Die Rache des Steiner-Verlags
21. Juli 2011 at 7:53 pm 11 Kommentare
Still und leise ist die lang erwartete Neuauflage von Rudolf Steiners Buch „Geisteswissenschaftliche Menschenkunde“ erschienen. 2007 hatte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien dieses Buch (und ein weiteres aus Steiners Feder) unter Kommentarzwang gestellt, weil sich darin diskriminierende Aussagen über vermeintliche „Rassen“ finden. Doch die Kommentierung des nun neu erschienenen Buchs irritiert mehr, als sie erklärt: Es werden Entlastungsargumente bemüht, die altbekannt und längst widerlegt sind, es werden Zitate angeführt, um Steiners „Antirassismus“ zu beweisen, die sinnentstellend aus dem ursprünglichen Aussagekontext gerissen sind – überdies wurde der Vortrag umbenannt, ohne, dass dies kenntlich gemacht wurde.
Neu Interessierte Leser_innen finden in den folgenden zwei Abschnitten alle nötigen Informationen – wer die Vorgeschichte schon kennt, kann ab der Überschrift „Sonderhinweis zum Vortrag vom 9. Mai 1909“ weiterlesen.
Ein Urteil…
„Man mag dazu stehen, wie man will – die Anthroposophen gehören zur Sorte jener Idealisten, für die das Allgemein-Menschliche und die Überwindung jedweder Form des Nationalismus zu den höchsten Maximen gehört, für deren Realisierung de facto unendliche Opfern gebracht werden.“, schrieb 2001 Dr. Walter Kugler, Leiter des Rudolf Steiner Archivs in Dornach (Feindbild Steiner, Stuttgart 2001, S. 54). Für eine gesellschaftliche Bewegung mit diesem Selbstbild – und verständnis, egal, ob zurecht oder zu Unrecht, ist es schockierend, mit dem Vorwurf des Rassismus und Nationalismus belegt zu werden, und der Vorwurf wird mit allen Mitteln abgeblockt. Und dennoch: 2007 beriet die BPjM, die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“, zwei Bücher aus dem stupend umfangreichen Vortagswerk des berühmten Esoterikers Rudolf Steiner (1861-1925) auf den Index zu setzen.

Walter Kugler, Leiter des Rudolf Steiner Archivs: „Zweifellos, es gibt Äußerungen im dreihundertbändigen Werk Steiners, die treiben uns Veteranen der Anti-Vietnam-Generation den Schweiß aus allen Poren und mitten auf die Stirn … Und dennoch … dürfte deutlich werden, dass Steiner nicht nur dem Rassenbegriff einfach ausgewichen ist, sondern dessen Anachronismus erkannt und ihm seinen Platz in der Geschichte zugewiesen hat.“ (Feindbild Steiner, a.a.O., S. 15, 27). (Auch) das ist im Folgenden zu diskutieren. (Das Foto verdanke ich dem Steiner-Archiv, Fotografin ist Barbara Klemm, FAZ)
Rudolf Steiner, Begründer des esoterischen Weltanschauungskosmos‘ der „Anthroposophie“, Ideengeber der Waldorfpädagogik sowie diverser anderer alternativkultureller Konzepte und Unternehmen, hat heute begeisterte Epigonen und überwiegend minder begeisterte Kritiker_innen. Zwei davon, die Kulturwissenschaftlerin Jana Husmann, sowie der Grafik-Designer mit Waldorflehrer-Fortbildung Andreas Lichte hatten 2006 zwei Gutachten beim Familienministerium eingereicht, um eine Indizierung der Bücher anzuregen. Das Ministerum seinerseits stellte auf deren Grundlage einen Antrag an die BPjM. Gegenstand waren die seit den 90ern in jeder Diskussion um die Anthroposophie obligatorisch diskutierten Äußerungen Steiners über „Rassen“. Steiner, wissenschaftlich sozialisiert im Zeitalter von Eugenik und Sozialdarwinismus, breitete ab 1902 in seinen zahlreichen esoterischen Schriften und Vorträgen die Vision einer allumfassenden, „kosmischen“ Evolution aus, die auch verschiedene Menschen“rassen“ hervorgebracht habe:
„Unter Theosophen stritt man sich allenfalls noch – aber das nach Kräften -, ob nun der deutschen oder britischen oder amerikanischen Rasse die Zukunft gehöre … In diesem Evolutionsrahmen hat er [Steiner] dann wie beiläufig, aber ohne Augenzwinkern, Äußerungen getätigt, die bis heute als Erbstücke des Rassismus aus dem 19. Jahrhundert gallig aufstoßen: Indianer als ‚degenerierte Menschenrasse‘ ‚im Hinsterben‘, schwarze Afrikaner mit dem Stigma der ‚zurückgebliebenen‘ Rasse, das ‚alte jüdische Volk‘ mit einem kollektiven ‚Gruppen-Volks-Ich‘. So brachte Steiner eine Top-down-Ordnung in die Geschichte von Völkern und Rassen … Mit seiner Konsequenz hat Steiner der Anthroposophie ein bitteres Erbe aufgebürdet, dessen Schlagschatten bis in die Gegenwart reichen.“ (Helmut Zander: Rudolf Steiner – die Biographie, S. 185f.)
In der Tat: Die BPjM hörte den Bund der Freien Waldorfschulen, die Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung und den (eben zitierten) Religionswissenschaftler Helmut Zander an – und kam bei beiden zur Diskussion stehenden Büchern zu folgendem Urteil:
„Der Inhalt des Buches ist nach Ansicht des 12er-Gremiums in Teilen als zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen … Das 12er-Gremium hat jedoch aufgrund der Erklärung desVerlages, zukünftig das benannte Buch nicht mehr in der vorliegenden Form zu veröffentlichen, gemäß 18 Abs. 4 JuSchG, und damit wegen Annahme eines Falls von geringer Bedeutung, von einer Listenaufnahme abgesehen … Die in Vorbereitung befindliche Neuauflage wird, in Anlehnung an die Verfahrensweise bei den niederländischen Ausgaben [von Steiners Werken: die niederländische Anthroposophische Gesellschaft hat bereits Ende der Neunziger reagiert – A.M.], eine kommentierte Ausgabe sein. Damit ist nach Auffassung des Gremiums gewährleistet, dass die Rassen diskriminierenden Äußerungen auch von Jugendlichen eingeordnet und kritisch betrachtet werden können.“ (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, Pr. 783/06, Entscheidung Nr. 5506 vom 6.9.2007, S. 5-8)
…und seine Folgen
Damit wären die Essentials geklärt: Der Rudolf-Steiner-Verlag sicherte eine kommentierte Neuauflage zu, durch die sichergestellt würde, dass auch für so naiv-dumme Jugendliche wie mich verständlich wird, dass Steiners Rassismus Rassismus ist.
Bevor ich das kürzlich erschienene Resultat bespreche, will ich noch einige Reaktionen innerhalb der Anthroposophischen Szene auf das BPjM-Verfahren schildern, wo im Folgenden Stellung zum Verfahren und zu Steiners Rassentheorie genommen wurde.
