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Waldorfschule Filstal: Schüler-Projekttage mit Ken Jebsen abgesagt

Im Juni forderte der Bund der Freien Waldorfschulen erfolglos die Entlassung eines Lehrers an der Waldorfschule Minden, der über 20 Jahre lang in extrem rechten Kreisen agierte. Der nächste Fall kommt aus Göppingen – hier haben offenbar Schülervertreter zwei neurechte Verschwörungstheoretiker zu „Projekttagen“ eingeladen. Die Schule ist nun eingeschritten und distanziert sich.  

Die Freie Waldorfschule Filstal ist gewiss ein friedvoller Ort. Von der Altpapiersammlung der „Elterninitiative für Religionsvielfalt“ (ReVie) zu den Projekttagen der Schülermitverwaltung (Thema: „Außerschulische Bildung“ bzw. „Politik – Medien – Wirtschaft – Gesellschaft – Kultur“) passt alles ins Bild des sich an solchen Schulen reproduzierenden Bildungsbürgertums mit Fimmel für leibliche, seelische und geistige Nachhaltigkeitsfragen. „Das breitgefächerte Angebot reicht von politischem Rap über Wirtschaftsfragen bis hin zur Ernährung (veganer Kochkurs)“, freut sich die SMV in der Ankündigung ihrer Projekttage, die vom 20. bis zum 22. Juli für Schüler der Klassen 9-12 stattfinden sollen. Als „großes Gemeinschaftsprojekt“ wird eine Diskussion über TTIP beworben, bei der u.a. ein linkes Bundestags- und ein grünes Landtagsmitglied sprechen sollen. Auf dem (inzwischen auf der Webseite der Schule nicht mehr aufrufbaren) Flyer erfährt man weitere Details:

Highlight am Montag sollte Ken Jebsen sein, mit gleich zwei Vorträgen: vormittags („Medien“) und abends („Krieg und Frieden“). Der erste Vortrag sollte im „Uditorium“ Uhingen, der letztere im nah gelegenen anthroposophischen „Insitut Eckwälden“ stattfinden. Jebsen ist selbst ehemaliger Waldorfschüler und vor allem – nachdem ihm antisemitische Äußerungen vorgeworfen wurden – entlassener RBB-Moderator. Inzwischen betreibt er sein eigenes dubioses Medienportal „KenFM“. Seine Affiliationen und Brüche reichen weit ins neurechte Lager: zu Elsässers „Compact-Magazin“ über den russischen Propagandasender RT-deutsch und Montagswahnmachen zum völkischen „Friedenswinter“. Jebsens Sprache ist deutlich, wenn er etwa vom Mossad erzählt, der natürlich die USA und die Massenmedien beherrscht, oder gleich auf  „altdeutsch“ raunt: Israel strebe „in Palästina die Endlösung“ an. Jebsen gehört zu den bekannteren Gesichtern der sich als „Systemkritiker“ aufspielenden Verschwörungstheoretiker, die nicht nur im weiteren anthroposophischen Umfeld auf stabile ideologische Ressourcen zählen können. An jedem der drei Projekttage sollte es vormittags überdies „Projektgruppen“ geben: Eine davon (Thema: „Pressefreiheit“) mit dem eher unbekannten Rapper Kilez More, ebenfalls ein Fan von NWO, Antiamerikanismus und Medienbashing.

Soweit der Flyer – „Da ist etwas an uns vorbei gegangen. Wir sind erst am Wochenende wach geworden“, gesteht Axel Dittus, Geschäftsführer der Schule. Bei ihm und seinen Kollegen sei die Idee der Schüler, Jebsen einzuladen, abgelehnt worden. Die sollen sich daraufhin an die externen Veranstalter gewandt haben, aber auch diese haben die Veranstaltungen inzwischen abgesagt. Hinterfragt wird nun die Rolle einer Lehrkraft, die die Schüler bei der Organisation beaufsichtigen sollte. In der Neuen Württembergischen Zeitung (Südwest Presse) schreibt dazu Holger Thielen:

„Dass die Auswahl einiger Referenten nicht die Alarmglocken schrillen ließen, liegt womöglich daran, dass das Zerrbild der angeblich manipulierten Medien und die Anfälligkeit für Verschwörungstheorien an der Schule verbreiteter ist, als manche Eltern – und Lehrer – bisher glaubten. In den sozialen Medien fällt einer der Pädagogen mit besonderen Sympathiebekundungen auf: für Beiträge von Ken Jebsen und Daniele Ganser, einem weiteren Experten in Sachen Verschwörung.“

– und hat recht, bekanntlich über die Waldorfschule Filstal hinaus. Auf Facebook kommentiert dazu ein ehemaliger Waldorfschüler:

„In Gemeinschaftskunde wurde uns an der Waldorfschule unkritisch kommentiert aus „Die Insider“ von Garry Allen, einem antisemitischen und verschwörungstheoretischen Werk über die NWO, vorgelesen. Passt hervorragend zu Ken Jebsen. In seinen Reden fand ich mehrmals Sätze, wie ich sie aus dem Unterricht an der Walldorfschule kenne.“

Jebsen wurde im vergangenen Jahr an die Waldorfschule Überlingen geladen, auch hier distanzierte die Schule sich in letzter Minute. Der Vortrag fand trotzdem statt, weil Eltern der Schule einen externen Raum mieteten. Insbesondere der Schweizer Verschwörungstheoretiker Ganser erfreut sich einiger Beliebtheit im anthroposophischen Milieu. (vgl. Nachrichten bewältigen, Bald Nato-Panzer vorm Goetheanum?) Dieses Milieu freilich ist nur bedingt für den Geisteszustand von Waldorfschülern verantwortlich. Phänomene wie „Reichsbürger“ und „Davis-Methode“ im Waldorfumfeld werden wohl eher vom „alternativen“ Charme dieser Einrichtungen angezogen als von konkreten Lehren Rudolf Steiners. Für das Waldorfklientel trifft ein Satz der Steiner-Biographin Miriam Gebhardt zu: „Wir ‚Verbraucher‘ der Anthroposophie sind wie die Römer, die alle Götter in ihr Pantheon aufnahmen, man kann ja nie wissen.“ (Gebhardt: Rudolf Steiner, 345) Neoliberale Selbsttechnologien, grüne Lebenskunst und spirituelle Philosophie – solange sie nur nicht „intellektualistisch“ daherkommt – bilden hier eine wohlige Legierung mit allerlei esoterischen und esoterikkomatiblen Ideologemen. Das bedeutet keinen Abschied von der Anthroposophie, sondern zeigt deren sukzessive gesellschaftliche Diffusion und Differenzierung in ein breiteres „systemkritisch“-esoterisches Milieu an.

