Mentzels Traum

23. Januar 2013 at 10:20 pm 8 Kommentare

oder: Schon wieder eine Polemik

„Eine Kritik, die sich an dem stört, was sie für unleserlich und eitel hält,
ist … zutiefst zu misstrauen, weil sie die Tatsache,
dass die Wahrheit einem nicht zufliegt, sondern kritisch begriffen sein will,
im Kokettieren mit der Dummheit leugnet und weil aus dem Affekt
gegen die Eitelkeit das Wissen über die Hässlichkeit der eigenen Gedanken spricht.“
– Tjark Kunstreich

Michael Mentzel („Themen der Zeit“) hat zwei Fehler in meinem Buch gefunden – und einen Trost, dass Steiner nämlich nicht den Nationalsozialismus verursacht habe. Da seine Rezension in den üblichen Bahnen kreist, überdies nicht an unbelegten oder schlicht unrichtigen Unterstellungen spart und ich besagtes Buch ernst meine, erlaube ich mir eine Antwort.

Idealismus vs Nationalsozialismus

George L. Mosse hat darauf hingewiesen, dass man die Geschichte des Rassismus „mit dem Ende und nicht mit dem Anfang beginnen“ muss: „Mit den sechs Millionen Juden, umgebracht von Erben europäischer Kultur … Zwar führten die Nazis das Verbrechen aus – aber überall glaubten Männer und Frauen, dass die Rassen sich unterscheiden, seien sie nun weiß, gelb, schwarz, jüdisch oder arisch.“ (Mosse: Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt/M 1990, 23) Michael Mentzel, Anthroposoph und Urheber der Seite „Themen der Zeit“, ist scheinbar anderer Auffassung. Dabei ist ihm nicht verborgen geblieben, dass es Rassismus im Werk des Anthroposophie-Gründers Rudolf Steiner gibt, schließlich seien „die in Rede stehenden Zitate und Aussagen tatsächlich in Steiners Werk vorhanden.“ Die Auseinandersetzung damit scheint für Mentzel keine notwendige Aufarbeitung der Vergangenheit und auch kein Grund zu sein, anthroposophische Traditionen auf ihre Rolle im Nationalsozialismus hin zu befragen, im Gegenteil: Mentzel will Steiners Rassenlehre und dem darüber immerhin bei ihm aufkeimenden Zweifel anscheinend sogar ein Quäntchen spirituelles Kapital entlocken. Denn: Wer bereit sei, eine „- stellenweise tatsächlich vorhandene und auch nicht wegzuleugnende – Ambivalenz in Steiners Denken auszuhalten, wird belohnt durch die Erfahrung, dass es für die Entwicklung seiner eigenen Gedankenwelt nur mehr förderlich sein kann, wenn er bereit ist, den persönlichen Seelenkampf in die Wagschale zu werfen und die eigene Auseinandersetzung mit dem Zweifel als Möglichkeit zur erweiterten eigenen Erkenntnis zuzulassen.“ (siehe hier und im Folgenden Michael Mentzel: Steiner und der Rassismus)

Für diesen neuesten „Seelenkampf“ zur Erkenntnis-Erweiterung hat Mentzel sich netterweise mein Buch ausgesucht. Am Ende bleibt der Eindruck, dass dabei der „Seelenkampf“ und keineswegs die Erkenntnis im Zentrum steht. Kritische Bücher sind anstrengend, schon weil Mentzel „angesichts der vielen fußnoten die zeit fehlt, sich auch noch mit dem text zu beschäftigen. gleichwohl lese ich manches durchaus mit gewinn.“ Immerhin. Fußnoten sind vielmehr das Geschäft fieser Zeitgenossen wie der „Experten“: „Da steht es doch. Schwarz auf weiß“, rufen die „Experten“ und lehnen sich selbstzufrieden zurück, wohl wissend, dass es ihnen wieder einmal gelungen ist, beim geneigten Publikum eine gewisse Aufmerksamkeit zu erreichen und die Saat des Zweifels ein wenig mehr aufgehen zu lassen.“ (ebd.)

Entsprechend kommen Zweifel nur in Mentzels Fazit vor, im Rest des Artikels versucht er, einige meiner Darstellungen als „absurd“ und als falsche Vorwürfe an Rudolf Steiner zu lesen. Meine Bemühungen, Steiners Gratwanderung zwischen Chauvinismus und Humanismus (und Rassismus, und Antinationalismus usw. usf.) herauszuarbeiten, hinterlassen bei Mentzel wenigstens den folgenden positiven Eindruck:

„Eines scheint mir das Anliegen des Autors Ansgar Martins jedoch nicht zu sein: Der Versuch, nachzuweisen, dass der von ihm bei Steiner diagnostizierte Rassismus und Antisemitismus die von manchen Kritikern behauptete Klammer und die Kontinuität sind, die den Nationalsozialismus ermöglicht haben. Kritikern, die Steiner und seine – und zu einem Gutteil auch unsere – Anthroposophie als die Wegbereiter des Nationalsozialismus stilisieren wollen, dürfte es damit schwerfallen, das Buch als Beleg ihrer oft kruden Thesen heranzuziehen. Denn hin und wieder bemerkt Martins schon, dass Steiner auch darauf hingewiesen hat, dass sein Anliegen in einem idealistisch zu verstehenden Sinn zu werten ist und eben nicht ein national gefärbter Hurrapatriotismus deutscher Provinienz ist.“ (ebd.)

