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Hans Büchenbachers „Erinnerungen“ erschienen
„Ein Buch, das Wellen schlagen wird.“
– Laura Krautkrämer, Medienstelle Anthroposophie, Frankfurt
„An important vantage point on anthroposophy in the Nazi era“
– Prof. Peter Staudenmaier, Marquette University, Milwaukee
Seit Anfang der Woche sind die Erinnerungen 1933-1949 Hans Büchenbachers (1887-1977) lieferbar. Vieles an Büchenbachers Text ist und bleibt kryptisch, anekdotisch, offenbar unabgeschlossen, und doch alles daran unverzichtbar für eine kritische Geschichte der Anthroposophie und der Anthroposophischen Gesellschaft, verfasst überdies von einem der wohl hellsten und philosophisch geschultesten Köpfe dieser Bewegung in ihrer Gründerzeit. Den größeren Teil der Publikation nehmen daher Anhänge aus meiner Feder ein, in denen ich versuche, das Leben Hans Büchenbachers und die wichtigsten Beobachtungen der Memoiren historisch-kritisch zu rekonstruieren. Für einen ersten Einblick hier das Inhaltsverzeichnis des Bandes.
Hier kann das Buch bestellt werden.
Mehr zu Hans Büchenbacher auf diesem Blog:
„Die nazistischen Sünden der Dornacher“?
Neues Buch: Hans Büchenbacher: Erinnerungen 1933-1949
„Vielleicht besonders empfänglich“: Anthroposoph_innen im Nationalsozialismus
(von Laura Krautkrämer)
Vorwort von Ansgar Martins — Einmal wieder ein Beitrag zu einem der Kernthemen dieses Blogs: Die Vernetzungen von Anthroposophie und Rassismus. Und diesmal sogar von ungewohnter Seite: Die „Anthroposophische Gesellschaft in Deutschland“ scheint sich auf ihrer Jahrestagung 2011 bei einer interessant besetzten Podiumsdiskussion wenn schon nicht mit der Rassenlehre des Anthroposophie-Gründers Rudolf Steiner, so doch immerhin mit dem Verhältnis von Anthroposophie und Nationalsozialismus beschäftigt zu haben. Dabei sind unerwartete und ungewöhnliche An- und Einsichten zutage getreten, wenn etwa Bodo von Plato Schnittmengen zwischen nationalsozialistischem und anthroposophisch-esoterischem Ganzheitsdenken feststellte. Wenn auch keine neuen historischen Informationen freigelegt wurden, scheint mir das doch ein dokumentierungswürdiges Ereignis zu sein. Der folgende Bericht stammt unter dem Originaltitel „Anthroposophie in der Zeit des Nationalsozialismus“ von Laura Krautkrämer (Medienstelle Anthroposophie). Links im Text und Fußnotentexte sind von mir gesetzt.
150 Jahre Rudolf Steiner – das Jubiläumsjahr geht weiter. Die öffentliche Tagung der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland, die Mitte Juni in Weimar stattfand, wollte zu diesem Anlass ein „Begegnungsfest“ werden und sich „dem Ursprung, der Entwicklung und der Zukunft des anthroposophischen Kulturimpulses“ zuwenden, wie es im Veranstaltungsflyer hieß.
Im Rahmen der viertägigen Veranstaltung, die vom 16. bis 19. Juni 2011 im noblen Kongresszentrum Neue Weimarhalle stattfand, wurde mit einem Podiumsgespräch zum Thema „Anthroposophie in der Zeit des Nationalsozialismus“ auch ein Thema aufgegriffen, das im öffentlichen Diskurs bislang vor allem von Kritikern der Anthroposophie besetzt ist. Gerade in Weimar, das eben nicht nur ein zentraler Ort der Deutschen Klassik (und in Steiners Biographie) ist, sondern mit Buchenwald auch ein Ort des nationalsozialistischen Grauens, lag das Thema jedoch nahe. „Steiners Ideen als geistiges Fundament des Nationalsozialismus – diesen Vorwurf, diese Frage wollten wir uns nicht von außen stellen lassen, sondern sie von innen aufgreifen und damit zur Bewusstseinsbildung anregen“, betonte Generalsekretär Hartwig Schiller in seiner Einleitung.
Während das Thema anfangs als eine der zahlreichen Arbeitsgruppen Eingang finden sollte, trafen die Verantwortlichen schließlich die Entscheidung, es im Plenum zu verhandeln. Mit Bodo von Plato, Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft am Goetheanum, den Historikern Michael Rissmann und Uwe Werner (vgl. Wichtige Hinweise – falsche Prämissen) sowie Mechtild Oltmann, Pfarrerin der Christengemeinschaft, war das Podium kompetent besetzt. Moderator war Albert Schmelzer, Dozent an der Freien Hochschule Mannheim.