Einen Mikrokosmos dessen präsentiert der Flyer der SMV-Projekttage: Jebsen und Kilez More mögen sich für Kapitalismusgegner halten, die SMV indes scheint sich für ökonomisierte Bildung durchaus erwärmen zu können: Eine „Projektgruppe“ über „Widersprüche im Geldwesen“ als Ursache der Finanzkrise soll der FDPler Eckart Behrens leiten, der auch die Waldorfschule Mannheim und die dortige Waldorflehrer-Ausbildungsstätte mitgegründet hat. Er steht laut Lebenslauf dafür, „Autonomie und Wettbewerb auch im Schul- und Hochschulwesen durchzusetzen“.  Ein weiterer Referent ist laut Flyer Markus Buchmann, den man zur jüngeren anthroposopischen Meditationsbewegung zählen kann. Er bildet „Bildekräfteforscher“ aus und soll auch den Schülern „Die Wirklichkeit des Geistigen“ näherbringen: „Mittels einfacher Meditations- und Wahrnehmungsübungen werden die Hintergründe des anthroposophischen Menschenbildes erkundet“, „praktisch und konkret“, versteht sich. „Gehe durch alles hindurch bis alles durch dich hindurchgeht“, verkündet die Workshop-Beschreibung von Bruno Nagel, der über „Philosophie“ referiert: „Umgebungsbeobachtung und ihre Anforderung ans eigene Ich im Dialog mit der Welt“. „Von der Idee zum Plan das ist der Plan“, kündigt sich eine „Projektgruppe“ zur „Medien-Produktion“ an, nur für Schüler der 11. und 12. Klasse ist eine zu biologischen Grundlagen der Gentechnik vorgesehen. Neben dem waldorfüblichen Improvisationstheater, veganer Küche und Artensterben durch Klimawandel gehören Titel wie „was bewegt uns?“ oder Stressmanagement dazu und verleihen dem Programm den Charme eine esoterischen Coaching-Messe. „Man kann ja nie wissen“. Immerhin: Auf dem Flyer der Projekttage wird auch ein Raphael Schwaderer angekündigt, der erklären soll, warum „wir Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung in unserer Gesellschaft nicht dulden“ und was man „dagegen tun“ könne. Vielleicht ist das der aufschlussreichste Teil des Flyers, weil er die offenherzige politische Konfusion anzeigt. Man kann sich heute durchaus für Antidiskriminierung erwärmen und zugleich bei veganen Häppchen von Jebsen, More und Co über die Mossad-Medien beschwatzen lassen. Für Einheit wird spätestens in den Selbstfindungs-Workshops gesorgt.

Höheres Wissen über verborgene Daseinstiefen jedenfalls korrespondiert mit den geheimen Informationen, die Verschwörungstheorien versprechen. Die Korrespondenz ergibt sich aus der Form des reklamierten Wissens, das gegen einen vermeintlich unterwanderten „Mainstream“ gerichtet ist. Ein Beispiel dafür wäre die anthroposophische „Impf-Kritik“, in der esoterische Medizinvorstellungen und eine sachlich irregeleitete gesellschaftskritische Ambition verschränkt sind. (vgl. „Löffelchen voll Zucker“)

„Conspiracy theory works to present hidden knowledge about evil, but it also cements an audience as ‚in-group‘ and attempts ‚transformation‘ of the passive individual to social mobilization through presenting the negative, where lighter occulture focuses on the positive. Conspiracy theory may thus be a natural, sociological side of esoteric discourse, as well as a logical extension of it in constructing an ‚Other‘ that does not recognize esoteric discourse and attendant movements as legitimate.“ (Asbjorn Dyrendal: Hidden Knowledge, Hidden Powers, in: Asprem/Granholm: Contemporary Esotericism, Sheffield/Bristol 2013, 224f.)

Wollten sich die Waldorfschulen hiergegen immunisieren, wäre nicht nur die Auseinandersetzung mit den eigenen völkischen Theorieelementen, sondern vor allem eine zeitdiagnostisch-kritische Urteilsbildung unumgänglich. Insofern sprechen die SMV-Projekttage eine deutliche Sprache: Dass hier ein Antidiskriminierungsworkshop neben Jebsen steht, spricht Bände über die Defizite, denen ein kritischer Unterricht vorbeugen sollte.

10. Juli 2015 at 3:50 pm 21 Kommentare

„Selbstverwaltung“. Neues von der WaldorfSV

Die WaldorfSV „ist die Vertretung der Schüler/innen der im Bund der Freien Waldorfschulen e.V. zusammengeschlossenen Schulen.“ Als solche ist sie (seit 2010 auch formal) in die Gremien des Bundes der Freien Waldorfschulen eingereiht und in dessen Arbeit auch personell vertreten. Nach außen hat die WaldorfSV bisher m.W. nirgends Aufsehen erregt – abgesehen von einer Polemik auf Andreas Lichte, verfasst vom Ex-Vorstand Valentin Hacken, auf dem Blog Ruhrbarone.

In der Selbstwahrnehmung hat die WaldorfSV jedoch „in den letzten Jahren, insbesondere seit 2007, einen erheblichen Wandel vollzogen, wie vielfach konstatiert. Aus einem Tagungsnetzwerk für Open-Space-Tagungen wurde ein Bundesschülerrat, der ernsthafte, konstruktive und kritische Auseinandersetzung mit Waldorfschule betrieben hat.“ (Offener Brief). Ich habe in meiner Schulzeit und als Schülervertreter der Waldorfschule Mainz an einigen solcher Tagungen teilgenommen, die Plattformen für wirklich anregende Workshops, sublim anthroposophische Vorträge und vor allem die Möglichkeit zur Vernetzung mit SchülerInnenVertretungen anderer Waldorfschulen boten. Die Rolle einer wirklichen Vertretung gegenüber dem Bund hatte die WaldorfSV damals noch nicht. Die Möglichkeit etwa, Anträge an die zweimal im Jahr stattfindenden Tagungen zu stellen oder über das Arbeitsprogramm des immerhin demokratisch gewählten Vorstandes abzustimmen, war im Ablauf dieser Tagungen nicht vorgesehen. Erst seit Anfang 2010 existiert eine neue Geschäftsordnung, die glücklicherweise genau das umfassend vorsieht und ermöglicht.

