Ist es an der Zeit für eine Rudolf-Steiner-Gesellschaft?

13. September 2015 at 5:02 pm 5 Kommentare

„Ist es an der Zeit, über eine »Rudolf-Steiner-Gesellschaft« (oder auch eine andere akademische Assoziationsform) nachzudenken, die das Ziel hätte, all jenen ein Forum zu geben, die sich mit Steiner und seinem philosophischen, theosophischen, anthroposophischen und künstlerischen Werk beschäftigen und dabei die Früchte ihrer Arbeit in einer Form darzustellen und mitzuteilen bereit sind, die anschlussfähig ist an den allgemeinen akademischen Diskurs?“

schreibt Christian Clement, Herausgeber der Kritischen Steiner-Ausgabe (SKA) im Stuttgarter frommann-holzboog-Verlag und bietet sich an, bei Interesse Schritte in Richtung Gründung einer solchen Gesellschaft zu unternehmen. Dazu gehören soll ein Jahrbuch mit Artikeln und Rezensionen. Ob es möglich sei, dass „Vertreter der verschiedenen Strömungen innerhalb der Anthroposophie, die Freunde und die Kritiker Rudolf Steiners, unabhängige Esoterik-Forscher und alle möglichen sonstigen Facetten des Spektrums zu einem fruchtbaren Dialog“ zusammenkommen, formuliert Clement wie den ganzen Brief eher in Frageform. Auch ich sehe in den perspektivischen Abgründen zwischen den zu erwartenden Teilnehmern die größte Herausforderung eines solchen Unternehmens. „Freunden“ und „Kritikern“ Steiners, die diese Bezeichnungen verdienen, wäre naturgemäß und für das Allgemeinwohl eher zur gegenseitigen Sabotage zu raten. Ich meine trotzdem und eben deshalb: Ja, in der Tat ist es an der Zeit für eine Rudolf-Steiner-Gesellschaft, vielmehr allerdings für eine Gesellschaft zur Erforschung der Anthroposophie. Eine Vereinigung, die schon im Namen auf „Früchte“ der Steiner-Philologie festgelegt wäre, hätte zum einen den längst dazu existierenden Foren (Alanus-Kolloquien, Rudolf-Steiner-Forschungstage) nicht zwingend viel voraus. Und im Unterschied zum vermutlich überschaubaren akademischen Umfeld irgendeiner Hermann Cohen-, Nicolai Hartmann- oder Karl Jaspers-Gesellschaft hat das Erbe Steiners bekanntlich seine Spezifika. Wissenschaftlich erforderlich wären soziologische oder sozialpsychologische Studien zur Struktur und gesellschaftlichen Rolle der Anthroposophischen Gesellschaft und „Bewegung“, medizinische Untersuchungen zu Steinerschen Zaubermitteln, historische Forschungen beispielsweise zur Anthroposophie (namentlich der Christengemeinschaft) in der DDR…. und last but not least wirklich kritische Analysen,  wie es sie hinsichtlich aller gesellschaftlichen Bereiche gibt, während sie von wohlgesinnten „Steinerforschern“ vermutlich als Polemik abgelehnt würden. Hans-Peter Riegels Beuys-Biographie und Peter Bierls „Erzengel, Wurzeln und Volkgeister“ beispielsweise sind selbstverständlich und zu Recht Polemiken, für eine ernstzunehmende Anthroposophie-Forschung aber viel nützlicher als große Teile auch der besseren anthroposophischen Literatur, obwohl es sich bei beiden nicht wirklich um akademische Publikationen handelt. Das Spezifikum der (wenn auch nach wie vor um Steiner zentrierten) Anthroposophie ist ja gerade die Vielfalt ihrer biographischen, gesellschaftlichen und kulturellen Auswirkungen. Weiter schlösse sich das ganze Feld der Erforschung der deutschsprachigen Theosophie und Lebensreform an. Die Gründung einer solchen Gesellschaft würde primär davon abhängen, ob es gelingt, sehr unterschiedliche Interessengruppen auch tatsächlich anzulocken, oder ob, dem aktuellen Trend folgend, am Ende doch nur wieder die nächste verklärte „Steiner hat ganz, ganz viel mit dem deutschen Idealismus zu tun“-Gruppe zusammenträte. Natürlich hat Steiner ganz viel mit dem deutschen Idealismus zu tun, aber das ist nur ein Steinchen im reichhaltigen Mosaik der „Steiner-Forschung“, die sich nicht von der Erforschung der Anthroposophie als ganzer abtrennen lässt. Zu klären bleibt, wie in diesem sumpfigen Feld ein wirklich qualitativ neues Diskussionsforum aufgestellt und organisiert sein sollte. Clements Initiative möchte ich mich dabei gern und höchst erfreut anschließen.