Offenbar schließen sich Hurrapatriotismus und Idealismus in Mentzels Augen aus. Das ist leider nicht überraschend und wahrscheinlich das tiefgreifendste und weit verbreitetste anthroposophische Missverständnis in der gesamten ‚Rassismus-Debatte‘, geradezu der Traum, dass Steiner sich vereindeutigend aus der Affäre ziehen lasse. In der Tat hat Steiner ‚rassische‘ Faktoren durch seine Ich-Philosophie, die Vorstellung von der zukünftigen Vergeistigung der Erde oder die Reinkarnationsidee stark relativiert, aber dadurch wurden auch seine eigenen rassistischen Stereotype nicht weniger und unter manchen Anhängern wurden gerade diese ’spirituellen‘ Teile der Rassenlehre umgekehrt interpretiert: Als Rechtfertigung des Rassismus. Ein prominentes Beispiel ist Richard Karutz, der 1934 in einem ebenfalls „idealistisch zu verstehenden Sinn“ und vom spirituellen Standpunkt der Anthroposophie aus den Nationalsozialismus begrüßte. Nur spirituell könne die „Rassenhygiene“ wahrhaft begründet werden, so Karutz:

„Eine Abkehr vom materialistischen Denken würde sofort die Empfindlichkeit der Rassenlehre beseitigen, denn die Wandlung vollzieht sich in jenem nicht-physischen Bild des Rassen-Urbildes, das dieselbe Rassenlehre als Quelle der überindividuellen Lebenseinheit, oder wie sie die Rasse sonst bestimmt anerkennt. Für die praktischen Forderungen eugenischer Lebenshaltung ändert sich damit nichts.“ (Richard Karutz: Rassenfragen, Stuttgart 1934, 35)

„Aus beiden, aus Rasse und Volk schält sich die Einzelpersönlichkeit heraus und beginnt von sich aus an den überkommenen seelischen und leiblichen Eigenschaften zu arbeiten. Ein Neues wird, zu dem Rasse und Volk die Stufen sind. Darum stellt Adolf Hitler immer wieder die frei schaffende Persönlichkeit als notwendig für die Gemeinschaft hin … Das Volkstum muss als eine notwendige Grundlage seelischer Entwicklung gewahrt, eugenisch gepflegt und wenn nicht anders möglich, kämpferisch verteidigt werden.“ (ebd., 62)

Dass die Anthroposophie nicht die Wegbereiterin des Nationalsozialismus war und sich in dieser Richtung auch nicht ernsthaft argumentieren lässt, darin ist Mentzel ausdrücklich zuzustimmen. Tatsächlich hat bisher auch noch kein ernstzunehmender Steinerkritiker die Anthroposophie zum Wegbereiter des Faschismus stilisiert. Das haben diesbezüglich interessierte Anthroposophen ganz allein geschafft. Ettore Martinoli, der sich nicht nur aktiv für die antisemitischen Rassegesetze im italienischen Faschismus, sondern vor allem für deren Synthese mit der Anthroposophie einsetze, riss Steiner aus seiner faktischen geistesgeschichtlichen Irrelevanz und stellte ihn in eine Reihe mit Mussolini und Hitler:

„Rudolf Steiner war ein wahrhaft idealer Vorläufer des neuen Europa von Mussolini und Hitler. Ziel dieser Schrift war es, den Geist und die Figur dieses grossen, modernen, deutschen Mystikers für die Bewegung zu beanspruchen – eine Bewegung, die nicht nur politisch, sondern auch spirituell ist – eingeführt in die Welt von den zwei parallelen Revolutionen, der Faschistischen und der Nationalsozialistischen Revolution, denen Rudolf Steiner als echter Vorläufer und spiritueller Pionier in idealer Weise angehört.“ (Martinoli: Un preannunziatore della nuova Europa: Rudolf Steiner, in: La Vita Italiana, Juni 1943, S. 566, übersetzt bei Andreas Lichte)

Es waren gerade die idealistischen Aspekte der Anthroposophie, mit denen solche Autoren ihren faschistischen Enthusiasmus rechtfertigten. Erhard Bartsch, Pionier der biodynamischen Landwirtschaft, belehrte den jüdischen Anthroposophen und Nazigegner Hans Büchenbacher: „Wissen Sie, Herr Dr. Büchenbacher, wenn man wirklich michaelischen Geist hat, dann tritt man an die Seite von Adolf Hitler.“ (zit. n. Büchenbacher: Erinnerungen 1933-1945, Archiv Info3, 8) Andere sahen in der Anthroposophie die ideale spirituelle Ergänzung zum ‚materialistischen‘ Nationalsozialismus: „Rudolf Steiner kommt von oben. Hitler kommt von unten, und so geben sie einander die Hand.“ (zit. n. Dieter Brüll: Ein Bewusstsein war nicht vorhanden, in: Info3, 4/1999, 20) Büchenbacher, der als Vorsitzender der deutschen Anthroposophen 1935 „freiwillig“ zurücktreten musste, schätzte rückblickend, „dass ungefähr 2/3 der Mitglieder mehr oder weniger positiv zum Nationalsozialismus sich orientierten.“ (Büchenbacher: Erinnerungen, a.a.O., 17) Im faschistischen Italien war das Spektrum breiter:

„A number of Italian anthroposophists were antifascists, and several leading members of the small anthroposophical community in Italy werde Jews who fell victim to the Fascist racial campaign. Other anthroposophists participated wholeheartly in the racist agitation, advocating an esoteric variant of anti-Semitism … While not representative of the anthroposophist movement as a whole, the actions of Martinoli, del Massa and Scaligero are a stark indication of ‚the distorting and harmfull effects of viewing political events through an occult prism.'“ (Peter Staudenmaier: Anthroposophy in Fascist Italy, in: Arthur Verluis u.a.: Esotericism, Religion, and Politics, Minneapolis 2012, 95f.)

