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Theosophie und Anthroposophie – ein Workshop kartiert den „Stand der Erforschung“

Um den „Stand der Erforschung der Theosophie und Anthroposophie“ drehte sich vom 28. Februar bis zum 1. März 2013 ein Workshop im Schweizerischen Fribourg. Geladen hatte Helmut Zander, der vor Ort den Lehrstuhl für Vergleichende Religionsgeschichte und interreligiösen Dialog inne- und eine Reihe aufsehenerregender Publikationen zur Geschichte der Anthroposophie vorgelegt hat. Neben inhaltlichen Vorträgen und Diskussionen (Zander: „Streiten, am besten heftig“) stand auch das Ziel einer längerfristigen Vernetzung auf dem Programm. Bilder gibt es hier.

http://unifr.ch/screl/assets/files/IntWorkshop_TheoAnthroposophie_RLY.pdf

Die Einführungs- und Begrüßungsrunde zeigte nicht zuletzt die Breite der erkundeten Bereiche: Vom Spiritismus über die Rezeption des Orientalismus in Helena Blavatskys frühem Werk „Isis Entschleiert“, die Entwürfe theosophischer Einzelakteure wie Anna Kingsford und bis zu den Transformationen der Anthroposophischen Medizin in die Gegenwart reichen aktuelle Forschungs- (meist Dissertations-)projekte.

Helmut Zander erläuterte in seinem einleitenden Vortrag mit dem Titel „Forschungsperspektiven zur Theosophie und Anthroposophie: gegenstandsbezogene und systematische Überlegungen“ aktuelle Akteure, Geschichte und Perspektiven der Esoterik-Forschung, freilich mit besonderem Augenmerk auf Theosophie und Anthroposophie. Er zeigte eine Landschaft im Umbruch, der weder die disziplinäre Eingrenzung des Etiketts „Esoterikforschung“ noch die Fokussierung auf binnen-theosophische Aspekte völlig gerecht werde. Regional-kulturelle Ausprägungen theo- bzw. anthroposophischer Bewegungen könnten stärker in den Blick genommen werden, ebenso deren Rolle in politischen Diskursen ihrer Zeit – von der Stärkung der indischen Unabhängigkeitsbewegung durch die Theosophie bis zur Rezeption und Förderung anthroposophischer Landwirtschaft durch nationalsozialistische Behörden. Auch die angenommene ‚Marginalität‘ esoterischer Gruppen und Einflüsse stellte Zander zur Debatte: Dies sei zunächst eine Zuweisung und noch kein Urteil über das innovative Potenzial der so eingeordneten Gruppen. Bei vielen Intellektuellen des 19. und 20. Jahrhunderts sei eine Beschäftigung mit Theo- oder Anthroposophie zu verzeichnen, teils als oberflächliche Annäherung, teils als prägende Phase. Dabei stelle der Gegenstand teilweise liebgewonnene religionswissenschaftliche Kategorien in Frage.

Die weiteren Vorträge und Diskussionen der zwei Tage bestätigten (oder mehr noch: erweiterten) diese forschungsperspektivischen Anregungen. Dabei zeigten sich verschiedenste systematische und inhaltliche Herangehensweisen. Den Einzelstudien gewidmeten Teil eröffnete Julian Strube (Heidelberg) mit einem beeindruckenden Vortrag über die „Entstehung des Okkultismus im 19. Jahrhundert“, genauer: Éliphas Lévi (Alphonse Louis Constant, 1810-1875), der den Begriff ‚Okkultismus‘ entscheidend prägte und gern als Revitalisierer esoterischer Traditionen dargestellt wird. Strube konnte in Absetzung von dieser Kolportage zeigen, dass Constant/Levi entscheidend durch ‚utopistisch‘-frühsozialistische und ’neo-katholische‘ Strömungen in Vorfeld und Nachgeschichte der französischen Februarrevolution geprägt war. Sein ‚Okkultismus‘ sei aus religiös-sozialistischen Zirkeln erwachsen und erst später etwa mit Motiven aus Tarot, ‚Magie‘ und Kabbala gefüllt worden.

Anschließend sprach Maria Moritz (Berlin) am „Fall Krishnamurti“ über „Die Theosophische Gesellschaft als Wegbereiterin und Verliererin gesellschaftlicher Innovation am Beginn des 20. Jahrhunderts“. Die Inszenierung Krishnamurtis als globalem Messias las sie vor dem Hintergrund der theosophischen Zentralidee einer ‚universal brotherhood‘. Diese habe in Spannung zur stark hierarchischen Struktur der Krishnamurti-Verehrung gestanden – bis der gesuchte Weltheiland selbst seinen „Orden des Sterns im Osten“ mit dem berühmten agnostisch-’spirituellen‘ Statement von der Wahrheit als „pfadlosem Land“ auflöste.

Robin Schmidt von der Dornacher „Forschungsstelle Kulturimpuls“ setzte den Nachmittag mit einem Überblick über die dokumentarischen Schätze der anthroposophischen Archiv-Landschaft fort. Im Rahmen der Tagung zeigte sich hier auch der unverzichtbare Austausch mit ‚Insidern‘ der erforschten Strömungen – wenngleich nun die Arbeiten Schmidts gerade zu den wenigen anthroposophischen Studien gehören, die mit den Maßstäben historisch-kritischer Forschung mühelos mithalten können. Bruno Michon (Strasbourg) beschloss den offiziellen Teil mit einem „Call for Project“ für einen soziologischen Vergleich zwischen französischer und deutscher Anthroposophie. Die denkbar unterschiedliche Verankerung der Anthroposophie in beiden Ländern ist bekannt, aber nie näher untersucht worden – dies wäre vielleicht die erste größere sozialwissenschaftliche Arbeit zur Anthroposophie überhaupt.

