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Waldorfschule Filstal: Schüler-Projekttage mit Ken Jebsen abgesagt

Im Juni forderte der Bund der Freien Waldorfschulen erfolglos die Entlassung eines Lehrers an der Waldorfschule Minden, der über 20 Jahre lang in extrem rechten Kreisen agierte. Der nächste Fall kommt aus Göppingen – hier haben offenbar Schülervertreter zwei neurechte Verschwörungstheoretiker zu „Projekttagen“ eingeladen. Die Schule ist nun eingeschritten und distanziert sich.  

Die Freie Waldorfschule Filstal ist gewiss ein friedvoller Ort. Von der Altpapiersammlung der „Elterninitiative für Religionsvielfalt“ (ReVie) zu den Projekttagen der Schülermitverwaltung (Thema: „Außerschulische Bildung“ bzw. „Politik – Medien – Wirtschaft – Gesellschaft – Kultur“) passt alles ins Bild des sich an solchen Schulen reproduzierenden Bildungsbürgertums mit Fimmel für leibliche, seelische und geistige Nachhaltigkeitsfragen. „Das breitgefächerte Angebot reicht von politischem Rap über Wirtschaftsfragen bis hin zur Ernährung (veganer Kochkurs)“, freut sich die SMV in der Ankündigung ihrer Projekttage, die vom 20. bis zum 22. Juli für Schüler der Klassen 9-12 stattfinden sollen. Als „großes Gemeinschaftsprojekt“ wird eine Diskussion über TTIP beworben, bei der u.a. ein linkes Bundestags- und ein grünes Landtagsmitglied sprechen sollen. Auf dem (inzwischen auf der Webseite der Schule nicht mehr aufrufbaren) Flyer erfährt man weitere Details:

Highlight am Montag sollte Ken Jebsen sein, mit gleich zwei Vorträgen: vormittags („Medien“) und abends („Krieg und Frieden“). Der erste Vortrag sollte im „Uditorium“ Uhingen, der letztere im nah gelegenen anthroposophischen „Insitut Eckwälden“ stattfinden. Jebsen ist selbst ehemaliger Waldorfschüler und vor allem – nachdem ihm antisemitische Äußerungen vorgeworfen wurden – entlassener RBB-Moderator. Inzwischen betreibt er sein eigenes dubioses Medienportal „KenFM“. Seine Affiliationen und Brüche reichen weit ins neurechte Lager: zu Elsässers „Compact-Magazin“ über den russischen Propagandasender RT-deutsch und Montagswahnmachen zum völkischen „Friedenswinter“. Jebsens Sprache ist deutlich, wenn er etwa vom Mossad erzählt, der natürlich die USA und die Massenmedien beherrscht, oder gleich auf  „altdeutsch“ raunt: Israel strebe „in Palästina die Endlösung“ an. Jebsen gehört zu den bekannteren Gesichtern der sich als „Systemkritiker“ aufspielenden Verschwörungstheoretiker, die nicht nur im weiteren anthroposophischen Umfeld auf stabile ideologische Ressourcen zählen können. An jedem der drei Projekttage sollte es vormittags überdies „Projektgruppen“ geben: Eine davon (Thema: „Pressefreiheit“) mit dem eher unbekannten Rapper Kilez More, ebenfalls ein Fan von NWO, Antiamerikanismus und Medienbashing.