Mentzels Artikel zieht die Anthroposophie letztlich in ein historisches Vakuum, „Zweifel“ dient nurmehr zur spirituellen Erbauung, geschichtliche Zusammenhänge werden nur als unheilvoller Schmutz erwähnt, der verwandt werde, um Steiner schlimme Dinge anzuhängen. „Wird – Zander lässt grüßen – schon etwas hängen bleiben?“ fragt sich Mentzel. Idealismus war mitnichten ein Gegensatz zum Nationalsozialismus und die spiritualistische Grundhaltung von Anthroposophen konnte sowohl pro- wie antifaschistisch ausgelegt werden. Aber eine solche Feststellung verträgt sich anscheinend schwer mit Erkenntnisgewinnung durch „Seelenkampf“. Letzterer scheint dunkle Kapitel der Geschichte nicht intellektuell, sondern nur moralisierend auffassen zu können. Helmut Zanders Geschichte der „Anthroposophie in Deutschland“, das in der Esoterikforschung als „the indispensable and almost inexhaustible foundation for all future scholarship about Anthroposophy“ gilt (Wouter Hanegraaff: Western Esotericism. A Guide for the Perplexed, London/New York 2013, 179) wird in Mentzels Darstellung zum „brachiale[n] Monumentalwerk“, mit dem Titel „Anthropsophie heute“ verballhornt, „das inzwischen als Zitat- und Stichworthalde, aus der man sich nach Belieben bedienen kann, nicht mehr wegzudenken“ sei.

„Ungereimtheiten“

Aber der Reihe nach. Mentzel meint, meine „Schlampigkeit, gepaart mit Überheblichkeit“ aufzeigen zu können und nennt einige Beispiele, von denen es noch mehr gebe. Das gehört zu den besseren Bestandteilen seiner Rezension und vielleicht ist es hilfreich, wenn ich diese „Ungereimtheiten“ hier aufliste und, soweit möglich, kommentiere.

1. Ich versuche angeblich, Steiner einen „Blutsnationalismus“ anzudichten.

Mentzel bezieht das auf folgende Bemerkung Steiners, die er aus irgendwelchen Gründen allerdings selbst nicht zitiert: „diejenigen, welche die äußeren Träger zum Beispiel jenes Blutes waren, aus dem ich stamme, sie stammten aus deutschen Gegenden Österreichs; da konnte ich nicht geboren werden. Ich selber bin in einer slawischen Gegend, in einer Gegend, die vollständig fremd war dem ganzen Milieu und der ganzen Eigentümlichkeit, aus der meine Vorfahren stammen, geboren.“ (GA 185,202) Mentzel kommentiert: „Hier einen Blutsnationalismus zu konstruieren, erscheint gewagt und dürfte tatsächlich einer umfassenden und genaueren Betrachtung nicht standhalten.“ In der Tat, denn Steiner begründete mit diesen Worten, dass die (mitteleuropäische) Theosophie jedes „Spezialinteresse“ überschreite und er selbst ein hervorragender Repräsentant dieses Umstands sei. Steiners Äußerung ist durchaus internationalistisch, aber das war – wie oben gesagt – für Steiner kein Gegensatz zu Blutsabstammung und dem Glauben an Volkscharaktere: Ihm schien beides kompatibel bzw. er erklärte das eine durch das andere. Hier hat Mentzel meine Darstellung anscheinend schlicht falsch verstanden. Das ist bedauerlich, denn Steiners Kombination von „Geist“ und „Blut“ war eben auch einer der Gründe, der Schulterschlüsse von Anthroposophie und völkischem Gedankengut den Weg ebnen konnte.

„…in diesem Nationalismus erwachte der früheren Zeit gegenüber, die der neuen Jugend kalt und hoffnungslos erschien wie der Romantik die Zeit der Aufklärung, das Gefühl eines neuen, drängenden, schwellenden, verbundenen Lebensgefühls, die Sehnsucht nach einem starken neuen Glauben. Zugleich wurde bewusst eine ethische und religiöse Verankerung des Nationalismus gesucht. Man knüpfte an Fichte an, der dem Nationalismus die Aufgabe zugeteilt hatte, die früher die Religion zu lösen hatte … Der Nationalismus wurde eine Frage der persönlichen Sittlichkeit, er wurde zur Vorbereitung einer messianischen Zeit.“ (Hans Kohn: Martin Buber, Köln 1961, 95)

2. „Martins“, so Mentzel, „konstatiert, dass ‚Grundlegend für Steiners Vorstellung von Nation‘ dessen ‚intellektuelle Sozialisation im Vielvölkerstaat Habsburg‘ gewesen sei. Da mag man fragen: wo anders als dort, wo ein Mensch lebt, findet seine – auch intellektuelle – Sozialisation statt?“

Na also: geht doch. Mentzel scheint diesen Umstand aber in der Folge wieder zu vergessen (siehe 4.)

3. Meine Darstellung, dass Steiners Vater „die Ungarn nicht mochte“, sei zu „dramatisch“.

Mentzel unterstellt, dass diese so „dramatische“ Feststellung meine sei, tatsächlich stammt sie von Steiner (vgl. GA 28, 50). Zum anderen gibt Mentzel ausführlich Steiners Begründung dieser Feststellung wieder, ohne sie selbst zu zitieren. Auch darin liegt kein wirkliches Gegenargument zu meiner Darstellung.

