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„Hat was von Beuys“: Anthroposophie, AfD und die degenerierten Astralleiber der Asiaten

„Steiner hätte den NS-Rassismus mit Bestimmtheit in aller Schärfe abgelehnt, für eine multikulturelle Gesellschaft kann er sich aber ebenfalls nicht erwärmen. Das Kulturkreismodell heutiger europäischer Rechtsparteien kommt den Steinerschen Vorstellungen sehr nahe: Schwarzafrikaner und ihre Kultur gehören nicht nach Europa, ebensowenig chinesische oder heutige indische Kultur. In der Fluchtlinie von Steiners Vorstellungen liegt – das ist das äußerste – gar ein Apartheit-artiges Modell, das die Ungleichbehandlung der Menschen aus ihren je verschiedenen Möglichkeiten und Entwicklungsnotwendigkeiten begründet.“
– Georg Otto Schmid: Die Anthroposophie und die Rassenlehre Rudolf Steiners, in: Joachim Müller (Hg.): Anthroposophie und Christentum, Freiburg (CH) 1995, 191

Überlegungen (naja: Quellen) zu politischen Ausprägungen der jüngeren Anthroposophie, Überschneidungen mit der neuen Rechten und zum Fortleben alter Steinerscher Grundannahmen.

Die ‚rechtspopulistische‘, in weiten Teilen rechtsradikale „Alternative für Deutschland“ ist nicht nur ein Flügel der neueren Explosion irrationaler Ideologien, sondern eines ihrer Sammelbecken. Der viel zitierte AfD-Abgeordnete Franz-Josef Wiese echauffierte sich über die Mitgliederbasis seiner Partei: „Von ehemaligen SED-Genossen über spinnerte Weltverbesserer bis zu Leuten mit Verfolgungswahn war alles dabei“. Ein ehemaliges Vorstandsmitglied glaube an Chemtrails, andere vertrauten „Leuten, die auf heilende Steine, Handauflegen und andere seltsame Heilmethoden schwören“ – „Ich glaube, die meisten AfD-Wähler wissen gar nicht, was für Leute bei uns sind.“ (so Wiese gegenüber der „Bild“) Manche Wähler könnten von Nachrichten über die spirituelle Basis der AfD jedoch erfreut sein. Martin Barkhoff vielleicht, ehemaliger Chefredakteur des anthroposophischen Zentralblatts „Das Goetheanum“, der mittlerweile in Peking lebt. Nachdem Jens Heisterkamp, Chefredakteur der liberalen anthroposophischen Zeitschrift „Info3“, sich jüngst von neurechten „Wut-Denkern“ abgrenzte, schrieb Barkhoff einen empörten Leserbrief. Die in Info3 abgedruckten Zeilen beginnen mit einem Lob der eigenen gelungenen Integration in China:

„…mein Freundeskreis ist weitgehend chinesisch und meine Anthroposophie verwandelt sich in Taoismus. Meine Nachbargemeinde, das Garnisonsdorf Yangfang, ist islamisch … Leuchtende, dem Himmel zugewendete Halbmonde können in mir die Begeisterung für die Hingabe (Islam) an den Willen Gottes wecken. ‚Angst vor dem Fremden‘ ist bei mir nicht das Hauptmerkmal. Aber ich bin AfD-Wähler. Alexander Gauland macht großen Eindruck auf mich. Allein wie freundlich der bleiben kann … Geduld wie die des alten Rabbi Hillel, und die hebt real das Wut-Denken auf. Wenn alle um ihn herum erregt bis voll wütig sind, bleibt er nicht nur kühl, sondern spürbar freundlich … Hat was von Beuys und den Grünen, früher. Der stand auch konsequent gegen die Parteienherrschaft.“ (Martin Barkoff, Leserbrief zu Jens Heisterkamp, in: Info3, Juni 2016, 5)

Nach dieser wirren Begründung passen Taoismus, Anthroposophie, Islam und AfD irgendwie wunderbar zusammen und Gauland als charismatischer, friedlicher Geist verkörpert offenbar mustergültiges Menschentum. Epigonentum ist eben eine anthroposophische Schlüsselkompetenz. Der Künstlerprophet Joseph Beuys, der seine Jugend in Nazideutschland romantisierte, Antiamerikanismus für Antikapitalismus hielt und einen spirituellen Deutschnationalismus vertrat, passt allerdings hervorragend zu Barkhoffs neuem Kurs. (vgl. Kunst und Boden, Bad Beuys) Das bestätigen auch Rechte, die von Beuys wie Steiner fasziniert bleiben. Das NPD-Organ „Deutsche Stimme“ entdeckte in der März-Ausgabe 2016 in der Tat Beuys‘ politische Visionen. In der Online-Ankündigung liest man:

„…nicht nur dessen Biographie weist interessante Details auf. Man muß sich mit seiner Kunst nicht anfreunden, aber man sollte mit diesem Mann, der eine ‚organische Demokratie‘ anstrebte, sich an Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie orientierte und von der ‚Auferstehungskraft des Volkes‘ überzeugt war, ruhig mal näher beschäftigen.“

 

Steiners Werke stehen derweil auch in der Bibliothek des „Instituts für Staatspolitik“. (vgl. Deutschlandfunk) Um das klarzustellen: Eine Mehrheit der Anthroposophen fände das sicher unbehaglich und dürfte eindeutig für die Aufnahme von Flüchtlingen votieren, wie zahlreiche einschlägige Waldorf-Projekte nahelegen. Zu kritischer Reflexion auf die reaktionären Potenziale führt das natürlich auch diesmal nicht. Hier gilt wohl nach wie vor die Vogel-Strauß-Haltung Steiners, der auf Hans Büchenbachers Kritik an anthroposophischen Antisemiten dekretierte: „Das gibt es nicht in der Anthroposophischen Gesellschaft.“ Ausnahmen, wie Michael Eggerts „Egoistenblog“ oder eben „Info3“, stellen nicht gerade einen Trend dar.

Martin Barkhoffs Ausführungen zu China und Gauland wirken auch deshalb so kryptisch, weil er außer Bewunderung für Gauland keine eigentlich politische Begründung für sein AfD-Bekenntnis abgibt. Ein weiterer Leserbrief, verfasst von einem Michael Köhler aus Gödenroth, passt mehr zu den Aussagen, die man aus dem AfD-Dunstkreis kennt: „Seit 9/11“ werde der „Meinungskorridor immer enger“, selbst „im Bekanntenkreis“ gelte er als „neu-rechts“, wenn er „ausgewiesene Antifaschisten“ wie Brandt und Thälmann (!) „zum Thema souveräner Nationalstaat nenne“, so Köhler (ebd.). Hier lässt die neonazistische Reichsideologie grüßen, mit der sich längst andere Anthroposophen eingelassen haben. (vgl. Anthroposophen und „Reichsbürger“-Bewegung, Waldorf Schools and the German Right) Steiner griff im Ersten Weltkrieg die völkische Mär von „okkulten Logen“ hinter dem „Angloamerikanertum“ auf, die „Mitteleuropas“ „Weltmission“ behindern wollen. Bis heute bestimmt sie viele anthroposophische Politikbetrachtungen. (vgl. Anthroposophischer Geschichtsrevisionismus, Nationalist Cosmopolitanism, Ein kosmisches Komplott) 9/11 kann man sich da freilich nicht entgehen lassen.

Wer Steiner sät, wird heute Neurechte ernten. Das legen zumindest die berüchtigten „Einzelfälle“ nahe. (vgl. dazu Bierl: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister, Hamburg 2005, Einleitung) So hetzte vor einiger Zeit der anthroposophische Heilpädagoge und Faschist Rüdiger Keuler (vgl. Eggert: Volksverhetzung auf anthroposophisch, Liebe deinen Nächsten) gegen  triebhaft-lebensstarke Afrikaner, die von amerikanischen Geheimlogen gesandt würden, um die christusgefärbten Weißen Europas herabzuzüchten. In konstruktiv-kritischen Austausch mit Keuler trat der Anthroposoph Herbert Ludwig (vgl. Eggert: Demokratie in anthroposophischen Gänsefüßchen). Der erregte schon vor Jahren im Rahmen der dubiosen „Freien Anthroposophischen Vereinigung Pforzheim“ Aufsehen, bei der rechte Redner eingeladen wurden. Holger Niederhausen, einer der fundamentalisitischeren Steinerianer, verteidigte Ludwig derweil als „links“, ohne näher auf Keuler einzugehen. (vgl. Niederhausen: Michael Eggerts Rundumschläge) An Steiners Rassismus und Völkerpsychologie hat Niederhausen ohnehin nichts auszusetzen. (vgl. Unwahrheit versus Wissenschaft) Seine gleichzeitige Sympathie für die Partei „Die Linke“ passt zur sog. „Querfront“, man denke an den national-sozialen Kurs Sahra Wagenknechts oder die Phantasien Dieter Dehms. Breiter betrachtet: Linke und rechte Anti-Globalisierer ziehen dem unentrinnbaren Bann des wahrlich kalten Kapitals die falsche Wärme ethnischer oder kultureller Kollektive vor und damit den „Volksorganismus“ (mag er auch diskurstheoretisch artikuliert sein) der prekären bürgerlichen Existenz. Darin kommen auch rechte Ethnopluralisten und linke „Identitäts“-Fanatiker, die Religionskritik für „Islamophobie“ halten, zusammen: Statt Selbstbestimmung für die Individuen und reflexive Freiheit gegenüber allen traditionalen Verhaltensregeln zu fordern, soll je „das Eigene“ oder „das Fremde“ qua Dasein als unbedingt erhaltenswert gelten (anthroposophisch würde das noch durch die Ontologie der „Volksseelen“-Missionen unterfüttert). Die Apologeten des Islamismus und die Fans der AfD argumentieren von einem vergleichbaren Kulturbegriff aus. Am Ende würden demnach vermutlich die Menschen in homogene kulturelle, religiöse und/oder „Volksgemeinschaften“ getrennt sein, die einander inkommensurabel seien, und damit wäre das böse globale „System“ zerstört.  Einmal mehr brachte dies kürzlich Herbert Ludwig auf den Punkt, der im April zum „Widerstand“ gegen die trans- und internationalistische Verschwörung aufrief:

„Aber Kraft und Widerstandspotential der Staaten sind wesentlich in den Nationen, den Völkern und ihren spezifischen Kulturen begründet, in denen die Menschen weitgehend ihre seelische Verankerung finden. Für einen Globalisierer muss daher neben die politische Entmachtung und Aushöhlung der Nationalstaaten als zweites Ziel die Auflösung der Völker treten, die sie umfassen. Nur eine „enthomogenisierte“, durchmischte Bevölkerung, in der sich keine innere Gemeinsamkeit einer Fremdsteuerung widersetzen kann, ist leicht zentral lenkbar.“ (Herbert Ludwig: Globale Planung der Massenmigration, Ein Nachrichtenblatt Nr.8/10. April 2016, S. 3)

Diese eigene Ansicht unterstellt Ludwig auch den okkulten Geheimlogen, die derart die Weltmission Mitteleuropas via Flüchtlings-„Krise“ zerstören wollten. Unter vielen Anthroposophen gilt noch immer die These, „dass nicht nur die ‚Neger‘ nicht nach Europa, sondern auch die Europäer nicht nach Afrika oder Asien gehören…“ (Bader/Ravagli: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit, Stuttgart 2002, 175) Das ist nicht nur, wie die zitierten behaupten, gegen den Kolonialismus gerichtet. Der noch so indirekte Kontakt unterschiedlicher „Rassen“ kann aus anthroposophischer Perspektive massive physisch-geistige Nachwirkungen haben. Einer vielzitierten Idee Steiners zufolge kann bereits die Lektüre von sog. „Negerromanen“ die Kinder weißer Frauen „grau“ (!) machen. (vgl. GA 348, 189) Direkte Präsenz ist noch folgenreicher. So erklärte Steiner „den Aussatz im Mittelalter“ durch den „Hunnensturm“, da hier „zurückgebliebene“, übersinnlich verwesende „Mongolen“ die europäischen Evolutionsprotagonisten in Angst versetzten:

„Und nun mischte sich der faule Astralstoff der Hunnen mit den von Angst und Furcht und Grauen durchwühlten Astralleibern der überfallenen Völker. Die degenerierten Astralleiber der asiatischen Stämme luden ihre schlechten Stoffe auf diese furchtdurchwühlten Astralleiber der Europäer ab, und diese Fäulnisstoffe bewirkten eben, daß später die physische Wirkung der Krankheit auftrat. Das ist in Wahrheit die tiefe geistige Ursache des Aussatzes im Mittelalter.“ (GA 100, 88, vgl. GA 94, 156, GA 95, 69, GA 97, 254, GA 99, 59)

So viel zu den okkulten Hintergründen. Herbert Ludwigs Artikel erschien in der Online-Zeitschrift „Ein Nachrichtenblatt. Nachrichten für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft und Freunde der Anthroposophie“, die ein fanatischeres anthroposophisches Publikum bedient. Ein weiterer Artikel in derselben Nummer des „Nachrichtenblatts“ raunte ebenfalls über „Pläne okkulter Bruderschaften“, anschließend wurde ein Text des britischen Schriftstellers Antony Sutton gedruckt – ihm verdanken wir Titel wie „Wall Street und der Aufstieg Hitlers“ oder Thesen über „Skull and Bones“, wo man die Weltherrschaft mittels Hegelscher Dialektik einübe (man denke einen Moment über diesen Quatsch nach: Charakter und Gegenstandsbereiche philosophischer Theorien scheinen hier schlechterdings jenseits des Vorstellbaren zu sein – die vorliegende Einschätzung von Dialektik gleicht der Behauptung, das Keplersche Gesetz eigne sich als Tiernahrung oder das epistemologische Konzept des „Dings an sich“ könne für den effizienten Ausbau von Verkehrswegen von Nutzen sein) Irrational kann aber eben alles in Beziehung gesetzt werden.

Das „Nachrichtenblatt“ ist, wie hinzugefügt werden muss, skeptisch, teilweise feindlich gegenüber der Entwicklung der „Anthroposophischen Gesellschaft“ oder der Steiner-Nachlassverwaltung. Das heutige Dornach ist die Berliner Republik solcher anthroposophischer Wutbürger: Charismatisch schwach, uneins, halb zum eigenen Museumsshop verkommen. Die dogmatische Binde- und Integrationskraft der gegenwärtigen institutionalisierten Anthroposophie nimmt ab. Während die Anthroposophische Gesellschaft schrumpft (vgl. Sergej, du hast dich selbst gegeben) und die Praxisfelder zögerlich ins weitere esoterische Milieu zu diffundieren beginnen (vgl. exemplarisch Zwischen Anthroposophie und Scientology?), suchen auch rechts-anthroposophische Interessenten neue Wege und begründen eigene Foren. Dass der anthroposophische Mainstream sich selbst eher links verorten dürfte, wird durch die ungebrochene Zustimmung zu Steiners nationalistischen Einkreisungsparanoia aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und das organizistische Denken der „Sozialen Dreigliederung“ konterkariert.

6. Juni 2016 at 3:21 pm 24 Kommentare

Bad Beuys. Prolegomena einer unversöhnlichen Apologie – Gedanken mit und gegen Rüdiger Sünner

„Aber einer anderen und letzten … Sinnesverkehrung will … gedacht sein, die am Schluss dieses Werkes unendlicher Klage leise … das Gefühl berührt. Ich meine den orchestralen Schlusssatz der Kantate, in den der Chor sich verliert, und der wie die Klage Gottes über das Verlorengehen seiner Welt, wie ein kummervolles ‚Ich habe es nicht gewollt‘ des Schöpfers lautet. Hier, finde ich, gegen das Ende, sind die äußersten Akzente der Trauer erreicht, ist die letzte Verzweiflung Ausdruck geworden … Nein, dies dunkle Tongedicht lässt bis zuletzt keine Tröstung, Versöhnung, Verklärung zu. Aber wie, wenn der künstlerischen Paradoxie, dass aus der totalen Konstruktion sich der Ausdruck – der Ausdruck der Klage – gebiert, das religiöse Paradoxon entspräche, dass aus tiefster Heillosigkeit, wenn auch als leiseste Frage nur, die Hoffnung keimte?“
– Thomas Mann: Doktor Faustus

Rüdiger Sünner ist gewiss ein Filmemacher mit Hang zu marginalisierten Themen: Er hat Filme zu Okkultismus und Nationalsozialismus, zum „geheimen Deutschland“ der Romantik, zu Dorothee Sölle, C. G. Jung und Rudolf Steiner gedreht. Würdig in diese Reihe passt ein kürzlich mit Begleitbuch erschienener Film mit dem Titel „Zeige deine Wunde. Kunst und Spiritualität bei Joseph Beuys“. Die fragwürdige politische Biographie Beuys‘ war hier schon Thema. So will ich in diesem Artikel versuchen, den Weg zu Beuys durch seine Kunst und Spiritualität zu finden und durchaus: beide gegeneinander auszuspielen. Dafür stütze ich mich auf Sünners Buch, das dem Film gegenüber ausführlicher ist und mehr Aspekte herausarbeiten kann. Dabei muss es ebensosehr um Beuys wie um Sünners eigene Rezeption gehen. 

Projekt des Trauerns. Zur Allegorie der Wunde

Joseph Beuys bezeichnete in seinem Werklauf/Lebenslauf die eigene Geburt als „Ausstellung einer mit einem Heftpflaster zusammengezogene Wunde“. Von hier aus ist, wie ich zu zeigen hoffe, der gewichtigste Teil von Sünners Beuys-Interpretation zu verstehen. Deren Titel „Zeige deine Wunde“ stammt von einem gleichnamigen Environment aus Beuys Hand. Diesen „Wunden“-Charakter des Beuys’schen Werks, den Sünner essayistisch-poetisch einzufangen sucht, möchte ich hier nicht anhand der Totenbahren von „zeige deine Wunde“ illustrieren, sondern an einer sehr viel subtileren, im Münchener Lenbachhaus ausgestellten unbetitelten Badewannen-Installation. Sie lässt ihren Betrachter in der Tat erschaudern. Die weiße, spröde wirkende Wanne ist auf Innen- und Außenseite wie auf ihrem hohen, kargen Gestell mit Pflastern beklebt, die aber weder Fürsorge noch Heilung andeuten, sondern das gestrige Objekt nur noch mehr entstellen. Dass die „Wunde“ des Bademöbelstücks verbunden wurde, macht ihre Schründe nicht unsichtbar, sondern die Pflaster weisen gleichsam deutlicher auf sie hin: Obwohl keine Wunde zu sehen ist, demonstriert die verarztete Kinderwanne hoffnungs- und heillose Beschädigung. Sie wirkt verlassen. Die Sprache dieses Kunstwerks ist zweifellos Trauer um ein unrettbar Zerbrochenes. Sünner beschreibt das Objekt eindringlich:

„Sie löst Bilder des Schreckens bei mir aus. Ich sehe keine fröhlichen, im Wasser quietschenden Kinder, auch keine bunten Enten, Boote und Taucher als Spielzeuge, sondern Krankenschwestern oder Euthanasieärzte, die kleine Wesen abschrubben und untertauchen. Kindheit als Ausgeliefertsein: Schmerz, Einsamkeit, Sprachlosigkeit, Ohnmacht. Auffällig oft hat Beuys Heftpflaster und Mullbinden in seine Objekte eingearbeitet, so auch in der Plastik ‚unbetitelt‘, bei der sich eine vermummte und verletzte Figur auf dem Boden zu wälzen scheint.“ (Sünner: Zeige deine Wunde, S. 118)

Solche ästhetischen Erfahrungen zeichnen überhaupt die eindrucksstärkeren unter Beuys‘ Kunstwerken aus – „Aber die toten Bienen, Knochen, Zuckerwürfel, Luftpumpen, Uhren, Batterien, Spielzeuge, Telefone, auch Kreuze in den Beuys’schen Vitrinen verlieren unter dem Auge des Künstlers ihren vorgefertigten Gebrauchscharakter und stellen sich für vielfältige Assoziationen zur Verfügung.“ (a.a.O., S. 100) Ich neige zur von Sünner zumindest teilweise ebenfalls präferierten Deutung dieser Knochen- und Gebrauchstrümmer als Allegorie von „Schmerz, Einsamkeit, Sprachlosigkeit, Ohnmacht“. Versöhnung und Heilung sind hier allenfalls in der finsteren Ausmalung ihrer Abwesenheit präsent. Kafka hat es (wie immer) getroffen, wenn er vom „Nichts Gottes“ sprach – „‚So gäbe es außerhalb dieser Erscheinungsform Welt, die wir kennen, Hoffnung?‘ — Er lächelte: ‚Oh, Hoffnung genug, unendlich viel Hoffnung, — nur nicht für uns.'“ (Max Brod: Über den Dichter Franz Kafka)

In einer weiteren Beuys-Installation mit dem Namen „Plight“ sind zwei düstere Räume und ein kleiner Übergang zwischen beiden mit schwer lastenden Filzrollen ausgekleidet. In einem der Räume steht, ein schwarzer Flügel, die dicke, stinkende Polsterung würde es wohl verhindern, dass von ihm auch bloß ein Ton nach außen dringt. Sünner zitiert hier den Kuratoren Gene Ray, der Beuys‘ Werk für ein „Projekt des Trauens“ hält. Bei den 284 Filzsäulen von „Plight“ will sich Ray sogar an ein Auschwitz-Foto erinnert sehen, „auf dem eine ähnliche Anzahl von Säcken mit Menschenhaaren zu sehen sind, die zu Filz weiterverarbeitet werden sollen.“ (Sünner: Zeige deine Wunde, S. 111)

Kunst als intentionslose Sprache, oder: ist ästhetische Erfahrung esoterisch instrumentalisierbar?

Für Beuys jedoch, der trotz seines Plebiszit-Fimmels nicht auf die Wirkung seiner Kunst zu vertrauen schien, sondern es im Gegensatz zu manch anderem Künstler selten unterließ, seinen Kunstwerken auch gleich die Erklärung hinterherzuschicken, stehen die dem Flügel beigesellten Quecksilberthermometer für Wärme und „Fluxus“. Für ihn war „Plight“ ein „Laboratorium“ zur „Erweiterung“ der Kunst und eine Überwindung der „materialistischen Ideologie“:

„Plight ist das Ergebnis eines Experiments zu einer speziellen Art von Laboratorium, in welchem die Grenzen der Kunst erweitert werden. Ich wende mich an den vitalen, menschlichen Sinn für Temperatur, weil ich der materialistischen Ideologie der visuellen Künste‚ entgegen getreten bin … Ich möchte die Menschen die Kraftfelder erfahren lassen, die sie konstituieren. Und zu diesem Zweck spreche ich nicht nur die visuelle Wahrnehmung an, sondern auch den Sinn für Gleichgewicht und Temperatur, Geruch und Gefühl. Denn man hat darauf zu bestehen die zentralen Kräfte zu erreichen: Denken, Gefühl und Willen.“ (Interview in: The Guardian, zit. bei Wikipedia)

Das erstickte Piano und der stinkende Filz symbolisieren also für Beuys gerade das Anzustrebende, Positive, sollen die Erfahrung des  „Angeschlossenseins an höhere Energiefelder“, wie Sünner das an einer Stelle nennt (Zeige deine Wunde, S. 59), herbeiführen. Hier stünden Sünners und Rays an „Plight“ gemachte Erfahrungen gegen das experimentalmetaphysische Labor des anthroposophischen Künstlers. Kann man trotzdem den Aussagegehalt der Beuys’schen Kunst gegen seine Intentionen verteidigen? Ist ästhetische Erfahrung überhaupt darauf angelegt, dass man von einem Konzept affiziert wird, das der Künstler hineingelegt hat? Oder hat das künstlerische Material ein Eigenleben, das nicht in seiner Produktion und am Ende ebenso wenig in seiner Rezeption aufgeht?

Sünner kontrastiert die anthroposophische Kunst in seinem Buch gelegentlich mit der Philosophie Theodor W. Adornos. Letzterem hält Sünner einiges zugute, aber Steiner und Beuys hätten ihm gegenüber doch das explizit ‚Spirituelle‘ voraus. (vgl. etwa a.a.O., S. 52, 108, 136) Doch gerade mit Adorno ließe sich versuchen, die ästhetische Erfahrung gegen deren esoterische Didaktisierung durch Beuys in Schutz zu nehmen und so auch den Aussagegehalt von „Plight“ aus dem antimaterialistischen Vulgärmaterialismus eines spiritualistischen Laboratoriums zu befreien. Adorno betonte die Eigenlogik bzw. „Autonomie“ der ästhetischen Sphäre die sich nicht auf dem Material eingearbeitete Intentionen festlegen lasse. In diametralem Gegensatz zu Beuys exponierte er genau diese Immunität des Kunstwerks dagegen, irgendetwas ‚anzusprechen‘ oder zu ‚erreichen‘. Darin liege der „theologische Aspekt“ der Musik: „Was sie sagt, ist als erscheinendes bestimmt und zugleich verborgen. Ihre Idee ist die Gestalt des göttlichen Namens. Sie ist entmythologisiertes Gebet, befreit von der Magie des Einwirkens; der wie immer auch vergebliche Versuch, den Namen selber zu nennen, nicht Bedeutungen mitzuteilen … intentionslose Sprache.“ (Adorno: Sakrales Fragment, in: Gesammelte Schriften 16, 252)

Was ein Kunstwerk vermitteln kann, ist „kein Sachverhalt. Es ist vielmehr das ästhetisch notwendige ‚Es ist der Fall‘, das sich in der Geschichte seiner Interpretation zeigt und dennoch immer anders ist.“ (Gunnar Hindrichs: Die Autonomie des Klanges. Eine Philosophie der Musik, Berlin 2014, S. 261) Hier wäre Sünner, der an einem anderen Beuys-Werk herausstellt, er schätze gerade, dass es „letztlich rätselhaft“ bleibe, „nicht auf den Begriff zu bringen“ sei, weit eher am Ziel als bei Beuys. (Sünner: Zeige deine Wunde, S. 116)

Der ins Zeitalter des Labors versetzte Schamane Beuys dagegen war ein zupackender Macher, der es, wie Steiner, jener „Okkultist in Zeiten der Eisenbahn“ (Miriam Gebhardt), stets auf Botschaften und Sachverhalte abgesehen hatte. Freilich ‚höhere‘ Sachverhalte: „Alles ist verbunden durch seinen gemeinsamen Ursprung in einem höheren kreativen Geist, den man wieder erkennen muss.“ (a.a.O., S. 100f.) Er konnte von der „Magie des Einwirkens“ nicht lassen, seine Kunstwerke waren die Utensilien seiner Beschwörung, der Versuch, die flüchtige Erfahrung der Kunst vor das Ross eines okkultistischen Erkenntnisprogramms zu spannen. Auf ihn trifft zu, was Adorno zum existenzialistischen „Jargon der Eigentlichkeit“ schreibt:

„Sakral ohne sakralen Gehalt, gefrorene Emanationen, sind die Stichwörter des Jargons der Eigentlichkeit Verfallsprodukte der Aura. Diese paart sich mit einer Unverbindlichkeit, die sie inmitten der entzauberten Welt disponibel oder, wie es wohl in paramilitärischem Neudeutsch hieße, einsatzbereit macht. Die Dauerrüge wider die Verdinglichung, die der Jargon darstellt, ist verdinglicht. Auf ihn paßt Richard Wagners gegen schlechte Kunst gerichtete Definition des Effekts als Wirkung ohne Ursache. Wo der heilige Geist ausging, redet man mit mechanischen Zungen. Das suggerierte und nichtvorhandene Geheimnis aber ist öffentlich. Wer es nicht hat, braucht nur zu reden, als ob er es hätte, und als hätten die anderen es nicht.“ (Adorno: Jargon der Eigentlichkeit, Gesammelte Schriften 6, S. 419)

