten Menschen mit zu schwachem Ich-Gefühl ausgewandert. Sie hatten ihren Umwelteinflüssen nichts entgegenzusetzen, waren ganz an die „äußere“ physische Umgebung hingegeben und absorbierten so viel Sonne, dass sie schwarz wurden: Die „Neger“. Zwischen beiden Extremen, den Dualismus ausgleichend, standen die weißen Europäer: „Nur diejenigen, welche imstande waren, die Balance zu halten in bezug auf ihr Ich, das waren die, welche sich in die Zukunft hinein entwickeln konnten.“ (Steiner: Geisteswissenschaftliche Menschenkunde, GA 107, 1973, S. 292)
– In einem Vortrag vom Juni 1910, Steiner befand sich gerade in einem Konkurrenzkampf mit der Theosophin Annie Besant (Beide schlugen sich in halbmonatigem Abstand komplexere okkulte Theoreme, v.a. Christus betreffend, um die Ohren) verkomplizierte Steiner strategisch auch seine Rassenlehre. Er erweiterte sie um in seinem Buch „Geheimwissenschaft im Umriss“ eingeführte Planetenspekulationen und seitenweise Übernahmen aus dem „Geheimbuddhismus“ (1883) des Theosophen A.P. Sinnet. Der hatte behauptet,
„es giebt Ähnlichkeiten zwischen dem Leben eines Volkes und dem des Einzelnen“. Der einzelne durchlaufe Kindheit, Jugend, Erwachsenen- und Greisenalter und „Das Gleiche gilt für die Völker … Es giebt eine Geometrie, welche auf die Völker die Gleichung ihrer Entwicklungskurve anwendet. Daran kann kein Sterblicher rütteln.“ (Sinnet: Esoterische Lehre oder Geheimbuddhismus, dt. Leipzig 1884, S. 76).
Steiner grenzte sich zwar im Vortrag vom 10.06.1910 von Sinnet ab, reproduzierte aber im selben Vortrag genau dessen „Völkergeometrie“: Von Afrika durch Asien und Europa nach Amerika ziehe sich eine „Linie“, an der die Altersstufen sortiert seien, mit Afrika am Kindheits-, Amerika am Vergreisungspol. Sprich: Schwarze und Asiaten sind kindlich-jugendlich und „Indianer“ gingen zugrunde, weil sie an dem Ende der geographischen Linie sitzen, die den Todespol darstellt. Europa liege in der Mitte und sei folglich im Kräfteausgleich – „auffrischende“ Jugendkräfte und leibliche „Bildsamkeit“ im Osten sowie ersterbende „Rassenkräfte“, aber dafür hohe mentale Leistungen im Westen (vgl. GA 121, S. 83).
Auch in diesen Schilderungen zeigt sich die triadische Struktur: „Falsche“ Dichotomien in Ost und West würden untergehen, wenn sie nicht in der Mitte zu dem Maß haltenden „Europäern“ zusammenfließen würden Diese stehen nicht an oberster Stelle einer rassischen Stufenordnung (wie in Steiners frühtheosophischem Werk), sondern sind als Ausgleich auf „mittlerer“ Stufe gedacht. Bei Husmann lautet das Fazit (zuletzt kam sie auf die vergreisenden „Indianer“ zu sprechen):
„Über die spezifische Konstruktion des ‚Indianers‘ hinaus verweist die anthroposophische Formulierung einer physiologischen ‚Verknöcherung‘ auf eine übergeordnete Grundstruktur, die Steiners Rassenmodelle dem Konstruktionsmodus nach als Schwarz-Weiß-Struktur durchzieht. Diese Grundstruktur beschreibt eine Polarisierung von ‚weiß‘ versus ’nicht weiß‘ als neognostische Polarisierung Geist/Licht versus finstere, ‚verhärtete‘ Materie.“ (Husmann, S. 290)
Das stimmt zwar im Prinzip, wäre aber, um das konkrete Rassenmodell Steiners wiederzugeben, wie dargestellt durchaus zu ergänzen. Dadurch nämlich, dass „die Europäer“ das Gleichgewicht zwischen verknöchernden „Indianern“ und kindlich-weichen, nicht fertig verkörperten AsiatInnen und AfrikanerInnen darstellen sollen. Nicht zuletzt geht Husmann mit der Annahme, es gebe ein heterogenes Weltanschauungsgebäude Steiners sowie mit ihrem Anspruch „Wiederholungen und widersprüchliche Aussagen“ desselben zusammenfassend „zu glätten“ (S. 239), der 90jährigen anthroposophischen Dogmenausbildung und dem Versuch, Steiner widerspruchsfrei auslegen zu können, auf den Leim. Allerdings – und das muss ebenfalls gesagt werden – hat Steiner sehr wohl dualistische Zuordnungen in seiner Rassentheorie getroffen, etwa die oben länger behandelte in GA 113, als er Luzifer den afrikanischen Völkern und Christus Europa zuwies, und zwar in direkter historischer Abhängigkeit von Quellen, in denen ein dualistisches Konstruktionsmuster von Rassentheorien vorlag. Es dürfte schwer sein, dieses Dilemma aufzulösen. „Steiners Œuvre ist letztlich von einer nicht systematisierten oder hermeneutisch integrierten Ambivalenz gekennzeichnet, in der Unvereinbares und Widersprechendes stehengeblieben ist.“ (Zander: Sozialdarwinistische Rassentheorien) Husmanns Analyse ist demnach vielleicht um den Themenkomplex Ahriman-Luzifer und deren Relevanz für die Untersuchung von Steinerschen Dualismen zu ergänzen, aber das ändert nichts an der Richtigkeit ihrer sonstigen Darstellungen.