4. Steiner sei vom Nationalismus seines Vaters nicht angesteckt worden, Mentzel: „An den politischen Diskussionen in seinem Elternhaus war Steiner allerdings nur insoweit interessiert, als er es für wichtiger gehalten hatte, statt der politischen Inhalte der Diskussionen zwischen dem Vater und seinem Kollegen, der ihn als Bahnhofsvorsteher ablöste, ‚die Frage zu beantworten: inwiefern lässt sich beweisen, daß im menschlichen Denken realer Geist das Wirksame ist.'“

Letzteres Zitat stammt aus Steiners Autobiographie, die natürlich über jeden Zweifel erhaben ist. Denn “was Rudolf Steiner sagt, ist so“, wie es Mentzels Glaubensgenossin Mieke Mosmuller formuliert. Nimmt man Abstand von Steiners retrospektiver Selbstdarstellung, dann gibt es durchaus Belege dafür, dass Steiner früh und aus leicht erklärbaren Gründen (siehe 2.) nationalistische Standpunkte seines Vaters übernahm. So berichtete sein Mitschüler Albert Pliwa: „Als nun Rudolf Steiner einmal in Sauerbrunn ausstieg, wollte er seine Fahrkarte trotzig dem Portier nicht abgeben, weil auf dem Gebäude nicht der deutsche Name Sauerbrunn stünde, das ‚hunnische’ Savanyúkút verstände er nicht. Darauf holte der hinzukommende Stationschef als entrüsteter Magyar zu einer gewaltigen Ohrfeige aus, worauf Rudolf Steiner ihn mit ‚Hunne’ taktierte und sah, dass er aus dem Faustbereich des Schlagfertigen kam.“ (zit. n. Vögele: Der andere Rudolf Steiner, Dornach 2005, 23) Vögele kommentiert, die Stelle zeige, „wie sehr der Schüler Rudolf Steiner damals in den Gegensatz der Nationalitäten hineingestellt war und unter dem Einfluss der Stimmung seines Vaters gegen die magyarisierenden Ungarn, die seine Stellung bedrohten, den Anti-Ungarn herauskehrte…“ (ebd.)

5. „Steiner, so Martins,“ – so Mentzel – „hätte seine politische Haltung während seiner Studentenzeit als deutsch-national charakterisiert. Ärgerlich auch hier wieder ein Fehler, denn er nennt als Herkunft der Aussage GA31/361; es handelt sich aber um GA32.“

Das ist zutreffend und ein ärgerlicher Fehler meinerseits, ändert aber ebensowenig wie Mentzels folgendes Zitat aus dem nun richtig situierten Aufsatz auch nur das Mindeste an Steiners deutschnationaler Orientierung (und Steiners Bekenntnis dazu). Allerdings sieht Mentzel das anders:

6. „Ebenso eindeutig können die Worte Steiners aber auch stehen für eine nüchterne Betrachtung und eine selbstkritische Betrachtung seiner damaligen politischen Haltung.“

Nun findet sich in Steiners Worten aber nunmal keine Selbstkritik und Mentzel nennt auch keine Anhaltspunkte, wo und wie man eine solche auftreiben könne. Aus seiner unbelegten Behauptung leitet er allerdings auch schon den nächsten Vorwurf an mich ab:

7. „Für Martins aber reicht es, unter anderem aus diesen Aussagen abzuleiten, Steiner hätte seinen ‚Nationalismus allerdings zusehends‘ politisiert.“

Das ist im Grunde richtig, aber wesentlich eindringlichere Belege für diese Politisierung finden sich in denjenigen Aufsätzen, die Steiner in den fraglichen deutschnationalen Wiener Jahren geschrieben hat. Mentzel lässt diese unzitiert und beschränkt sich auf Steiners retrospektive Deutungen.

8. „Wer“, so bzw. so wie Mentzel, „die heutigen Debatten um Griechenland, Italien oder Spanien in Bezug auf die Euro-Frage oder die Frage von Zuwanderung etc., die damit verbundenen ‚politischen Kämpfe‘ [Steiner] und damit den Anteil, den politisch interessierte Zeitgenossen daran nehmen, aufmerksam verfolgt, kann die aufgeregten Kommentierungen von Steiners damaligen nationalen Aussagen eigentlich nur noch mit einem müden Lächeln quittieren.“

Ein Vergleich von EU und der Habsburger „Nationalitätenfrage“ wäre sicher aufschlussreich. Ich halte Mentzels Fokus dazu allerdings für ungeeignet: Es geht um die Auswirkungen des Nationalismus und nicht darum, welcher „müder“ sei als der andere.

9. Grund meiner angeblichen Ungereimtheiten sei wohl der Wunsch, „…eine Generalabrechnung mit denen zu führen, die Steiner nach Martins Meinung als Säulenheiligen verehren wollen und dies auch noch offensiv nach außen vertreten.“

An dieser Stelle ist es vielleicht angebracht, a) zu erwähnen, dass Mentzel meine Mailadresse hat, heißt: mich nach meinen Intentionen auch selbst fragen könnte, b) mich einmal selbst zu zitieren, da ich die ominöse Intention meiner Darstellung im Buch selbstverständlich ausführe – und zwar wie folgt: „Mir scheint es … wichtig, die ambivalenten Züge seines [Steiners] Denkens kenntlich zu machen, und zu verstehen, wie Steiner zu rassistischen Äußerungen kam, ohne darüber den kritischen Blick zu verlieren.“ (S. 141) Dass sich dabei Differenzen zu anthroposophischen Hardlinern auftun, lässt sich nicht vermeiden, ist allerdings Folge und nicht Ursache meiner Darstellungen.