Was erwartet man nun von einer solchen Veranstaltung von „offizieller Seite“ zu diesem Thema? Dass die zwar wenigen, aber dennoch extrem heiklen Äußerungen Steiners (vgl. Ausrutscher oder Rassenlehre) zum „überholten Judentum“ oder dem angeblich starken Triebleben Farbiger thematisiert würden, war unwahrscheinlich. Auch wenn die internen Auseinandersetzungen um das „Frankfurter Memorandum“, dessen Unterzeichner sich dezidiert von diesen Äußerungen distanzierten, inzwischen einige Jahre zurück liegen, sind sie doch noch in Erinnerung. Tatsächlich konnte man sich in der Weimarer Runde – zu Recht – auf die verschiedenen Untersuchungen sowohl von akademischer als auch von anthroposophischer Seite stützen, die dargelegt haben, dass der von Steiner im Rahmen seines Evolutionskonzeptes geführte Rassendiskurs nicht dem völkischen Rassismus entspricht. Der Historiker Michael Rissmann betonte in diesem Zusammenhang, dass Steiner den Begriff der Rasse als etwas, das zukünftig überwunden werden sollte, postulierte. Uwe Werner, Autor des Standardwerks Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus, wies darauf hin, dass Kritiker wie Peter Staudenmaier oder Jana Husmann bei ihren Rassismusvorwürfen gegen Steiner eine klare Definition dessen, was sie unter Rassismus überhaupt verstünden, schuldig blieben [1], wodurch der Auseinandersetzung eine wichtige Grundlage fehle.
Sehr selbstkritisch in Bezug auf die anthroposophische Bewegung äußerte sich Bodo von Plato: Das Spiel zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sei ein entscheidendes Grundmuster der nationalsozialistischen Ideologie – und zwar im Sinne einer heroischen Vergangenheit, der elenden Gegenwart und der wiederum heroischen Zukunft. Auch in der Anthroposophie sei dies ein wichtiges Muster, wie es überhaupt Parallelen in der „anthropologischen Disposition“, in der Empfänglichkeit für den Faschismus und die Anthroposophie gebe. Der Grund sei eine tiefe Sehnsucht nach dem, was verloren ist und nach einem mythischen Verstehen der Gegenwart – das durch die Rationalität verhindert werde. „Man kann da eine Disposition für alle totalitären Systeme erkennen“, führte er aus. Die Nazi-Ideologie sei in diesem Sinne als Gegenbild zur Anthroposophie zu sehen, „verwandt in der Art, nicht im Wesen“.
Michael Rissmann berichtete, dass in der historischen Forschung seit den 1990er Jahren anstelle der Gesamtbevölkerung verstärkt einzelne Biographien oder auch Berufs- und Bevölkerungsgruppen betrachtet werden. „Vielleicht sollte man nicht immer auf den Nationalsozialismus blicken, genauso wenig wie auf die Anthroposophie. Aus Einzelwahrnehmungen kristallisiert sich möglicherweise ein viel tragfähigeres Bild.“ Obgleich nach einer Aussage des damaligen Vorsitzenden der Anthroposophischen Gesellschaft, Hans Büchenbacher [2], 1933 der gesamte Landesvorstand der Gesellschaft den Nationalsozialismus einhellig abgelehnt habe, schätzte er damals, dass etwa zwei Drittel der Mitglieder den neuen Machthabern gegenüber positiv eingestellt seien (vgl. Waldorf Schools in Nazi Germany). Wie die beiden Historiker Rissmann und Werner darlegten, war diese Affinität durchaus repräsentativ für das bildungsbürgerliche Milieu der Zeit, in dem es zwar Widerwillen gegen das primitive Auftreten der Nazis, aber durchaus Sympathie für deren Anliegen – etwa das Angehen gegen die „Schande von Versailles“ – gegeben habe.
Von Plato unterstrich in diesem Zusammenhang nochmals die damals vorherrschende Sehnsucht, aus der gegenwärtigen Misere herauszukommen. „Anthroposophen waren da vielleicht besonders empfänglich, da sie die Wahrnehmung hatten, dass der Diskurs nicht weiterhilft – wie die Anthroposophie ja überhaupt diskursfeindlich eingestellt war und vielleicht noch ist, weil sie ein apodiktisches Verhältnis zur Wahrheit pflegt.“ Daher habe es wohl vielfach emotionale Affinitäten gegeben, die jedoch in der Praxis, im Handeln keine Entsprechung gefunden hätten. Wie Uwe Werner berichtete, konnten aufgrund der Forschungen des dezidiert kritischen Historikers Peter Staudenmaier bisher 34 Anthroposophen namentlich identifiziert werden, die Mitglieder in der Partei oder Parteiorganisationen waren. „Selbst wenn dazu vielleicht noch 50 weitere Namen kommen sollten, ist dies im Verhältnis zu den damals rund 8.000 Mitgliedern der Anthroposophischen Gesellschaft eine verschwindend geringe Zahl“, so Werner.