Durch die versuchte esoterische Instrumentalisierung von Kunsterkenntnis wird die letztere verunmöglicht, sehr wohl ist sie gegen jede Instrumentalisierung aber möglich – eindrucksvoll demonstrieren ja Beuys‘ Kunstwerke ebenso mit ihm wie gegen seine Intention das Unbehagen in der Zivilisation. Der Steiner-Herausgeber Christian Clement hat herausgearbeitet, dass für den Begründer der Anthroposophie die Krisenphänomene der entgleisten Zivilisation gerade das Positive, den Weg zur Höherentwicklung darstellten: Da „sich jeder, bewusst oder unbewusst, willentlich oder unfreiwillig, qua seines Menschseins bereits auf diesem Weg“ befindet, seien die Krisenerscheinungen der Moderne, sei der Zusammenbruch des bürgerlichen Individuums für Steiner begrüßenswertes Anzeichen für die Weiterentwicklung zum freien Geist:

„Was das Individuum als ‚Depression‘, was die Menschheit als ‚Krise der Moderne‘ erlebt, ist nach Steiner Ausdruck jener inneren Entwicklungskräfte, die den Menschen aus den Tiefen seines Wesens heraus von seinen früheren instinkthaften Bindungen an die Natur emanzipieren und ihn gewaltsam zum Erlebnis seiner inneren Freiheit drängen.“ (SKA 7, XC)

Um die Sprache der Beuys’schen Kunstwerke zu verstehen, muss man bedenken, dass Beuys wie Steiner die Erfahrungen der Moderne auf den Kopf stellt und gerade das Leiden, die Gewalt als historisches Kontinuum ins Positive verzaubert. Diese masochistische Affirmation eines gescheiterten Säkularisierungsprozesses (Adorno hätte von „Dialektik der Aufklärung“ gesprochen) verhindert aber nicht, dass die von Beuys zum Zwecke des Antimaterialismus affirmierte Not des Existierenden sich nicht trotzdem schockhaft gerade an seinen Kunstwerken bricht. „Das Tröstliche der großen Kunstwerke liegt weniger in dem, was sie aussprechen, als darin, daß es ihnen gelang, dem Dasein sich abzutrotzen. Hoffnung ist am ehesten bei den trostlosen.“ (Adorno: Minima Moralia. Gesammelte Schriften 4, S. 255)

Metamorphosen. Die verdrängte Sinnlichkeit

Auch Sünner betont die autonome Sprache des Kunstobjekts: „Bei diesem Schaffensprozess haben viele Künstler die Beobachtung gemacht, dass sie bloß im Material angelegte, nur dem geistigen Auge zugängliche Formen aus dem Material ‚herausgeholt‘ hätten.“ (Zeige deine Wunde, S. 66) Die Nicht-Identität des Materials mit der Intention des Künstlers soll aber gleich schon wieder eine besondere spirituelle Botschaft intendieren. Sünner betritt das esoterische Labor von neuem und lässt sich von dem Magier Beuys lehren, die Verlassenheit nicht etwa als vorsichtige Bedingung der Möglichkeit von Hoffnung, sondern selbst schon als Heilung misszuverstehen:

„Filz, Fett, Rost, Blut, Lehm, Moorschlamm, tote Ratten, Jod, Schimmel, Pulver, verkohlte Würste, Eierschalen, Zähne, Knochen, Zehennägel, Batterien, Kabel … kein anderer Künstler hat sich mit so viel Liebe hinabgeneigt zu den Stoffen, die viele Menschen als ‚arm‘, ‚jämmerlich‘, ‚billig‘, ‚verbraucht‘, ‚hässlich‘ oder ’schmuddelig‘ ansehen … Denn wir tragen ja auch das ‚Niedrige‘, ‚Jämmerliche‘, ‚Verbrauchte‘, ‚Fleckige‘ und ‚Schmutzige‘ in uns, die ‚Asche‘, den ‚Rost‘ und das ‚Blei‘, die die Alchemisten jedoch als Ausgangspunkte für Metamorphosen sahen.“ (a.a.O., S. 94f.)

Das Niedrige wird also eben doch nicht als solches ins Auge gefasst, stehengelassen oder versöhnt, sondern bloß aufgrund seiner vermeintlich ‚alchemistischen‘ Sublimierbarkeit in Anführungszeichen gesetzt. Es muss schon transformiert, „erhöht“ (a.a.O., S. 98) werden. Es geht immer um die „therapeutisch-kathartische Wirkung“ (a.a.O., S. 112), nicht um die unverstellte Anerkennung des Schlechten, die doch Bedingung jeder Heilung wäre. Zum einen wird dem ein ’sozialkritischer‘ Einschlag abgerungen: „In unserer von Kosmetik uns makellosem Design überfluteten Welt empfinde ich die Zärtlichkeit von Beuys für das Abgenutzte, Verrostete, Verblichene und scheinbar Billige als Balsam.“ (a.a.O., S. 101)

Dazu unten mehr, denn vor allem soll Beuys‘ Kunst für Sünner dafür zeugen, dass es neben der Welt von Filz und Schlamm noch eine übersinnliche gibt: „Steiner entwirft die Vision einer Kunst, die nicht nur subjektive Darstellung von Emotionen und Begierden ist, sondern diese ’selbstsüchtigen‘ Facetten überwindet und hinter die Oberfläche der Dinge schaut. Und zwar auf Kräfte und Gesetzmäßigkeiten jenseits der äußeren, physischen Welt.“ (a.a.O., S. 51) Das sind die jedes sakralen Gehalts entleerten „mechanischen Zungen“ des Jargons der Eigentlichkeit: Der vorgestellte Geist erweist sich als technizistisches Feld von „Kräften und Gesetzmäßigkeiten“, das sich von der Physis nur durch Unsichtbarkeit unterscheidet, aber deshalb als besonders fancy gilt: „Das ‚Übersinnliche‘ scheint in die sinnliche Welt, die in unserer Gesellschaft das Maß aller Dinge ist, hineinzuragen. Und somit könnte Beuys recht damit haben, Steiners Fähigkeiten nicht ‚hellseherisch‘ zu nennen, sondern sie einfach nur als ‚gesteigerte Wahrnehmung‘ zu bezeichnen. Unser ‚Ätherleib‘ durchzieht den stofflichen Leib mit Kräften, die ihn überhaupt erst formen und zu dem machen, wie er nach außen hin wirkt.“ (a.a.O., S. 65)

Die Missachtung der „sinnlichen Welt“ verbindet Beuys und Sünner aber mit der Gesellschaft, der sie opponieren wollen. Wo Sinnlichkeit und Natur neuerdings wieder gefeiert werden, da eben radikal zugerichtet für gesellschaftliche Regenerations- und Unmittelbarkeitssehnsüchte, was Sünner sehr wohl beschreibt: „Ironischerweise werden heute wieder Wochenendseminare angeboten, bei denen sich gestresste Manager im Schlamm wälzen, um das ‚Loslassen‘ zu üben und wieder Kontakt zum ‚Bauchgefühl‘ und zu ‚Mutter Erde‘ zu bekommen. Beuys‘ ‚Erdtelefon‘ macht das auf eine einfachere Art möglich.“ (a.a.O., S. 97) In der Tat. Denn auch bei Beuys wird Natur, kulturalistisch aufgeladen und umgedeutet, in ein Jenseitiges projiziert, wie Sünner an einem ständig in seinen Werken auftauchenden Tier, dem Hirsch zeigt: „Indem wir uns in einem symbolischen Akt mit dieser Hirschnatur verbinden, verlieren wir Ängste, z.B. die vor dem Sterben, vielleicht auch vor starken animalischen Trieben in uns. Weder der physische Tod noch die Gewalt innerer Regungen kann unser Ich zerstören, wenn es nur richtig damit umgeht.“ (a.a.O., S. 85) Der Hirsch lehrt also doch nur wieder Übersinnliches. Am Ende werden der Manager qua Schlamm vom Stress kuriert und der hirschnaturende Verängstigte aus ihrem scheiternden Versuch einer unmittelbaren Fühlungnahme mit der Natur doch nur mit der gesellschaftlichen Lüge vom unzerstörbaren, stahlharten Ich belohnt. Wäre diesem Ideologem nicht vielmehr die verspielte Sinnlichkeit, das Eingedenken der Natur im Subjekt entgegenzuhalten, Sinnlichkeit, die in der zur ‚zweiten Natur‘ gewordenen Gesellschaft permanent zu jener Wunde verstümmelt wird, die sich in Beuys‘ Konstellationen von Beschädigtem und Nutzlosem darstellt?

Entleerte Naturreligion. Kreativität und Evolution

So soll also das Niedrige transformiert, Natur in Geist aufgelöst werden. Auch die Evolution wird damit für Beuys zum Laboratorium, in dem eine esoterische Experimentalmetaphysik Bedeutungen dekretiert: Man mag Beuys‘ Rede von Tieren als den „Außenorganen“ der Menschheit, die Sünner diskutiert, noch als sehnsüchtiges Sich-Hineinfühlen-Wollen in die zugerichtete sinnliche Welt deuten. Er selbst stellt sich darunter aber unter Rückgriff auf Steiner eher eine Art Unintelligent Design vor: „Der Mensch war von Anfang an die Idee, aber um die Idee auf der Erde zu verwirklichen, mussten Experimente stattfinden … Deswegen müssen die Tiere unsere Freunde sein“. (zit. n. Sünner, a.a.O., S. 72) Tiere sind die misslungenen Probeexperimente. Dies zeigt neben vielem anderen einmal mehr die (im gnostischen Sinne) demiurgische Natur der Heilswesen, die Steiner anzubieten hat.

