„Steiner hätte den NS-Rassismus mit Bestimmtheit in aller Schärfe abgelehnt, für eine multikulturelle Gesellschaft kann er sich aber ebenfalls nicht erwärmen. Das Kulturkreismodell heutiger europäischer Rechtsparteien kommt den Steinerschen Vorstellungen sehr nahe: Schwarzafrikaner und ihre Kultur gehören nicht nach Europa, ebensowenig chinesische oder heutige indische Kultur. In der Fluchtlinie von Steiners Vorstellungen liegt – das ist das äußerste – gar ein Apartheit-artiges Modell, das die Ungleichbehandlung der Menschen aus ihren je verschiedenen Möglichkeiten und Entwicklungsnotwendigkeiten begründet.“
– Georg Otto Schmid: Die Anthroposophie und die Rassenlehre Rudolf Steiners, in: Joachim Müller (Hg.): Anthroposophie und Christentum, Freiburg (CH) 1995, 191
Überlegungen (naja: Quellen) zu politischen Ausprägungen der jüngeren Anthroposophie, Überschneidungen mit der neuen Rechten und zum Fortleben alter Steinerscher Grundannahmen.
Die ‚rechtspopulistische‘, in weiten Teilen rechtsradikale „Alternative für Deutschland“ ist nicht nur ein Flügel der neueren Explosion irrationaler Ideologien, sondern eines ihrer Sammelbecken. Der viel zitierte AfD-Abgeordnete Franz-Josef Wiese echauffierte sich über die Mitgliederbasis seiner Partei: „Von ehemaligen SED-Genossen über spinnerte Weltverbesserer bis zu Leuten mit Verfolgungswahn war alles dabei“. Ein ehemaliges Vorstandsmitglied glaube an Chemtrails, andere vertrauten „Leuten, die auf heilende Steine, Handauflegen und andere seltsame Heilmethoden schwören“ – „Ich glaube, die meisten AfD-Wähler wissen gar nicht, was für Leute bei uns sind.“ (so Wiese gegenüber der „Bild“) Manche Wähler könnten von Nachrichten über die spirituelle Basis der AfD jedoch erfreut sein. Martin Barkhoff vielleicht, ehemaliger Chefredakteur des anthroposophischen Zentralblatts „Das Goetheanum“, der mittlerweile in Peking lebt. Nachdem Jens Heisterkamp, Chefredakteur der liberalen anthroposophischen Zeitschrift „Info3“, sich jüngst von neurechten „Wut-Denkern“ abgrenzte, schrieb Barkhoff einen empörten Leserbrief. Die in Info3 abgedruckten Zeilen beginnen mit einem Lob der eigenen gelungenen Integration in China:
„…mein Freundeskreis ist weitgehend chinesisch und meine Anthroposophie verwandelt sich in Taoismus. Meine Nachbargemeinde, das Garnisonsdorf Yangfang, ist islamisch … Leuchtende, dem Himmel zugewendete Halbmonde können in mir die Begeisterung für die Hingabe (Islam) an den Willen Gottes wecken. ‚Angst vor dem Fremden‘ ist bei mir nicht das Hauptmerkmal. Aber ich bin AfD-Wähler. Alexander Gauland macht großen Eindruck auf mich. Allein wie freundlich der bleiben kann … Geduld wie die des alten Rabbi Hillel, und die hebt real das Wut-Denken auf. Wenn alle um ihn herum erregt bis voll wütig sind, bleibt er nicht nur kühl, sondern spürbar freundlich … Hat was von Beuys und den Grünen, früher. Der stand auch konsequent gegen die Parteienherrschaft.“ (Martin Barkoff, Leserbrief zu Jens Heisterkamp, in: Info3, Juni 2016, 5)
Nach dieser wirren Begründung passen Taoismus, Anthroposophie, Islam und AfD irgendwie wunderbar zusammen und Gauland als charismatischer, friedlicher Geist verkörpert offenbar mustergültiges Menschentum. Epigonentum ist eben eine anthroposophische Schlüsselkompetenz. Der Künstlerprophet Joseph Beuys, der seine Jugend in Nazideutschland romantisierte, Antiamerikanismus für Antikapitalismus hielt und einen spirituellen Deutschnationalismus vertrat, passt allerdings hervorragend zu Barkhoffs neuem Kurs. (vgl. Kunst und Boden, Bad Beuys) Das bestätigen auch Rechte, die von Beuys wie Steiner fasziniert bleiben. Das NPD-Organ „Deutsche Stimme“ entdeckte in der März-Ausgabe 2016 in der Tat Beuys‘ politische Visionen. In der Online-Ankündigung liest man:
„…nicht nur dessen Biographie weist interessante Details auf. Man muß sich mit seiner Kunst nicht anfreunden, aber man sollte mit diesem Mann, der eine ‚organische Demokratie‘ anstrebte, sich an Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie orientierte und von der ‚Auferstehungskraft des Volkes‘ überzeugt war, ruhig mal näher beschäftigen.“
Steiners Werke stehen derweil auch in der Bibliothek des „Instituts für Staatspolitik“. (vgl. Deutschlandfunk) Um das klarzustellen: Eine Mehrheit der Anthroposophen fände das sicher unbehaglich und dürfte eindeutig für die Aufnahme von Flüchtlingen votieren, wie zahlreiche einschlägige Waldorf-Projekte nahelegen. Zu kritischer Reflexion auf die reaktionären Potenziale führt das natürlich auch diesmal nicht. Hier gilt wohl nach wie vor die Vogel-Strauß-Haltung Steiners, der auf Hans Büchenbachers Kritik an anthroposophischen Antisemiten dekretierte: „Das gibt es nicht in der Anthroposophischen Gesellschaft.“ Ausnahmen, wie Michael Eggerts „Egoistenblog“ oder eben „Info3“, stellen nicht gerade einen Trend dar.