Auf die schwierige Abschlussfrage, inwiefern sich aus diesem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte Erkenntnisse ziehen lassen, die vielleicht auch der Weiterentwicklung der Anthroposophie dienen könnten, gab es erwartungsgemäß nur vorsichtige Ausblicke. „Die Anthroposophie fordert den ganzen Menschen, so wie auch totalitäre Systeme wie der Nationalsozialismus das tun,“[3] erklärte von Plato. Es sei entscheidend, trotzdem eine Distanz sowohl zur Weltanschauung als auch zu sich selbst zu bewahren, was eine ständige Gratwanderung erzwinge.
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Fußnoten
[1] Uwe Werner lag während der Erstellung seines Buchs „Rudolf Steiner zu Individuum und Rasse“ noch nicht Jana Husmanns Dissertationsschrift vor, die ausführlich auf Rassismusdefinitionen eingeht und einen sehr weiten Rassismusbegriff vorschlägt, um die fluiden geisteshistorischen Dynamiken, die im modernen Rassismus mündeten, zu erfassen. Bei dem amerikanischen Anthroposophiekritiker Peter Staudenmaier, und der lag Werner vor, heißt es: „The interpretation proposed here is premised on the idea that anthroposophy embodied a contradictory set of racial and ethnic doctrines which held the potential to develop in different directions under particular political, social, and cultural conditions. In spite of anthroposophists’ insistence that their worldview was ‘unpolitical,’ my argument will identify an implicit politics of race running throughout their public and private statements, a body of assumptions about the cosmic significance of racial and ethnic attributes that shaped their responses to fascism. Many of Steiner’s followers considered their own views to be anti-nationalist and antiracist, and there was no straight line that led inexorably to the extreme and explicit formulations of spiritual racism. What emerged were racial and ethnic stances that were frequently ambiguous and multivalent but that in several cases found a comfortable home in fascist contexts precisely because of their spiritual orientation, one that did not deign to concern itself directly with the distasteful realm of politics.“ (Between Occultism and Fascism: Anthroposophy and the politics of race and nation in Germany and Italy, 1900-1945, Diss., Cornell-University 2010, S. X)
[2] Hans Büchenbacher (1887-1977), da selbst jüdischer Abstammung, wurde nach der „Machtergreifung“ alsbald von hoher Stelle nahegelegt, von seinen Ämtern in der deutschen Anthroposophischen Gesellschaft zurückzutreten. Ihm verdanken wir einige interessante Details über Synthesen anthroposophischer und nationalsozialistische Folklore: „Ende Februar 1933 sehe ich im Redaktionsbüro [der Vierteljahresschrift ‚Anthroposophie – Zeitschrift für Freies Geistesleben‘] ein großes Bild von Hitler und darunter auf einem hübschen Brettchen einige schöne Kristalle. In dem sich daran anschließenden Gespräch zeigte sich, dass Picht stark von der nationalsozialistischen Anschauung infiziert war.“, aber Hinweise auf Anthroposoph_innen, die sich gegen den Nationalsozialismus stellten und diesbezüglich vor der Dornacher Führung der Anthroposophischen Gesellschaft enttäuscht waren: „Zu meiner Überraschung waren alle Vorstandskollegen angereist, um mit mir eine Sitzung zu halten. Sie teilten mir mit, dass Frau Dr. Steiner und Dr. Wachsmuth ganz pronazistisch seien…“ (vgl. die Auszüge aus seinen Memoiren in info3 April 1999).
[3] Vgl. dazu auch Monika Neugebauer-Wölk: Esoterik und Neuzeit. Überlegungen zur historischen Tiefenstruktur religiösen Denkens im Nationalsozialismus. Der Glaube freilich, es gebe besondere strukturelle Übereinstimmungen zwischen Esoterik und Nationalsozialismus, lässt sich nur mit schielendem Blick aufrecht erhalten, ebenso schlagend und explizit sind nämlich die Parallelen zu und Anlehnungen an monotheistische Frömmigkeit, vgl. Claus-Ekkehard Bärsch: Die politische Religion des Nationalsozialismus. Die religiöse Dimension der NS-Ideologie in den Schriften von Dietrich Eckart, Joseph Goebbels, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler, München 2002 sowie Ders.: Der junge Goebbels, Erlösung und Vernichtung, München 2004.
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Laura Krautkrämer
Geboren 1973 in Bonn, Studium der Germanistik und Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (MA). 2001-2004 Beraterin in einer Unternehmensberatung für Kommunikation in Frankfurt/Main mit Schwerpunkten in den Bereichen Kulturmarketing, Stiftungs-PR und Unternehmenskommunikation/CSR. Seit 2005 freiberuflich als PR-Redakteurin und -Beraterin sowie als Zeitschriften-Autorin tätig. Lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Oberursel im Taunus. (laura-krautkraemer.de)