Die Redaktion der „Flensburger Hefte“ hatte bereits 1993 zugestanden: „Es gibt sie wirklich, jene angeblichen Äußerungen Rudolf Steiners … im Dickicht der über dreihundert Bände“ (Thomas Höfer: Der Hammer kreist, Flensburger Hefte, 41, Nr. 6/1993, S. 4). Auch eine eigens zusammengerufene „Kommission“ der Anthroposophischen Gesellschaft in den Niederlanden hatte in den Neunzigern immerhin zugestanden, dass sich nach heutigem Recht strafbare Äußerungen über „Rassen“ in Steiners Oeuvre finden – eine systematische Rassenlehre jedoch abgestritten. Ende 2007, nach dem Urteil der BPjM, wich nun der „Bund der Freien Waldorfschulen“ einer Distanzierung aus und postulierte, es gebe „Formulierungen“, die, allerdings nur „aus heutiger Sicht … diskriminierend wirken“ (Stuttgarter Erklärung). Auch inneranthroposophisch wurde diese Auffassung widerlegt: Anfang 2008 legte die Zeitschrift „Info3 – Anthroposophie im Dialog“ ein „Frankfurter Memorandum“ vor. Dessen Unterzeichner bestritten zwar weiterhin die Existenz einer expliziten Rassentheorie in Steiners Werk (vgl. dazu kritisch Peter Staudenmaier sowie Stephan Geuenich, in der Fußnote 2), aber sie kamen überein:
„Die niederländische Kommission identifizierte 16 ernsthaft diskriminierende oder rassistische Äußerungen; die Verfasser dieses Memorandums neigen dazu, einige weitere Zitate zu der schwerwiegenderen Kategorie I. zu zählen. …
Auf diese Äußerungen trifft eine der maßgeblichen Rassismus-Definitionen zu, wonach Rassismus durch die „verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers entsteht, mit der seine Privilegien oder Aggressionen gerechtfertigt werden sollen“ (Albert Memmi). Belege für eine Rechtfertigung von rassistischen Aggressionen finden sich bei Steiner zwar nicht. Dennoch ist es sehr bedauerlich, dass solche im weiteren Sinne (A. Memmi folgend lässt sich ein Rassismus im engeren und im weiteren Sinne differenzieren) rassistischen Äußerungen von Steiner gemacht wurden. Auch der zuweilen unternommene Versuch, diese Zitate kontextuell einzuordnen, macht sie nicht annehmbarer. Das dritte Zitat [Steiner: „Die Negerrasse gehört nicht zu Europa und es ist natürlich nur ein Unfug, dass sie jetzt in Europa eine so große Rolle spielt.“] ist z.B. auch dann nicht hinnehmbar, wenn man annimmt, Steiner habe mit dem abschätzig klingenden Wort „Negerrasse“ die schwarz-afrikanische Kultur gemeint. Bei den Zitaten dieser Kategorie handelt es sich auch nicht mehr um ein bloß sprachhistorisches Problem, dem mit einer „Übersetzung“ des Gemeinten in eine „zeitgemäße“ Sprache beizukommen wäre. …“ (Ramon Brüll/Jens Heisterkamp: Frankfurter Memorandum, S. 9)
Keine weitere anthroposophische Zeitschrift oder Organisation legte Vergleichbares vor, im Gegenteil wurde das Memorandum von der waldorfpädagogischen Zeitschrift „ErziehungsKUNST“ empört zurückgewiesen, die rechtsanthroposophische Zeitschrift „der Europäer“ witterte geheimen Steiner-Hass in der Steiner-Nachlassverwaltung, weil sie die inkriminierten Bücher zurückhielt (Marcel Frei: Rudolf Steiner am Dornacher Pranger, in: Der Europäer, September 2010, S. 9, vgl. Bilder und Sachen, Abschnitt „Grabenkämpfe“), die Wochenschrift „Das Goetheanum“ drehte die Aussage der BPjM um und behauptete fälschlich: „Gerade erst gelang es den Vertretern des Dornacher Rudolf-Steiner-Verlages die deutsche ‚Bundesstelle für jugendgefährdete Medien‘ zu überzeugen, dass Steiner in der Tat kein Rassist war.“ (Das Goetheanum). Von der Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung wissen wir, dass sie sich immerhin zu den Ergebnissen der Niederländischen Kommission bekannte. Seit 2005 sei man ohnehin dabei, Neuauflagen von Steiners Werken mit entsprechenden Kommentaren zu versehen, hieß es im Oktober 2007 (ebd.).
„Sonderhinweis zum Vortrag vom 3. Mai 1909“
Die kommentierte Neuauflage, die sicherstellen sollte, „dass die Rassen diskriminierenden Äußerungen auch von Jugendlichen eingeordnet und kritisch betrachtet werden können“ (BPjM, a.a.O.) liegt nun seit Kurzem vor. In der „Einführung“ zu dem Band schreibt Urs Dietler:
„Einer besonderen Erwähnung bedarf der Vortrag vom 3. Mai 1909 … Steiners gelegentliche Ausführung zum Thema der Rassen, das auch in diesem Vortrag erörtert wird, haben verschiedentlich zu Irritationen und der Frage geführt, ob hier eine Form des Rassismus vorliege.“ (Urs Dietler: Zur Einführung, in: Rudolf Steiner: Geisteswissenschaftliche Menschenkunde. Neunzehn Vorträge (1908-1909), GA 107, Dornach 2011, S. 16)
…mit keinem Wort erwähnt Dietler, dass die BPjM letzteres sehr wohl bejahte, er verschweigt auch, dass nur deswegen Neuauflage und Kommentar nötig waren, und fährt fort:
„Dass dies in keiner Weise der Fall ist, zeigen der Gesamtduktus seines Denkens und Wirkens und eine Kontextualisierung der in Frage stehenden Ausführungen. In einem Sonderhinweis wird auf diesen Fragenkomplex näher eingegangen (siehe dort Seite 340).“ (ebd.)
Aber auch auf Seite 340 fällt kein Wort über das BPjM-Verfahren, es wird nichts gesagt über die genauen Vorwürfe, die Aufforderung an Jugendliche (oder irgendwen sonst), Steiners Ausführungen zum Rassenthema „kritisch“ zu betrachten, fehlt ebenso. Die Leser_innen erfahren nur: „Dieser Vortrag bedarf in Bezug auf die darin angesprochene Thematik der sogenannten ‚Rassen‘ einer Erläuterung.“ (ebd., S. 340).
… die auf den Fuß folgt, nachdem festgestellt wurde, dass „sich der Herausgeber“ von Steiners Aussagen über „Rassen“ „distanziert“, „insoweit sie heute in irgendeiner diskriminieren [sic!] Art verstanden oder verbeitet werden sollen.“ (ebd.). Dass eine Diskriminierung nicht nur durch Instrumentalisierung von Steiners „Rassen“-Passagen, sondern durchaus in diesen Passagen selbst vorhanden sein könnte, wird nicht eigens erwähnt.
Reichlich schwammige Positionierungen also. Zu dem eben zitierten „Sonderhinweis“ ist überdies negativ anzumerken, dass er nur eine einzige Seite lang ist – und auf dieser einen Seite Text sahen die Herausgeber_innen sich offensichtlich nicht in der Lage, auf die Inhalte des Vortrags zum 9. Mai 1909 näher einzugehen. Das ist bemerkenswert, da doch der Kommentar bei Einordnung und kritischer Orientierung helfen sollte. Stattdessen legen die Herausgeber zwei vorgeblich anti-rassistische Zitate Steiners und einige relativierende Bemerkungen zum gesamten Stellenwert des „Rassen“-Themas in Steiners Werk vor und erwecken den Eindruck, sie wüssten selbst nicht genau, warum sie all das schreiben (müssen).
Der umbenannte Vortrag und sein Inhalt
Ich gebe im Folgenden kurz die Darstellungen Steiners im inkriminierten Vortrag vom 3. Mai 1909 wieder, diskutiere anschließend die von den GA-Herausgeber vorgebrachten Ausführungen, die den Rassismusvorwurf zurückweisen sollen, um schließlich die mitgelieferten „antirassistischen“ Zitate zu besprechen. Aber nun endlich zum konkreten Inhalt des entsprechenden Vortrags. Im ausführlichen Inhaltsverzeichnis ist der stichwortartig zusammengefasst:
„Verschiedenheiten der Menschenrassen im Zusammenhang mit der Erdentwicklung. Der Zusammenhang zwischen der Sonneneinwirkung auf die Erde und der Menschheitsentwicklung. … Die Auswanderung der besseren Teile der lemurischen Bevölkerung nach Atlantis. Unterschiedlich entwickelte Menschen in der atlantischen Zeit: «Riesen» und «Zwerge». Die Normalmenschen als das entwicklungsfähigste Volk. Die anderen, ausgewanderten Völker und die Auswirkung ihres Ich-Gefühls auf ihre Hautfarbe: Das nach Westen ausgewanderte Volk mit zu stark entwickeltem Ich-Trieb und seine letzten Reste in der roten indianischen Bevölkerung Amerikas. Das nach Osten ausgewanderte Volk mit zu schwach entwickeltem Ich-Gefühl und seine letzten Reste in der schwarzen Negerbevölkerung Afrikas. Der Zug des Manu und seines kleinen um ihn versammelten Häufleins der für die Weiterentwicklung der Erde ausersehenen Normalmenschen. Die Bevölkerung Europas mit einem stärkeren Ich-Gefühl und die asiatische Bevölkerung mit einer passiven, hingebenden Natur. Die verschiedenen Gottesvorstellungen. (Hervorhebungen – A.M)“ (GA 107, 2011, S. 13)
Steiner schildert also die Entstehung der angeblichen „Rassen“, wobei die „Normalmenschen“ zwischen falsch entwickelten „Negern“ und „Indianern“ stünden. In concreto schildert Steiner das so:
„Diejenigen Völker, bei denen der Ich-Trieb zu stark entwickelt war und von innen heraus den ganzen Menschen durchdrang und ihm die Ichheit, die Egoität aufprägte, die wanderten allmählich nach Westen, und das wurde die Bevölkerung, die in ihren letzten Resten auftritt als die indianische Bevölkerung Amerikas.
Die Menschen, welche ihr Ich-Gefühl zu gering ausgebildet hatten, wanderten nach dem Osten, und die übriggebliebenen Reste von diesen Menschen sind die nachherige Negerbevölkerung Afrikas geworden. Bis in die körperlichen Eigenschaften hinein tritt das zutage, wenn man die Dinge wirklich geisteswissenschaftlich betrachtet.“ (ebd., S. 304)
Und daraufhin begründet Steiner nochmals, warum das Bewusstsein der verschiedenen „Rassen“ zur Bildung unterschiedlicher Hautfarben geführt habe:
„Wenn der Mensch sein Inneres ganz ausprägt in seiner Physiognomie, in seiner Körperoberfläche, dann durchdringt das gleichsam mit der Farbe der Innerlichkeit sein Äußeres. Die Farbe der Egoität ist aber die rote, die kupferrote oder auch die gelblichbraune Farbe. Daher kann tatsächlich eine zu starke Egoität, die von irgendeinem gekränkten Ehrgefühl herrührt, auch heute noch den Menschen von innen heraus sozusagen gelb vor Ärger machen. Das sind Erscheinungen, die durchaus miteinander zusammenhängen: die Kupferfarbe derjenigen Völker, die nach Westen hinübergewandert waren, und das Gelb bei dem Menschen, dem die „Galle überläuft“, wie man sagt, dessen Inneres sich daher bis in seine Haut ausprägt.