Vor dem Hintergrund dieser begrüßenswerten Entwicklung überraschte kürzlich ein Offener Brief, den amtierende und ehemalige FunktionärInnen der WaldorfSV unterzeichnet haben:

„Zum 13. Juni 2012 hat die WaldorfSV die Geschäftsstelle geschlossen und alle Projekte eingestellt. Es haben, bis auf den amtierenden Vorstand, alle Ehrenamtlichen ihre Arbeit niedergelegt.
Selbstverwaltung ist nie und für niemanden einfach, doch hier geht es um ein grundsätzliches, ein strukturelles Problem, das eine sinnvolle Arbeit verunmöglicht. Mit einem Budget unterhalt der 3.000 Euro im Jahr, einer Infrastruktur ohne eine einzige hauptamtliche Stelle und dem Aufwand und Anspruch einer bundesweiten Schülervertretung, sehen wir keine Zukunft! Im Gegenteil haben wir in den letzten Jahren erleben müssen, wie sehr engagierte und fähige Schülervertreter_innen nicht nur ihre Schule vernachlässigt haben, sondern auch zunehmend resigniert, traurig und manchmal zerstört ihre Arbeit aufgegeben haben, weil sie keine Chancen mehr sahen, sich ernsthaft zu beteiligen; ihre Projekte einstellen mussten, und das nicht aus Mangel an Initiative! Dies gilt auch besonders für die regionalen Arbeitsgruppen, die sowohl in Zusammenarbeit mit der WaldorfSV und unabhängig nie mehr als ein Jahr geschafft haben.“ (Offener Brief)

Das Schreiben soll in den nächsten Tagen an alle Schulen, Seminare und Landesarbeitsgemeinschaften der Waldorfbewegung verschickt werden, heute (am 1.7.12) ging es über den Verteiler der WaldorfSV. Zurecht wird darin festgehalten: „Was für die staatlichen Landesschülerräte – in denen teils auch Waldorfschüler_innen die freien Schulen vertreten – selbstverständlich ist, benötigt auch die WaldorfSV: eine hauptamtliche Stelle, eine pädagogisch- und verbandstechnisch-politische Betreuung der Ehrenamtlichen.“ Weiter wird die organisatorische Gleichstellung mit dem Bundeselternrat der Waldorfschulen „als Organ und mit Stimmberechtigung in der Bundeskonferenz“ verlangt. Am Wochenende vom 6.-8. Juni 2012 treffen sich Vorstand und andere Ehrenamtliche der WaldorfSV in Offenburg, wo eine Pressemitteilung verfasst und das weitere Vorgehen besprochen werden soll. Sollte der Waldorf-Bund nicht reagieren, will der ‚Bundesschülerrat‘ seine Arbeit nach einer vorerst letzten Tagung in Haan-Gruiten endgültig einstellen.

Vermutlich hat der Bund der Freien Waldorfschulen kein Interesse an einer solchen Selbstauflösung: Die Hauszeitschrift Erziehungskunst gibt den Offenen Brief im Wortlaut wieder (Bundesschülerrat legt Arbeit nieder), laut Valentin Hacken (langjähriges Vorstandsmitglied und weiterhin Geschäftsführer der WaldorfSV) hat der Vorstand des Bundes inzwischen informell Gesprächsbereitschaft signalisiert. Michael Mentzel lässt Henning Kullak-Ublick zu Wort kommen, der findet, der Brief sei auch gar nicht „konfrontativ, sondern einfach um Klarheit bemüht“. Kullak-Ublick begrüßt eine starke SchülerInnenbeteiligung und versprach eine „gründliche“ Auseinandersetzung mit dem Anliegen der SVler (TdZ).

Was die WaldorfSV nicht kritisiert ist das sehr viel grundsätzlichere Problem von SchülerInnenVertretungen an Waldorfschulen. Das ist ihr fürs Erste nicht vorzuhalten: es ist selbstverständlich, dass die akuten Probleme Vorrang haben. Doch obwohl es inzwischen an vielen Waldorfschulen mehr und/oder weniger gut organisierte SchülerInnenVertretungen gibt – in der esoterisch ummantelten, „selbstverwalteten“ Struktur dieser Schulen waren diese niemals eingeplant. Das gemeinsame Leitbild der deutschen Waldorfschulen ist zwar von lächelnden Kindergesichtern umrahmt, doch darin heißt es zur Verwaltung der Schulen:

„Das Engagement und die Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern sind die Grundlage der gemeinsamen pädagogischen und wirtschaftlichen Trägerschaft einer Waldorfschule. Organisation, Leitung und Verwaltung der Schule werden von Lehrern und Eltern nach den sozialen Impulsen der Anthroposophie selbst gestaltet. Die Lehrer beteiligen sich an der kollegialen Selbstverwaltung der Schulen. Die Verantwortlichkeit für Prozesse und Entscheidungen ist klar definiert und transparent.“

Pädagogische oder ‚wirtschaftliche‘ Mitverantwortung und -verwaltung seitens der Schülerinnen und Schüler wird dort nicht erwähnt. Einzelne Waldorfschulen weichen davon ab: „Eltern, Lehrer, Schüler, Mitarbeiter der Schule und des Ganztagesbereiches gestalten das Schulleben in Selbstverwaltung“, heißt es etwa im Leitbild der FWS Mainz. Aber während sich mit der Literatur zu den ‚okkulten‘, dreigliedrigen Grundlagen der waldorfpädagogischen ‚Selbstverwaltung‘ Bibliotheken füllen ließen, muss man lange nach spezifisch waldorfpädagogischen Entwürfen für eine SchülerInnenMitverwaltung suchen.

Die kommen, wenn überhaupt, meist sehr vage daher. Johannes Kiersch beispielsweise betont „das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung“ und nennt dazu auch „die vielfältige Mitbeteiligung von Schülern und Eltern am Leben der Schule außerhalb des Unterrichts“ (Kiersch: Die Waldorfpädagogik, Stuttgart 2007, 57). Doch die einzige mir bekannte ausführliche Konzeption eines „Organs der Schülerschaft“ findet sich ausgerechnet bei Stefan Leber (Die Sozialgestalt der Waldorfschule, Frankfurt a.M. 1984, 292-301). Leber beschreibt die Rolle einer “Schülerkonferenz” mit konstitutiver Mitverantwortung, die u.a. auch zwei Deligierte “zur Teilnahme an der Allgemeinen Lehrerkonferenz” entsendet. Leber realisiert, dass die “schulischen Prozesse der Zusammenarbeit der Schüler und Lehrer bedürfen.” (ebd., 300).

