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„Die nazistischen Sünden der Dornacher“?
Hans Büchenbacher, seine „Erinnerungen 1933-1949“ und die Vorstände der Anthroposophischen Gesellschaft(en) in der Nazizeit
«…dass etwa zwei Drittel der deutschen Anthroposophen weniger oder mehr auf den Nationalsozialismus hereingefallen waren», behauptet in seinen Memoiren der Anthroposoph Hans Büchenbacher, 1931 bis 1934 Vorstandsvorsitzender der deutschen Landesgesellschaft. Nach dem Wahlsieg Hitlers wurde Büchenbacher wegen der jüdischen Herkunft seines Vaters nicht nur von den Nazis angefeindet, sondern bald auch anthroposophischerseits von seinem Posten gedrängt. Um die anthroposophische Geschichte der Jahre 1933 bis 1945 historisch angemessen zu deuten, muss man die ideologische, personelle und organisatorische Kontinuität und Transformation der Anthroposophie im frühen 20. Jahrhundert analysieren – und diskutieren.
In Kürze erscheinen im Frankfurter Info3/Mayer-Verlag die „Erinnerungen“ Büchenbachers. Der hier veröffentlichte Vortrag wurde auf Einladung von Philip Kovce am 1. März 2014 anlässlich der 19. Rudolf-Steiner-Forschungstage (Philosophicum Basel) gehalten.
Es handelt sich um eine Kurzzusammenfassung meiner für die Büchenbacher-Edition angestellten Recherchen im Dornacher Rudolf Steiner Archiv, dem Archiv der Anthroposophischen Gesellschaft am Goetheanum und der „Forschungsstelle Kulturimpuls“.
Wichtige Hinweise – falsche Prämissen
In den 90ern erhielten diese „Rassen“-Passagen in Steiners Aufsätzen und Vorträgen erstmals die nötige kritische Aufmerksamkeit, als sich die politische Linke von „grün-braunen“ Allianzen in ihrem Umfeld absetzte – doch die berechtigte Kritik schlug bald in falsche Unterstellungen um. AnthroposophInnen, umgekehrt schnell im Glauben, Opfer „ahrimanisch“-roter Allianzen zu sein, betonten demgegenüber nicht nur die für Steiner zentrale Ich-Philosophie: Viele versuch(t)en bis heute, jene rassisch geprägten Elemente seines Denkens möglichst progressiv umzudeuten. Erst in den letzten Jahren haben Historiker wie Helmut Zander, Peter Staudenmaier und Ralf Sonnenberg Deutungen dieser Rassismen vorgelegt, ohne deren vieldeutiges Schwanken zwischen „Universalismus, Eurozentrik und Germanophilie“ (Georg Otto Schmidt) aus den Augen zu verlieren.
Materialschlacht
Uwe Werners neues Buch ist kaum ohne diese heftige Debatte zu verstehen. In zahllosen Fußnoten (und einem eigenen Nachsatz zu Peter Staudenmaiers jüngst erschienener Dissertation) diskutiert er die bisherigen rassismuskritischen Veröffentlichungen durch und springt zwischen ihren unterschiedlichen Ansätzen. Offenkundig hat ihn besonders der historisch-kritische Ansatz Helmut Zanders beschäftigt. Dem kann er aber nur unter großen Vorbehalten positive Würdigung abgewinnen – obwohl er selbst realisiert, dass Steiner die „Wurzelrassen“-Lehre „weitgehend aus der theosophischen Literatur übernahm“. Ähnlich bei Peter Staudenmaier. Der hat im Sommer 2010 in den USA eine Dissertation vorgelegt, in der er die Anthroposophie und ihre faktischen Verflechtungen im unübersichtlichen Netz okkultistischer, völkischer und faschistischer Organisationen für die Jahre 1900-1945 untersucht. (Staudenmaier: Between Occultism and Fascism: Anthroposophy and the politics of Race and Nation in Germany and Italy, 1900-1945, Diss., Cornell University 2010 – Neu sind hier neben ungesichteten Materialien vor allem Details zur (unrühmlichen) Geschichte von Anthroposoph_innen im italienischen Faschismus). Werner kann zeigen, dass (und wo) Staudenmaier stellenweise einseitig gearbeitet hat: Während er akribisch Berührungspunkte von AnthroposophInnen mit dem Faschismus (und umgekehrt) untersucht, kommen die Differenzen sowie biographische und Überzeugungsumbrüche zu kurz. Werner liefert hier wichtige Hinweise und Korrekturen, doch scheint mir insgesamt seine Vermutung fragwürdig, dass hinter Fehlinterpretationen Staudenmaiers ein verstecktes „Motiv“ steckt.