Sünner weist die anthroposophische Deutung von Tieren als geistigen Menschenvorfahren, die es nicht abwarten konnten, einen Leib zu bekommen, und deshalb nur Tiere wurden, zurück, findet die Beuys’sche Variante aber freundlicher. Seine eigene esoterische Naturdeutung hat mit beiden nur bedingt zu tun. Sünner schlägt daher vor, die referierten Vorstellungen zur Entstehung der Tiere „nicht als wissenschaftliche Erkenntnis [zu] betrachten, sondern eher als anrührendes Bild, so wie Schöpfungsmythen anderer Kulturen.“ (a.a.O., S. 73) Er schätzt an Beuys weniger die esoterische Vereindeutigung und mehr „das Geraune“ (a.a.O., S. 67), etwas „animistisches … wie es frühe Kulturen besaßen und wie es die deutsche Romantik weitergeführt hat.“ (a.a.O., S. 34) Der Regisseur, der auch schon einen Film über „Das kreative Universum. Naturwissenschaft und Spiritualität“ gedreht hat, lehnt den Konkretismus theosophischer Evolutionsvorstellungen ab. Es geht ihm eher um eine Art New Age-Neuauflage des ‚Goetheanismus‘. Zu Beuys‘ Weimarer Jugendgedicht „Nordischer Frühling“ (1942) schreibt er, offensichtlich spirituell verzückt:

„Beuys spürt hier das eigentliche Mysterium der Evolution, in dem sich immer wieder neue Ganzheiten bilden, die mehr sind als die Summe ihrer Teile. Die Natur ist verschwenderisch. Sie schafft im Übermaß, ist – wie bereits Goethe und Haeckel wussten – eine ‚Künstlerin‘, die im Rausch der Formen und Farben schwelgt. Blumen müssen nicht besonders schön sein, um von Insekten bestäubt zu werden. Warum gibt es dann so viel Schönheit unter ihnen. Warum so viel Spiel in der Natur, wo doch das Zweckmäßige im streng darwinistischen Sinne ökonomischer wäre?“ (a.a.O., S. 40)

Dass die Natur nicht „zweckmäßig“ verfahre, führt aufgrund des Gegensatzes zu menschlich-zweckmäßiger Logik zu ihrer Verklärung. In der Natur sieht Sünner ein sinnschaffendes Prinzip, das sich bis in den Menschen fortsetzt: Kreativität. Die zu begründen, zitiert Sünner dann aber wieder ozeanisch fühlende Naturwissenschaftler herbei:

„Kreativität ist kein Sahnehäubchen oder eine Freizeitaufgabe für erschöpfte Bürger, sondern das Fundament unseres Menschseins und der gesamten Evolution. Das sehen übrigens inzwischen auch einige prominente Wissenschaftler so, die sich ein Sensorium für spirituelle Fragen bewahrt haben, etwa der amerikanische Biologe Stuart Kauffman. In seinem Buch ‚Reinventing the Sacred‘ geht er so weit, die rational nicht erschließbare Kreativität der Natur als etwas ‚Heiliges‘ zu bezeichnen, der wir mit mehr Ehrfurcht begegnen sollten.“ (a.a.O., S. 61f.) „Manche Biologen verwenden – in Anklang an die griechische Erdgöttin – heute die Metapher ‚Gaia‘ für die komplexen Abläufe, in denen die verschiedenen Sphären der Erde zusammenwirken. Sie sehen darin so etwas wie einen riesigen Organismus. Sie sprechen davon, dass die Erde zäh und klug ist, ein ‚Recycling-Genie‘, dass sie auf etwas reagiert, uns ernährt, weiß, wie sie z.B. Temperaturen reguliert und den Salzgehalt ihrer Meere konstant erhält.“ (a.a.O., S. 98)

Sünner remythologisiert die Natur, zumindest metaphorisch, was sich für ihn bzw. die referierten Wissenschaftler daraus herzuleiten scheint, dass sich ihre Abläufe nicht mechanistisch, sondern eben nur organisch erklären lassen. Wohlbemerkt: im ’streng darwinistischen Sinne‘ verfährt Natur nicht streng ökonomisch: Es gibt stets den indeterminierten Pool der Variation, aus dem überhaupt erst der jeweils ‚fittest‘ hervorgehen kann. Darwin im Übrigen wäre mit Sünners Perspektive durchaus auf einen Nenner zu bringen, fügte er doch seinem Hauptwerk den folgenden Schluss hinzu: „There is grandeur in this view of life, with its several powers, having been originally breathed by the Creator into a few forms or into one; and that, whilst this planet has gone circling on according to the fixed law of gravity, from so simple a beginning endless forms most beautiful and most wonderful have been, and are being evolved.“ (The Origin of Species, Sixth Edition) Ja, selbst ein atheistischer Aktivist wie Richard Dawkins vermag sich in diesem Sinne durchaus mal mit dem, was er sich zum Begriff Pantheismus zurechtzimmert, für solidarisch erklären:

„Im Unterschied zu den Pantheisten halten die Deisten Gott dennoch für eine Art kosmische Intelligenz, während er für die Pantheisten ein metaphorisches oder poetisches Synonym für die Gesetze des Universums darstellt. Pantheismus ist aufgepeppter Atheismus, Deismus ist verwässerter Theismus … In diesem Sinne bin auch ich religiös … Indes, ich nenne mich lieber nicht ‚religiös‘, weil diese Bezeichnung missverständlich ist – auf verhängnisvolle Weise missverständlich, weil für die allermeisten Menschen ‚Religion‘ das ‚Übernatürliche‘ impliziert.“ (Dawkins: Der Gotteswahn, München 2008, S. 31ff.)

Die verkitschte Romantisierung der Naturgesetze, die Sünner vorschlägt, kommt über dieses Credo Dawkins‘ in seinem Gehalt nicht hinaus. Die ‚Natur‘, das ‚Universum‘ und seine ‚Gesetze‘ oder ihre Kreativität werden qua Dasein zur Grundlage eines wahrlich armseligen, von aller Transzendenz befreiten Religionsersatzes. Die nostalgische Respiritualisierung der Natur ist unwahr – schwache Widerbelebung eines Analogieschlusses im Sinne des teleologischen Gottesbeweises, nur, dass kein Gott da ist, der bewiesen werden soll, sondern irgendeine beeindruckende Natureigenschaft – wieder: sakral ohne sakralen Gehalt. Tatsächlich ist das Bild von Natur, auf das hier ‚Religiöses‘ oder ‚Geistiges‘ rückgeführt werden soll, doch nur wieder gesellschaftlich und eben ideologisch vermittelt: „Gaia“ als „Recycling-Maschine“. Das ist das schlechte Resultat von Beuys‘ Versuch, das mythische ins „moderne Denken“ zu integrieren. (vgl. Zeige deine Wunde, S. 158)

Auschwitz als „Prinzip“ und Unmittelbarkeitswahn vs. „US-Kapitalismus“

Sünners Beuysdeutung läuft auf eine am Unmittelbarkeitsideal von Natur und Spiritualität orientierte Kulturkritik hinaus, die gegen bequemlichen Konsum und Oberflächlichkeit gerichtet ist. Dies erläutert er an Beuys‘ Vorliebe für Hirten, Schamanen und Nomaden. Er stellt „…Beuys, der wohl in der Kultur der Nomaden auch eine Art Gegenentwurf zur ihn umgebenden ‚Erwachsenenwelt‘ sah“, in einen Gegensatz „zu den saturierten Bürgern, die nicht von ihrem Sofakissen hochkommen und Natur nur in Form von Balkonpflanzen und Schrebergärten kennen, zu einem Wirtschaftswunder-Deutschland, das sich nach dem Krieg die Kühlschränke vollstopfte und Spiritualität in die hintersten Winkel der Gesellschaft verbannte.“ (Sünner: Zeige deine Wunde, S. 22) Vermutlich steckt ungefähr dieses Bild hinter der anthroposophischen „Materialismus“-Kritik: Wohlstand ist gemeint und wird verachtet, weil er von der Suche nach dem Eigentlichen, den spirituellen Wurzeln, abhält.

Bei Beuys kommt freilich ein sowohl bei den 68ern wie in der Anthroposophie beliebter Antiamerikanismus zum tragen, zum Beispiel in seiner abscheulichen Aktion „I like America and America likes me“ in einer New Yorker Galerie. Schon am Flughafen ließ der Künstler sich in Filz einwickeln, um „keinen einzigen Amerikaner sehen“ zu müssen. Beuys verbrachte nun Tage im Käfig mit einem Kojoten, der „die Indianer“, also die gute spirituelle, weil nicht-technisierte „Urkultur“ repräsentiert:  „Während der Aktion uriniert das Tier auf die auf dem Boden ausgelegten Exemplare des ‚Wall-Street Journal‘: Symbol des auf unendliche Geldvermehrung und Ausbeutung hin angelegten US-Kapitalismus.“ (a.a.O., S. 82) Getreu seinem völkischen Antikapitalismus, dem die falsche Trennung von schaffendem und raffendem Kapital („US-Kapitalismus“) eingeschrieben ist, versuchte Beuys, den „Indianer“-Kojoten zum Widerstandssymbol gegen die Zivilisation zu machen:

„Beuys kommuniziert mit dem Kojoten als einer mythologischen Größe … Dessen ‚Gruppenseele‘ steht für etwas: für List, Wildheit, Schlauheit, Beweglichkeit, Veränderbarkeit, etwa seiner Stimme und seines Nahrungsverhaltens in Krisenzeiten. All das wurde von den Indianern beobachtet und bewundert, daher die Kojotenmasken, die bestimmte Stämme bei rituellen Tänzen verwendeten. Die weiße Bevölkerung Amerikas jedoch begann den Kojoten genauso zu hassen wie den Indianer, was Beuys den ‚traumatischen Punkt in der Zusammensetzung der Energien der Vereinigten Staaten‘ nennt. Beide sind das ‚Andere‘ zur angestrebten ‚Zivilisation‘, ein nicht domestizierbarer Naturanteil, der zum Schädling erklärt und eliminiert werden muss … Indem Beuys mit diesen verdrängten Sphären Amerikas Kontakt aufnimmt, wirkt er als Bewusstmacher und Heiler von Wunden.“ (a.a.O., S. 81)