IX. Steiner umschreiben?
Bleibt nurnoch ein vierter Punkt. Eine Forderung Husmanns, die sie am Ende ihrer Kapitel, die die Anthroposophie betreffen, expliziert:
„Hierin liegt das grundlegende Dilemma Anthroposophie-interner Rassismus-, Eurozentrismus- und Nationalismus-Kritik, das sich letztlich nur durch erhebliche Umschreibung der Steinerschen ‘Geistesschau’ kosmologisch-geschichtlicher Abfolgen enthierarchisieren ließe…“ (Husmann, S. 355f. – Hervorhebung AM)
Ja, Steiners Kosmogonie hierarchisiert, und ab dem Punkt, wo in ihr „Rassen“ ins Spiel kommen, teilen auch diese sich flugs in entwicklungstechnisch „fortgeschrittene“ und „zurückgebliebene“ (wenn auch, wie gerade erläutert, mit Einschränkungen 😉 ). Aber wäre es sinnvoll, wenn Anthroposoph_innen sich auf eine überarbeitete Neuversion dieser kosmischen Geschichte einigten? Problem scheint mir auf anthroposophischer Seite vielmehr der Unwille zu sein, überhaupt Fehler im Steinerschen Theoriegebäude zuzugestehen und vor allem: auszuhalten. Eine Umschreibung seiner Schriften würde den einen universellen Offenbarungsapparat nur durch einen anderen, „netter“ zu Lesenden ersetzen, ohne den religiösen Dogmatismus aufzuweichen. Sofern das Festhalten an Steiners Rassismus das Festhalten aus Angst ist, weil das Gegenteil „den Einstieg in die Kritik von Steiners ‚höherer Einsicht‘ bedeuten würde.“ (Zander: Anthroposophie in Deutschland, Göttingen 2007, Bd. I, S. 637), würde am Grunddilemma durch diese „Umschreibung“ nicht gerüttelt. Authentischer sind Zeugnisse von Anthroposoph_innen, die in der Lage sind, trotz ihrer Wertschätzung Steiners (oder deswegen) seine rassistischen Theoreme ehrlich erschüttert zurückzuweisen.
Der Anthroposoph Ralf Sonnenberg, den auch Husmann des Öfteren in den Fußnoten führt, hat in Abgrenzung zu apologetischen Unternehmungen in einem Aufsatz (der erstmals 2003 in der anthroposophisch-tombergianischen Zeitschrift „Novalis“ erschien) ziemlich ungeniert das evolutionäre Dilemma zugestanden:
„Die Tatsache, dass Steiner bisweilen auch anerkennende Worte über den Animismus der Indianer, die »Naturgeistigkeit« der Afrikaner oder die »Tao-Religion« der Chinesen verlor, wie die Autoren Bader und Ravagli nicht müde werden zu betonen, markiert eine entscheidene Schwachstelle der sich geschichtsevolutionären Denkmustern verpflichtet fühlenden Anthroposophie: Folgt deren historisches Verständnis doch einer zutiefst eurozentrischen Binnenlogik, derzufolge außereuropäische Kulturen, selbst wenn sie über spirituelle Ressourcen beträchtlichen Umfangs verfügen, fast grundsätzlich »atavistisch« seien und sogar noch unter der materialistisch geprägten Zivilisation des modernen Europa rangierten, die immerhin eine Vorbereitungs- und Durchgangsstufe zur Entwicklung der »Bewusstseinsseele« darstelle. Die »arische« oder europäische hielt Steiner, der hieraus allerdings keine imperialen oder kolonialistischen Zielsetzungen ableitete, denn auch für die »zukünftige, da am Geiste schaffende Rasse«. Sie repräsentiert innerhalb seines Weltanschauungskosmos die »fünfte nachatlantische Kulturepoche«, deren Anfang er auf den Beginn der frühen Neuzeit datierte.“ (Sonnenberg: Vergangenheit, die nicht vergehen will)
Und auch ein Steiner-Herausgeber und Mitarbeiter des Rudolf Steiner-Verlags und -Archivs kann heute ausrufen:
„Ich begreife es nicht … Ich begreife ebenso wenig den Siebenundzwanzigjährigen, der dem ‚Judentum als solchem‘, dem ‚Geist des Judentums‘, der ‚jüdischen Denkweise‘, die Berechtigung ‚innerhalb des modernen Völkerlebens‘ abspricht, wie den Dreiundsechzigjährigen, der vor Arbeitern am zweiten Goetheanum daherplappert: ‚Derjenige, der ein Kenner ist, weiß in einem Satze, den ein Jude spricht: Da ist eine jüdische Stilisierung drinnen […].‘ In solchen Äußerungen fällt Steiner weit hinter sich selbst zurück und reiht sich in die graue Schar vorurteilsbehafteter Biedermänner, die maßgeblich dazu beitrugen, dass Theodor Herzl nach allen ‚Assimilierungsversuchen‘ entnervt feststellen musste: ‚Der Fluch haftet. Wir kommen nicht aus dem Getto heraus‘ und mit seiner Schrift Der Judenstaat den Grund zum Staat Israel legte.“ (Taja Gut: Wie hast du’s mit der Anthroposophie?, Dornach 2010, S. 127f., Auslassung und Kursivierung im Original)
Eine Steiner-Rezeption müsste her, die die eurozentristische Konstruktionslogik und deren rassistische Konkretionen in dieser Weise realisiert, zu benennen und zurückzuweisen weiß. Dass die möglich ist, haben jüdische Rezpient_innen der Anthroposophie, die in der zionistischen Bewegung, v.a. im Prager Zionismus um Martin Buber und die Ideen von Achad Haam engagiert waren, bereits vor Jahrzehnten gezeigt. Schmuel Hugo Bergman etwa, der sich in seinen religionsphilosophischen Überlegungen auf Steiner bezog, einige von dessen Schriften ins Hebräische übersetzte und eine Veranstaltung zu Steiners 100. Geburtstag an der Hebrew University Jerusalem organisierte (kritisch dazu Wolfgang Treher: Hitler, Steiner, Schreber – Gäste aus einer anderen Welt. Die seelischen Strukturen des schizophrenen Prophetenwahns (1966), Emmendingen, 1990, S. 40). In einem Tagebucheintrag vom vom 24. 5. 1965 – er hatte gerade die Zeilen gelesen, auf die der Autor des letzten Zitats, Taja Gut, bezugtnimmt -„regelrecht verstört“ vermerkte:
„Nur freilich bleibt immer die Frage, wieso sich Steiner später als Seher gar nicht mit der Judenfrage befasste und bei der assimilatorischen Schablone der Wiener Durchschnittsjuden stehen geblieben ist. Muss uns das nicht skeptisch machen, gegen alles, was er sagt? Wo endet der Seher und wo beginnt der wirkliche Mensch Steiner mit seinen Vorurteilen?“ (zit. n. Ralf Sonnenberg: „…ein Fehler der Weltgeschichte“?)
Das war das richtige Wort der richtigen Person zur richtigen Zeit.
Möge diese Beunruhigung um sich greifen und die Zahl der Anthroposoph_innen wachsen, die eine Kontextualisierung und auch grundsätzlichen Hinterfragung Steiners nicht als „Verrat“, sondern als Chance begreifen (vgl. Robin Schmidt: Rudolf Steiner – Skizze seines Lebens, Dornach 2011, S. 111, 117f.). Bis dahin ist Husmann in ihrem Fazit unumwunden zuzustimmen:
„Fasst man Rassismus nicht nur als eine ‚Idee‘, die schnell ad acta gelegt werden kann, sondern als nach wie vor sozio-kulturelles Phänomen, so müsste die Rassismuskritik ihren Ausgangspunkt in einer dekonstruktivistischen Perspektive nehmen, welche kulturell und individuell verinnerlichte schwarz-weiß-symbolische Struktur von Weißsein hinterfragt … Allein die Frage, ob, wann und wie eine kritische Historisierung Steiners von offizieller anthroposophischer Seite möglich sei, muss vor diesem Hintergrund wohl derzeit offen bleiben.“ (Husmann, S. 356)
Zusammenfassend würde ich sagen: Husmanns Buch ist wahrscheinlich keines für einen Einstieg in Rassismus- oder Anthroposophiekritik, Thesen und Sprache sind sehr „akademisch“. Mit Gewinn wird es allerdings jede_r lesen, der oder die sich mit den geistesgeschichtlichen, mythischen und philosophischen Motiven auseinandersetzen will, die zu den großen rassistischen und sexistischen Vorstellungen auch unserer Tage beitrugen.
Jana Husmann: Schwarz-Weiß-Symbolik. Dualistische Denktraditionen und die Imagination von „Rasse“. Religion – Wissenschaft – Anthroposophie, transcript-Verlag, Bielefeld 2010.
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1.