Rassenbegriff
Werner sieht auch durchaus,
dass Steiners Äußerungen über „Rassen“ „implizit eine Hierarchisierung von Menschengruppen enthalten … Es ist die Rede von Dekadenz, Degeneration, auf- und absteigender Entwicklung. Diese Äußerungen werden nicht ohne Grund … von Kritikern moniert.“
Selbst betont er aber die klaren Differenzen zum völkischen Rassismus, die er bei Staudenmaier so vermisste. Er beschreibt in der ersten Hälfte seines Buchs vor allem Steiners Kritik an „Rassenidealen“ und biologistischer Eugenik und zitiert Äußerungen, in denen Steiner vehement die Obsoletheit von „Rassendifferenzen“ und den Vorrang individueller Selbstbestimmung vor Blut und Genen betont. Hier sieht Werner ein „Engagement gegen Rassismus und Nationalismus“, das die später formulierte Ethik der Allgemeinen Menschenrechte teile.
Aus dieser Perspektive heraus verfällt Werner aber einem alten Fehler: dem Versuch, Steiner vor dessen eigenem rassischen Denken in Schutz zu nehmen. So argumentiert er, dieser wollte „nur“ „ein neues, bewusstes Verhältnis zu den“ – wenn auch sekundären – „Rasse-, Volks- und Herkunftsdeterminanten“ gewinnen. Das stimmt zwar, aber Resultat dieses Unternehmens ist eben der monierte Rassismus. Die falsche Prämisse ist die: Menschen ließen sich überhaupt in abgrenzbare „Rassen“ mit unterschiedlichen mentalen Konstitutionen einteilen:
„Rassen sind Resultat, nicht Voraussetzung rassistischer Argumentation“ (so der auch von Werner zitierte Wulf D. Hund).
Folgen
Nach diesem durchwachsenen Start eilt Werner im zweiten Teil seiner Studie durch die seltsamen Blüten, die die inneranthroposophische Rezeptionsgeschichte von Steiners Rassentheorien hervorgebracht hat: Rassismen in den Büchern von Richard Karutz, Ernst Uehli und Sigismund von Gleich – Alfred Meebold, der Hitler für einen michaelischen Gesandten hielt – 34 Mitglieder der AAG, bei denen sich NSDAP-Mitgliedschaften ausmachen lassen (auch, weil andere Anträge von der Nazi-Partei abgelehnt wurden) – Versuche aus Dornach, das Verbot der deutschen Sektion durch die Betonung von Steiners „arischer Herkunft“ zu verhindern – die anfänglich begeisterten, aber teils auch beeindruckend kritischen anthroposophischen Bewertungen des Nationalsozialismus (wie bei Albert Steffen und Ita Wegman). Ausführlich etwa werden politisch interessante Tagebucheinträge Steffens zitiert.
Umgekehrt überblickt Werner die nationalsozialistischen Polemiken gegen die Anthroposophie und gleichzeitigen Pläne eines Rudolf Hess, Demeterlandbau und Waldorfschulen weltanschaulich zu entkernen und nationalsozialistisch zu verwerten. Hier erweist sich Werner als der scharfsinnige und differenzierte Historiker, als der er schon 1999 aufgetreten ist. Er erwähnt wieder neues Material und sichtet vergessene Debatten. Allerdings übergeht er u.a. Wegmans rassentheoretische und Rittelmeyers antijüdische Passagen oder Steffens naive Haltung zum italienischen Faschismus [2].
An wenigen Stellen referiert Werner Widersprüchliches: So heißt es erst, der Anthroposoph Erhard Bartsch, der Hess die biodynamische Landwirtschaft schmackhaft machte, sei aus anthroposophischer Überzeugung heraus der NSDAP ferngeblieben. Aber dann wird vier Seiten später erzählt, wie ein Mitgliedsantrag desselben von der Partei abgelehnt wurde. Auch die bisher kaum untersuchte Position Marie Steiners oder Steiners Volksseelenlehre vor 1900 werden komplett ausgespart. Das sind sicher keine absichtlichen Auslassungen des Autors, aber Lücken, die noch zu füllen wären.
Fazit
[1] Zu Ahasver:
Werner (S. 52) findet fernab kontextsensibler Analysen, „dass Steiner sich mit Ahasver nicht als Repräsentant des Judentums, sondern als indivdiduelle Persönlichkeit befasste…“. Das ist Haarspalterei. Fakt ist, dass Steiner ein bekanntes rassenantisemitisches Klischee in theosophischen Vokabeln reproduzierte, ohne Nennung des Kontextes, aber auch ohne Distanzierung davon. Zum Ahasver-Komplex bei Steiner siehe Ralf Sonnenberg: „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ (S. 9f).
[2] Zu Rittelmeyer, Wegman und Steffen:
Rittelmeyer: Deutschtum, Stuttgart 1934, S. 103ff. führt Kapitalismus, „zersetzende Kraft, unfruchtbare Dialektik“ und Materialismus auf angebliche degenerierte israelische Tugenden zurück und erklärt:
„Materialismus, Egoismus, Intellektualismus wohnen keineswegs bloß in Judenhäuptern. Sie haben dort nur besonders fähige Vertreter.“