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Diesseits von Apartheid und Anthroposophie: Waldorf in Südafrika – eine Diskussion mit Eric Hurner
„Unsere Bewegung ging von Holländern und Engländern und nicht von Deutschen aus, zu einer Zeit wo man nicht gerade gut auf Deutschland zu sprechen war. Wir hatten während der ersten zwanzig Jahre ihres Aufbaus wenig Kontakt zu Deutschland und der Schweiz und fast gar nicht zu den Waldorfschulen. Ich habe einmal in unserem Kollegium während einer Sitzung erlebt wie jemand die Überlegenheit der deutschen Sprache und die Unmöglichkeit, Rudolf Steiner in einer anderen Sprache zu verstehen stark vertrat, und eine amerikanische Kollegin dazu nur laut ‚Sieg Heil‘, rief. Es gab keinen Einwand, denn der Auftritt des Deutschen schien uns völlig daneben. Ich habe mich immer als südafrikanischer Waldorflehrer, der für allgemeine demokratische Rechte eintrat, gehalten, und nie für den Träger einer ‚mitteleuropäischen Kulturmission‘. Ich kann mir kaum vorstellen welche Kollegen das anders empfunden hätten.“
Die Waldorfbewegung Südafrikas ist in Deutschland hauptsächlich für ihren Kampf gegen die Apartheid bekannt geworden – nicht nur diese Vorstellung entlarvt der Anthroposoph Eric Hurner, der in dieser Bewegung groß wurde, als europäischen Mythos. „Keine der Schulen stand jemals in gesetzlichem Konflikt mit der Apartheids-Regierung oder südafrikanischen Regierung.“ Dem Gerücht setzt er eine umsichtige Schilderung der höchst unterschiedlichen Einrichtungen und Strömungen nicht nur in der südafrikanischen Waldorfbewegung entgegen. Er hält dabei an der eindeutig rassismuskritischen Praxis ihrer Institutionen fest, schildert diese jedoch aus ungewöhnlicher Perspektive: Sie sei weniger im Kontext deutsch-anthroposophischer Weltmissions-Vorstellungen zu verstehen als aus dem pragmatischeren Geist einer englischsprachigen Waldorfpädagogik. „Der eigentliche Kampf war ein pädagogischer und kein politischer.“ Neben vielen anderen Einzelheiten ergänzt Hurner das Bild des wegen seiner vormaligen Unterstützung der Apartheid umstrittenen Waldorfpädagogen Max Stibbe, der später zu einer prägenden Gestalt der südafrikanischen Szene wurde. Das Gespräch zeigt einmal mehr, dass sich die komplizierte globale Geschichte der Anthroposophie höchstens eingeschränkt aus ihrem Gründungsimpuls verstehen lässt, weil sie konkret mit dem gesellschaftlichen, politischen und – in diesem Fall – pädagogischen Handgemenge vor Ort zusammenhängt.[1]
[1] Siehe dazu ausführlich Eric Hurner: Kultureller Rassismus und Anthroposophie. Die Integration der südafrikanischen Waldorfschulen, Rendsburg 2016.

Eric Hurner (Foto: Privat)
Zur außerdeutschen Entwicklung der Anthroposophie siehe auch:
Eklektik, Kitsch und Karma: Steiner-Ausstellung in Tokyo