Diejenigen Menschen aber, die ihre Ich-Wesenheit zu schwach entwickelt hatten, die den Sonneneinwirkungen zu sehr ausgesetzt waren, sie waren wie Pflanzen: sie setzten unter ihrer Haut zuviel kohlenstoffartige Bestandteile ab und wurden schwarz. Daher sind die Neger schwarz.
– So haben wir auf der einen Seite östlich von Atlantis in der schwarzen Negerbevölkerung, auf der andern Seite westlich von Atlantis in den kupferroten Völkern Überreste von solchen Menschen, die nicht in einem normalen Maße das Ich-Gefühl entwickelt hatten. Mit den Normalmenschen war am meisten zu machen. Sie wurden daher auch dazu ausersehen, von dem bekannten Orte in Asien aus die verschiedenen anderen Gebiete zu durchsetzen.“ (ebd.)
Diese „Normalmenschen“ werden im Folgenden als „Grundstock der weißen Bevölkerung“ identifiziert (S. 306).
Es ist inzwischen geklärt, woher diese Motive in Steiners Denken kommen. Die Kulturwissenschaftlerin Jana Husmann, Mit-Initiandin und Gutachterin im BPjM-Verfahren, schlug beispielsweise eine historische Einordnung der von Steiner aufgegriffenen Rassenklischees vor:
„In dieser Struktur von ‘Balance’ und ‘Extremen’ klingen die Traditionen von ‘extremos’ und ‘medios’ an, wie sie Leibniz’ frühe Rassenspekulationen beispielhaft kennzeichnen. Der Dreiklang als solcher korrespondiert wiederum mit Steiners Struktur der ‘Dreigliederung’ …
In seinen weiteren Erläuterungen aktiviert Steiner zudem die ‘chemischen‘ Erklärungsmuster zur schwarzen Haut, wie sie schon bei Kant zu finden sind und von [Carl Gustav] Carus modifiziert werden. Auch hier schreibt Steiner Carus buchstäblich um, wenn es heißt: „Diejenigen Menschen aber, die ihre Ich-Wesenheit zu schwach entwickelt hatten, die den Sonneneinwirkungen zu sehr ausgesetzt waren, sie waren wie Pflanzen: sie setzten unter ihrer Haut zuviel kohlenstoffartige Bestandteile ab und wurden schwarz. Daher sind die Neger schwarz.”
Sowohl Carus’ Erklärung der schwarzen Haut über den Kohlenstoff als auch das von ihm angeführte Sinnbild des ‘Aushauchens’ der Pflanzen von Kohlenstoff bei Nacht, wird demnach von Steiner verarbeitet … ‘Erklärt’ in Carus’ Rassensystematik die schwarze Haut der Nachtvölker ihren Mangel an Bewusstsein (als einen Mangel an Licht), so erscheint Steiner der Mangel am (Licht-)Ich und zu viel Sonne die schwarze Haut zu erklären.“ (Jana Husmann: Schwarz-Weiß-Symbolik, S. 302)
Auf eine historische Kontextualisierung lassen die GA-Herausgeber sich allerdings nicht ein (obwohl Urs Dietler genau das gefordert hat, um Steiners angebliche Unschuld zu beweisen, vgl. GA 107, S. 16), sondern bemühen (überdies bekannte) Strategien, um eine explizite Distanzierung von jeder noch so rassistischen Äußerung Steiners zu umgehen. Das beginnt beim Titel des Vortrags:
Wer den Vortrag vom 3. Mai 1909 in einer älteren Ausgabe der GA 107 nachschlägt, findet ihn unter dem Titel „Die Ausprägung des Ichs bei den verschiedenen Menschenrassen“ (vgl. GA 107, 5. Auflage 1988, S. 7, S. 335). In der Neuausgabe ist der Vortrag umbenannt und heißt jetzt „Die Ausprägung des Ich-Gefühls bei den verschiedenen Menschenrassen“. In beiden Ausgaben aber wird behauptet, dass die Titel der Vorträge von Steiner selbst stammten (sowohl GA 107, 1988, S. 319 als auch in der Neuauflage von 2011, S. 340). Die Umbenennung ist nicht kommentiert oder als solche kenntlich gemacht. Die Stoßrichtung der Änderung ist allerdings auch so offensichtlich: Das „Ich“ als Sanktissimum der Persönlichkeit schilderte Steiner meist als unabhängig von angeblichen „Rassenmerkmalen“. Hätte Steiner also nur von Selbstwahrnehmung und „Ich-Gefühl“, aber nicht vom „Ich“ selbst gesprochen, so ließe sich argumentieren, Steiner habe mit seinen Rassentypologien niemals „das Ich“ angreifen und Personen diskriminieren wollen. Dass Steiner also im vorliegenden Vortrag das Gegenteil tut und von der „Ausprägung des Ichs bei verschiedenen Menschenrassen“ spricht, passt den Herausgebern folglich nicht ins Konzept. Ähnlich argumentierte die Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung gegenüber der BPjM 2007 in einer Stellungnahme zum Indiziderungsverfahren:
„Das ‚Ichgefühl‘ darf nicht mit dem ‚Ich‘ verwechselt werden. Das ‚Ich‘ ist der geistige Wesenskern, der jedem Menschen eignet. Dieses ‚Ich‘ konnte nach den Ausführungen des Vortrags in der atlantischen Zeit unterschiedlichen stark ‚empfunden‘ werden. Die unterschiedlich starke ‚Ichempfindung‘ prägte sich in der atlantischen Zeit wegen der damals noch bestehenden Plastizität oder Formbarkeit der Menschenleiber in unterschiedlichen körperlichen Formen (Hautfarben) aus. … Die Seele ist der Ort, wo die ‚Ichempfindung‘, das ‚Persönlichkeitsgefühl‘, das ‚Bewusstsein vom Ich‘ seinen Sitz hat, während das Ich selbst geistiger Natur ist.“ (Rudolf-Steiner-Nachlassverwaltung, Stellungnahme zum BPjM-Verfahren, Az.: 504-2334-01/804, Schreiben vom 23.04.2007, S. 41)
Diese Argumentation ist falsch: Steiner spricht im Vortrag durchaus vom fehlentwickelten „Ich“ der „Roten“ und „Schwarzen“ „Rasse“, und „Aus allen Völkern, die das Ich in irgendeinem Grade zu stark oder zu schwach entwickelt hatten, konnte nichts besonderes werden.“ (GA 107, 2011, S. 309). Die Umbenennung des Vortrags erweist sich als vergeblicher Versuch, den rassentheoretischen Äußerungen Steiners über 100 Jahre später die Spitze abzubrechen. Dazu werden noch ein paar weitere argumentative Figuren bemüht:
Entlastungsargumente
Die Entlastungsargumente der GA-Herausgeber_innen lauten wie folgt (sie stammen ebenfalls von S. 341f.):
1. Steiners Vorträge seien „von ihm nicht durchgesehen oder autorisiert worden“, die Textstellen stammten also eventuell gar nicht „wortwörtlich“ von ihm. Das ist zwar grundsätzlich richtig: Bei den inkriminierten Texten handelt es sich um Vortragsmitschriften. Und bei den Vortragsmitschriften handelt es sich um Stenogramme, die in Einzelheiten oder Wortwahl möglicherweise nicht immer zur Gänze mit dem übereinstimmen mögen, was Steiner „wortwörtlich“ noch so gesagt haben könnte. Aber das ändert nichts an dem offensichtlichen und überdeutlichen Gesamtduktus des Vortrags: Es ging Steiner deutlich um Ausführungen zu „Rassen“ und „Ich“ bzw. „Ich-Gefühl“ – was die Herausgeber auch keineswegs ernsthaft bestreiten. Auch die BPjM hat in ihrer Entscheidung zu dem Indizierungsverfahren festgestellt:
„Dass es sich bei den Vortragstexten, wie von den Verfahrensbeteiligten ausgeführt, um so genannte unsichere Textquellen handelt, weil diese möglicherweise nicht wörtlich die von Rudolf Steiner gehaltenen Vorträge wiedergegeben, ist für die Annahme einer Jugendgefährdung unerheblich. Das Buch ist Teil der Gesamtausgabe der Werke von Rudolf Steiner; die Vortragsnachschriften sind von ihm, zumindest kursorisch, autorisiert worden.“ (BPjM-Entscheidung Nr. 5506 vom 6.9.2007, a.a.O, S. 8)
2. Steiner habe zwischen 1905 und 1909 in vier Einzelvorträgen „eine Gliederung der fünf menschlichen ‚Hauptrassen‘ entworfen, die sich alle mit der Frage nach der Entstehung der physischen Rassenunterschiede beschäftigen. Der vorliegende Vortrag stellt einen dieser Entwürfe dar.“ Davon stimmt lediglich der letzte Satz: Es zielt am Kern des Problems vorbei, lediglich zu sagen, dass Steiner die Entstehung von sogenannten „physischen Unterschieden“ beschreibt – problematisch ist, wie er sie beschreibt. Wenn das angebliche schwache Ich der „Neger“ zu schwarzer Haut und das angebliche zu starke Ich der Indianer zu roter Haut, in beiden Fällen aber zu evolutionärer Dekadenz geführt haben soll, sind das eben nicht nur Beschreibungen von physischen Zuständen: Es sind auch Beschreibungen und Wertungen von (vermeintlichen) psychisch-spirituellen Verfasstheiten. Zu behaupten, Steiner habe am 3. Mai 1909 lediglich über „physische Unterschiede“ gesprochen, ist schlicht irreführend.