 

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„Rudolf Steiners Amerikaner ist ein (Halb-) Schwarzer“ – Replik auf den Artikel „Ein kosmisches Komplott“ Die große Masern-Bergtour

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  • 1. Andreas Lichte  |  14. September 2015 um 9:27 am

    … sich „Clements Initiative anzuschließen“ bedeutet ja zu allererst einmal, sich Christian Clement anzuschließen: Wollen Sie das wirklich?

    Über Christian Clements „kritische Ausgabe der Schriften Rudolf Steiners“ (SKA) sagt Prof. Helmut Zander, Zitat Zander:

    “(…) Angesichts der handwerklichen Mängel, namentlich in der partiell großen Forschungsdistanz, und der tief anthroposophiefrommen Einleitung ist man über eine solche Publikation im Verlag Fromann-Holzboog mit seinen hochrenommierten Editionen – sagen wir – irritiert. Ich finde es angebracht, diese Edition grundsätzlich zu überdenken und sie in die scientific community einzubinden.”

    Quelle: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-22822

    Christian Clements „SKA“ ist „Betrug“ – oder anthroposophische Propaganda –, wie der „Humanistische Pressedienst“, „hpd“, in seiner Einleitung zu meinem Artikel „Des Steiners neue Kleider“ schrieb, Zitat hpd:

    „BERLIN. (hpd) Die Anthroposophie versucht seit Jahren, Rudolf Steiner ein neues, positives und neutrales Image zu geben: weg vom „verstörenden“ Esoteriker Steiner, hin zum bedeutenden Philosophen Steiner. Dass sich ein nach aussen hin renommierter Verlag, der „Frommann-Holzboog Verlag“, an dem anthroposophischen Betrug beteiligt, überrascht (…)“

    Quelle: http://hpd.de/artikel/11618

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    • 2. A.M.  |  14. September 2015 um 12:45 pm

      Sich Clements Initiative anzuschließen, bedeutet in diesem Fall nicht mehr und nicht weniger, als die Gründung einer Anthroposophie-unabhängigen Institution zur wissenschaftlichen Erforschung der Anthroposophie zu unterstützen bzw. zu fordern. Ein Beispiel: Über die Förderung meiner Buchprojekte durch den Info3-Verlag bin ich sehr froh, aber ein unabhängiges Jahrbuch wäre doch auch etwas…

      „Betrug“ ist die SKA nicht. Primär ist sie sogar sehr nützlich, weil eben eine kritische Textausgabe. Da bin ich mit Zander ganz einig, was die von Zander dagegen „anthroposophiefromm“ genannte Einleitung angeht, vertrete ich eine andere Position: Clements Ausführungen sind letztlich ideologisch, verfolgen aber ein ganz eigenes Ziel mit Steiner, kein klassisch anthroposophisches. Wenn Sie da Zweifel an meiner Kritik haben, hier noch einmal meine entsprechende Rezension: https://waldorfblog.wordpress.com/2014/11/17/ska-7/

      Sofern aber tatsächlich eine wissenschaftliche Gesellschaft gegründet würde, wäre das weniger der Ort zur unhinterfragten Verbreitung irgendwelcher „frommen“ Steinerdeutungen, sondern der Ort, an dem sie in Frage gestellt würde. Es bleibt also abzuwarten, welche Personen da unter welcher Satzung zusammentreten.

  • 3. Andreas Lichte  |  14. September 2015 um 1:15 pm

    Zitat Ansgar Martins: „Sofern aber tatsächlich eine wissenschaftliche Gesellschaft gegründet würde, wäre das weniger der Ort zur unhinterfragten Verbreitung irgendwelcher “frommen” Steinerdeutungen, sondern der Ort, an dem sie in Frage gestellt würde.“

    … und genau deshalb ist es aberwitzig, ausgerechnet Christian Clement die Initiative zu überlassen, bzw. ihn dabei zu unterstützen: Christian Clements SKA ist „anthroposophiefromm“, wie Prof. Helmut Zander sagt, hpd nennt sie „Betrug“, siehe Kommentar, oben.