10. „Einer von Martins ärgsten Feinden“, berichtet Mentzel, „scheint der Publizist Lorenzo Ravagli zu sein, dem er in den vergangenen Jahren mehr als einmal ellenlange Pamphlete widmete, denen ein reichlich lockerer Umgang mit den Aussagen Steiners zu eigen war.“

Lorenzo Ravagli gehört bei aller Kritik sicher zu den klügsten und vornehmsten anthroposophischen Steiner-Deutern. Gerade weil Ravagli jedoch langjähriger Herausgeber eines „Jahrbuchs für anthroposophische Kritik“ und Co-Autor einer der besten anthroposophischen Studien über „Kontinuität und Wandel“ in Steiners Denken (Stuttgart 2003) ist, halte ich es für unmöglich, seine Verkürzungen, Verfälschungen und Affirmationen der Steinerschen Rassenlehre ernstzunehmen. Um nicht allzuweit vom Thema abzukommen, hier nur eines der offensichtlichsten Beispiele. Zu einem Steiner-Vortrag über Rassen und Hautfarben von 1923 bemerkt Ravagli: „Zwar bewegen sich die Ausführungen Steiners in diesem Vortrag insgesamt im Rahmen von Typenvorstellungen, diese beziehen sich aber, nach einer Bemerkung Steiners, ausdrücklich nur auf den Leib des Menschen, von dem das Geistig-Seelische mehr oder weniger unabhängig ist. ‚Sehen Sie meine Herren, alles dasjenige, was ich ihnen jetzt geschildert habe, das sind ja Dinge, die im Leibe des Menschen vor sich gehen. Die Seele und der Geist sind mehr oder weniger unabhängig davon.'“ (Ravagli: Zanders Erzählungen, 288) Das ist korrekt zitiert, aber aus dem Kontext gerissen. Steiner sagte (die von Ravagli ausgelassenen Sätze im Folgenden kursiv): „Sehen Sie, meine Herren, alles dasjenige, was ich Ihnen jetzt geschildert habe, das sind ja die Dinge, die im Leibe des Menschen vor sich gehen. Die Seele und der Geist sind mehr oder weniger unabhängig davon. Daher kann der Europäer, weil ihn Seele und Geist am meisten in Anspruch nimmt, Seele und Geist am meisten verarbeiten. Der kann es am ehesten vertragen, in verschiedene Erdteile zu gehen.“ (GA 349, 62) Das sei anderen „Rassen“ versagt: Afrikaner in Amerika würden zu Indianern: „…sie gedeihen nicht, sie gehen zugrunde“ (ebd., 63) Von Asiaten, die in den Süden zögen, berichtete Steiner, dass sie körperlich zerbröckelten und an der Sonne stürben (ebd., 61)

11. „Eine weitere – nur als kurios zu bezeichnende – Schlussfolgerung“ findet Mentzel in meiner Darstellung von Steiners frühen theosophischen Jahren. Steiner deutete 1903 eine Reihe deutscher Mystiker, Dichter und Philosophen ebenfalls als Theosophen. Unter anderem den Idealisten Schelling (vgl. GA 34, 534). Im selben Zeitraum redete Steiner jedoch auch über „Schelling, der selbst kein Theosoph war“ (GA 52, 39). Offenbar widerspricht sich Steiner hier selbst. Meine Interpretationshypothese ist, dass Steiner auf verschiedenen Wegen versuchte, den deutschen Idealismus und damit weite Teile seiner frühen Schriften einer theosophischen Relektüre zu unterziehen. Für Mentzel ist das ein „Vorwurf“ an Steiner. „Auch hier“ sei es „ratsam, sich die in Rede stehenden Stellen genauer anzusehen.“ „Für Martins aber sind solche Aussagen einmal mehr ein Anlass, Steiner zu unterstellen: ’seine intellektuelle Biographie in ein Leben für diese ‚deutsche Theosophie‘ umzudeuten‘. Wird – Zander lässt grüßen – schon etwas hängen bleiben?“

Leider erläutert Mentzel mit keinem Wort, was an meiner Deutung vorwurfsvoll oder kurios sei. Wieder hat er kein Gegenargument. Wieder zitiert er Steiners (von mir angegebene) Aussagen ausführlicher als ich selbst und wieder bleibt Steiners Widerspruch dennoch bestehen. Wieder imaginiert Mentzel meine Darstellung anscheinand als böswollende ‚Unterstellung‘, von der – „Zander lässt grüßen“ – irgendetwas Schlechtes an Steiner hängenbleiben solle. Nicht Steiners Widersprüche scheinen für ihn ein Problem zu sein, sondern der Umstand, dass man diese interpretiert.

12. „Dass Martins“, so Mentzel, „es nicht so ganz genau mit den Worten nimmt, die er dem Gegenstand seiner ‚Studie‘ in den Mund legt, ist auch dort zu bemerken, wo es um den Dichter Ludwig Jacobowski geht, dessen Tod er im gleichen Absatz seines Textes ins Jahr 1901 und wenige Sätze später auf den 2. Dezember 1900 datiert, was man hier aber auch dem Lektorat anlasten könnte.“

Zwar hat Mentzel bisher nicht nachgewiesen, wo (oder auch nur: dass) ich Steiner etwas fälschlich „in den Mund“ legte und mit was davon ich es nicht so genau nähme. Aber hier glückt ihm eine zweite Trouvaille: Offenbar habe ich mich bei Jacobowskis Todestag vertippt, das ist ein wirklich bedauerlicher Schnitzer, der nicht erst auf das Lektorat zurückfällt.

13. Weiter zu Jacobowski: „Reichlich absurd allerdings wirkt Martins Vermutung, Steiners Artikel, in denen er eine klare Stellungnahme gegen den Antisemitismus erkennen lässt, könnten ein ‚posthumes Geschenk‘ [Zander] an den verstorbenen Freund Jacobowski sein.“

Erneut erläutert Mentzel nicht, was an der Vermutung absurd sei. Aus meiner Sicht ist sie die bisher plausibelste Deutung. Noch 1897 hatte Steiner die Antisemiten als „ungefährliche Leute“ verharmlost: „Viel schlimmer als die Antisemiten sind die herzlosen Führer der europamüden Juden, die Herren Herzl und Nordau.“ (GA 31, 199f.) Ein Jahr später lernte er Jacobowski kennen, der für den „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ arbeitete. Jacobowski gehörte zu Steiners engeren Freunden – nach seinem Tod schrieb Steiner Artikel für den Verein.