Übrigens ist in dem besagten Vortrag keineswegs die Rede von „fünf Hauptrassen“, sondern von drei (möglicherweise vier, da kurz „passive“ „Asiaten“ erwähnt werden): Nämlich von „Schwarzer“ und „Roter“ „Rasse“ als fehlentwickelten Extremen und europäischen „Normalmenschen“.
3. „Die hier von Rudolf Steiner angewandten Gesichtspunkte sind im Zusammenhang mit Aspekten der Entwicklungslehre seiner Zeit zu sehen, in der die Anpassung an unterschiedliche Umweltbedingungen und anschließende Vererbung der entstandenen ‚Rassen’unterschiede diente.“
Anpassung und Vererbung sind auch heute noch Basis der Evolutionstheorie, ohne, dass daraus „Rassentheorien“ entstehen. Dennoch: Tatsächlich stammen Steiners Rassismen aus dem Evolutionskonzept des 19. Jahrhunderts, speziell in seiner Modifikation durch Ernst Haeckels „biogenetisches Grundgesetz“ und dessen esoterischer Form in der evolutionären Spiritualität von Helena Petrowna Blavatskys Theosophie: „Blavatsky showed how esotericism could assimilate evolution. She acepted the idea of evolution, but only in the spiritual terms of an emanationist cosmology, which informed and effected all the varied material forms of creation. … Blavatsky effectively subsumed the material and physical aspects of evolution into a grand, overcharging, divine plan.“ (Nicholas Goodrick-Clarke: Helena Blavatsky, Berkeley, California 2004, S. 175). Doch der Verweis auf diese Vorbilder für Steiners Evolutions- und Rassentheorie ist keine Salvierung, sondern das beste Argument dafür, zu bekennen: Steiner übernahm mit seinem Evolutionskonzept auch die Rassentheorien des 19. Jahrhunderts, und das war ein schlichter Irrtum. Die Tatsache, dass sich die Herkunft von Steiners Rassenlehre historisch erklären lässt, lässt sich nicht als Entlastung instrumentalisieren. Das haben auch Ramon Brüll und Jens Heisterkamp festgestellt:
„Das mitunter bemühte Argument, jene Zitate seien in einer anderen Zeit geäußert worden, gilt auch dann nicht, wenn es sich um Auffassungen handelt, die zwar vor etwa 100 Jahren in unserem Kulturkreis verbreitet, aber deshalb nicht weniger diskriminierend waren. Grobe absichtliche oder fahrlässige Diskriminierungen waren bereits verletzend, bevor das Diskriminierungsverbot etwa durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 kodifiziert wurde.“ (Ramon Brüll/Jens Heisterkamp: Frankfurter Memorandum, S. 9)
4. Steiner habe das alles nicht so richtig ernst gemeint und durchdacht (oder so), denn: „Die vorliegenden Ausführungen besitzen durchaus einen aphoristischen und vorläufigen Charakter.“
Tatsächlich hat Steiner seine Vorträge fast immer frei gehalten, sich allenfalls im Vorfeld Notizen gemacht und herausgerissene Buchseiten auf das Vortragspult gelegt, deren Inhalte er in das von ihm Gesagte einflocht. Insofern waren seine Vorträge tatsächlich „vorläufig“ und unverbindlich. Aber hier gilt dasselbe wie zum 1. Punkt: Steiner hat das Rassenthema im vorliegenden Vortrag zu ausführlich und systematisch erörtert, als dass die diskriminierenden Äußerungen als missverständliches Geplapper eingeordnet werden könnten. Und auch hier gilt: Die anti-rassistischen Aussagen Steiners sowie das gros der von ihm angeregten „Praxisfelder“ basieren dann ebenfalls auf solchen „aphoristischen und vorläufigen“ Vorträgen – die Grundlagen von Waldorfpädagogik, biodynamischer Landwirtschaft, anthroposophischer Medizin, Heilpädagogik, Eurythmie oder Architektur würden, wenn ihnen plötzlich nurmehr „vorläufiger Charakter“ zugestanden würde, zusammengeschnippt wie ein Kartenhaus.
5. Äußerungen Steiners nach dem Jahr 1909 präsentierten keine evolutionär hierarchisierte Rassentheorie mehr, denn „er änderte in späteren Jahren die Darstellung dieses Themas, insbesondere ist im Jahre 1910 (siehe GA 121) der weißen oder kaukasischen ‚Rasse‘ keine Sonderstellung mehr eingeräumt (Hervorhebung – A.M.).“
Auch dieses Argument eignet sich schlecht für eine Entkräftung von Steiners rassentheoretischer Argumentation im Mai 1909. Richtig ist, dass Steiner ab 1910, tatsächlich u.a. in den Vorträgen, die in Nummer 121 seiner Gesamtausgabe (GA) veröffentlicht sind, die „Rassen“ nicht mehr in Stufen anordnete. Früher hatte Steiner etwa „die Neger“ als Überbleibsel der „lemurischen Wurzelrasse“, „die Gelben“ als Überreste der „Atlantier“ und die „Weißen“ als Akteure der gegenwärtigen „Arischen Wurzelrasse“ eingeführt (vgl. BGA 60, d.h. Band 60 der „Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe“). Er parallelisierte sie dadurch mit verschiedenen Bewusstseinsstufen in seiner evolutionären, teleologisch konzipierten Geschichtsphilosophie. 1910 dann hatte Steiner „Rassen“ und Bewusstseinsstufen auseinandergespalten: Laut den Ausführungen in GA 121 entstanden die „Rassen“ nicht mehr nacheinander, sondern parallel, sie waren keine einander beerbenden Stufenordnungen der Weltgeschichte mehr, sondern im Prozess dieser Weltgeschichte wie nebenbei entstandene „Typen“. Nichtsdestominder stellte die „kaukasische“ oder „Weiße“ „Rasse“ den privilegiertesten, „geistigsten“ dieser „Typen“ dar. Noch 1923 spitzte er zu: „Die weiße ist die zukünftige, die am Geist schaffende Rasse.“
Und wenn die GA-Herausgeber formulieren, 1910 werde der „weißen Rasse“ „keine Sonderstellung mehr eingeräumt“, gestehen sie implizit zu, dass diese Sonderstellung zumindest bis dahin behauptet wurde. Somit müssten sie sich immernoch von Steiners Rassentheorie bis 1910 distanzieren – auch das allerdings unterbleibt.
„Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit“
„Wie fern Rudolf Steiner jegliche Art rassistischer oder nationalistischer Denkungsweisen stand, verdeutlicht u.a. die folgende Passage aus seinem Vortrag vom 26. Oktober 1917:
‚Ein Mensch, der heute von dem Ideal von Rassen und Nationen und Stammeszusammengehörigkeiten spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit. Und wenn er in diesen sogenannten Idealen glaubt, fortschrittliche Ideale vor die Menschheit hinzustellen, so ist das die Unwahrheit. Denn durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den Niedergang hineinbringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Blutsideale fortpflanzen.‘ (GA 177, S. 220)“ (Kommentar in GA 107, 2011, S. 341).
Hier hält Steiner die Berufung auf „Rassen-, Volks- und Blutsideale“ offenbar nicht nur für illusionär, sondern gar für außerordentlich schädlich. Dieses Zitat ist ein altbekanntes in der Debatte um Steiners Rassismus. Nach ihm hatten Hans-Jürgen Bader, Manfred Leist und Lorenzo Ravagli ihr zweibändiges Machwerk „Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit“ (Stuttgart 2000f.vgl. dazu kritisch: Ravagli, die Rassen und die Rechten; Rudolf Steiners Rassenlehre sowie Ralf Sonnenberg: Vergangenheit, die nicht vergehen will) benannt, das nicht nur jeden Rassismus bei Steiner leugnete, sondern auch seine Rassentheorie als progressiv und humanistisch interpretierte.