Andreas Lichte | 19. Mai 2011 um 12:34 pm
Zitat Ansgar Martins: „… glauben diverse Kritiker_innen der Anthroposophie schon lange dieselbe Geschichte: Natürlich sind die aber überzeugt, dass das Ausbleiben der Neuauflage nicht aus anti-, sondern proanthroposophischen Motiven geschehe …“
siehe dazu: http://blog.esowatch.com/?p=2190#comment-12503
……………………………………………………..
Rudolf Steiners Rassismus und die BPjM
Am 6. September 2007 entschied die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM), dass Bücher Rudolf Steiners rassistischen Inhalt haben, die Bücher in Teilen als, Zitat BPjM, „zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen“ sind.
Steiners Bücher:
– „Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie“
– und „Geisteswissenschaftliche Menschenkunde“
waren einer Indizierung durch die BPjM nur entgangen, weil der Rudolf Steiner Verlag (bzw. die Rudolf Steiner Nachlassverwaltung) zusicherte, innerhalb eines Jahres kommentierte Neuauflagen herauszubringen und bis dahin die Bücher nur noch mit einer Beilage auszuliefern. Doch bis heute ist nichts geschehen.
Aus gutem Grund. Wie sollte man beispielsweise folgende von der BPjM als rassistisch bewertete Aussagen Rudolf Steiners sinnvoll kommentieren (hier nur einige wenige Beispiele zu Afrikanern, auch alle anderen Nicht-Weissen „Rassen“ sind in der Entscheidung der BPjM vertreten):
„Der afrikanische Punkt entspricht denjenigen Kräften der Erde, welche den Menschen die ersten Kindheitsmerkmale aufdrücken, …”
„Die Menschen, welche ihr Ich-Gefühl zu gering ausgebildet hatten, wanderten nach dem Osten, und die übriggebliebenen Reste von diesen Menschen sind die nachherige Negerbevölkerung Afrikas geworden.”
„Diejenigen Menschen aber, die ihre Ich-Wesenheit zu schwach entwickelt hatten, die den Sonneneinwirkungen zu sehr ausgesetzt waren, sie waren wie Pflanzen: sie setzten unter ihrer Haut zuviel kohlenstoffartige Bestandteile ab und wurden schwarz. Daher sind die Neger schwarz.”
„…, von der ganz passiven Negerseele angefangen, die völlig der Umgebung, der äußeren Physis hingegeben ist, …”
„Aber das sind die, welche so ihr Ich verleugnet haben, dass sie schwarz davon wurden, weil die äußeren Kräfte, die von der Sonne auf die Erde kommen, sie eben schwarz machten.”
Vergleiche:
3 Jahre Rudolf Steiner ist „zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen“
http://www.ruhrbarone.de/3-jahre-rudolf-steiner-ist-„zum-rassenhass-anreizend-bzw-als-rassen-diskriminierend-anzusehen“/
Anmerkung AM
Genau. Hatte ich vergessen, zu verlinken? Und in der Version von Marcel Frei:
Offenbar habe ich mich partiell geirrt: Frei bezieht sich auf die Anzeige gegen GA 32 durch Samuel Althof und Michael Grandt, nicht Euer BPjM-Projekt….
2.
Cardinal | 29. Mai 2011 um 6:07 pm
Wenn ich euch kurz unterbrechen darf: Ich hab tatsächlich eine inhaltliche Frage zu dem Artikel. Ansgar, du beschreibst einerseits einen Traditionsstrang von esoterischem Rassen-Schwarz-Weiß-Denken. Im nächsten Kapitel beschreibst du aber genau das als undifferenziert und forderst Steiners Pandämonium als triadisch zu betrachten. Ist das nicht ein Widerspruch?
Anmerkung AM
Danke für die Rückmeldung. Du unterbrichst nicht, wir haben den Gegenstand unten geklärt 😉 Den Widerspruch habe ich, wie ich hoffe, im Artikel selbst thematisiert. Außerdem: Dass Steiner von Schuré abkupfert, ist an dieser Stelle offensichtlich (er arbeitet ja auch mit der Gegenüberstellung Luzifer-Christus, Ahriman spielt keine Rolle), dass er aber insgesamt eine triadische, nicht duale Theorie des Bösen entwickelt, ist aber ebenso unübersehbar. Der Widerspruch läge dann in seinen Werken und weniger in meinen Analyseversuchen.
3.