Beuys mag Wunden bewusst machen, nicht aber zu heilen, weil er falsche Alternativen aufmacht: Einem in reaktionärer Weise fehlgedeuteten Kapitalismus soll hier schon wieder eine neo-mythische Unmittelbarkeitsphantasie nach der vermeintlich ‚heilen‘ Welt des präkolumbianischen Amerika entgegengestellt werden. Ironischerweise impliziert diese Unmittelbarkeitsphilosophie dabei selbst den Versuch einer Domestizierung wilder Natur: Der Kojote hat schon auf das Wall Street Journal zu pissen, seine ‚Gruppenseele‘ wird keinesfalls als unbeherrschte Natur vorgestellt, sondern sie „steht für etwas“, das doch wieder einer menschlichen Logik folgt: „List … Beweglichkeit, Veränderbarkeit“, genau die Tugenden, die mehr noch im postmodern-grünen Kapitalismus unserer Tage gefordert sind. Die schlimmsten Auswüchse von Beuys‘ Möchtegern-Kapitalismuskritik finden sich in seinen Erklärungen zu seiner Vitrine „Auschwitz-Demonstration“, die erneut zu den eindrücklicheren Kunstwerken gehört.

Auschwitz hat für Beuys freilich wieder bloß symbolischen Wert, wie sein Kojote, es ’steht für etwas‘. In  einem Interview meinte er: „Denn Auschwitz existiert weiter auf eine andere Art. Was heute wirkt, ist nicht mehr diese primitive Methode, daß man Menschen ins Feuer wirft und sie so vernichtet, aber heute vernichtet man sie durch diese Art von Wirtschaft, die die Menschen innerlich aushöhlt und zu Konsumsklaven macht und ihnen also äußerlich eine kosmetische, eine wirtschaftswunderartige Kosmetik überlegt, ihnen aber dadurch die Seele aus dem Leib reißt.“ (zit. n. a.a.O., S. 106) Die gemarterten Leiber der Häftlinge, die zu Asche verbrannten, sind also bloß ‚primitiv‘ ermordete, viel schlimmer als der Massenmord ist der ‚Konsum‘. Hier zeigt sich wieder, wie wenig Beuys die von ihm zu esoterischen Transformationszwecken vereinnahmte ‚Natur‘ letztendlich überhaupt wahrnimmt: Gefoltert und ermordet wurde ja bloß der Leib. Auch Sünner lehnt das ab: „Denn er thematisiert hier nicht das Grauen von Auschwitz als solches, sondern instrumentalisiert Auschwitz als Metapher für aktuelle gesellschaftliche Missstände.“ (ebd.) Dass der Missstand wiederum nur zuviel „Konsum“ und keineswegs in der Produktionssphäre liegt, daran ist Sünner dann wieder ganz bei Beuys, wobei mir seine Kulturkritik eine andere Stoßrichtung zu haben scheint: Sünner versucht sich nicht an völkischem Antikapitalismus, sondern beklagt das Auseinanderklaffen einer sich ja in der Tat vergrößernden arm-reich-Dichotomie, für deren ‚reichen‘ Pol das Leiden in und an der Gesellschaft unsichtbar werde: „Oben die teuren Boutiquen von Armani, Cartier, Versace, Chanel, Jil Sander und Gucci, die Cafés mit Gästen aus der gut betuchten Münchner Bussi-Bussi-Gesellschaft, darunter das fahle Licht abgründiger Szenarien mit Verstümmelungen und Gewaltakten, deren Laute nicht mehr nach oben dringen.“ (a.a.O., S. 121f.)

Völkisch?

Sünner lehnt das Wort völkisch für jedoch Beuys ab, und beruft sich dafür auf den Historiker Uwe Puschner, der über den zentralen Stellenwert von Antisemitismus und Rassenideologie für die völkische Bewegung des Kaiserreichs schreibt. (vgl. a.a.O., S. 177f.) Puschner liegt richtig, wobei es schon damals Modelle wie die Paul de Lagardes gab („Das Deutschtum liegt nicht im Geblüthe, sondern im Gemüthe“), die, wie dann auch Steiner, dem Geist die Vormacht gegenüber der Biologie gaben (ohne dass dies gegen Antisemitismus spräche). Dass bei Beuys typische Merkmale eines Völkischen aus der Wilhelminischen Ära fehlen, überrascht nicht, weil er seine politischen Vorstellungen im Übergang von Nazismus und Bundesrepublik entfaltete. Der Antisemitismus hatte seine Salonfähigkeit verloren: Gier und Profitdenken verortete man nun lieber bei einer kalten „Finanzelite“, am liebsten im abstrakten „Casino-Kapitalismus“ und in „Amerika“. „Montagsdemos“ und „Friedenswinter“ führen solche links wie rechts plausiblen Gedanken heutzutage esoterisch weiter. Wenn bei den Frankfurter „Blockupy“-Protesten 2015 ein großes Plakat eine Merkel-Karikatur zeigte, die mit US- und Davidssternen bemalt war, würden die Verantwortlichen sicher nicht Judenhass, sondern Imperialismus-„Kritik“ als Motivation ihrer Darstellung angeben. Die Beuyssche Wirtschaftsutopie revitalisiert die Unterscheidung von „schaffendem“, kreativem, künstlerischem, und „raffendem“ Kapital. Darin einen modernen Fortsatz völkischen Denkens zu sehen, ist gerechtfertigt, auch ganz ohne Beuys‘ Deutschlandbild ins Auge zu nehmen, das dafür weitere Anhaltspunkte beisteuert.

Dass sich in Beuys‘ politischem Umfeld auf rechte Figuren wie August Haußleiter oder Werner Georg Haverbeck fanden, lässt Sünner nicht gelten, da Beuys schließlich zumindest vom Altnazitum des rechten Anthroposophen Haverbeck nichts gewusst habe. (a.a.O., S. 172ff.) Auch wenn das stimmt, zeigt es aber nur einmal mehr, welches Umfeld sich da in der „grünen“ und antiglobalistischen Bewegung fand: Haverbeck konnte hier „aufgrund seiner Aktivitäten als Umweltaktivist und Brokdorf-Demonstrant … als ‚links'“ gelten. (a.a.O., S. 173) Beuys musste kein Altnazitum pflegen, solches passte vielmehr harmonisch in das Spektrum der politischen Bewegung(en), die ihn ebenfalls rezipierten.

Auch eine Prägung Beuys‘ durch seine Jugend in Nazideutschland lehnt Sünner ab, weil Beuys „wohl nicht anders als viele seiner Altersgenossen“ gehandelt habe! (a.a.O., S. 36) Das ist aber wohl kaum eine Entschuldigung für Beuys sondern wohl eher das beste Argument gegen alle: Beuys wie seine Altersgenossen. Sünner bringt also nicht nur kein Argument gegen die Nazi-Beeinflussung Beuys‘, sondern das beste Argument dafür. Natürlich soll alles, was Beuys auszeichnet, total unabhängig von der NS-Ideologie sein. Nachdem das (un)geklärt ist, geht Sünner freudig zu Beuys‘ Jugendgedicht „Nordischer Frühling“ (1942), das bei dem mit 12 zur HJ gekommenen selbstredend „etwas ganz anderes“ heißt. Hier geht es um den wunderbaren Frühling in Weimar. Nazis, so lernt man also bei Sünner, schreiben keine schönen Naturgedichte, sondern sind an martialischem Germanenkult (a.a.O., S. 36) und „irgendeine[r] Rassenmythologie“ (a.a.O., S. 39) zu erkennen. Vom Regisseur eines Filmes über rechte Esoteriker hätte man etwas subtilere Kriterien erwarten dürfen. Beuys, der seine Vergangenheit als Hitlerjunge und Bordfunker bei der Luftwaffe nie kaschierte, meinte dazu, dass man „im Gegensatz zu heute – damals die Situation für die Jugendlichen ideal war, um sich auszuleben.“ (vgl. Kunst und Boden)

Honigpumpe. Ästhetisierung der Politik

Gegen Beuys‘ politisch-ästhetische Symbolik hat Sünner nichts einzuwenden. Dessen Leidenschaft für agrarisch-nomadische Kulturen, die in verkitschter Rezeption gegen die Moderne ausgespielt wurden, findet er vielmehr gerade als solche glaubwürdig: „Hirte, Heiler, Schamane: Ich hatte nichts gegen solche Bezeichnungen von Beuys, da sie wertvolle Tätigkeitsfelder ausdrücken, die in unserer schnelllebigen und auf Profit ausgerichteten Zeit immer weniger Ansehen genießen.“ (a.a.O., S. 14) Beuys war bekanntlich bemüht, sich seine eigene Geschichte zurechtzulegen, wie er mit diesen ‚ursprünglichen‘ Lebenszuständen verbunden sei: Im (erfundenen Bericht) von seinem Flugzeug-Absturz , nach dem ihn Krimtartaren gepflegt haben sollen – von hier habe er, so Beuys‘ in die Welt gesetzte Legende, seine Leidenschaft für Fett und Filz entdeckt, die in seinen Kunstwerken ständig auftauchen.