Das vollständige Zitat aus Steiners Vortrag lautet allerdings (die vom GA-Herausgeber ausgelassenen Satzteile grün markiert):
„Ein Mensch noch des 14. Jahrhunderts, der gesprochen hat von dem Ideal der Rassen, von dem Ideal der Nationen, der hat gesprochen aus den fortschreitenden Eigenschaften der menschlichen Entwickelung heraus; ein Mensch, der heute von dem Ideal von Rassen und Nationen und Stammeszusammengehörigkeiten spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit. Und wenn er in diesen sogenannten Idealen glaubt, fortschrittliche Ideale vor die Menschheit hinzustellen, so ist das die Unwahrheit. Denn durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den Niedergang hineinbringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Blutsideale fortpflanzen.“ (GA 177, Dornach 1999, S. 220)
Im Original ist’s also scheinbar komplizierter: Steiner meint, zwar sei es „heute“ unwahr und destruktiv, sich auf „Rassenunterschiede“ zu berufen, im 14. Jahrhundert sei dies aber noch Ausdruck der „fortschreitenden Eigenschaften der menschlichen Entwicklung gewesen“. Nur eine ausführlichere Lektüre des zitierten Vortrags kann diese paradoxe Aussage aufdröseln:
Steiner schildert hier, wie so oft, seine Vorstellungen von spiritueller Evolution. Ziel des Ganzen sei die Entwicklung des menschlichen Geistes. Zu dessen Förderung ließen sich göttliche Geister, Engel, Überengel und kosmische Hierarschien – ein ganzer Reigen an „Geistern des Lichts“ herab. Und natürlich versuchten böse „Geister der Finsternis“ nach Kräften, diesen übersinnlichen Evolutionsweg zu blockieren. Die Erschaffung von Menschen“rassen“ sei, so Steiner, eine Erfindung der „Geister des Lichts“ gewesen: Da der Mensch in archaischen Epochen der Weltgeschichte (Lemuria und „Atlantis“) noch nicht individuierungsfähig war, mussten die guten Geister ihn offensichtlich in praktische „Rassen“-Gruppen einteilen:
„Dem Menschen ist gewissermaßen ein Gewicht angehängt worden, durch das er verbunden wurde mit dem Erdendasein … In diesen Zeiten, in denen also sozusagen die Geister des Lichtes sich haben angelegen sein lassen, die Menschenzusammenhänge nach den Blutsbanden zu ordnen, haben es sich die mit den Menschen vom Himmel zur Erde verstoßenen Geister der Finsternis angelegen sein lassen, gegen alles, was Blutsvererbung ist, zu arbeiten. Und alles … was da pocht auf die individuelle Freiheit, was Gesetze geben will aus der individuellen Freiheit des Menschen heraus, das rührt eben von den herabgestoßenen Geistern her.“ (GA 177, 1999, S. 215f.)
Insofern bestreitet Steiner also keineswegs die Existenz von „Rasse, Volk und Blut“, er hält sie für reale Potenzen der Weltgeschichte, einst erschaffen von „den Guten“ und bekämpft nur von den irgendwie „Bösen“. Mit dem Ende des Mittelalters und dem Heraufdämmern der Neuzeit sieht Steiner allerdings eine Zäsur: Nun sei der Mensch in den Augen der „Geister des Lichts“ reif genug, um individuelle Freiheit zu erlangen:
„…in der Entwickelung hat alles seine bestimmte Zeit. Dasjenige, was gefestigt worden ist in der Menschheit durch die Blutsbande, dem ist genug geschehen in der allgemeinen gerechten Weltenordnung. So daß seit dieser neueren Zeit die Geister des Lichtes sich so wandeln, daß sie jetzt den Menschen inspirieren, freie Ideen, Empfindungen, Impulse der Freiheit zu entwickeln, daß sie es sind, die den Menschen auf die Grundlage seiner Individualität stellen wollen.“ (ebd., S. 218)
Umgekehrt versuchten jetzt die „Geister der Finsternis“, dies zu verhindern und den Menschen in den „Blutsbanden“ festzuhalten:
„Das, was gut war in alten Zeiten, oder besser gesagt, was in der Sphäre der guten Geister des Lichtes war, das wird abgegeben im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an die Geister der Finsternis.“ (ebd.)
Und damit macht auch die oben zitierte Aussage Sinn: Im 14. Jahrhundert, so Steiner, sei die Bildung von „Rassen“ noch im Sinne der übersinnlichen Weltlenkung gewesen, mittlerweile sei aber die Entwicklung von „Freiheit“ an der Reihe. Wer sich auf „Rassen-, Volks- und Blutsideale“ berufe, opponiere demnach gegen den spirituellen „Weltenplan“ bzw. arbeite für die „Geister der Finsternis“. Dementsprechend fällt ein fahles Licht auf diesen Steinerschen „Anti-Rassismus“: Offenbar distanzierte er sich von den völkischen Kreisen seiner Zeit und wollte keine „Rassenpolitik“, hielt diese im Gegenteil für ein „Niedergang“ssymptom (und das unterscheidet ihn von der völkischen Rechten). Aber er ging davon aus, dass es „Rassen“, „Rassenunterschiede“, und damit, seinem eigenen Rassenbegriff gemäß: auch evolutionär höher- und minderpriveligierte „Rassen“ gebe. Und folglich klingt der Kommentar in der GA 107 durch ein weiteres „antirassistisches“ Steiner-Zitat ähnlicher Couleur aus, in dem sich wieder eine Auslassung findet (die von den GA-Herausgebern weggelassenen Zeilen markiere ich grün):
„Es hat zum Beispiel schon gegenüber der heutigen Menschheit keinen rechten Sinn mehr, von einer bloßen Rassenentwickelung zu sprechen. Von einer solchen Rassenentwickelung im wahren Sinne des Wortes können wir nur während der atlantischen Entwickelung sprechen. Da waren wirklich in den sieben entsprechenden Perioden die Menschen nach äußeren Physiognomien so sehr voneinander verschieden, daß man von anderen Gestalten sprechen konnte. Aber während es richtig ist, daß sich daraus die Rassen herausgebildet haben, ist es schon für die rückliegende lemurische Zeit nicht mehr richtig, von Rassen zu sprechen, und in unserer Zeit wird der Rassenbegriff in einer gewissen Weise verschwinden, da wird aller von früher her gebliebene Unterschied nach und nach verwischt. So daß alles, was in bezug auf Menschenrassen heute existiert, Überbleibsel aus der Differenzierung sind, die sich in der atlantischen Zeit herausgebildet hat. Wir können noch von Rassen sprechen, aber nur in einem solchen Sinne, daß der eigentliche Rassenbegriff seine Bedeutung verliert.“ (GA 105, Dornach 1983, S. 183f.)
Hier ist die Aussage noch eindeutiger. Steiner spricht davon, dass die „Rassen“ als Medium der Evolution überholt seien, aller Unterschied werde „allmählich verwischt“ – aber es bleibt die falsche Annahme, es habe überhaupt jemals „Rassen“ gegeben (vgl. Wichtige Hinweise – falsche Prämissen)! Und mit der Behauptung, dass der Rassenbegriff seine Bedeutung „verliert“, impliziert Steiner auch, dass seine – rassistischen – Charakterisierungen von „Roten“, „Schwarzen“ und „Weißen“ auch in der Gegenwart eine (wenn auch schwindende) Geltung besäßen: „In Steiners These der zukünftigen Auslöschung der ‚Rassen‘ liegt zugleich die These ihrer Existenz und Bedeutsamkeit bis dahin begründet.“ (Jana Husmann: Schwarz-Weiß-Symbolik, S. 276). Hier hätte nur ein klärendes Wort im Sinne einer unzweideutigen Distanzierung seitens der Steiner-Herausgeber geholfen: Steiners Rassismen sind im Prinzip lächerlich simpel: von „triebgesteuerten“ Schwarzen, dekadenten Indianern und kulturschöpferischen „Weißen“ fabulierten zu seiner Zeit nicht Wenige. Es wäre auch leicht zu erklären, warum Steiner, der diese Ressentiments teilte, sich genötigt sah, „esoterische“ Erklärungen für deren Entstehung zu finden. Und schließlich könnte, daran anknüpfend, ausgeführt werden, dass und warum Steiner fand, dass „der Rassenbegriff seine Bedeutung verliert“ und daher andere Ziele anpeilte. Aber diese klärende Darstellung unterbleibt, wie ausgeführt.
Positiv ist den Kommentator_innen vom Steiner-Verlag an dieser Stelle immerhin zugute zu halten, dass sie nicht versuchen, Steiners rassentheoretische Aussagen selbst als philanthrop und antirassistisch zurechtzudeuten (wie die Autoren der Schriften „Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit“ das taten). Aber stattdessen bleiben die genauen Theoreme Steiners schlicht unkommentiert.