Andreas Lichte | 20. Mai 2011 um 6:49 am
Möglicherweise ist nicht deutlich, was ich damit meine (siehe meinen Kommentar oben, Zitat):
„Wie sollte man beispielsweise folgende von der BPjM als rassistisch bewertete Aussagen Rudolf Steiners sinnvoll kommentieren?“
– die BPjM erwartet eine allgemein verständliche Kommentierung
– insbesondere sollten die Kommentare auch für Jugendliche verständlich sein
– esoterische Spekulationen sind kein sinnvoller Kommentar
Anthroposophische Interpretationen von Rudolf Steiners rassistischen Aussagen, wie sie sich in der „Stellungnahme der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung“ zum Verfahren der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien gegen Rudolf Steiner finden, wurden bereits 2007 von der BPjM verworfen. Beispiel:
Lorenzo Ravagli, „Stellungnahme der Rudolf Steiner Nachlassverwaltung“, S. 13:
„»Triebleben« wird in diesem Zusammenhang zu etwas ganz anderem als im gewöhnlichen Sprachgebrauch. Trieb ist die den Körper des Menschen durchdringende spirituelle Natur- und Lebenskraft, die der Mensch aus dem Kosmos aufnimmt. Von Sexualität ist nirgends die Rede …“
Die BPjM prüft die Kommentierung.
Im Falle einer Ablehnung der Kommentare durch die BPjM würden Steiners Bücher indiziert.
Anmerkung AM
Ja. Dieses Dilemma liegt auf der Hand. Nur überschätzen du und die „Europäer“ im Chor möglicherweise einerseits Budget und andererseits Möglichkeiten des Steiner-Verlags. Seit 2010 liegt eine sehr ausführlich kommentierte Ausgabe von GA 173a-c vor, für die in sehr langer Kleinstarbeit enorm viel historisches und Quellenmaterial recherchiert wurde. Mehr als die Hälfte der Bände besteht jeweils aus Kommentar. Um diese Bände zu finanzieren ist nicht nur einiges an Spendengeldern, sondern auch jahrelange Arbeit nötig gewesen (die Auflage davor stammt von 1978). Um Ähnliches für die GA 32, 121 und 107 zu leisten, ist – neben dem genannten anthroposophieinternen Dilemma – ebenfalls Geld und viel historisch-kontextuelle Kleinstarbeit zu leisten. Deshalb meine ich, dass das Problem noch weit ausufernder ist, als die doch recht simplen Positionen „Sie wollen sich nicht distanzieren und vertuschen deswegen“ vs. „sie hassen Steiner heimlich und wollen seine Werke vernichten“. Es war allerdings in jedem möglichen Fall naiv vom Verlag, eine Zusage für die Neuauflage innerhalb eines Jahres zu machen. War das vielleicht Auflage der BPjM?
4.
Andreas Lichte | 20. Mai 2011 um 2:27 pm
„viel historisch-kontextuelle Kleinstarbeit …“ würde Jana Husmann, oder ich, ganz schnell wegwischen: die beiden beinahe indizierten Bücher Steiners lassen sich nicht sinnvoll kommentieren.
Es gab ja bereits eine „Kommentierungskommission“, wie mir Dr. Walter Kugler am Telefon berichtete. Mitglied der Kommission: Lorenzo Ravagli
Lorenzo Ravagli. Crazy. Derjenige, der bei Steiner keinen Rassismus entdecken konnte (siehe oben), und damit bei der BPjM durchfiel, erhält anschliessend den Auftrag, Steiners Rassismus zu kommentieren.
Was bedeutet der Vorgang? Er ist ein uneingeschränktes Schuldeingeständnis des Rudolf Steiner Verlags, nichts anderes. Vielleicht gelingt es mir irgendwann, das auch öffentlichkeitswirksam zu platzieren.
Anmerkung AM
Ach Andreas,
Historisch-systematische Kontexte lassen sich – Ravagli kann dir da ein Liedchen von Singen – nicht so einfach „wegwischen“. Und warum solltest du das auch wollen (Und Husmanns Analyse ist in weiten Strecken genau das: historisch-kontextuelle Kleinstarbeit)? „Wegwischen“ solltest du Falschdarstellungen!
5.
Andreas Lichte | 20. Mai 2011 um 6:05 pm
gemeint war:
Falls der Rudolf Steiner Verlag in seinen Kommentaren zu den von der BPjM als rassistisch bewerteten Aussagen Rudolf Steiners „historisch-systematische Kontexte“ anführte, dann nur mit dem einen Ziel:
Rudolf Steiner zu entlasten – ugs. gesagt: das haben doch damals alle so gemacht/gesehen/gesagt – Steiner war „nur ein Kind der Zeit.“
DAS würde von Jana Husmann, oder mir, ganz schnell „weggewischt“ werden. Weil es eine Lüge ist.
……………………………
Eine andere Frage ist, was denn der „historisch-systematische Kontext“ sein könnte, den du meinst. Kommentier‘ doch nur mal diese eine Aussage Steiners passend für die BPjM:
„Diejenigen Menschen aber, die ihre Ich-Wesenheit zu schwach entwickelt hatten, die den Sonneneinwirkungen zu sehr ausgesetzt waren, sie waren wie Pflanzen: sie setzten unter ihrer Haut zuviel kohlenstoffartige Bestandteile ab und wurden schwarz. Daher sind die Neger schwarz.”