14. Weiter möchte Mentzel „fragen, warum Martins der kurzen Begegnung Steiners mit dem Antisemiten Treitschke einen solch breiten Raum gibt (3 Seiten), die Freundschaft Steiners mit dem Juden Jacobowski aber in ein paar dürren Sätzen abhandelt…“

Die Begegnung Steiners mit „dem Antisemiten Treitschke“ nimmt im Buch keine drei Seiten ein, sondern genau sieben Zeilen. Die Begegnung mit Jacobowski umfasst zwölf Zeilen und eine der von Mentzel so gefürchteten Fußnoten. Möglicherweise hätte Mentzel seinen eigenen Rat, „sich die in Rede stehenden Stellen genauer anzusehen“, selbst besser befolgen können.

15. Ferner bildeten meine Darstellung der Freundschaft Steiner-Jacobowski „noch nicht einmal die Realität“ ab. Schließlich habe Steiner Jacobowski „einen ganzen Artikel gewidmet und darin gesagt, dass der Freund seine literarischen Tätigkeiten nicht zuletzt deshalb reduziert hatte, weil er seine Aufmerksamkeit stärker auf die politische Ebene – ‚in Verbindung mit der Kulturentwicklung‘ gerichtet hatte.“

Dass der Kolumnist, Journalist und Essayschreiber Steiner seinem Freund Jacobowski sage und schreibe „einen ganzen Artikel“ widmete, diese weltbewegende Fügung habe ich in der Tat nirgends so festgehalten, sondern von so etwas Profanem wie „gegenseitiger literarischer Wertschätzung“ gesprochen. De gustibus est disputandum. Um meine schlimme Verdrehung der Realität richtigzustellen, zitiert Mentzel wieder Steiner, ohne das Zitat zu kommentieren oder daraus abzuleiten, was denn nun mein Fehler gewesen sei. Bemerkenswert ist, dass er unter anderem auch folgende Sätze Steiners zitiert: „Er [der Antisemitismus] verletzte ihn [Jacobowski] tief in seinen persönlichsten Empfindungen. Nicht etwa deshalb, weil er mit diesen Empfindungen an dem Judentume hing. Das war durchaus nicht der Fall. Jacobowski gehörte vielmehr zu denen, die mit ihrer inneren Entwickelung längst über das Judentum hinausgewachsen waren.“ (GA 33, 191) In der Tat  geben diese Worte über Steiners Beziehung zu „dem Juden Jacobowski“ Auskunft: ‚Gute‘ Juden waren für Steiner seit dem Kommen Christi nur diejenigen, die „über das Judentum hinausgewachsen“ seien, die „frei“ seien von jener „konfessionellen oder Rassebeschränktheit“ (GA 28, 280), die Steiner der jüdischen Tradtion ohne Grund und Begründung unterstellte. Steiners Antisemitismus war assimilatorisch: Die Juden sollten weniger jüdisch sein und sich mit den restlichen „Völkern“ vermischen. Mentzel zitiert diese Äußerung zwar, aber makabererweise gerade als Beleg dafür, ich hätte Steiners Freundschaft zu Jacobowksi verkürzt dargestellt.

16. Nach Jacobowski springt Mentzel in den letzten Teil meines Buchs und ins Kapitel über Steiners Gesellschaftsutopie der „sozialen Dreigliederung“. „Auch“ dieses sei „wenig ergiebig“.

Auch hier liefert er keine Belege für Ungereimtheiten oder Fehler.

17. Anschließend spekuliert Mentzel über meine angeblich „immer etwas aufgeregt klingende Redeweise“. Als Beleg zitiert er folgenden Satz aus meinem Buch: „In Steiners pädagogischen, medizinischen oder nationalökonomischen Vorträgen kamen Rassenbegriffe auf hunderten von Seiten überhaupt nicht vor.“ Dieser Satz klinge „bedauernd“ oder eben „empört“.

18. Es folgt ein weiterer Sprung ins Jahr 1923. Mentzel: „Als Beleg seiner Ansicht, dass der Rassimus Steiners Werk durchziehe, bringt Martins – natürlich – auch das Beispiel von der Lehrerkonferenz der Stuttgarter Waldorfschule, auf der der damalige Waldorflehrer Karutz die Abschaffung des Französischunterrichts gefordert hatte.“

Ich vermute, das suggestive „natürlich“ soll eine Redundanz meiner Darstellung nahelegen. Auch diese Einschätzung seinerseits ist freilich legitim. Richard Karutz war allerdings kein Lehrer an der Stuttgarter Waldorfschule, diese wurde von seinen Kindern besucht. Auch hier hätte Michael Mentzel vielleicht seinen eigenen Rat, genau nachzulesen, selbst besser befolgen können (vgl. GA 300b, 276).

19. Die folgende Diskussion über die Abschaffung des dekadenten Französischunterrichts an der Waldorfschule empfiehlt Mentzel seinen Lesern wieder zur näheren Lektüre. Denn: „Steiner lehnte eine Diskussion über die Frage nach der Abschaffung des Französischunterrichts ab, nicht zuletzt weil er sich den Gegebenheiten der staatlichen Schulaufsicht bewusst war.“