Mit dem so anregenden wie uferlosen Thema „‚Buddhismus‘ zwischen ‚Religion‘ und ‚Philosophie'“ eröffnete Sarah Vandenreydt (Zürich) den zweiten Tag des Workshops. Diese Einordnung wird zwar bis heute sehr unterschiedlich vorgenommen. Vandenreydt zeigte jedoch ihre Ursprünge in der Buddhismus-Adaption/Rezeption/Konstruktion bei Blavatsky und Friedrich Max Müller (1823-1900) auf, der gemeinhin als ‚Gründer‘ der Vergleichenden Religionswissenschaft gilt. Nicht nur zwischen beiden Deutungsmonopolen kam es zu Konflikten. Auch inner-theosophisch konnte ein stärker spiritistisches oder ‚buddhistisch-philosophisches‘ Selbstverständnis zu sehr unterschiedlichen Bewertungen etwa sog. ‚Wunder‘ führen. Der Vortrag zeigte (neben vielem anderen) einmal mehr die polyvalente Stellung der Theosophie zwischen ‚westlichem‘ Kulturimperialismus, Vermittlerin ‚östlicher‘ Traditionen und Teilhaberin religiösen und wissenschaftlichen Wandels.

In der Folge navigierte Bernadett Bigalke (Leipzig) die TeilnehmerInnen unter dem Titel „Die Verbindungslinien zwischen Theosophie und Lebensreform 1895-1914 in Leipzig“ zielsicher durch den esoterischen Irrgarten des frühen 20. Jahrhunderts. Dabei wertete sie unter anderem zeitgenössische Zeitschriften (und darin Anzeigen, Veranstaltungen, aufkommende touristische Angebote oder Partner- und Ratgeber-Annoncen) aus. Bigalke zeigte dichte personelle und ideologische Verflechtungen und Konflikte zwischen alternativkulturellen, spiritistischen und theosophischen Lebens- und Gesundheitskonzepten. Die waren vielfältig und ekklektisch, aber dabei nicht wahllos beliebig. Eine wichtige Komponente dieser alternativreligiösen Szene sei ein vom Körper- bis zum Seelenheil reichender „Reinheitsdiskurs“ im mittelständischen Bürgertum gewesen, in dem u.a. theosophische Mediziner (erfolgreich) versuchten, spiritistischen Konkurrenten den Rang abzulaufen – und der sich keinesfalls auf eine ‚Krise des Kaiserreichs‘ reduzieren lasse.

Mit einem Beitrag zu Bewertungen von Judentum und Antisemitismus in der Anthroposophie, vor allem im Denken jüdisch-stämmiger Anthroposophen, kam auch ich zu Wort. Besagte jüdisch-stämmige Anthroposophen gingen unterschiedlich mit ihrem ‚Judentum‘ um: Von dezidiert jüdischen Selbstverortungen, die sich jedoch meist mit Steiners Christozentrik für kompatibel erklärten (Ernst Müller, Adolf Arenson), bis zur Übernahme einer stramm antijüdischen Haltung (Friedrich Hiebel, Karl König). Ausgangspunkt war Hans Büchenbacher, der in seinen nach 1945 veröffentlichten Texten eine stark pessimistisch-krisenhafte Gegenwartsdiagnose entwarf („…dass der Christus-Impuls im Ich nicht wirksam ist“) und in seinen unveröffentlichten Memoiren eine okkulte Ausdeutung der „nazistischen Sünden der Dornacher“ vornahm. Davon ausgehend stellen sich nicht nur Fragen zur ideologischen Verflechtung von anthroposophischem und Nazi-Antisemitismus, sondern auch zur inneren Diversität der anthroposophischen Szene.

Die Diskussion zu den verschiedenen Präsentationen fiel sehr sachlich, bedächtig und höchstens am Rande mal strittig aus. Gemeinsame Fragen vieler Projekte und Teilnehmer waren u.a. die nach historischen Transformations- und Internationalisierungsprozessen in den einzelnen theosophischen Gruppierungen. In einem Abschlussresümee wies Zander auf weitere Punkte hin, so die binnenperspektivische Trennung von „Theo(-/Anthropo)sophischer Gesellschaft“ und „theo(-/…)sophischer Bewegung“. Dies sei eine relevante Differenz zu vielen ‚hegemonialen‘ Verständnissen von religiöser Mitgliedschaft. Zuletzt wurde die weitere Vernetzung bzw. Bildung von Foren und Veranstaltungen ins Auge gefasst.

7. März 2013 at 6:56 pm


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Hallo allerseits,
Ich bin Ansgar Martins, geb. 1991 und war bis Juni 2010 Schüler an der FWS Mainz. Inzwischen studiere ich Religionsphilosophie, Soziologie und Geschichte in Frankfurt a. M. Dieser Blog ( dessen "Leitbild" ganz oben rechts ) ist mein persönliches Projekt, um die oft einseitigen und selbstgerechten Pro- und Contra-Positionen in der Debatte um die Waldorfpädagogik und Anthroposophie kritisch zu kommentieren. Ich hoffe, das gelingt, und freue mich über Rückmeldungen jeder Art!

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