Solche Erkenntnisse finden trotz, nicht wegen der waldorfpädagogischen Grundlagen statt. Die von Rudolf Steiner kompilierte Pädagogik soll zwar das heilige ‚Ich‘ der Schülerinnen und Schüler fördern und dessen (Selbst-)Entfaltung fördern. „Das heißt: Jedes Kind auf jeder Altersstufe erzieht sich selbst … Was diese Individualität dann von sich aus tut, kann nur abgewartet und nicht geplant werden. Daher Steiners schon früh auftretende kontinuierliche Mahnung an seine pädagogischen Schüler, jedes Kind als niemals völlig zu lösendes ‚Rätsel zu betrachten und zu respektieren.“ (Johannes Kiersch: Waldorfpädagogik als Erziehungskunst, in: Rahel Uhlenhoff: Anthroposophie in Geschichte und Gegenwart, 439f.). ‚Das Kind‘ wird somit durchaus respektiert, aber zur passiven Monade, zum Vollstrecker (s)eines ’natürlich‘ vorgegebenen (Selbst-)Entwicklungsprogramms, in dem Jahrsiebte und eine starke Rolle der ‚geliebten Autorität‘ der Lehrer zentrale Rollen spielen. Für Steiner war es eine „höchste, heilige, religiöse Verpflichtung, das Göttlich-Geistige, das ja in jedem Menschen, der geboren wird, neu erscheint und sich offenbart, in der Erziehung zu pflegen“ (GA 293, 204). Dieses ‚Göttlich-Geistige‘ soll auf den ‚rechten Weg‘ gebracht, ‚gepflegt‘ werden. ‚Es‘ bleibt als solches Objekt eines als religiös verstandenen „Erziehungsdienstes“ (ebd.). Das heißt auch: SchülerInnen sollen sich nicht (oder frühestens nach der ‚Geschlechtsreife‘) selbst zum Subjekt der Meinungsbildung und gar Mitgestaltung machen.

Die Einbeziehung von Schülerinnen und Schülern in die pädagogische und organisatorische Gestaltung der Schule findet zwar faktisch immer öfter statt, steht zum offiziellen Programm jedoch im denkbar größten Widerspruch. Um SchülerInnenVertretungen in der ‚Menschenkunde‘ der Waldorfschulen zu verankern, müsste das Wohlfühlwort ‚Selbsterziehung‘ zum Versprechen einer Selbstbestimmung umformuliert werden.

Um eines klarzustellen: Es würde mich sehr wundern, wenn diese (fehlende) Grundsatzdebatte den Verhandlungen zwischen dem Bund der Freien Waldorfschulen und der WaldorfSV im Wege stünde. Die Stärken der real existierenden Waldorfpädagogik liegen eben darin, dass man statt Reflexion oder Neubesinnung über die Probleme der bei jedem Anlass herbeizitierten Steinertexte munter hinwegliest. Diese Stärken liegen darin, dass „ihre Protagonisten an die Anthroposophie nicht mehr ‚glauben‘ wie an eine überkommene Tradition, sondern weil sie sie, geschliffen und aufpoliert, in bewusstloser Überzeugung handhaben wie das modernste Kommunikationsmittel.“ (Magnus Klaue) Diese Haltung steht freilich Reform und Innovation noch weitaus mehr im Weg als verSteinerte Orthodoxie. Unabhängig davon darf man auf die genauen Aushandlungen zwischen Bund und Waldorf-SV sicher gespannt sein.

1. Juli 2012 at 7:51 pm 4 Kommentare

Freiheit, Dummheit und Schule – Rückblick auf die 14. WaldorfSV-Tagung in Berlin

Dieses Wochenende (16.-18. Oktober) hatte ich das ganz besondere Vergnügen wieder einer Tagung der WaldorfSV (vgl. Vollgas mit Handbremse 3) beizuwohnen.

Im Frühjahr war die letzte Tagung leider einfach ausgefallen, monatelang hieß es auf der WaldorfSV-Seite lapidar: „Wir werden in den nächsten Tagen das neue Datum mitteilen und bitten bis dahin um Geduld!“  Wie ich auf der jetzt stattfindenden Tagung erfuhr, waren zwei Mitglieder des „Sprecherkreises“ ausgefallen.

Vor ein paar Wochen flatterte dann zu meinem Erstaunen doch noch eine Einladung zur nächsten Tagung in das Postfach meiner SV. Der Flyer verkündete, dass das auf der Tagung besprochene Thema „Freiheit“ im weitesten Sinne behandelt würde.

Da zwei Delegierte die Fahrt von der Schule erstattet kriegen fuhren wir zu zweit hin und fanden uns gegen Nachmittag in der Waldorfschule Berlin-Kreuzberg ein.

Am Freitag abend begann das Programm mit einem gefühlte-8-Stunden-Vortrag von Nana Göbel (aus dem Vorstand der „Freunde der Erziehungskunst“, langjährige Mitarbeiterin der GLS-Bank, Mitbegründerin mehrerer Schul- und Sozialprojekte v.a. im Waldorfumfeld) die über das Tagungsthema „Freiheit“ referieren sollte. Der Vortrag wiederum begann mit der für WaldorfpädagogInnen tragischerweise symptomatischen Ankündigung, dass sie über „die ideale Waldorfpädagogik“ reden wolle, nicht die Probleme der „praktischen“ (womit die brisantesten Themen natürlich vom Tisch waren).

Neben allerlei Trallala über Identität, Persönlichkeit und die (Nicht-?)Existenz eines „Ich“ waren einige interessante Punkte zu hören, dass etwa „das Ich“ nicht begrenzt gedacht werden dürfe, sondern vor allem die Fähigkeit entwickelt werden müsse, „sich einzulassen“ – was für die Pädagogik heißen müsse, dass LehrerInnen und SchülerInnen zu „Partnern“ im Lernprozess werden müssten – in der Tat so idealistisch wie überfällig. Dass es das „Wesenhafte der Freiheit“ sei, immer neu errungen werden zu müssen und nie haften zu bleiben. Am amüsantesten war allerdings eine Bemerkung Nana Göbels über die teleologische Evolution, dass diese „die Idee des Menschen“ von Anfang an enthalten habe. Das sorgte nach dem Vortrag für eine hitzige Diskussion.

Samstag und Sonntag holten aber inhaltlich und von der Intensität der Gespräche deutlich auf. In frei aufgeteilten Gruppen zu Bildung, Kunst, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik wurden diverse Texte (von Zeitungsartikeln über Kurzgeschichten, Feminismus, die Forderungen der Märzrevolution 1848, Prechts Buch „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ zu Propagandaartikel der Nazis von 1936) gewälzt und in angeregten Gesprächen diskutiert. Was überhaupt ist Freiheit? Welche Relevanz hat die Definition eines „Freiheitsbegriffs“ für Leben und Alltag? Ist der Mensch „frei“ (innerlich oder äußerlich?) und wie weit? Oder überhaupt? Wie reagiert mensch auf Unterdrückung? Wie kann mensch diese Erkenntnisse gesellschaftlich oder institutionell berücksichtigen oder verwirklichen? Ein Themengebiet, mit dem mensch wirklich nicht jedes Wochenende so intensiv zu tun hat. Die Abende standen natürlich unter dem Zeichen der zahlreichen Attraktivitäten der Stadt Berlin.