Wie leider so oft in anthroposophischen Darstellungen reißt Mentzel diese Position Steiners aus dem Zusammenhang. Für Steiner hatte Französisch an der Waldorfschule „verschiedene Seiten. Die erste ist die geistig-kulturelle Seite.“ (ebd.) Geistig-kulturell sei Frankreich nämlich der erste „Vortrupp des untergehenden Römertums, der untergehenden romanischen Völker Europas“ (ebd., 277), die französische Sprache sei oberflächlich und im Gegensatz zum Deutschen dirigiere sie den Menschen, höhle ihn aus. Steiner hielt es für notwendig, „daß der französische Unterricht aus wirklich inneren Wesensgründen allmählich verschwinde. Es ist auch ganz selbstverständlich, daß er in der Zukunft wirklich aus dem Unterricht verschwindet. Nun, etwas anderes liegt in diesem Moment vor, wenn die Waldorfschule in radikaler Art den Anfang machen sollte … auf der anderen Seite ist es absolut ausgeschlossen, daß wir von der Waldorfschule den Anfang machen mit dem Kampfe für die Abschaffung der französischen Sprache. Das ist aus äußeren Gründen nicht möglich. Wir haben ja noch kein freies Geistesleben…“ (ebd., 278) Lediglich den letzten Punkt stellt Mentzel dar und erwähnt Steiners Hetze gegen Frankfreich nur in dem Halbsatz „Die Lehrer seien sich zwar darüber klar, so Steiner, dass die französische Sprache in der Dekadenz sei…“. Hier hätte Mentzel wenigstens den Unmut der Französischlehrer festhalten können, die ihre eigene spirituelle Erklärung ihres Fachs hatten. Lehrer(in?) „X“ brachte ein: „Ich möchte nur sagen, wie es mir persönlich geht, wenn ich Französisch gebe. Ich steigere mich, ich schwimme. Nichts ist so anstrengend wie das Französisch- Unterrichten.“ Steiners Antwort: „Wenn es im guten Sinne wäre, so würde ich Ihnen raten, steigern Sie sich bei den anderen Dingen mehr.“ (ebd., 283)

Wider die Eindeutigkeit

Von den angeblichen Ungereimtheiten meines Buchs, die Mentzel unterstellt, bleibt bei näherer Betrachtung zweierlei übrig: Ich habe darin Ludwig Jacobowskis Todesjahr einmal falsch datiert und eine Quellenangabe ist unrichtig – Ich schreibe GA 31, wo GA 32 stehen müsste. Ich bin auch von anderer Seite auf eine falsche Datierungen eines Steiner-Aufsatzes von 1906 hingewiesen worden. Und es wird sicher wirkliche Ungereimtheiten und Stellen geben, an denen das Buch zu kurz greift oder die man schlicht ausführlicher hätte behandeln können. Viel mehr ließe sich beispielsweise zur Dreigliederung und zu Steiners lebensreformerischen Ansätzen sagen.

Dennoch: In Mentzels Rezension kann ich dazu wenig Brauchbares finden. Zwar lässt er gegen Ende den Erkenntnis-Wert des Zweifels anklingen und meint, mein Buch werde der Anthroposophie nicht schaden:

„Wer den Versuch macht, das Werk Rudolf Steiners auch im Hinblick auf Martins Intentionen zu durchdringen und damit bereit ist, eine – stellenweise tatsächlich vorhandene und auch nicht wegzuleugnende – Ambivalenz in Steiners Denken auszuhalten, wird belohnt durch die Erfahrung, dass es für die Entwicklung seiner eigenen Gedankenwelt nur mehr förderlich sein kann, wenn er bereit ist, den persönlichen Seelenkampf in die Wagschale zu werfen und die eigene Auseinandersetzung mit dem Zweifel als Möglichkeit zur erweiterten eigenen Erkenntnis zuzulassen. Insofern wird Martins Buch der Anthroposophie keineswegs schaden, wie manche vermuten.“

Ich danke für die Einschätzung, doch der Rest des Artikels besteht aus Steiner-Zitaten und Vorwürfen an meine Darstellung, die entweder unbegründet sind oder von Mentzel zumindest nicht belegt, sondern nur als absurd betitelt werden. Vielleicht ist dieses Problem ihm selbst nicht verborgen geblieben, denn er fürchtet: „Die zarten Versuche der Beschreibung der Empfindungen, wie sie vor der Seele und den Augen eines – der heutigen Steiner-Kritik gegenüber – kritisch eingestellten Zeitgenossen auftauchen, werden als Versuche der Reinwaschung, als apologetische Irrfahrten durch eine Geschichte gebrandmarkt werden, deren Eindeutigkeit doch schließlich nicht mehr zu übersehen sei.“

Wenn es einen Beleg dafür gibt, dass Mentzel mein Buch nur flüchtig gelesen oder schlicht nicht verstanden haben könnte, dann diesen Satz. Es ist gerade die Eindeutigkeit, der Versuch, Steiner zum lichten Gegner allen Rassedenkens oder zum finsteren Gegenaufklärer zu stilisieren, gegen die das Buch geschrieben wurde. Mentzel selbst unterstellt diese fiktive Eindeutigkeit, wenn er meinem Buch ausgerechnet positiv anrechnet, „dass Steiner auch darauf hingewiesen hat, dass sein Anliegen in einem idealistisch zu verstehenden Sinn zu werten ist und eben nicht ein national gefärbter Hurrapatriotismus deutscher Provinienz ist.“ Dass Idealismus und Hurrapatriotismus, Individualismus und Nationalismus, Spiritualismus und Rassismus – leider – keine Gegensätze sind, das wenigstens hätten Leser aus meinem Buch lernen sollen. Das ist scheinbar zu viel verlangt, aber das war zu erwarten und deshalb kann ich immerhin zwei Sätzen Mentzels ungebrochen zustimmen:

„Es wird kommen, wie es immer kommt. Dessen ist sich der Verfasser der nachfolgenen Zeilen so gewiss, wie das ‚Es keimen die Pflanzen‘ am Mittagstisch aufrechter Anthroposophen.“

Das ist der Verfasser dieser Zeilen auch.

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„…out of the frying pan and into the fire“: Rassismus und Geschichtsmetaphysik – Rezension von Peter Staudenmaier Steiner auf der Siegessäule

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  • 1. pieter ha witvliet  |  27. Februar 2013 um 4:50 pm

    Herr Martins, haben Sie in den pädagogischen Vorträgen Steiners (GA 293-GA 311) rassistische Aussagen gefunden?