Martin Barkhoffs Ausführungen zu China und Gauland wirken auch deshalb so kryptisch, weil er außer Bewunderung für Gauland keine eigentlich politische Begründung für sein AfD-Bekenntnis abgibt. Ein weiterer Leserbrief, verfasst von einem Michael Köhler aus Gödenroth, passt mehr zu den Aussagen, die man aus dem AfD-Dunstkreis kennt: „Seit 9/11“ werde der „Meinungskorridor immer enger“, selbst „im Bekanntenkreis“ gelte er als „neu-rechts“, wenn er „ausgewiesene Antifaschisten“ wie Brandt und Thälmann (!) „zum Thema souveräner Nationalstaat nenne“, so Köhler (ebd.). Hier lässt die neonazistische Reichsideologie grüßen, mit der sich längst andere Anthroposophen eingelassen haben. (vgl. Anthroposophen und „Reichsbürger“-Bewegung, Waldorf Schools and the German Right) Steiner griff im Ersten Weltkrieg die völkische Mär von „okkulten Logen“ hinter dem „Angloamerikanertum“ auf, die „Mitteleuropas“ „Weltmission“ behindern wollen. Bis heute bestimmt sie viele anthroposophische Politikbetrachtungen. (vgl. Anthroposophischer Geschichtsrevisionismus, Nationalist Cosmopolitanism, Ein kosmisches Komplott) 9/11 kann man sich da freilich nicht entgehen lassen.
Wer Steiner sät, wird heute Neurechte ernten. Das legen zumindest die berüchtigten „Einzelfälle“ nahe. (vgl. dazu Bierl: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister, Hamburg 2005, Einleitung) So hetzte vor einiger Zeit der anthroposophische Heilpädagoge und Faschist Rüdiger Keuler (vgl. Eggert: Volksverhetzung auf anthroposophisch, Liebe deinen Nächsten) gegen triebhaft-lebensstarke Afrikaner, die von amerikanischen Geheimlogen gesandt würden, um die christusgefärbten Weißen Europas herabzuzüchten. In konstruktiv-kritischen Austausch mit Keuler trat der Anthroposoph Herbert Ludwig (vgl. Eggert: Demokratie in anthroposophischen Gänsefüßchen). Der erregte schon vor Jahren im Rahmen der dubiosen „Freien Anthroposophischen Vereinigung Pforzheim“ Aufsehen, bei der rechte Redner eingeladen wurden. Holger Niederhausen, einer der fundamentalisitischeren Steinerianer, verteidigte Ludwig derweil als „links“, ohne näher auf Keuler einzugehen. (vgl. Niederhausen: Michael Eggerts Rundumschläge) An Steiners Rassismus und Völkerpsychologie hat Niederhausen ohnehin nichts auszusetzen. (vgl. Unwahrheit versus Wissenschaft) Seine gleichzeitige Sympathie für die Partei „Die Linke“ passt zur sog. „Querfront“, man denke an den national-sozialen Kurs Sahra Wagenknechts oder die Phantasien Dieter Dehms. Breiter betrachtet: Linke und rechte Anti-Globalisierer ziehen dem unentrinnbaren Bann des wahrlich kalten Kapitals die falsche Wärme ethnischer oder kultureller Kollektive vor und damit den „Volksorganismus“ (mag er auch diskurstheoretisch artikuliert sein) der prekären bürgerlichen Existenz. Darin kommen auch rechte Ethnopluralisten und linke „Identitäts“-Fanatiker, die Religionskritik für „Islamophobie“ halten, zusammen: Statt Selbstbestimmung für die Individuen und reflexive Freiheit gegenüber allen traditionalen Verhaltensregeln zu fordern, soll je „das Eigene“ oder „das Fremde“ qua Dasein als unbedingt erhaltenswert gelten (anthroposophisch würde das noch durch die Ontologie der „Volksseelen“-Missionen unterfüttert). Die Apologeten des Islamismus und die Fans der AfD argumentieren von einem vergleichbaren Kulturbegriff aus. Am Ende würden demnach vermutlich die Menschen in homogene kulturelle, religiöse und/oder „Volksgemeinschaften“ getrennt sein, die einander inkommensurabel seien, und damit wäre das böse globale „System“ zerstört. Einmal mehr brachte dies kürzlich Herbert Ludwig auf den Punkt, der im April zum „Widerstand“ gegen die trans- und internationalistische Verschwörung aufrief:
„Aber Kraft und Widerstandspotential der Staaten sind wesentlich in den Nationen, den Völkern und ihren spezifischen Kulturen begründet, in denen die Menschen weitgehend ihre seelische Verankerung finden. Für einen Globalisierer muss daher neben die politische Entmachtung und Aushöhlung der Nationalstaaten als zweites Ziel die Auflösung der Völker treten, die sie umfassen. Nur eine „enthomogenisierte“, durchmischte Bevölkerung, in der sich keine innere Gemeinsamkeit einer Fremdsteuerung widersetzen kann, ist leicht zentral lenkbar.“ (Herbert Ludwig: Globale Planung der Massenmigration, Ein Nachrichtenblatt Nr.8/10. April 2016, S. 3)
Diese eigene Ansicht unterstellt Ludwig auch den okkulten Geheimlogen, die derart die Weltmission Mitteleuropas via Flüchtlings-„Krise“ zerstören wollten. Unter vielen Anthroposophen gilt noch immer die These, „dass nicht nur die ‚Neger‘ nicht nach Europa, sondern auch die Europäer nicht nach Afrika oder Asien gehören…“ (Bader/Ravagli: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit, Stuttgart 2002, 175) Das ist nicht nur, wie die zitierten behaupten, gegen den Kolonialismus gerichtet. Der noch so indirekte Kontakt unterschiedlicher „Rassen“ kann aus anthroposophischer Perspektive massive physisch-geistige Nachwirkungen haben. Einer vielzitierten Idee Steiners zufolge kann bereits die Lektüre von sog. „Negerromanen“ die Kinder weißer Frauen „grau“ (!) machen. (vgl. GA 348, 189) Direkte Präsenz ist noch folgenreicher. So erklärte Steiner „den Aussatz im Mittelalter“ durch den „Hunnensturm“, da hier „zurückgebliebene“, übersinnlich verwesende „Mongolen“ die europäischen Evolutionsprotagonisten in Angst versetzten:
„Und nun mischte sich der faule Astralstoff der Hunnen mit den von Angst und Furcht und Grauen durchwühlten Astralleibern der überfallenen Völker. Die degenerierten Astralleiber der asiatischen Stämme luden ihre schlechten Stoffe auf diese furchtdurchwühlten Astralleiber der Europäer ab, und diese Fäulnisstoffe bewirkten eben, daß später die physische Wirkung der Krankheit auftrat. Das ist in Wahrheit die tiefe geistige Ursache des Aussatzes im Mittelalter.“ (GA 100, 88, vgl. GA 94, 156, GA 95, 69, GA 97, 254, GA 99, 59)
So viel zu den okkulten Hintergründen. Herbert Ludwigs Artikel erschien in der Online-Zeitschrift „Ein Nachrichtenblatt. Nachrichten für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft und Freunde der Anthroposophie“, die ein fanatischeres anthroposophisches Publikum bedient. Ein weiterer Artikel in derselben Nummer des „Nachrichtenblatts“ raunte ebenfalls über „Pläne okkulter Bruderschaften“, anschließend wurde ein Text des britischen Schriftstellers Antony Sutton gedruckt – ihm verdanken wir Titel wie „Wall Street und der Aufstieg Hitlers“ oder Thesen über „Skull and Bones“, wo man die Weltherrschaft mittels Hegelscher Dialektik einübe (man denke einen Moment über diesen Quatsch nach: Charakter und Gegenstandsbereiche philosophischer Theorien scheinen hier schlechterdings jenseits des Vorstellbaren zu sein – die vorliegende Einschätzung von Dialektik gleicht der Behauptung, das Keplersche Gesetz eigne sich als Tiernahrung oder das epistemologische Konzept des „Dings an sich“ könne für den effizienten Ausbau von Verkehrswegen von Nutzen sein) Irrational kann aber eben alles in Beziehung gesetzt werden.