Der Kommentar muss DIREKTEN Bezug zur Aussage haben, Allgemeinplätze fallen durch, nicht nur bei mir, auch bei der BPjM.
Anmerkung AM
Andreas, was willst du hören?
Ja. Anthroposoph_innen haben sich in die Debatten um Steiners Rassenvorstellungen fast immer apologetisch und frappierend selten mit guten Argumenten eingeschaltet. Aber: Steiner WAR ein Kind seiner Zeit. Das ist kein politisches Schuld- oder Entlastungsurteil und es ist stumpfsinnig, das so wenden zu wollen.
Wenn Anthroposoph_innen sich in die Debatte nicht zugunsten Steiners einschalten dürften, dürftest du dich nach derselben Logik auch nicht negativ zu ihm äußern. Ich sehe aber weder für das eine noch für das andere einen Grund. Es sollte um die Richtigkeit von Informationen gehen, und dafür ist der Versuch, Anthroposoph_innen ständig böswillig-kriminelle Machenschaften zu unterstellen, ebenso unhilfreich, wie der, das mit Anthroposophiekritiker_innen zu tun.
Zu dem Zitat aus GA 107 siehe Jana Husmann: Schwarz-Weiß-Symbolik, a.a.O., S. 302:
Die entsprechenden Zitate von Leibniz, Kant und Carus findest du in Jana Husmanns Buch, leider weiß ich online nur von Kant, wo sich die Parallelstellen online finden: http://www.korpora.org/Kant/aa02/438.html Problem ist allenfalls, das „jugendgerecht“ zu erklären.
Werkintern-systematisch kontextualisiert habe ich im Artikel ja zumindest eine Komponente des Vortrags, die triadische Konstruktionsstruktur im Zusammenhang mit der Entwicklung seiner Theorie „des Bösen“. Im unmittelbaren historischen Zeitfenster liefen 1909 bereits die Vorbereitungen für den ersten eugenischen Weltkongress 1912 in London.
Aber ebenda siehst du, wie komplex eine Verantwortungsvolle Kommentierung wäre. Ich halte mich doch durchaus für eine der informierteren Personen zu Steiners Rassenlehre, aber *ich* könnte das nicht, ich habe von Leibniz wenig und von Carus praktisch keine Ahnung. Und Fabre d’Olivet, durch den ich zumindest Schuré, Blavatsky und Steiners dualistische Rassenspekulationen inspiriert sehe, habe ich auch nicht auf der Straße gefunden. Das ist die besagte Kleinstarbeit…
6.
Andreas Lichte | 21. Mai 2011 um 7:05 am
durchgefallen.
(sorry, das erklärt – kommentiert – gar nichts)
Anmerkung AM
Wieder ein Eigentor, Andreas 😉
Es erklärt a) woher dieser Gedankengang kommt und damit b) warum es Steiner plausibel schien, das anzunehmen und damit c) wie dieses Motiv sich in seine Rassenlehre schleicht. Eine kritische Edition seiner Vorträge muss genau das klären. Ob mit oder ohne BPjM. Freilich obliegt es der Steiner Nachlassverwaltung in diesem Fall außerdem, zu erklären, warum dieser Gedankengang falsch und gefährlich ist.
7.
Andreas Lichte | 21. Mai 2011 um 7:23 am
„… der Versuch, Anthroposoph_innen ständig böswillig-kriminelle Machenschaften zu unterstellen …“
ist Lorenzo Ravagli „böse“?
ist Walter Kugler „böse“?
ist „…“ „böse“?
„böse“ setzt „Charakter“ voraus, oder? Hat das Kollektiv einen Charakter? Individuen kann ich nicht erkennen, es ist immer dasselbe – wie hier:
……………………………………………
http://www.ruhrbarone.de/150-jahre-rudolf-steiner-–-„aber-ich-hab’-doch-nichts-davon-gewusst“/comment-page-4/#comment-84610
#171 | Andreas Lichte sagt am 30. April 2011 um 18:05
@ Hans-Florian Hoyer
Sie schreiben: “Aus dem Vortrag ist für mich weder Rassismus noch psychische Erkrankung ablesbar.”
Das muss wohl daran liegen, dass Sie Ihr Leben Rudolf Steiner verschrieben haben – Anthroposoph sind –, und gleichzeitig von Rudolf Steiner leben – eine sehr PRAKTISCHE Kombination.
Das Deutschlandradio Kultur zitierte aus diesem Vortrag Steiners – als EINDEUTIGEN Beleg für Rudolf Steiners Rassismus – Zitat:
…………………………………………….
“Tatsächlich hat sich Rudolf Steiner rassistisch geäußert. Zum Beispiel in seinem Vortrag “Vom Lebens des Menschen und der Erde”, den Steiner 1923 in Dornach gehalten hat.