    „Klassisch anthroposophisch“ ist Clements SKA nicht, da stimme ich Ihnen zu, aber genau das ist ja der „Betrug“. Gegenüber einem „klassischen“ Anthroposophen habe ich es so zusammengefasst (aus einem Kommentar):

    „(…)

    – mit Ihrer Ansicht, daß Rudolf Steiner “triebhafter Neger” – und so weiter, und so weiter –, NICHT RASSISTISCH sei, können Sie keinen einzigen Nicht-Anthroposophen überzeugen. Man wird sie auslachen, oder Strafanzeige gegen sie erstatten …

    – Christian Clement, “info 3”, und andere, präsentieren einen weichgespülten Steiner, den man der Öffentlichkeit VERKAUFEN kann …

    (…)“

    Quelle: https://ratgebernewsblog2.wordpress.com/2015/08/18/anthroposophischer-antiamerikanismus-rudolf-steiner-macht-weisse-amerikaner-schwarz/#comment-6656

    Gründen Sie doch selber eine Initiative, z.B. zusammen mit Prof. Helmut Zander, Prof. Peter Staudenmaier und Jana Husmann: da hätten Sie doch schon – mit Ihnen – 4 UNABHÄNGIGE Forscher versammelt, die keine anthroposophischen Interessen unterstützen …

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    • 4. A.M.  |  14. September 2015 um 4:05 pm

      Zu unterscheiden ist zwischen dem philologischen Wert der SKA (den Zander und Staudenmaier auch betonen) und den wissenschaftlich z.T. nicht haltbaren und sogar ideologischen Positionen in den Vorwörtern (die im Übrigen nichtsdestominder einige Erkenntnisse liefern).

      Eben deshalb wäre ja kritische Beteiligung an einer Gesellschaft zur Erforschung der Anthroposophie umso wünschenswerter. Ob doch nur wieder das nächste liberal-anthroposophische Selbstbespiegelungsforum entstünde, hängt vor allem daran, wer an der Initiative Interesse zeigt. Wissenschaftlich unhaltbar wäre aber auch jeder Verein, der sich akademisch nennt, aber Anthroposophie-Sympathisanten die Mitgliedschaft verweigert.

      Für pro- oder anti-anthroposophische Lobbyarbeit sehe ich außerakademisch bessere Möglichkeiten.

  • 5. Andreas Lichte  |  10. Januar 2016 um 3:26 pm

    Wenn zwei nichts zu sagen haben … dann beruft man sich einfach auf einen Dritten, der Ansehen genießt. Nichts zu sagen haben Rudolf Steiner und sein Hagiograph Christian Clement, mit seiner „kritischen Ausgabe der Schriften Rudolf Steiners (SKA)“.

    In seinem „Ersten Entwurf des Anfangs einer Einleitung in Rudolf Steiners Schriften zur Kosmogonie und Anthropogenese. SKA 8: Fragment einer theosophischen Kosmogonie (1904) – Aus der Akasha-Chronik (1905-1908) – Die Geheimwissenschaft im Umriss (1910)“ zitiert Christian Clement den bekannten Autor „phantastischer Erzählungen“ Jose Luis Borges, der so Clement, von Steiners Kosmogonie besonders fasziniert gewesen sei, Zitat Borges (übersetzt von Clement):

    „Der Visionär und Theosoph Rudolf Steiner hat offenbart, dass unser Planet, bevor er zu der Erde wurde, die wir kennen, durch eine Sonnen-Phase und davor durch eine Saturn-Phase gegangen sei. Der Mensch bestehe aus einem physischen Leib, einem ätherischen Leib, einem astralischen Leib und einem Ich; zu Beginn der Saturn-Zeitalters oder des Saturn-Zustands habe es nur einen physischen Leib gegeben. Dieser Leib sei unsichtbar gewesen, kaum vorstellbar, weil es zu dieser Zeit auf der Erde weder Objekte noch Flüssigkeiten oder Gase gegeben habe. Nur strahlende Energie sei dagewesen, rein energetische Gegenstände. Licht-Konstellationen hätten verschiedene Gestaltungen im kosmischen Raum gebildet; selbst der Mensch nichts als ein Energie-Wesen […].“

    „Wenn Borges Steiner faszinierend findet, dann muss ja was dran sein …“ suggeriert Clement seinen Lesern, und verfolgt unermüdlich weiter sein Projekt, der Öffentlichkeit Rudolf Steiners rassistischen Science-Fiction-Trash: „Aus der Akasha-Chronik“ als „bedeutend“ zu verkaufen …

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