Sonntag vormittag wurden vier neue Mitglieder für den „Sprecherkries“ der WaldorfSV gewählt, der die Projekte der WaldorfSV vorantreibt, mit dem BdFW Rücksprache hält und vor allem die nächste Tagung zu organisieren hat. Das Thema SchülerInnen-VERTRETUNG hatte aber auf der Tagung, wie so oft bei der WaldorfSV, kaum Platz (wäre doch gerade hier ein Thema gewesen, bei dem sich Diskussionen über „Freiheit“ ganz praktisch anbietet!!!). Es ergaben sich zwar viele interessante und informative Gespräche mit einzelnen Menschen über das, was verschiedene SVen gerade wie machen, wie sie in der Gremienlandschaft der Schule stehen etc., aber das eher außerhalb des Tagungsprogramms. Immerhin kann ich meiner Liste von SVen an FWSen“ die Schulen in Karlsruhe, Mannheim, Kaltenkirchen, Wolfsburg, Bielefeld und Oberursel hinzufügen.

Insgesamt waren nur 80 TeilnehmerInnen da (150 im letzten Jahr), was wohl an der späten Verschickung der Einladungen lag (und daran, dass der Tagungsort erst sehr spät festgelegt wurde, weil die ursprünglich geplante Schule absagte). Diese 80 Teilis waren aber sehr munter und diskussionsfreudig. Auf die lange Rückreise nahmen wohl alle neue Kontakte, Ideen und „revolutionäre“ Anregungen mit. Bleibt zu hoffen, dass sie sich bis in die Zähigkeit des Schulalltages durchkämpfen.

19. Oktober 2009 at 11:56 pm 5 Kommentare

“Vollgas mit Handbremse“ (5.): Schule für Menschen

Dieser Artikel ist die Nummer 5 in der Reihe “ ‚Vollgas mit Handbremse‘: Warum Waldorfschulen mehr SchülerInnenpartizipation brauchen“. Dieser Artikel baut inhaltlich auf die anderen auf, Vgl. daher die vorigen fünf.

Jetzt möchte ich noch einmal einen Bogen zur eingangs erwähnten Unterrichtssitutaion schlagen: Die Verankerung von SVen im Verwaltungs“organismus“ der FWSen ist konzeptionell den Darstellungen Rudolf Steiners entgegengesetzt. Auch die starke Rolle der LehrerInnen wird seit Jahren mehr und mehr kritisch hinterfragt ( und zurecht! ), gerade unter WaldorfSVlerInnen. So hat sich auch etwa die oben erwähnte SMV der FWS Schwäbisch Hall etwa entschieden für einen offeneren, dezentraleren Unterricht ausgesprochen ( siehe 4. ).

Eine Erziehung tatsächlich vom Kind aus kann nicht funktionieren, wenn vorne einE LehrerIn steht, und ( und sei es noch so bemüht ) Stoff vermitteln will!

Jüngst forderte der bereits zitierte Rüdiger Iwan eine radikale Reform des Prinzips „Epoche“: Es ginge darum…  

 „…was das Kind nach außen setzen und sich wirklich auch erarbeiten möchte (…) etwas zur Lebensepoche, zum Lebensthema für ein Kind zu machen, weil es wirklich zur Entwicklung des Kindes gerade passt und es sich damit beschäftigen will. (…) Also nach innen begründet es das Prinzip: Erziehung vom Kinde her. Zusätzlich erfordert es nach außen, die Umgebungsumstände so einzurichten, dass tatsächlich jeder sein Thema finden und freisetzen kann. Das umfasst die Lernumgebung und im besonderen Maße die Frage, wie wir die Lernzeit in der Schule organisieren. Und dieser Aspekt ist nie wirklich realisiert worden. (…) Wenn wir dafür heute Praxisbeispiele suchen, dann muss ich leider sagen, würden wir eher bei einer Montessori-Schule fündig als in einer Waldorfschule.“

( Rüdiger Iwan: „Waldorfschule, ein Reformmodell im Umbruch“, Interview in: info3, Sonderheft Frühjahr 2009, S. 18f. )

In seinem eingangs zitierten Buch „Die neue Waldorfschule“ greift er die Schulrealität mit befreiender Offenheit und an vielen konkreten Beispielen an – mit vernichtendem Fazit. In Anlehnung an das schwedische Erfolgsmodell der „Portfolio“-Methode fordert er, Waldorf von einer „alternativen Schule“ ( deren Ansprüche teilweise nie verwirklicht wurden ) wirklich umzugestalten: in eine Alternative zur Schule.

 Gedanken, die an vielen Stellen innerhalb der Waldorf-„Szene“ immer stärker auftauchen – Initiativen wie Captura stehen dafür, die das o.g. Steiner-Zitat anschaut und fragt:    

 

 

 

„Was ist zu tun jeden Tag? Wenn ich an die momentane Situation der Oberstufe in den Waldorfschulen denke, sehe ich, dass da ein Programm abläuft, in dem es keine Tagesgestaltung gibt, in dem ein dynamisches Element, das jeden Tag, jede Woche, jedes Jahr vom Kind bzw. Jugendlichen aus liest, was zu tun ist. Womit ich nicht die meistens hervorragenden Leistungen der tätigen Lehrer kritisieren will (…) womit ich aber das gesamte Konzept: ‚Lernen findet nur dann statt, wenn ein Lehrer da ist, der Unterricht gibt‘ in Frage stellen will.

Wo soll ein lebendiges Geistesleben entstehen, wenn alles zugeplant ist? (…) Wie wirkt sich die heutige Schule auf die Initiativkraft aus?

Die heutige Oberstufe hat für mich etwas von Laufen wollen, obwohl man einen Krampf im Bein hat – oder von einem Auto, dass mit angezogener Handbremse Vollgas fährt.“

 

( Florian Lück in: „Herausforderung Freiraum…zum Leben und Lernen. Dokumentation der Tagung ‚Captura 2006‘, Witten, 2006, S. 62 )

Mit diesem neuen Prinzip gerieten zwei Eckpfeiler der Steiner-Pädagogik ins Wanken:

Erstens, wie schon gesagt, die bisherige Rolle der LehrerInnen.

Zweitens die Notwendigkeit eines festgelegten Lehrplans ( wie das heute meist zwischen geistleerem Dogma und aussagelosem Anspruch schwankende Konzept von „Jahrsiebten“ und den daraus vor Urzeiten abgeleiteten Epocheninhalten ).