Max Heindel, Rudolf Steiner und warum eine Indizierung trotz allem falsch gewesen wäre
Es ist, auch in der Esoterikszene, keineswegs schimpflich, solche offenbar zeitbedingten, aber nichtsdestominder diskrimierenden Äußerungen eben auch als zeitbedingt zu erklären und aktuell zurückzuweisen. Zwar sind hier selten Leistungen erbracht worden, die die Anforderungen einer kritischen Edition erfüllen, aber es ist doch bemerkenswert, dass sich bei Anthroposoph_innen so lange nichts in diese Richtung bewegt hat.
Da wäre beispielsweise Steiners zeitweiliger Schüler und späterer Konkurrent Max Heindel (d.i. Carl Louis-Grasshoff; 1865-1919). Er übernahm um 1908 Steiners Ideengebäude ebenso, wie Steiners seines aus den theosophischen Handbüchern. Entsprechend finden sich in Heindels Oeuvre Rassentheorien, die auf dem Stand der Rassenlehre Steiners aus dem Jahre 1908 sind. Diese Rassentheorien wurden nirgens öffentlich diskutiert, es gab an keiner Stelle Rügen von Behörden und keinerlei wissenschaftliche Literatur, die Heindel Rassismus vorwarf. Auch Anthroposophiekritiker_innen haben Heindel übergangen oder allenfalls am Rande erwähnt. Nichtsdestominder gab es innerhalb der von Heindel gegründeten „Rosicrucian Fellowship“ offenbar genügend Diskurse, dass die Herausgeber seines Werks von selbst einen Kommentar beifügten, der dem der Steiner-Nachlassverwalter ähnelt – mit einem Unterschied: Die Heindel-„Rosenkreuzer“ waren sogar bereit, zeitbedingte „Formulierungsschwächen“ zuzugestehen, und das tun im anthroposophischen Lager allenfalls „liberale“ Geister. Da heißt es:
„Die Rosenkreuzer-Philosophie wurde 1909 veröffentlicht. Die von Max Heindel angeführte Beispiele [sic!] wurden aus dieser Ära entnommen. Die im Text benutzten Worte und dort angeführten Definitionen stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Aus diesem Grund riefen Aussagen aus diesem Kapitel XIII Unbehagen hervor (und stießen sogar auf Ablehnung). Als ein Resultat der Entstehungszeit sollten uns diese Formulierungsschwächen aus heutiger Sicht jedoch nicht von der eigentlichen Botschaft ablenken…“ (Addendum C, Fußnote zu Kapitel XIII, in: Max Heindel: Die Weltanschauung der Rosenkreuzer oder Mystisches Christentum (1909), Sils-Maria 2003, S. 704ff.)
…die freilich humanistisch sei und sich ähnlich liest wie diejenige Steiners. In den deutschen Neuausgaben der Werke Helena Blavatskys, der bedeutendsten Gestalt der modernen Esoterik überhaupt, finden sich ebenfalls solche Anmerkungen, sogar in sehr ausführlicher Form (vgl. Hank Troemel: „Zur Sprache der Theosophie: Missverständnis und Missbrauch“, in: Helena Petrowna Blavatsky: „Die Geheimlehre“, Neuübersetzung, Adyar Theosophische Verlags-GmbH, Satteldorf 1999 – auch dieser Aufsatz trägt aber unübersehbar apologetische Züge).
Ein solch erlösendes Wort fehlt von seiten der GA-Herausgeber, es fehlt von seiten der Verantwortlichen in den Anthroposophischen Landesgesellschaften ebenso wie von Seiten des „Bundes der Freien Waldorfschulen“. Einzig von seiten der Anthroposophischen Gesellschaft in den Niederlanden, der „Flensburger Hefte“ und der Zeitschrift „Info3“ liegt wenigstens irgendeine Distanzierung vor. Stattdessen finden sich in dem besprochenen Kommentar bekannte Formen anthroposophischen Personenkults: Es fällt auf, dass im Kommentar kein einziges Mal die Rede von „Steiner“ ist, es wird durchgängig der volle Name „Rudolf Steiner“ genannt. Dazu hat sich auch Taja Gut, selbst Mitarbeiter des Rudolf-Steiner-Verlags, in seiner epochalen Streitschrift geäußert, und eine religiös inbrünstige Steiner-Ehrfurcht vermutet:
„Eine bestimmte, zeitbedingte Art von Ehrfurcht. Ich meine das keineswegs sarkastisch … Die sich beispielsweise in solchen Absurditäten äußert, dass selbst weltoffene Anthroposophen es nicht übers Herz bringen, einfach Steiner zu sagen oder zu schreiben. Stets: Rudolf Steiner, Rudolf Steiner – und wenn der Name zehnmal hintereinander genannt wird.“ (Taja Gut: Wie hast du’s mit der Anthroposophie?, Dornach 2010, S. 52)
Ein zusammenfassendes Urteil der Kommentierung kann leider nicht anders lauten als: unzureichend. Vereinbart mit der BPjM war ein Kommentar, der sicherstellt, „dass die Rassen diskriminierenden Äußerungen auch von Jugendlichen eingeordnet und kritisch betrachtet werden können.“ (BPjM, a.a.O.). Ich persönlich halte es, nebenbei gesagt, entweder für beleidigend oder albern, zu glauben, Jugendliche seien für eine so hochgradig verstiegene und auf über hundert Jahre alten okkultistischen Prämissen gebaute Rassenlehre besonders empfänglich. Ich würde auch im Gegenteil fordern, solche Stellen keineswegs von Waldorfschulen fernzuhalten, ganz im Gegenteil: Waldorfschulen sollten sich mit diesen Rassentheorien auseinandersetzen und dies durchaus auch im Geschichtsunterricht o.ä. diskutieren. Anders lässt sich ein kritischer Umgang in meinen Augen nicht herstellen. An meine (damaligen) 11.-Klässler-Ohren gelangte das Indizierungsverfahren 2007 übrigens, als ein Lehrer (der offenbar kein Anthroposoph war) am Ende seiner Stunde Kopien des (im Grunde schlechten) Spiegelartikels „Die Lehre von Atlantis“ austeilte. Auf meine Bitte hin besprachen wir diesen Artikel und die beiden von der BPjM unter die Lupe genommenen Bücher daraufhin immerhin eine Stunde lang im Ethik-Unterricht. Das war für mich eine der ersten kritischen Auseinandersetzungen mit Steiners Rassenlehre, die ausführlicher 2008 stattfanden. Von diesem Standpunkt aus hielte ich ein eventuelles Verbot der BPjM für destruktiv, es würde eine solche Auseinandersetzung im Waldorf-Umfeld blockieren bis verhindern. An Waldorflehrer_innen und -eltern in der Leserschaft kann ich nur apellieren, diese Texte wahrzunehmen und zum Thema zu machen!
Nichtsdestominder ist die Kommentierung der neu erschienenen GA 107 inhaltlich (leider!) schlicht falsch und gewährleistet keineswegs, dass Jugendliche oder irgendjemand anderes Steiners Rassentheorien auf ihrer Basis einordnen oder gar „kritisch“ betrachten können oder werden.
Noch steht das Erscheinen des zweiten von der BPjM unter Kommentarzwang gestellten Buchs, Band 121 der Steiner-Gesamtausgabe, aus. Von dessen Kommentierung erhoffe ich mir inzwischen reichlich wenig, jedoch wäre es förderlich, wenn die Verantwortlichen wenigstens nicht dieselben offensichtlichen Fehler machen: Die fünf oben angeführten „Entlastungsargumente“ sind seit Jahren bekannt (und problematisiert worden), Vortragstitel sollten nicht ohne Begründung umbenannt werden, wenn nebenan überdies steht, dass dieser Titel von Steiner stamme.
Entry filed under: Andreas Lichte, Anthroposophie & Rassismus, Jana Husmann, Walter Kugler.
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1.
Gertrud Kiefer-Volkert | 28. Juli 2011 um 10:33 am
Sie warten darauf, dass diese Gruppierung namens Anthroposophen ihre grundlegenden Fehler selber erkennt und korrigiert?
Wer den kultisch gefassten Spiegel des „Mensch erkenne Dich … “ wie in den Mysteriendramen formuliert in die Hand nimmt, um ihn anderen vorzuhalten, hält sich für unfehlbar, glaubt sich im Besitz der Weisheit. Das konsequent abgeleitete Sendungsbewusstsein, nämlich die Welt nun mit diesen Weisheiten zu überziehen, ist nicht so leicht zu erschüttern, die Hoffnung auf jeweilige Einsicht darf man weiterhin und immer wieder haben.
Der sich einstellende Frust wird ein treuer Begleiter sein beim Versuch, der Steinerschen Katechese aufklärerisch zu begegnen, denn längst sind weitere Interessen im Spiel, es geht vielen nur noch darum, das Refugium Waldorfschule zu nutzen, dazu bedarf es nicht zuletzt dessen Erhaltung – mit Kritik und Reflektion als Attitüde?
Schreiben Sie weiter, ich tue es auch!
Anmerkung AM
Aber nein, ich kritisere jedoch diese Fehler.
2.