Z5: Zitator:
Der Neger hat also ein starkes Triebleben. Und weil er eigentlich das Sonnige, Licht und Wärme, da an der Körperoberfläche in seiner Haut hat, geht sein ganzer Stoffwechsel so vor sich, wie wenn in seinem Innern von der Sonne selber gekocht würde. Daher kommt sein Triebleben. Im Neger wird da drinnen fortwährend richtig gekocht, und dasjenige, was dieses Feuer schürt, das ist das Hinterhirn.
[Quelle: http://bit.ly/gO06Yu”
…………………………………………….
Ändern wird sich an Hans-Florian Hoyers Weltsicht natürlich nichts:
sollte sich Hans-Florian Hoyer etwa nach einem neuen Arbeitsplatz umschauen? Unmöglich.
sollte sich Hans-Florian Hoyer etwa einen neuen Hellseher suchen? Unmöglich. Es kann doch nur einen geben: Rudolf Steiner!
Anmerkung AM
Oh Mann. Damit katapultierst du dich mal wieder endgültig ins argumentative Abseits. Anthroposoph_innen sind keine Individuen, sondern gesteuert vom „Kollektiv“. Ganz abgesehen davon, dass Lobbyarbeit ebenso funktioniert und sich das auf soziemlich jede Interessengemeinschaft übertragen ließe, ist es irrelevant für die Debatte.Wenn alle dieselben Argumente liefern: Umso leichter, damit umzugehen.
8.
Andreas Lichte | 21. Mai 2011 um 11:48 am
„Anthroposoph_innen sind keine Individuen, sondern gesteuert vom »Kollektiv«“
Falsch. Anthroposophen SIND das Kollektiv, wirken als Kollektiv. Der Einzelne ist unwichtig. Das habe ich schon lange gedacht, aber ganz konkret, als ich diese EsoWatch-Suche las:
http://blog.esowatch.com/?p=3246
„… Die GWUP hat einen Preis ausgelobt, Das goldene Brett vorm Kopf. Bekommen soll es diejenige Person, die im Jahr 2010 den stärksten antiaufklärerischen Einfluss hatte …“
Wen sollte ich da nominieren? Ravagli? Kugler? „…“? Nein, das sind keine „Persönlichkeiten“. ABER die Anthroposophen haben es geschafft, den künstlerisch völlig untalentierten Rudolf Steiner in renommierte Kunstmuseen zu bringen …
Anmerkung AM
Blabla, Thema verfehlt bzw. wieder mal erfolgreich verlassen.
9.
Andreas Lichte | 21. Mai 2011 um 11:57 am
„Wieder ein Eigentor, Andreas“
(siehe oben)
wenn du so sicher bist, dass du einen „sinnvollen“ Kommentar zu einer rassistischen Aussage Steiners geschrieben hast, dann biete ihn doch dem Rudolf Steiner Verlag an.
Ich freue mich darauf, die kommentierten Steiner-Ausgaben zu zerreissen …
Anmerkung AM
Nein. Ich bin aber sicher, dass Jana Husmann eine sinnvolle Kontextualisierung zu dieser rassistischen Aussage Steiners geleistet habe, und dass ich sie korrekt zitiert habe. Aber: ja, ich meine, dass das den ideengeschichtlichen Kontext dieser Aussage ziemlich genau absteckt (und auch du hast ja keinen Kritikpunkt genannt).
Wenn die kommentierten Auflagen das Niveau der Ravagli/Bader/Leist-Pamphlete erreichen, wird es sicher sehr „erfreulich“ sein, sie zu zerpflücken. Ich meine aber, dass das eben nicht unter „kritisch kommentierte Neuauflagen“ fiele und sie sich deshalb was anderes aus den Fingern saugen müss(t)en, um die Auflage zu erfüllen.
10.
Gertrud Kiefer-Volkert | 6. Juni 2011 um 11:21 am
DIeses Buch von Jana Husmann werde ich mir kaufen und durcharbeiten – genial scheint es mir zu sein in seiner präzisen
Bearbeitung.
Es wird mir zu meiner endgültigen E n t s t e i n e r u n g verhelfen.
(Was ich noch alles lernen muss!)
Waldorfangepaßte Begriffe wie besteinert und entsteinert wollte ich eigentlich nie verwenden. Das waldorfübliche Sprachinsidertum ist ein Ausdruck des Widerstandes und es verstärkt die Abgeschlossenheit der anthroposophischen Welt, in der es keine Fachsprache mit Fremdwörtern geben darf und statt politischer Arbeit sprachphilosophische Betrachtungen angestellt werden, die das Ziel haben, jeglicher Hierarchisierung entgegenzuwirken.
Doch erfordert die Kulturentwicklung die Einbeziehung von Fremdwörtern, die bei uns meist aus der lateinischen und aus der griechischen Sprache genommen sind. Dort liegt nämlich ein Teil unserer Vergangenheit – griechische und römische Epoche gehören zum Waldorfunterricht – und diese Vergangenheit wird durch entsprechende Begriffe repräsentiert.