Gegen die Kunsthistoriker, die die Legende als solche ‚entlarvten‘, versucht Sünner diese Erzählungen Beuys‘ als phantasievolle Kindheitserinnerungen stark zu machen, die man doch wohl nicht entzaubern dürfe: „Vielleicht sind die Entlarver von Fantasiegeschichten insgeheim neidisch darauf, nicht mehr solche geistigen Spiel- und Freiräume zu haben? Leiden sie im Gefängnis ihrer ihrer trockenen Fakten, die keine Verbindung mehr zu ihrem Herzen haben?“ (a.a.O., S. 30) Ist es besser, Sehnsüchte durch ‚trockene Fakten‘ zu zerstören, oder, sie selbst zum Faktum zu erheben? Ich sehe hier die Wahl zwischen Skylla und Charybdis, die Wahl dazwischen, das Kind mit dem Bad auszuschütten oder in ihm zu ertränken. Sünners Präferenzen liegen freilich bei zum Faktum stilisierten Kindheitsphantasien und der ‚Verbindung zum Herzen‘ gegen die kopflastigen Wissenschaftler – und hier schmiegt er sich Beuys‘ Fehldeutung des Naturhaften als wohlig-organizistischer Harmonie an. Das beschreibt er an Beuys‘ berühmter „Honigpumpe“ auf der documenta 1977, die Sünner damals selbst besucht hat:

„Bis heute habe ich den Ton dieser Honigströme im Ohr, der wie das Ächzen und Flüstern eines Riesenorganismus wirkte. Mal war er minutenlang verschwunden, weil sich die Flüssigkeit irgendwo staute. Dann rauschte der Strom wieder mächtig hervor und bereicherte die oft kopflastigen Debatten mit einer sinnlichen Farbe, die einen daran erinnerte, dass es hier um Kunst ging.“ (a.a.O., S. 86) „Der Reiz der Installation bestand aus der Kombination von mechanischen und organischen Elementen, von dröhnenden Maschinen im Untergrund und der flüchtig-goldfarbenen Honigsubstanz, die wie ein Blutkreislauf das ganze Haus durchpulste. Dies konnte man tatsächlich als ‚Wärmeskulptur‘ erleben.“ (a.a.O., S. 90f.)

Diese Apotheose ’naturhaft‘-amorphen Fließens, das, wie Honig, alles klebrig einhüllt, ist Beuys‘ Zaubertrank gegen das gesellschaftliche Klima von Dissonanz. Die vermeintliche „Intelligenz der Bäume“ zog er der fehlinvestierten der Menschheit vor – ein langes Zitat dazu füllt den Trailer von Sünners Film. Die Fehlwahrnehmung kapitalistischer Ausbeutung führt zum Versuch, das Ornamentale der Natur gegen sie auszuspielen. Beispielsweise das spektakuläre irische Naturphänomen „Giants Causeway“:

„Dort ragt eine Brücke von ca. 40 000 Basaltsäulen ins Meer, die bis zu zwölf Meter hoch und vor 60 Jahren aus abgekühlten Lavasteinen entstanden sind … Eine Art monumentaler Landschaftsplastik, die uns noch etwas von der Natursicht älterer Kulturen erzählt, welche hinter allen Formen eine schöpferische Hans sahen. Beuys war wohl von der Metamorphose-Idee hinter dieser Steinplastik angerührt, die langatmige Gestaltwerdungsprozesse verkörpert, dazu von der Vielfalt der Basaltformen. Sie sind meist sechseckig, aber es gibt auch fünf-, sieben- und achteckige Ausnahmen. Beuys nannte dieses Phänomen ‚unity in diversity‘ (‚Einheit in der Verschiedenheit‘) und bezog es als utopisches Sinnbild der Versöhnung auf die politischen Konflikte in Irland.“ (a.a.O., S. 164)

Die Harmonie der Natur wird zum Vorbild für die menschliche Vernunft, was sich in seiner ganzen Einfältigkeit an der Aktion zu einer trostlosen Münsteraner Fußgängerunterführung zeigt: zur Rettung des Ortes wollte Beuys einen toten Schacht darüber mit Bienenwachs ausgießen. (a.a.O., S. 132) Aus dem Vorhaben wurde das Werk „Unschlitt“. Beuys will darüber nicht das Individuum abschaffen, wie Sünner den Kritikern seines organizistischen Gesellschaftsmodell zurecht entgegenhält, sondern es via Kreativität erneut ins unmittelbare Fließen einbinden: Der bürgerlichen Kälte soll die Wärme unmittelbarer Naturähnlichkeit standhalten. Der einzelne soll sich für das Ganze zurücknehmen, aber doch nur ein bisschen und im Rahmen der Brüderlichkeit: „Beuys verwendet das Bild des Bienenstaates für unsere Physiologie, nicht für ein utopisches Gesellschaftsmodell. Für soziale Zukunftsvisionen interessiert ihn nur der ‚Wärmecharakter‘ des Bienenstocks, der für Beuys auch eine Metapher für Sozialismus und Brüderlichkeit ist. Für die Bereitschaft, auch mal ‚ sich selbst zurückzustellen und für andere etwas zu tun‘. Dieser humane Impuls macht für Beuys den Bienenstock zu einer ’sozialen Wärmeskulptur‘, nicht die Eliminierung des Individuums zugunsten eines totalitären Ganzen.“ (a.a.O., S. 90)

Aber die Erhebung von Steinformationen und Bienenstaaten zum Vorbild einer pluralistischen Einheit scheitert: Der Mensch ist, nach Herders (in der ‚Philosophischen Anthropologie‘ weitergeführter) Einsicht, im Gegensatz zum Tier in seinem Verhalten eben nicht biologisch oder instinktiv determiniert, er muss seinen Sinn selbst setzen, wozu die Kultur antrat. Selbst die von Beuys und C. G. Jung gegen die ‚Oberflächlichkeit‘ der Zivilisation ausgespielte Alchemie, die sie als Beschreibung seelischer Vorgänge missverstanden, war bereits Produkt naturwissenschaftlicher Aufklärung – Alchemie war historisch keine Geheimkunst für Hinterzimmer, sondern eine Wissenschaft, die im 17. Jahrhundert in den Laboren eines Boyle und Newton betrieben wurde. Erst das 18. Jahrhundert belegte die Alchemie polemisch mit jenen Attributen des Dunklen und Irrationalen. Jung und Beuys hängen im Hinblick auf die Alchemie also einer gestrigen Polemik gegen vorgestrige Methoden an, die sie als ‚wahren‘ Sinn der letzteren ausgeben. Selbst die Unmittelbarkeit, die sie suchen, erweist sich damit als verballhorntes Zivilisationsprodukt. Wenn das Projekt der Naturbeherrschung auch in Menschenbeherrschung umschlug, ist sie irreversibel, die Beschwörung der Natur als heilbringender Harmonie ist selbst ein Akt von Kultur, Jargon der Eigentlichkeit: Beuys‘ warme, skulpturale Gesellschaft als kreativer „Organismus“ ist nichts anderes als das, was Siegfried Kracauer das „Ornament der Masse“ nannte: Jene unheilvolle Geschlossenheit der zur zweiten Natur gewucherten Gesellschaft, in der die Menschen mehr oder weniger gut funktionierende Rädchen im Getriebe sind.

„Die organische Gesellschaftslehre, die den natürlichen Organismus zum Vorbild erhebt, ist nicht minder mythologisch als der Nationalismus, der um eine höhere Einheit als die schicksalhafte der Nation weiß … Der gegen die abstrakte Denkweise gerichtete Einwand, dass sie den eigentlichen Gehalt des Lebens nicht zu fassen vermöge und darum einer konkreten Betrachtung der Erscheinungen zu weichen habe, wird aber voreilig erhoben, wenn er zu Gunsten jener falschen, mythologischen Konkretheit erfolgt, die in dem Organismus und der Gestalt das Ende erblickt … Es ist die jedes ausdrücklichen Sinnes bare rationale Leerform des Kultes, die im Massenornament sich darstellt. Damit erweist es sich als ein Rückschlag in Mythologie, wie er größer kaum gedacht werden kann – als ein Rückschlag, der seinerseits wieder die Abgesperrtheit der kapitalistischen Ratio gegen die Vernunft verrät.“ (Siegfried Kracauer: Das Ornament der Masse, Frankfurt am Main 1977, S. 57-61)

Die gegen die Menschen verselbstständigte Kultur wächst sich selbst zur quasi-organischen Einheit aus. Beuys‘ organizistische Utopie fordert letztlich, diesen Unterschied von erster und zweiter Natur unsichtbar zu machen und aneinander rückzubinden – die ornamentale Struktur des Massenornaments tatsächlich zur Formenvielfalt von Basaltstelen am Meer zusammenzuschleimen. Und so rückt Ökologie an die Stelle der Ökonomie: „Nicht Geld und Geldvermehrung sollten unseren Kapiatlbegriff ausmachen, sondern unsere Naturressourcen und schöpferischen Fähigkeiten.“ (a.a.O., S. 189) Beuys ist also gerade in seinem Naturkult keine gestrige Figur, sondern ein Vordenker des grünen Kapitalismus, in dem keine kalt geplanten Bürozeiten, sondern Teamgeist und Verwandlungsfähigkeit, ja unsere „schöpferischen Fähigkeiten“ das Getriebe am Laufen halten sollen. Konnte Beuys das noch in alternativkulturellen Nischen als ‚kritisch‘ verkaufen, sind seine Vorstellungen zum Teil längst Realität geworden. Dass jeder Mensch ein Künstler sei, ist genau das Kreativitäts- und Flexibilitätsgebot, das vom Marktteilnehmer verlangt wird, ohne dass dabei aber Beuys’sche Wärme aufgekommt.