Soweit der Flyer – „Da ist etwas an uns vorbei gegangen. Wir sind erst am Wochenende wach geworden“, gesteht Axel Dittus, Geschäftsführer der Schule. Bei ihm und seinen Kollegen sei die Idee der Schüler, Jebsen einzuladen, abgelehnt worden. Die sollen sich daraufhin an die externen Veranstalter gewandt haben, aber auch diese haben die Veranstaltungen inzwischen abgesagt. Hinterfragt wird nun die Rolle einer Lehrkraft, die die Schüler bei der Organisation beaufsichtigen sollte. In der Neuen Württembergischen Zeitung (Südwest Presse) schreibt dazu Holger Thielen:

„Dass die Auswahl einiger Referenten nicht die Alarmglocken schrillen ließen, liegt womöglich daran, dass das Zerrbild der angeblich manipulierten Medien und die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien an der Schule verbreiteter ist, als manche Eltern – und Lehrer – bisher glaubten. In den sozialen Medien fällt einer der Pädagogen mit besonderen Sympathiebekundungen auf: für Beiträge von Ken Jebsen und Daniele Ganser, einem weiteren Experten in Sachen Verschwörung.“

– und hat recht, bekanntlich über die Waldorfschule Filstal hinaus. Auf Facebook kommentiert dazu ein ehemaliger Waldorfschüler:

„In Gemeinschaftskunde wurde uns an der Waldorfschule unkritisch kommentiert aus „Die Insider“ von Garry Allen, einem antisemitischen und verschwörungstheoretischen Werk über die NWO, vorgelesen. Passt hervorragend zu Ken Jebsen. In seinen Reden fand ich mehrmals Sätze, wie ich sie aus dem Unterricht an der Walldorfschule kenne.“

Jebsen wurde im vergangenen Jahr an die Waldorfschule Überlingen geladen, auch hier distanzierte die Schule sich in letzter Minute. Der Vortrag fand trotzdem statt, weil Eltern der Schule einen externen Raum mieteten. Insbesondere der Schweizer Verschwörungstheoretiker Ganser erfreut sich einiger Beliebtheit im anthroposophischen Milieu. (vgl. Nachrichten bewältigen, Bald Nato-Panzer vorm Goetheanum?) Dieses Milieu freilich ist nur bedingt für den Geisteszustand von Waldorfschülern verantwortlich. Phänomene wie „Reichsbürger“ und „Davis-Methode“ im Waldorfumfeld werden wohl eher vom „alternativen“ Charme dieser Einrichtungen angezogen als von konkreten Lehren Rudolf Steiners. Für das Waldorfklientel trifft ein Satz der Steiner-Biographin Miriam Gebhardt zu: „Wir ‚Verbraucher‘ der Anthroposophie sind wie die Römer, die alle Götter in ihr Pantheon aufnahmen, man kann ja nie wissen.“ (Gebhardt: Rudolf Steiner, 345) Neoliberale Selbsttechnologien, grüne Lebenskunst und spirituelle Philosophie – solange sie nur nicht „intellektualistisch“ daherkommt – bilden hier eine wohlige Legierung mit allerlei esoterischen und esoterikkomatiblen Ideologemen. Das bedeutet keinen Abschied von der Anthroposophie, sondern zeigt deren sukzessive gesellschaftliche Diffusion und Differenzierung in ein breiteres „systemkritisch“-esoterisches Milieu an.