Captura plädiert für das „Wagnis Freiraum“ auf Kosten der bisherigen Organisation von Schule. Einen Unterricht, der auf Bedürfnisse und Interessen der/ des Einzelnen Rücksicht nimmt, aber vor allem auch Platz für Begegnung schafft – ohne eine Art UnterrichtsleiterIn. Eine Schule ohne geliebte ode rungeliebte Autoritäten, sondern rein menschliche Menschen.

Dieses Problem betrifft natürlich nicht nur die Situation an Waldorfschulen, sondern die des gesamten ( zumindest des deutschen ) Bildungssystems! Dort herrscht Frontalunterricht ebenso wie an FWSen, natürlich verstärkt durch die eigenen und nicht minder schweren systemimmanenten Probleme ( Notengebung in frühen Lebensaltern, Versetzungsdruck, Selektion meist nach Klasse 4 etc. ).

Wie gesagt: Es geht nicht um einen Angriff auf einzelne LehrerInnen, meine eigene Schule empfinde ich zumindest weit überwiegend als eine gute, und zahlreiche Umfragen und Studien zeigen ähnliches für das Gros der WaldorfschülerInnen, aber das „System“ Waldorf als solches ist in vielen Aspekten geradezu erstaunlich verkrustet und überdeutlich reformbedürftig! Neue Möglichkeiten bieten sich an, Ideen ( etwa im Portfolio-Ansatz ) existieren, einzelne Schulen suchen schon aktiv nach Mitteln zur Umsetzung. Was fehlt, sind Menschen, die eine breite Basis dafür bilden, und sich aktiv für ihre Verwirklichung einsetzen! Ich bin überzeugt, dass dies v.a. SchülerInnen sein müssen.

13. Juli 2009 at 6:47 pm 5 Kommentare

“Vollgas mit Handbremse“ (4.): Die Praxis: SV an FWSen

Dieser Artikel ist der vierte ( von fünf ) in der Reihe “ ‚Vollgas mit Handbremse‘: Warum Waldorfschulen mehr SchülerInnenpartizipation brauchen. Vgl. die restlichen Artikel dieser Reihe.
Mir selbst ist die Existenz von WaldorfSVen bisher an den folgenden Schulen relativ sicher bekannt. Ganz unten habe ich eine Liste mit SVen/ SMVen eingefügt, die auf der Internetseite ihrer jeweiligen Schule vorgestellt werden.

Baden-Württemberg: Böblingen, Emmendingen, Freiburg-St. Georgen, Heidelberg, Lörrach, Offenburg, Pforzheim, Ravensburg, Reutlingen, Schopfheim, Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Hall, Stuttgart (am Kräherwald), Tübingen

Bayern: Augsburg, Hof/ Saale, München-Gröbenzell, München-Schwabing, Prien

Berlin: Dahlem, Zehlendorf

Bremen: ?

Hamburg: Bergstedt, Nienstedten

Hessen: Frankfurt, Kassel

Niedersachsen: Benefeld, Göttingen, Hannover-Maschsee, Ottersberg

Nordrhein-Westfalen: Aachen, Bonn, Dinslaken, Köln, Krefeld, Mönchengladbach, Münster, Oberberg, Sankt Augustin, Siegen

Rheinland-Pfalz: Frankenthal, Mainz, Neuwied , Trier

Saarland: Bexbach

Das sind 45 Schulen von über 200, also kein Viertel der FWSen in Deutschland. Von einigen dieser SVen weiß ich nicht, wie aktiv sie sind, und von manchen, dass sie ziemlich inaktiv sind, andere auch sehr aktiv und erfolgreich. Unterschiedlich ist auch die Rolle der SVen in der Organisation der Schule, manch haben nur „Anhörungsrecht“ in den anderen Gremien ( etwa in Berlin-Dahlem ), existieren nur zur Organisation von SchülerInnenpartys, Oberstufenfahrten und der Einrichtung von Aufenthaltsräumen ( was aber auch an vielen öffentlichen Schulen so ist, es hat leider nicht jedeR Interesse an Mitverwaltung ). Es ließe sich also noch eine ganze Menge verändern, verbessern, neu aufbauen! Aber: Ich kann natürlich nur die SVen aufzählen kann, die mir bekannt sind, erhebe also in keiner Weise Anspruch auf Vollständigkeit, im Gegenteil: Mit ziemlicher Sicherheit sind mir welche entgangen.

Repräsentativ für Selbstverständnis und Aktivitäten von vielen WaldorfSVen dürfte ein Text sein, den ich auf der Webseite der FWS Offenburg fand:

„Wir versuchen nicht nur einseitig die Schülerinteressen durchzusetzen, sondern fungieren auch immer wieder als Vermittler zwischen Lehrer- und Schülerideen.
Auch fordern wir nicht einfach nur, sondern bringen uns aktiv mit ein, entwickeln eigene Konzepte und Lösungen.
Als Hauptaufgabe sehen wir es, die Schüler/innen zu vertreten, Schwachstellen unserer Schule aufzudecken und Lösungen zu suchen und das Demokratiebewusstsein der Schüler/innen zu stärken und sie immer wieder zu animieren, sich in ihrer Schule einzubringen.
Zudem organisiert die SV auch Vorträge, Umwelt- und Menschenrechtsprojekte, Diskussionen etc.
Bei Fragen wenden Sie sich an unsere Schulsprecher.“

( SV der FWS Offenburg, Link s.u. )

Manche SchülerInnenVertreterInnen fühlen sich nicht genug in den Schulalltag eingebunden, artikuliert etwa jüngst von der SMV ( SchülerInnenmitverwaltung ) der FWS Schwäbisch-Hall, die von den LehrerInnen nicht richtig ernstgenommen wird, ihre Vorschläge seien dort oft auf Ablehnung gestoßen, etwa, wenn es darum ging, die SMV bei LehrerInnenwechseln in der Oberstufe „grundsätzlich und verpflichtend“ mit einzubeziehen. ( vgl. Markus Stettner-Ruff: „Waldorfschule statt Waldorfgymnasium – Mit Dreizehntklässlern im Gespräch“, in: „Erziehungskunst“, 5/ 2009, S. 570 )

Meine persönlichen Erfahrungen als SVler an der FWS Mainz sind recht positiv. Wir sind auch in pädagogischen Fragen eingebunden: Als im letzten Jahr eine Erweiterung des freiwilligen Ganztagsbereichs bis Klasse 10 stattfand, wurde das pädagogische Konzept sowie das Kursangebot und die Suche nach entsprechendem Personal zu gleichen Teilen von jeweils einer Person aus dem LehrerInnenkollegium, dem Elternrat und der SV, in diesem Fall mir, gestaltet. In ein momentan ( von einer ebenfalls zu gleichen Teilen aus SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen gebildeten Arbeitsgruppe ) neu erarbeitetes „Leitbild“ der Schule wird als Strukturmerkmal unserer „Selbstverwaltung“ erstmals die Rolle eines SchülerInnengremiums einfließen. Außerdem sind wir aber fest in der LandesschülerInnenVertretung Rheinland-Pfalz involviert bzw. in der StadtschülerInnenvertretung Mainz.