Andreas Lichte | 6. August 2011 um 5:11 pm
Rudolf Steiner hat keine Fehler gemacht. Wer das behauptet, hat Rudolf Steiner nicht verstanden. So wie ein gewisser „Lichte“, der von ahrimanischen Mächten beeinflusst ist:
––––––––––––––––––––––––––––––––––––
“Waldorfschule: Vorsicht Steiner
(…) Wir sprachen mit Andreas Lichte, einem ausgebildeten Waldorflehrer und heutigem Kritiker der Waldorfbewegung.
Ruhrbarone: Herr Lichte, Sie haben eine Fortbildung zum Waldorflehrer abgeschlossen aber trotz Job-Angebotes darauf verzichtet, in der wunderbaren Waldorfwelt zu arbeiten – warum?
Andreas Lichte: Als ich mich entschloss, Kunst- und Werklehrer in der Waldorfschule zu werden, wusste ich noch nicht, dass die wichtigste Qualifikation eines Waldorflehrers darin besteht, Rudolf Steiner (den Gründer der Waldorfschulen und der Anthroposophie) als absolute Autorität zu verehren, z.B. so etwas:
„Der Mensch steht der Außenwelt gegenüber. Das Geistig-Seelische strebt danach, ihn fortwährend aufzusaugen. Daher blättern wir außen fortwährend ab, schuppen ab. Und wenn der Geist nicht stark genug ist, müssen wir uns Stücke, wie zum Beispiel die Fingernägel, abschneiden, weil der Geist sie, von außen kommend, saugend zerstören will.“
Ruhrbarone: Was soll das sein? Der Heilige Rudolf, Schutzpatron der Maniküren? (…)“
weiter: http://www.ruhrbarone.de/waldorfschule-vorsicht-steiner/
3.
Farabi | 6. August 2011 um 5:18 pm
Lustige Aktion.
Mich würde jetzt noch interessieren, welche anthroposophischen Kommentare es dazu bisher gibt. Oder welche da absehbar noch kommen…oder welche es zu deinem Artikel gibt.
@ Getrud Kiefer-Volkert: Was ist denn gegen Selbsterkenntnis einzuwenden? Und wieso führt sie zu Rassismus?
Anmerkung AM
Der viel frequentierte niederländische anthroposophische Blog von Michel Gastkemper hat diesen Artikel übernommen und so kommentiert:
http://antroposofieindepers.blogspot.com/2011/07/wraak.html
Es wird auch eine Meldung in der September-Ausgabe von Info3 geben. Und wer weiß, was NWA im nächsten Artikel so alles erwähnt (mutmaßlich nicht mich, aber wahrscheinlich doch diese Kommentierung, da er das BPjM-Verfahren doch recht ausführlich zum Thema gemacht hat).
Zur Selbsterkenntnis würde ich sagen: super. Das Problem ist allerdings, wenn Selbsterkenntnis als religiöser Akt gefeiert und eher zu Selbstpräsentation wird. Und das ist bei den „Mysteriendramen“ Rudolf Steiners in der Tat der Fall (wie auch anders – es sind schließlich Theaterstücke).
4.
Shaftesbury | 9. August 2011 um 1:54 pm
@ Farabi
warum findest du: „Lustige Aktion“? Ist das Ironie? Oder ist es Zustimmung: Findest du es richtig, wie sich der Rudolf Steiner Verlag verhält?
Meine Ansicht: Ansgar Martins sagt ganz deutlich, daß Steiner eine „Rassentheorie“ entwickelt hat. Das sehe ich genauso. Und ich denke, jeder der Steiner gelesen hat, wird Ansgar zustimmen. Nur der Rudolf Steiner Verlag nicht.
Ich denke, die Anthroposophie verhält sich „sektiererisch“. Kann man die Anthroposophie also als Sekte bezeichnen?
Anmerkung AM
Ich halte Worte wie „sektiererisch“ für zu unscharf und allgemein. Greifbarer sind Bezeichnungen wie „dogmatisch“, „kollektivistisch“ etc.: „Sekte“ dagegen stammt nicht nur aus einem theologisch-kirchengeschichtlichen Kontext, Sektendefinitionen sind widersprüchlich (und religionswissenschaftlich überholt bzw. soziologisch als unhaltbar kritisert worden). Eine informative Studie dazu hat am Beispiel des französischen Enquête-Berichts Massimo Introvigne vorgelegt: „Schluss mit den Sekten! Die Kontroverse über „Sekten“ und neue religiöse Bewegungen in Europa“, Diagonal-Verlag.
http://www.denkladen.de/product_info.php/info/p290_Introvigne–Schlu–mit-den-Sekten-.html
5.
Farabi | 10. August 2011 um 3:10 pm
@ Shaftesbury: Das ist Ironie, um nicht zu sagen: Sarkasmus.
6.
Andreas Lichte | 7. August 2011 um 3:05 pm
„Waldorfschule: „Man kann nicht nur ein »bisschen« Waldorf sein“
Prof. Dr. Stefan T. Hopmann, Bildungswissenschaftler an der Universität Wien, über Waldorfschule, Rudolf Steiner und die Anthroposophie. Das Interview führte Andreas Lichte für die Ruhrbarone (…)
Lichte: Im Jahr 2007 entschied die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien“ (BPjM), dass Bücher Rudolf Steiners „zum Rassenhass anreizend bzw. als Rassen diskriminierend anzusehen“ sind. Kann und darf sich eine Schule auf einen notorischen Rassisten als Autorität berufen?
Hopmann: Können kann sie schon. Dürfen scheint sie auch zu dürfen. Es ist ja nicht einzigartig: Manche berufen sich auch auf andere Reformpädagogen, die beispielsweise für pädophile Umtriebe gerichtsnotorisch wurden (Wyneken) oder sich aktiv mit Faschisten eingelassen hatten (Montessori). Der Irrglaube scheint zu sein, man könnte in deren Lehren zwischen Gutem und Schlechtem derart unterscheiden, dass man für letzteres nicht mithaftet. Tatsächlich sind der Rassismus, die Entwicklungslehre, die Geschichtsphilosophie und die übrigen Bausteine des Zeitgeists des späten 19. Jahrhunderts, die Steiner zu einer eigenen Weltanschauung amalgamiert hat, so eng verbunden, dass man da nicht nur ein „bisschen“ Waldorf sein kann. Allerdings machen die Waldorfschulen das schon geschickt: Sie fallen nicht mit der Tür ins Haus, sie unterrichten nicht direkt aus Steiners Werken, sondern sie lassen ihre Weltanschauung eher still und heimlich in ihre Arbeit einfließen, in ihre Kinderwahrnehmung, in ihre Auswahl der Unterrichtsinhalte usw. Ähnlich wie auch bei anderen Sekten ist das ein schleichendes Gift, dessen Wirkung man oft erst merkt, wenn es fast zu spät ist (…)
das vollständige Interview beim blog „Ruhrbarone“: http://www.ruhrbarone.de/waldorfschule-„man-kann-nicht-nur-ein-»bisschen«-waldorf-sein“/
Anmerkung AM
Das „Mithaften“ ist fraglos gegeben – aber ich hatte wenige Waldorflehrer, die Steiners Rassenpassagen kannten, bevor ich sie ihm unter die Nase hielt. Und dank erfolgreicher interner PR werden’s noch weniger Montessoris sein, die von den faschistischen Allianzen wissen. Was bei objektivem Überblick auffällt, ist aus der Innenperspektive oft schlecht sichtbar (man denke an gutmeinende Aktivisten in katholischen Sozialverbänden und die Missbrauchsfälle: Zweifellos hängen letztere und ihre Vertuschung auch mit der schwierigen katholischen Haltung zu Sex zusammen, aber das sieht man aus der Froschperspektive).
7.
Andreas Lichte | 10. August 2011 um 4:00 pm
„Das „Mithaften“ ist fraglos gegeben – ABER ich hatte wenige Waldorflehrer, die Steiners Rassenpassagen kannten, bevor ich sie ihm unter die Nase hielt.“
Kannst du mir das ABER erklären? Es ist doch inzwischen unmöglich, nicht mitbekommen zu haben, dass Rudolf Steiner Rassist ist. Es sei denn, man:
– gehört selber zur fundamentalistischen Religionsgemeinschaft Anthroposophie und GLAUBT einfach weiter daran, die Guten zu sein
– man lässt sich nur allzu gerne von Lorenzo Ravagli einflüstern, dass Steiner kein Rassist, sondern Humanist war:
http://www.ruhrbarone.de/waldiwissenschaft-lorenzo-ravagli-an-der-privatuniversitat-wittenherdecke/
„Waldiwissenschaft: Lorenzo Ravagli an der Privatuniversität Witten/Herdecke
(…) Die anthroposophischen Verbände verbreiteten nach Kräften Ravaglis Prosa. Jeder Anthroposoph sollte sich ein Beispiel daran nehmen, wie es Ravagli gelungen war, den schwarz auf weiß für jeden nachzulesenden Rassenwahn nicht nur mit grobschlächtigen Parolen zu bestreiten, sondern zum extraordinären Humanismus umzudeuten, wie es Jana Husmann-Kastein gegenüber dem STERN formulierte.“
Zitat STERN, „Auf Tuchfühlung mit dem rechten Rand”: „Die Berliner Kulturwissenschaftlerin Jana Husmann-Kastein hat Lorenzo in einer Stellungnahme vorgeworfen, rassistische Standpunkte Steiners zu rechtfertigen. Sie war Gutachterin in einem Indizierungsverfahren der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM), das sich mit zwei Büchern von Rudolf Steiner befasste.