Einen Mikrokosmos dessen präsentiert der Flyer der SMV-Projekttage: Jebsen und Kilez More mögen sich für Kapitalismusgegner halten, die SMV indes scheint sich für ökonomisierte Bildung durchaus erwärmen zu können: Eine „Projektgruppe“ über „Widersprüche im Geldwesen“ als Ursache der Finanzkrise soll der FDPler Eckart Behrens leiten, der auch die Waldorfschule Mannheim und die dortige Waldorflehrer-Ausbildungsstätte mitgegründet hat. Er steht laut Lebenslauf dafür, „Autonomie und Wettbewerb auch im Schul- und Hochschulwesen durchzusetzen“.  Ein weiterer Referent ist laut Flyer Markus Buchmann, den man zur jüngeren anthroposopischen Meditationsbewegung zählen kann. Er bildet „Bildekräfteforscher“ aus und soll auch den Schülern „Die Wirklichkeit des Geistigen“ näherbringen: „Mittels einfacher Meditations- und Wahrnehmungsübungen werden die Hintergründe des anthroposophischen Menschenbildes erkundet“, „praktisch und konkret“, versteht sich. „Gehe durch alles hindurch bis alles durch dich hindurchgeht“, verkündet die Workshop-Beschreibung von Bruno Nagel, der über „Philosophie“ referiert: „Umgebungsbeobachtung und ihre Anforderung ans eigene Ich im Dialog mit der Welt“. „Von der Idee zum Plan das ist der Plan“, kündigt sich eine „Projektgruppe“ zur „Medien-Produktion“ an, nur für Schüler der 11. und 12. Klasse ist eine zu biologischen Grundlagen der Gentechnik vorgesehen. Neben dem waldorfüblichen Improvisationstheater, veganer Küche und Artensterben durch Klimawandel gehören Titel wie „was bewegt uns?“ oder Stressmanagement dazu und verleihen dem Programm den Charme eine esoterischen Coaching-Messe. „Man kann ja nie wissen“. Immerhin: Auf dem Flyer der Projekttage wird auch ein Raphael Schwaderer angekündigt, der erklären soll, warum „wir Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung in unserer Gesellschaft nicht dulden“ und was man „dagegen tun“ könne. Vielleicht ist das der aufschlussreichste Teil des Flyers, weil er die offenherzige politische Konfusion anzeigt. Man kann sich heute durchaus für Antidiskriminierung erwärmen und zugleich bei veganen Häppchen von Jebsen, More und Co über die Mossad-Medien beschwatzen lassen. Für Einheit wird spätestens in den Selbstfindungs-Workshops gesorgt.

Höheres Wissen über verborgene Daseinstiefen jedenfalls korrespondiert mit den geheimen Informationen, die Verschwörungstheorien versprechen. Die Korrespondenz ergibt sich aus der Form des reklamierten Wissens, das gegen einen vermeintlich unterwanderten „Mainstream“ gerichtet ist. Ein Beispiel dafür wäre die anthroposophische „Impf-Kritik“, in der esoterische Medizinvorstellungen und eine sachlich irregeleitete gesellschaftskritische Ambition verschränkt sind. (vgl. „Löffelchen voll Zucker“)

„Conspiracy theory works to present hidden knowledge about evil, but it also cements an audience as ‚in-group‘ and attempts ‚transformation‘ of the passive individual to social mobilization through presenting the negative, where lighter occulture focuses on the positive. Conspiracy theory may thus be a natural, sociological side of esoteric discourse, as well as a logical extension of it in constructing an ‚Other‘ that does not recognize esoteric discourse and attendant movements as legitimate.“ (Asbjorn Dyrendal: Hidden Knowledge, Hidden Powers, in: Asprem/Granholm: Contemporary Esotericism, Sheffield/Bristol 2013, 224f.)

Wollten sich die Waldorfschulen hiergegen immunisieren, wäre nicht nur die Auseinandersetzung mit den eigenen völkischen Theorieelementen, sondern vor allem eine zeitdiagnostisch-kritische Urteilsbildung unumgänglich. Insofern sprechen die SMV-Projekttage eine deutliche Sprache: Dass hier ein Antidiskriminierungsworkshop neben Jebsen steht, spricht Bände über die Defizite, denen ein kritischer Unterricht vorbeugen sollte.

10. Juli 2015 at 3:50 pm 21 Kommentare


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Ich bin Ansgar Martins, geb. 1991 und war bis Juni 2010 Schüler an der FWS Mainz. Inzwischen studiere ich Religionsphilosophie, Soziologie und Geschichte in Frankfurt a. M. Dieser Blog ( dessen "Leitbild" ganz oben rechts ) ist mein persönliches Projekt, um die oft einseitigen und selbstgerechten Pro- und Contra-Positionen in der Debatte um die Waldorfpädagogik und Anthroposophie kritisch zu kommentieren. Ich hoffe, das gelingt, und freue mich über Rückmeldungen jeder Art!

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