Das „Nachrichtenblatt“ ist, wie hinzugefügt werden muss, skeptisch, teilweise feindlich gegenüber der Entwicklung der „Anthroposophischen Gesellschaft“ oder der Steiner-Nachlassverwaltung. Das heutige Dornach ist die Berliner Republik solcher anthroposophischer Wutbürger: Charismatisch schwach, uneins, halb zum eigenen Museumsshop verkommen. Die dogmatische Binde- und Integrationskraft der gegenwärtigen institutionalisierten Anthroposophie nimmt ab. Während die Anthroposophische Gesellschaft schrumpft (vgl. Sergej, du hast dich selbst gegeben) und die Praxisfelder zögerlich ins weitere esoterische Milieu zu diffundieren beginnen (vgl. exemplarisch Zwischen Anthroposophie und Scientology?), suchen auch rechts-anthroposophische Interessenten neue Wege und begründen eigene Foren. Dass der anthroposophische Mainstream sich selbst eher links verorten dürfte, wird durch die ungebrochene Zustimmung zu Steiners nationalistischen Einkreisungsparanoia aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und das organizistische Denken der „Sozialen Dreigliederung“ konterkariert.
6. Juni 2016 at 3:21 pm
Michael Mentzel („Themen der Zeit“) hat eine merkwürdige Replik auf meine Kritik an Holger Niederhausen geschrieben. Interessant daran ist, dass der fundamentalistische Niederhausen in der anthroposophischen Debattenkultur lange kaum erwähnt wurde. Doch dieser hat 2013 ein Buch wider den Religionswissenschaftler Helmut Zander geschrieben (so ein anthroposophisches Modephänomen). Offenbar bringt ihm das anthroposophischerseits nun plötzlich Aufmerksamkeit und Respekt ein – so die These meines besagten Artikels. Mentzel fühlt sich wohl ungerecht behandelt, schreibt jedenfalls:
Auf die Idee aber, dass jemand ein „frisch gewonnener Fan“ ist, weil er über ein bestimmtes Ereignis berichtet oder weil ein Buch „auf meinem Rezensionstisch liegt“, muss man auch erst einmal kommen.
So weit, so nachvollziehbar. Doch dann schwenkt Mentzel plötzlich um:
Die Suche nach dem Namen Niederhausen bei Themen der Zeit – mit ca. 1700 Beiträgen – blieb jedenfalls, bis auf den oben genannten Hinweis – erfolglos. Was allerdings nicht bedeuten muss, dass nicht auch durchaus manch bedenkenswerter Text auf Niederhausens Webseite zu finden sind, den zu kommentieren sich lohnen würde. Und auch wenn ich kein „Fan“ von Niederhausen bin, was dieser möglicherweise gern bestätigen kann, mag Ansgar Martins demnächst wirklich einen Grund finden, im Hinblick auf diesen Autor etwas von meinem „üblichen Nonsens“ zu lesen. So lange aber wird er sich damit trösten müssen, dass ich vor einiger Zeit einen – nennt man das tatsächlich „Ohrwurm? – Ohrwurm hatte: „Der kleine Ansgar möchte aus dem Phantasialand abgeholt werden.“
Quod erat demonstrandum. Lange herrscht zu Niederhausen völliges Schweigen. Sobald dieser aber ein Buch gegen Zander schreibt, fällt Mentzel auf, dass „durchaus manch bedenkenswerter Text auf Niederhausens Webseite zu finden sind“ [sic]. Und so werde ich hoffentlich in der Tat bald Gelegenheit haben, seinen üblichen Nonsens auch zu Niederhausen zu lesen. Fragt sich also mal wieder, was Mentzel eigentlich will – er bestätigt einerseits meine Thesen explizit, wirft sie mir aber gleichzeitig vor. Seine Ambivalenz bestätigt sich in seinem peinlichen „Ohrwurm“, den er sogar noch stolz mitteilen zu müssen meint: „Der kleine Ansgar möchte aus dem Phantasialand abgeholt werden.“ Tja dann.