Als Basis für ihre Vorwürfe führt sie ein Buch an, das Lorenzo Ravagli in den Jahren 2001 und 2002 zusammen mit einem Ko-Autor herausgegeben hat. »Der Rassismus Steiners wird dabei von Bader und Ravagli nicht nur abgestritten, sondern zum Humanismus umgedeutet«, schreibt Husmann-Kastein. Kritiker Steiners würden von den beiden Buchautoren massiv diffamiert. »Insgesamt wird von Bader und Ravagli alles legitimiert, was Steiner zu ‘Menschenrassen’ gesagt und geschrieben hat. Das liegt nicht an der mangelnden Textkenntnis, denn die einschlägigen Rassismen Steiners werden zitiert.«“ (…)“
Anmerkung AM
Wenn dem so wäre, bzw.: wenn du selbst das glauben würdest, würdest du nicht jedem deiner Kommentare mindestens einen Link beifügen, der die angeblich so bekannten Fakten x mal wiederholt 😀
Dass sich nicht die Hälfte der Waldorflehrer mit Anthroposophie auskennt, weißt du sehr genau^^
8.
Andreas Lichte | 19. August 2011 um 1:49 pm
Zitat Ansgar Martins: „Dass sich nicht die Hälfte der Waldorflehrer mit Anthroposophie auskennt, weißt du sehr genau.“
Richtig ist: Kaum einer der Waldorflehrer, die ich kennenlernte, konnte einen Text Rudolf Steiners mit eigenen Worten SINNVOLL zusammenfassen, zum Beispiel bei der „Fortbildung“ in den Waldorf-Lehrerkonferenzen, wo Steiner gelesen wird.
Das ändert aber gar nichts an meiner Frage: Jeder dieser „unfähigen“ Waldorflehrer hat doch inzwischen gehört, dass Rudolf Steiner Rassist war – das war einfach ZU OFT in den Medien. Von einem verantwortungsvollen Lehrer erwarte ich, dass er sich selber informiert. Wenn er das nicht tut, dann muss das Gründe haben …
… und danach frage ich dich …
Anmkerung AM
In den Medien sind die Berichte zu 95% schlecht bzw. haben so wenig mit dem zu tun, was real bei Waldorf abgeht, dass ich als durchaus belesener und rassismuskritischer Mensch den Rassismusvorwurf für Bullshit gehalten hätte – hätte ich mich nicht selbst an die Lektüre gesetzt. Das ist für mich umso mehr Bestätigung, wie wenig Steiner da eigentlich präsent ist, viele wissen’s einfach nicht (oder verdrängen, natürlich).
Die Verschwörungstheorie, Waldorflehrer seien einfach „zu blöd“, um Steiner zu verstehen, ist leider noch nichtmal eingängig^^
9.
Andreas Lichte | 1. September 2011 um 7:35 am
„Waldorfschule: Dr. Detlef Hardorp verkauft Rudolf Steiners Rassismus als Multikulti
Dr. Detlef Hardorp, bildungspolitischer Sprecher der Waldorfschulen in Berlin-Brandenburg, behauptet, dass sich Rudolf Steiner für eine multikulturelle Gesellschaft engagiert habe. Von unserem Gastautor Andreas Lichte.
Ausgerechnet an Rudolf Steiners berüchtigtem „Arbeitervortrag“ – „Vom Leben des Menschen und der Erde – Über das Wesen des Christentums“, GA 349, Dritter Vortrag, Dornach, 3. März 1923 – versucht Detlef Hardorp zu belegen, dass Rudolf Steiner kein Rassist sei. Steiner sagt dort, Seite 54f.:
„Erfindungen sind in Asien sehr wenig gemacht worden. Verarbeitet kann dann die Geschichte werden; aber Erfindungen selber, durch die sie das, was durch die Erfahrung mit der Außenwelt entspringt, verwenden, das können die Asiaten nicht machen.
Zum Beispiel war es einmal so mit einem Schraubendampfer. Den haben die Japaner den Europäern abgeguckt, und nun wollten sie auch allein fahren. Vorher fuhren immer die Europäer und haben die Geschichte dirigiert. Nun wollten sie einmal allein fahren. Die englischen Ingenieure sind zurückgeblieben an der Küste. Plötzlich gerieten die Japaner draußen, die dann das Schiff geleitet haben, in helle Verzweiflung, denn das Dampfschiff drehte sich fortwährend um sich selber. Sie kriegten es nicht heraus, wie sie zu der Drehung die richtige Fortbewegung hinzubringen konnten. Die Europäer, die das wußten, die grinsten natürlich furchtbar am Ufer. Also dieses selbständige Denken, das der Europäer im Umgang mit der Umgebung entwickelt, das haben die Asiaten nicht. Die Japaner werden daher alle europäischen Erfindungen ausbilden; aber selber etwas ausdenken, das werden die Japaner nicht.
Es ist einmal so beim Menschengeschlecht, daß die Menschen über die Erde hin eigentlich alle aufeinander angewiesen sind. Sie müssen einander helfen. Das ergibt sich schon aus ihrer Naturanlage.“
Der Deutlichkeit halber noch einmal kurz zusammengefasst, Steiner behauptet: Asiaten haben kein selbständiges Denken. Asiaten können keine eigenen Erfindungen machen. Asiaten können nur die Europäer nachahmen. Deshalb müssen die Europäer den Asiaten helfen.
Hardorp macht daraus aber dies, Zitat aus Hardorps Artikel „Die Menschen sind über die Erde hin aufeinander angewiesen“:
„Steiner hat Differenzen in der Naturanlage zwischen Menschengruppierungen nicht geleugnet. Daraus leitet er aber keinen Rassismus ab, sondern im Gegenteil die Notwendigkeit einer symbiotischen Zusammenarbeit innerhalb einer multikulturellen Gesellschaft. Steiner in dem umstrittenen Arbeitervortrag: »Es ist einmal so beim Menschengeschlecht, dass die Menschen über die Erde hin eigentlich alle aufeinander angewiesen sind. Sie müssen einander helfen. Das ergibt sich schon aus der Naturanlage.« Das ist das erwähnenswerte eigentliche Fazit des umstrittenen Vortrages, das ist Steiners Haltung zur multikulturellen Gesellschaft in einer globablisierten Welt.“
Hardorp zitiert Steiner sinnentstellend, indem er den Kontext des Steiner-Zitats verschweigt. So verkehrt Hardorp die rassistischen Ausführungen Rudolf Steiners in ihr Gegenteil. Hardorps Fazit ist das Ergebnis anthroposophischer „Zitierkunst“, wie sie auch der prominente Anthroposoph Lorenzo Ravagli praktiziert. (…)“
weiter: http://www.ruhrbarone.de/waldorfschule-dr-detlef-hardorp-verkauft-rudolf-steiners-rassismus-als-multikulti/
10. “Das Karma der Unwahrhaftigkeit” « waldorfblog | 13. Mai 2012 um 11:50 am
[…] Wäre nicht Kuglers Kurs schon die progressivere Gegenposition zur versteinerten Introspektion früherer Steiner-Archivare gewesen, man müsste sich gegen die “Sorgen” dieser mediengeilen “Medienschaffenden” fast schon auf die Seite einer neuaufgestellten Steiner-Nachlassverwaltung schlagen. Kritiker der Anthroposophie wüssten es ohnehin zu schätzen, wenn Archiv und Verlag sich manchen ihrer Aufgaben etwas passionierter widmen würden. Die Bundeprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) hat 2007 festgestellt, dass zwei Vortragsbände Steiners “in Teilen als zum Rassenhass anreizend bzw. rassendiskriminierend anzusehen” seien. Einer Indizierung beider Bände konnte die Steiner-Nachlassverwaltung durch die Zusage entgehen, innerhalb eines Jahres kommentierte Neuauflagen auf den Weg zu bringen. Das geschah aber erst 2011 und auch erst bei einem der beiden Bücher – und der Kommentar war eine einzige Verharmlosung der monierten rassistischen Theoreme Steiners (vgl. dazu ausführlich Die Rache des Steiner-Verlags). […]
11. Steiners „Volksseelenzyklus“ in kommentierter Neuauflage erschienen | Waldorfblog | 21. März 2017 um 5:25 pm
[…] vermeintlich humanistischen Charakter der Steinerschen Rassenlehre hinzugefügt worden waren. (vgl. Die Rache des Steiner-Verlags) Nicht nur gegenüber diesem Band ist die Neu-Auflage des „Volksseelenzyklus“ […]