Wenn es an einer Ecke mangelt, dann allerdings an der wichtigsten, nämlich in der SchülerInnenschaft selbst: Viele sehen gar keine Notwendigkeit darin, sich an irgendwas zu beteiligen – Ein Problem wiederum, dass wir mit vielen SVen an Regelschulen teilen. Und das sicher der klassischen SchülerInnenrolle als m.o.w. passivem Aufnehmen von Lernstoff anzulasten ist.

Ich habe abschließend den Eindruck, dass die Zahl der SVen an FWSen relativ kontinuierlich wächst spätestens seit der Gründung der WaldorfSV, vor allem aber die Azeptanz für die Forderungen von SVen an FWSen. Manche AnthroposophInnen haben den Eindruck von einer „neuen Schülergeneration“ durch die das Waldorfsystem in seinen „orthodoxen Neigungen (…) gesunde Korrekturen“ erfährt. ( Jens Heisterkamp: „Anthroposophie im Aufgang…“, info3, 1/2009 ) Das erscheint mir allerdings sehr optimistisch.

Links zu den Webpräsenzen von WaldorfSVen:

Aachen, Bonn, Köln, Krefeld, Mönchengladbach, Münster, Oberberg, Sankt Augustin, Siegen Frankenthal, Bexbach Benefeld, Göttingen, Hannover-Maschsee, Ottersberg Frankfurt, Kassel , Augsburg, München-Gröbenzell, München-Schwabing, Prien Bergstedt, NienstedtenEmmendingen, Freiburg-St. Georgen, Heidelberg, Lörrach, Offenburg, Schopfheim, Schwäbisch Hall, Stuttgart (am Kräherwald)Mainz, Tübingen

10. Juli 2009 at 12:39 pm 3 Kommentare

“Vollgas mit Handbremse“ (3.): Eine bundesweite Waldorf-SV?

Dieser Artikel ist der dritte in der Reihe „‚Vollgas mit Handbremse‘: Warum Waldorfschulen mehr SchülerInnenpartizipation brauchen“. Er baut inhaltlich auf die vorangegangenen auf, vgl. daher:

1. Einleitung

2. SchülerInnenpartizipation an FWSen – Ein Rückblick

 

…Es gab bereits in den 70ern und 80ern als solche anerkannte und eingebundene SchülerInnenVertretungen an FWSen – wahrscheinlich aufgrund anthroposophischer Vorbehalte seltener als an öffentlichen Schulen.

 So wurde auch erst im Jahr 2000 durch Lukas Mall die Bundes-Waldorf-SV gegründet – Andererseits: Auch erst 2004 wurde die offizielle deutsche BundesschülerInnenkonferenz gegründet, in der aber nur neun Länder vertreten sind, u.a. da etwa 2008 mehrere Bundesländer aus Protest gegen undemokratische Strukturen wieder austraten.  Die Waldorf-SV organisiert sich durch zwei jährlich stattfindende Tagungen, auf denen auch neue Mitglieder des fünfköpfigen „Sprecherkreises“ gewählt werden Dieser hat außer für die nächste Tagung auch für den Kontakt zum BdFW ( der die WaldorfSV auch finanziert ), zur Presse ( die sie mit trauriger Regelmäßigkeit nicht auf dem Laufenden hält ) und für die Umsetzung beschlossener Projekte ( momentan beispielsweise eine Art bundesweiten SchülerInnenaustausch für Waldorfschülis und eine Verbesserung der Kommunikation zwischen SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern ) zu sorgen. In der Theorie existieren auch regionale „Landesschülerräte“ ( LSR ), die ich allerdings nur in Hessen und BW als einigermaßen aktiv erlebe.

Nach einer Selbstdarstellung aus dem Jahr 2006 versteht sich die WaldorfSV mittlerweile als „kreative Plattform und Netzwerk als Impulsgeber für die deutschen WaldorfschülerInnen und Schulen“. Auch sie findet, dass Schule „weit mehr als ein Ort der Wissensvermittlung“ sein soll:

 „Jedem soll neben dem nötigen Know-how die Energie und der Wille mitgegeben werden, den es braucht, um vorhandene Strukturen zu ändern und neue zu schaffen. Den Mut dessen man bedarf, um in Konfrontation zu gehen, mit Situationen und Menschen, die sich dem entgegenstellen. Um das Vertrauen in die Notwendigkeit und Machbarkeit des Neuen!“

Dieses Potential schulverändernder Revolutionsambitionen hat die WaldorfSV meiner Meinung nach bisher nicht wirklich an den Tag gelegt. Wohl findet auf ihren Tagungen Kommunikation zwischen SVen statt, zweifellos gehen die nachher mit größerer Motivation und neuen Ideen in ihre Arbeit an den einzelnen Schulen zurück, aber über eine Plattform für Kommunikation und Vernetzung von WaldorfSVen ist sie bisher nicht hinausgekommen.

Ich jedenfalls habe die gewiss nicht ungewichtige Stimme eines Organs für die Vertretung von WaldorfschülerInnen in vergangenen Situationen und Debatten sehr vermisst: 

  • Einerseits in der Presse zu den wohlbekannten Debatten rund um Waldorf – signifikanterweise gibt es auf der im November 2008 neu gestarteten und seitdem leider relativ leer gebliebenen Internetpräsenz ( die Inhalte der früheren Seite wurden nicht übernommen ) überhaupt keine Spalte für Pressemitteilungen. 
  • Andererseits auch gegenüber dem BdFW, dem in seiner Arbeit durchaus mehr – produktives – Kontra geboten werden sollte, das bisher waldorfintern größtenteils fehlt
  • Drittens werden Aktionen, die sich mit waldorfspezifischen Dogmen herumschlagen ebenso wie die Beseitigung von schuleigenen Problemen größtenteils den einzelnen SVen überlassen werden, statt sie direkt zu untersützen.