    Anmerkung AM

    In den pädagogischen, medizinischen und landwirtschaftlichen Vorträgen sind rassentheoretische Themen eine absolute Seltenheit. Das ist nicht unwichtig: Steiners rassistische Anthropologien weisen durchaus konzeptionelle Parallelen zu seinen pädagogischen oder medizinischen Anthropologien auf (Dreigliedrigkeit o.ä.). Es wäre ein leichtes für ihn gewesen, sie zu verknüpfen, wenn er z.B. gemeint hätte, anthroposophische Medizin oder Pädagogik würden nur bei den hehren „Europäern“ wirken. Aber das unterließ Steiner – Insofern sind die „Praxisfelder“ ein Indikator für die kosmopolitischeren Teile von Steiners Lebensreform. Aber: Die „Rassen“ kommen aber auch immer wieder vor. Er führt sie beispielsweise als „Volksstämme“ für den Unterricht der Waldorfschule in den Klassen 7 und 8 ein (GA 295, S. 19f.)

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  • […] die Stunde des Tournamentes.” (Eggert: Sergej Prokofieff schlägt zurück) Dagegen meint Michael Mentzel, das Buch biete “eine umfangreiche Materialsammlung”, die es dem Leser […]

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  • […] von sog. “Anthroposophiekritikern” freien Lauf lässt (vgl. Die unendliche Geschichte; Mentzels Traum). Ob Mentzel sich tatsächlich gut mit Steiner auskennt und seine Ressentiments aus dessen Werk […]

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  • […] ist leider typisch für “Themen der Zeit” (vgl. Entwicklungsrichtung Anthroposophie, Mentzels Traum, Die unendliche Geschichte), aber längst nicht nur: Genauso läuft die anthroposophische […]

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  • […] Am Beispiel Friedrich Hiebel lässt sich lernen, dass jede einfache Verortung “der Anthroposophen” in “dem Nationalsozialismus” dazu neigt, die Vielschichtigkeit von Motiven bei unterschiedlichen Akteuren zu unterschätzten. Weder ist verwunderlich, dass Hiebel, dem eben auch der Antisemitismus auf den Leib rückte, die Nazis eher kritisch betrachtete. Noch ist verwunderlich, dass er germanophile und antijüdische Vorurteile mit großer Selbstverständlichkeit teilte. So trugen Anthroposophen ihren Teil zur Erosion der Demokratie und zum Erstarken des völkisch-rassistischen Menschenhasses bei, wobei die Unterschiede mindestens der Mainstream-Anthroposophie zum Blutrausch und zur Gewaltbereitschaft der äußersten Rechten unübersehbar sind. Aus retrospektiver Zurechtrückung von Zahlen und Ereignissen zu spirituellen Symptomen lässt sich die Beziehungs- und Konfliktgeschichte von Nationalsozialismus und Anthroposophie nicht einmal im ersten Ansatz verstehen. Dazu müsste man sich (retrospektive ebenso wie zeitgenössische) Aussagen über Anthroposophen in der Nazizeit anschauen. Mentzel jedoch, wie Hiebel in seiner Autobiographie, geht es offenbar weniger darum als die Präsentation Steiners als hellsichtigem, feinfühligen kulturellen Mahner. Das ist das Vorrecht einer alternativreligiösen Subkultur, aber so bleiben tatsächliche, seriöse Recherchen zum Thema Anthroposophie und Nationalsozialismus für viele Waldorfrepräsentanten schlicht unverständlich und erscheinen ihnen als Diffamierung und ‘einseitige’ Präsentation. Und wenn Mentzel eines kann, dann die normativen Limitierungen der eigenen Perspektive anderen zum V…. […]

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  • […] Am 18. August erschien dann aber doch der unvermeidliche Beitrag “Qualitätsmedien? FAZ und SZ zu Gaza”. Autor Matthias Jochheim war offenbar bis 2013 im Vorstand von “IPPNW Deutschland – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.” Und genauso ist auch sein Artikel. Natürlich: “Themen der Zeit” zeichnet sich oft ohnehin durch sachliche Irrelevanz aus und die Realitätsferne dieses Beitrags ist letztlich auch nicht größer als sonst. Seine Brisanz liegt im spezifischen Inhalt. Ob die Ursache davon Dummheit, Ahnungslosigkeit, böser Wille oder sonstwas sein mag – keine Ahnung, aber selbstbewusst desinformierte Texte auf “Themen der Zeit” waren ja schon früher festzustellen (vgl. EU und Ukraine, Friedrich Hiebel und die Waldorfschulen in der NS-Zeit, Michael Mentzel bestätigt, Entwicklungsrichtung Anthroposophie, Die unendliche Geschichte, Mentzels Traum) […]

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  • […] Unsinns gar nicht dargestellt zu haben, war sein Kommentar ein willkommener Anlass für eine der gewohnten Selbstdarstellungen des anthroposophischen Bloggers Michael Mentzel (“Themen der Zeit”). Mit der auf […]

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Hallo allerseits,
Ich bin Ansgar Martins, geb. 1991 und war bis Juni 2010 Schüler an der FWS Mainz. Inzwischen studiere ich Religionsphilosophie, Soziologie und Geschichte in Frankfurt a. M. Dieser Blog ( dessen "Leitbild" ganz oben rechts ) ist mein persönliches Projekt, um die oft einseitigen und selbstgerechten Pro- und Contra-Positionen in der Debatte um die Waldorfpädagogik und Anthroposophie kritisch zu kommentieren. Ich hoffe, das gelingt, und freue mich über Rückmeldungen jeder Art!

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