11.
Gertrud Kiefer-Volkert | 19. Juni 2011 um 2:37 pm
… und noch viele weitere Aspekte müssen zur Korrektur von Steiners Denkkosmos vorgebracht werden.
Zur Zeit beschäftigen mich die Arbeiten von Konrad Dietzfelbinger, der die Bibel als das Buch der Bücher auch aus soziologischer Sicht betrachtet.
Kinder der Bibel seien wir alle, denn ihre Sprache habe unsere Sprache geprägt, ihre Moral unsere Humanität begründet, ihre Bilder unsere Vorstellungswelt ausgestattet, ihre Gleichnisse seien in unserer Literatur und Kultur vertreten.
Interessant sind nun die Forschungen Dietzfelbingers zum Zusammenhang von Mysterientradtionen und Bibel und dem Einfluß von Mysterienweisheit auf die Wissenschaftlichkeit im Abendland.
Ein Übersichtskapitel zeigt ausgewählte Mysterienschulen (-traditionen), die für das Abendland bestimmend waren.
„Am Anfang steht die ägyptische Mysterientration, in der sich wie in einem Keim shcon die wesentlichen Prinzipien der abendländischen Mysterienweisheit ausgedrückt haben. Die Schule des Pythagoras knüpfte an die ägyptische Mysterienweisheit an und entwickelte die Ansätze des wissenschaftlichen Denkens, das durch die Jahrhunderte für die westliche Welt so folgenschwer geworden ist. Griechisches Denken und Philosophie verbanden sich in der Akademie des Platon mit den Mysterientraditionen, wodurch eine von den Mysterien durchtränkte Philosophie entstand. Auch das Urchristentum war eine Mysterienschule, wie sich aus den Dokumenten der Evangelien und sonstigen Schriften des Neuen Testaments ersehen läßt. Hier erhielt das Mysterienwesen Öffentlichkeitscharakter und wurde, wenigstens dem Anspruch nach, für alle Menschen verbindlich. alle Menschen, in welchem Entwicklungsstadium auch immer, tragen nach der urchristlichen Mysterienweisheit die Bestimmung in sich, die die Mysterienchulen seit je formuliert und die einige wenige Menschen in den Mysterienschulen auch verwirklicht hatten. …
In der Gnosis jedoch lebte diese Mysterienweisheit fort …
Denn jetzt war der Impuls der urchristlichen Mysterienschule in der Welt wirksam geworden, die Mysterienweisheit war öffentlich geworden, und alle bisherigen Mysterienschulen des Westens: die ägyptischen, persischen, syrischen und griechischen mündeten in den einen großen Strom: den christlichen.
…
Und zu Beginn der Neuzeit formierte sich, zunächst im verborgenen, dann immer bemerkbarer, die Bruderschaft der Rosenkreuzer, die in die Freimaurerei hineinwirkte und vielen modernen esoterischen Gruppierungen, wie der Anthroposophie, Theosophie und den modernen Rosenkreuzern, Impulse gab.“
(Entnommen aus dem Kapitel „Die in diesem Buch geschilderten Mysterienschulen in Konrad Dietzfelbinger, Mysterienschulen, München 1997; S. 31/32)
In diesem Buch sind übrigens sieben verschiedene Mysterienschulen beschrieben:
Ägypten
Die Pythagoreer
Sokrates und Platon
Das Urchristentum als Mysterienschule
Die gnostischen Mysterienschulen
Die Katharer
Eine Mysterienschule der Neuzeit: die Rosenkreuzer
Angesichts des immensen Anspruchs der Anthroposophie Rudolf Steiners, wie er etwa durch die Mysteriendramen aufgezeigt ist, hat mir das erwähnte Buch auch sehr geholfen, den Irrweg Rudolf Steiners zu erkennen.
Anmerkung AM
Anmerkung AM
So wie Ihnen anthroposophische Bücher zweifellos den Irrweg Madame Blavatskys oder der Spiritisten aufzeigen würden.
Konrad Dietzfelbinger ist ein spannender Autor (so wie es auch überaus interessante Anthroposophica gibt), ich schätze vor allem seine Herausgabe apokrypher Schriften. Aber sein interpretatorischer Hintergrund ist bekanntlich der des Lectorium Rosicrucianum, das die angeblichen „Mysterienschulen“ mindestens ebenso eigen interpretiert und zurecht rückt, wie Anthroposoph_innen das zu tun pflegen. Rijckenborg, begründer des Lectorium, war ein Anhänger von Max Heindel, und der ein Plagiator Steiners. Rijckenborg wendete beider Evolutionslehre weltverneinend-gnostisch (siehe oben im Text zu den esoterischen Rassentheorien) und soweit ich weiß, hat Dietzfelbinger dazu auch noch keine historisch-kritische Distanzierung vorgelegt…
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