Was genau ihn an meinem Artikel stört, dessen These er ja frei heraus bestätigt, erläutert Mentzel nicht. Stattdessen titelt er „The never ending Story. Martins, Zander und der Rest der Welt…“ Genau darum geht es in der Tat: Seit 2007 ist die routinierte und systematische, aber eben sachlich durch nichts begründete, anthroposophische Diffamierungsindustrie gegen Zander im Gange. Im selben Stil werden auch andere kritische Positionen abgehandelt, nicht zuletzt von Mentzel selbst. „Die unendliche Geschichte“ hatte ich bereits 2012 einen Artikel über dessen diesbezügliche Umtriebe genannt. Da er sogar meinen Titel übernimmt, scheint Mentzel auch hier nichts hinzuzufügen zu haben. Um doch noch irgendein Skandalon zu finden, spekuliert er wie üblich munter drauf los:
„Und deshalb erscheint es vielleicht nicht falsch, hier von Anmaßung zu sprechen und dem ‚Sternekoch‚ Martins zu empfehlen, sich nicht nur mit der Suche nach den Haaren in der anthroposophischen Demeter-Suppe, sondern auch einmal mit Stilfragen zu beschäftigen. Im Leser der Martinischen Verse kann allerdings auch der leise Verdacht aufsteigen, dass dem jungen Autor – möglicherweise – Voegeles jüngster Beitrag zum Thema Steiner und der Erste Weltkrieg, nämlich das auch bei TdZ erschienene Interview mit Markus Osterrieder, nicht so recht gefallen haben mag, denn was Martins von diesem und dessen anthroposophischer Rezeption hält, durften wir unlängst in einer von Martins Wortwüsten zum Thema Steiner und der Erste Weltkrieg bewundern. Immerhin ist Voegeles Niederhausen-Rezension schon eine ganze Weile her.“
Mentzels Ideenlosigkeit ist enttäuschend. Tatsächlich war Osterrieder in eine Tagung involviert, der sich eine völkisch-konspirationstheoretische Verharmlosung von Erstem Weltkrieg und Nationalsozialismus nachtragen lässt. (vgl. Anthroposophischer Geschichtsrevisionismus) Dass auch Mentzel an diesem Gedankengut nichts auszusetzen hat und Kritik an Osterrieders Thesen nicht nachvollziehen kann, kann ich mir gut vorstellen. Selbst dann hätte ihm aber auffallen können, dass im erwähnten Interview Vögele zu den anthroposophischen Verschwörungsphantasien kritisch Position bezieht:
„Am rechten Rand der anthroposophischen Bewegung existiert seit langem eine Subkultur mit eigenen Tagungen, Publikationen und Internetpräsenz. Zu ihren Themen gehören Holocaust-Relativierung, Einkreisungsphantasien, mehr oder weniger offener Antisemitismus, Antiamerikanismus usw. Offiziell wird darüber nicht gesprochen. Wäre aber die Anthroposophische Gesellschaft nicht verpflichtet, sich von diesen Kreisen, deren Angehörige größtenteils Mitglieder der AAG sind und sich auf Rudolf Steiner berufen, deutlich zu distanzieren?“
Dass ich Vögele gerade einen Punkt der Übereinstimmung vorwürfe, deshalb aber etwas ganz anderes tun würde, nämlich eine Rezension zu Niederhausen zu schreiben – auf sowas kommt auch nur Michael Mentzel. Das ist keine Polemik, ich wünsche es ihm nicht einmal. Über eine Kritik, die mehr als dadaistische „Ansgar Martins ist ein blöder Klugscheißer“-Assoziationen beinhaltete, wäre ich zu Abwechslung mal sehr erfreut. Doch genau diese Alogik, die alle relevanten Argumente umgeht, um dann an den Haaren irgendeinen Unsinn herbeizuzerren, ist leider typisch für „Themen der Zeit“ (vgl. Entwicklungsrichtung Anthroposophie, Mentzels Traum, Die unendliche Geschichte), aber längst nicht nur: Genauso läuft die anthroposophische Anti-Zander-Industrie, genauso vor allem Nierhausens Buch. Insofern kann ich Mentzel zustimmen, dass für ihn „manch bedenkenswerter Text auf Niederhausens Webseite“ zu finden sei. Genau das hatte ich ja befürchtet: Auf einen Autoren wie Niederhausen und die Möglichkeit, sich seinem Holzhammerdogmatismus anzuschließen, haben Leute wie Mentzel mutmaßlich lange gewartet. Wolfgang Vögele scheint mir von dieser Tendenz aber doch auch deutlich auszunehmen zu sein – dessen Publikationen haben Gehalt und Substanz.
16. März 2014 at 5:16 pm