Es folgen:

4. Die Praxis: SV an FWSen

5. Schule für Menschen

5. Juli 2009 at 12:39 pm 8 Kommentare

“Vollgas mit Handbremse“(2.): SchülerInnenpartizipation an Waldorfschulen – Ein Rückblick

Dieser Artikel ist der 2. in der Folge „‚Vollgas mit Handbremse‘: Warum Waldorfschulen mehr SchülerInnenpartizipation brauchen“, vgl. die „Einleitung“
  

Wie erwähnt ist der/die LehrerIn für Steiner zentrale pädagogische Figur. Eine SchülerInnenVertretung stand für ihn gar nicht zur Diskussion, von emanzipatorischen Bestrebungen der Jugend hielt er nicht sonderlich viel: Sein Urteil über die „Wandervogelbewegung“ der Jugend seiner Zeit war etwa, dass „die Alten“ die „Jungen“ nicht mehr verstehen würden, entsprechend „Klüfte“ zwischen sich und der Jugend aufrichteten, „So dass wir uns zuletzt einzig und allein darauf zurückziehen können, durch das Wort zu befehlen, das und jenes muss geschehen.“ ( Vortrag in Stuttgart, 17. Juni 1921, in: GA 302 ). Die Emanzipation der Jugend müsse durch „das Innerliche des Verhältnisses von Lehrer zu Schüler“ zu einem „gesunden“ [!?] Maß reguliert werden, dass sich auf „unseren ganzen Menschen“ stützen sollte. 

Sein persönliches Verhältnis zu den SchülerInnen der ersten FWS war entsprechend hierarchisch, wie Helmut Zander in seinem Standardwerk zur Anthroposophie herausarbeitet („Anthroposophie in Deutschland“, Vandenhoeck&Ruprecht, 2007, II, S. 1402 )

 „Steiner hörte zu, aber er diskutierte nicht, er war gegenüber Vorschlägen nicht unzugänglich, traf seine Entscheidungen aber allein. Steiner pflegte eine patriarchale Kommunikationsstruktur, indem er nicht diskursiv, sondern via Augenaufschlag reagierte.“

SchülerInnen einer zehnten Klasse etwa baten schriftlich um ein Gespräch, da sie einige LehrerInnen und entsprechend den Zustand des Unterrichts kritisierten. Steiner hörte sie an und entließ sie „freundlich“, aber „ohne Diskussion“.    

„Als die Schule nach den Ferien wieder anfing, stellten“ die SchülerInnen „mit Verwunderung fest, (…) in zwei wesentlichen Fächern andere Lehrer bekommen“ zu haben „und dass der ganze Unterricht so war, wie wir ihn uns schon lange gewünscht hatten.“

( Rudolf Grosse: Erlebte Pädagogik. Schicksal und Geistesweg, Dornach 1968, S. 1402, zit. nach ebd. )  

Steiners Vorbehalte gegen eine aktive SchülerInnenmitwirkung sind sicher auch aus seiner Zeit zu erklären. Die Haltung gegenüber Mitverwaltung von SchülerInnen dürfte im Regelschulsystem in den Zwanzigern keinesfalls offener gewesen sein ( war es allerdings in weiten Teilen der Reformpädagogik ). Ebenso wie im öffentlichen Schulwesen hat sich diese Haltung aber auch an FWSen über das letzte Jahrhundert hin allmählich geändert.

Das m.W. einzige Mal, in der eine SchülerInnenvertretung in einem für die Waldorfpädagogik konstitutiven Werk als Element der „Selbstverwaltung“ eine Rolle spielt, ist in Stefan Lebers Buch „Die Sozialgestalt der Waldorfschule“ ( Fischer Taschenbuch, Frankfurt a.M., 1984, Lizenzausgabe d. Verlags Freies Geistesleben, Stuttgart 1978, bes. S. 192-301 ). Der beschreibt, nach seiner Darstellung am Beispiel bisher fünfjähriger eigener Erfahrungen an seiner Schule, die Rolle einer „Schülerkonferenz“ mit konstitutiver Mitverantwortung, aus der u.a. auch zwei Deligierte „zur Teilnahme an der Allgemeinen Lehrerkonferenz“ bestimmt werden sollen. Leber realisiert, dass die „schulischen Prozesse der Zusammenarbeit der Schüler und Lehrer bedürfen.“ ( S. 300 )

Anders, als Zander ( „Anthroposophie in Deutschland, a.a.O., S. 1402, Fußnote ) behauptet, ist bei Leber auch sowohl von der „kritischen Funktion“ sowie „formalisierten Mitwirkungsregeln“ dieser „Schülerkonferenz“ die Rede ( und zwar Ersteres S. 298 bzw. Zweiteres 299, 300 ).

 Sehr kurz erwähnt sonst noch Johannes Kiersch neben der „‘republikanischen‘ Kollegialstruktur“ und der Elternarbeit auch „die vielfältige Mitbeteiligung von Schülern (…) außerhalb des Unterrichts“. Durch aller Zusammenarbeit werde mit „Deutlichkeit das Prinzip der gemeinsamen Verantwortung“ geübt. Allerdings findet sich kein Hinweis auf eine organisierte Form eines SchülerInnengremiums ( Die Waldorfpädagogik, Freies Geistesleben, Stuttgart 2007 – erschienen erstmals 1970, S. 56f. ) Explizit erwähnt auch Christoph Lindenberg ( „Angstfrei lernen, selbstbewusst handeln. Praxis eines verkannten Schulmodells“, Rowohlt, 1975, nach. Iwan, a.a.O., S. 15 ), dass die „Selbstverwaltung“ auch von SchülerInnenvertreterInnen mitgestaltet würde bzw. werden müsse.
 
 Welche Rolle Darstellungen wie bei Leber für die verschiedenen Schulen damals ( in den 70ern und 80ern ) tatsächlich hatten, ist m.W. kaum mehr rekonstruierbar, offenbar gab es aber als solche anerkannte und eingebundene SchülerInnenVertretungen an FWSen – wahrscheinlich aufgrund anthroposophischer Vorbehalte seltener als an öffentlichen Schulen. Ein regelrechter Gründungsboom hat erst vor einem Jahrzehnt mit der Gründung der Bundes-Waldorf-SV eingesetzt.
 
SIEHE AUCH:
 
1. Einleitung 

2. SchülerInnenpartizipation an Waldorfschulen – ein Rückblick

3. Eine bundesweite Waldorf-SV?

4. Die Praxis: SVen an FWSen

5. Schule für Menschen

4. Juli 2009 at 12:55 pm 2 Kommentare

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Hallo allerseits,
Ich bin Ansgar Martins, geb. 1991 und war bis Juni 2010 Schüler an der FWS Mainz. Inzwischen studiere ich Religionsphilosophie, Soziologie und Geschichte in Frankfurt a. M. Dieser Blog ( dessen "Leitbild" ganz oben rechts ) ist mein persönliches Projekt, um die oft einseitigen und selbstgerechten Pro- und Contra-Positionen in der Debatte um die Waldorfpädagogik und Anthroposophie kritisch zu kommentieren. Ich hoffe, das gelingt, und freue mich über Rückmeldungen jeder Art!

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