Verunglückte Hadesfahrt

Der Beuys’sche Kapitalbegriff ist nicht deshalb unwahr, weil er anachronistisch, sondern weil er verwirklicht ist, während keine Genesung der Menschheit sich auch nur entfernt abzeichnet. Sünner spricht von Beuys‘ „Hinabsteigen in die Unterwelt, wo er sich – wie mythologische Helden und Schamanen – mit dem Dunklen konfrontiert, um daraus Heilung und Transformation zu gewinnen.“ (a.a.O., S. 128) Eine Beuys-Apologie hätte mit der Einsicht einzusetzen, dass Beuys während seiner Hadesfahrt verunglückt ist, unfähig, dem Dunklen die Heilung abzuringen. Das Scheitern ist kein persönliches, sondern liegt in der missverstandenen Natur der Sache. Die Transmutation scheitert, das esoterische Laboratorium, als „Erkenntnisschulung“ für Kunstbetrachter ist unwirksam. Die Heilung selbst zerbricht, in jene Zivilisationstrümmer und Knochensplitter, die Beuys als ihren Beginn ausgab. Sie zeigt Chaos statt der Ordnung, Sinnloses statt der „Kraftfelder“, an die sie anschließen möchte. Zumindest eine Ahnung davon spricht Sünner aus, wenn er schreibt: „Transzendenz wird nicht ausposaunt, sondern versteckt ihre Intimität gerade hinter dem scheinbar Spröden und gar Abweisenden.“ (a.a.O., S. 137) Zu diskutieren wäre über das Wort „scheinbar“: Kunst lebt nicht aus dem Wegschaffen, sondern aus der Wirkung des Scheins, was spröde und abwesend erscheint, ist also gerade das Ästhetische, entgegen aller schein-losen Transzendenz, die der Künstler wie auch immer ambitioniert darin verstecken will. Wenn Kunst, wie Adorno meint, „Magie“ sei, Magie „befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein“ (Minima Moralia, S. 254), dann wäre die Beuys’sche Kunst Lüge weil der Versuch, die Magie erneut als Wahrheit einzusetzen. Große Kunst ist sie, weil der Regress ins Magische Beuys misslungen ist. Die Mysterien finden weder am Goetheanum noch am Hauptbahnhof statt, sondern gar nicht. Nur diesem unversöhnlichen Blick auf die Schründe der Immanenz des Faktischen gesellt sich, als seine verzweifelte Sehnsucht, die Hoffnung auf Versöhnung. Ein Blick, den Beuys wider Willen, aber eben doch, gewährte.

 

23. März 2015 at 1:59 pm 1 Kommentar

Kunst und Boden. Zu Hans-Peter Riegels Beuys-Biographie

Mit reichlich Radau hat der „Spiegel“ eine neue Beuys-Biographie von Hans-Peter Riegel beworben: Unbewältigte Weltkriegsvergangenheit, die Nähe zu Steiners „kruden Ideen“ und dessen rassistischen Äußerungen – sind Kunstkenner in aller Welt einem ewig-gestrigen Deutschen auf den Leim gegangen? Jedenfalls wurde die Bedeutung der Anthroposophie für das Werk von Joseph Beuys bisher weit unterschätzt, meint der jüngste Beuys-Biograph. Seine  quellengesättigte Studie um ein Künstlerleben, das zwischen Messianismus, Meditation und nationalen Ideen schwankte, bietet reichlich Stoff zur Polarisierung.

Joseph Beuys zählt zweifellos zu den ganz großen, wenn auch umstrittensten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Dass er sich selbst als „Eingeweihter“ mit spirituellen Fähigkeiten sah, dass er sich für Rudolf Steiners gesellschaftspolitische Ideen engagierte und behauptete, der Gründer der Anthroposophie sei ihm als Kind im Traum erschienen, um ihm die Weiterführung seines Werks anzutragen – das und noch mehr hat Anthroposophen an Beuys fasziniert und ist von Kunsthistorikern meist irritiert übergangen worden.

Nicht nur dieser Lücke nimmt sich der Kunsthistoriker Hans-Peter Riegel in einer neuen Beuys-Biographie an. Sein Buch stellt die geistige und politische Entwicklung des Aktionskünstlers in den Vordergrund. Riegel malt das Bild eines rätselhaften, man möchte fast sagen: eines unheimlichen Intellektuellen, bei dem Genie und Täuschung, ein beinahe missionarisches Engagement für die Demokratiebewegung und eine renitente Begeisterung für eine Mission des Deutschtums offenbar Hand in Hand gingen. Der spätere „Grünen“-Aktivist begann seinen Weg als Hitlerjunge und Bordfunker bei der Luftwaffe. Später meinte er, dass „im Gegensatz zu heute – damals die Situation für die Jugendlichen ideal war, um sich auszuleben.“ Was die Einschätzung seiner nazistischen Jugendjahre anging, scheint der Künstler, wie sein Biograph jetzt nahelegt,  stets den Weg der Verdrängung gegangen zu sein.

Beuys‘ Beschäftigung mit Steiner nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nahm nach Riegel seltsame Dimensionen an: Er imitierte dessen Handschrift, seinen Sprachduktus, seine Vorträge und die berühmten Kreidezeichnungen. Eine wichtige Stellung kam in Beuys‘ Denken dem „Christus-Impuls“ zu. Riegel weist nach, dass die bisherige Beuys-Forschung sich offenbar nicht die Mühe gemacht hat, hier die auf der Hand liegenden Parallelen von Beuys und Steiner nachzuzeichnen. Leider hat Riegel andere Aspekte der Anthroposophie nicht näher einbezogen. Wenn Beuys etwa behauptete, er habe sich „seit meinem 14. Lebensjahr“ „naturwissenschaftlichen Studien“ gewidmet, bleibt der offensichtliche Bezug des Künstlers auf Steiners Lebensalter-Lehre unerwähnt.

Umso überzeugender wirken dafür Riegels Recherchen zu Beuys‘ politischem Amalgam von   „Deutschtum“, „Ich“-Philosophie und Steiners Gesellschaftsutopie der Sozialen Dreigliederung. 1958 beschrieb Beuys „das deutsche Volk“, dem „die Auferstehungskraft“ eigen sei und das damit vor „anderen Völkern“ die „Pflicht“ habe, „radikal erneuerte Grundlagen des Sozialen“ zu errichten. Er hoffte, einen „Heilungsprozess auf diesem Boden vollziehen zu können, aus dem wir alle geboren sind.“ Amerikas „Selbstsucht“ habe dagegen „die ganze Welt versaut“. Riegel führt diese Überzeugungen wohl zu Recht auf Beuys‘ Beschäftigung mit Steiners deutschnationalen Positionierungen im Ersten Weltkrieg zurück, sieht darin aber keinen Widerspruch zu seinem „grünen“ Engagement. Vielmehr weist er auf vielfältige Verflechtungen von Reformbewegungen, rechten Splitterparteien und Amerikahass in der linken APO hin. Hier fand sich der im Achberger Kreis wirkende „revolutionäre Anthroposoph“ Wilfried Heidt ebenso wieder wie der unbelehrbare Nazi-Enthusiast Werner Georg Haverbeck. Beuys schwankte zwischen rechten und linken Figuren: Haverbeck (dessen Nazi-Verstrickungen in der anthroposophischen Szene allerdings erst spät bekannt wurden) lud ihn offenbar für Vorträge an seinem „Collegium Humanum“ ein, Beuys ließ Haverbeck auf Tagungen der „Free International University“ (FIU) sprechen. Auf der Tagung zur „Documenta“ 1977 betrat nach Haverbeck (der übrigens auch vom maoistischen China schwärmte) niemand anderes als Rudi Dutschke die Bühne, mit dem Beuys laut Riegel „brüderliche Sympathie“ verband. Beuys glaubte wie viele Anthroposophen, in der Studentenbewegung, vor allem im „Prager Frühling“, einem historischen Durchbruch der Dreigliederung beizuwohnen, die sie in der Formel „Freiheit, Demokratie, Sozialismus“ zusammenfassten. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, lautet seine bekannteste Formel – „Aber auch Hitler war ein großer Künstler, ein großer Aktionist. Der hat nur seine schöpferische Fähigkeit negativ gebraucht“, so Beuys.

Solche  Äußerungen sind spätestens seit 1996 bekannt. Am Versuch des Biographen sowie von Teilen der deutschen Medien, daraus und aus Beuys‘ Bezügen zu Steiner einen „Ewiggestrigen“ zu  konstruieren, stoßen sich allerdings viele seiner Weggefährten und Bewunderer. Klaus Staeck, Präsident der Berliner Kunst-Akademie, der 18 Jahre lang mit Beuys zusammengearbeitet hat, versicherte etwa im Interview mit dem „Deutschlandfunk“, er habe „nie gemerkt“, dass der Künstler „ein reaktionäres Alt-Nazitum“ pflegte. Höchstens habe er sich „ohne diplomatisches Geschick“ geäußert. Nach Staeck hat Beuys in politischen Dingen auf die „falschen Leute“ gesetzt. Staecks Einwände sind zweifellos richtig, stehen aber nicht im Widerspruch zu dem Beuys, den Riegel enthüllt. In der Wahrnehmung des Künstlerpropheten stand die Welt für ihn Modell. Kein Gedanke war zu heilig, zu makaber oder zu abwegig, um Aufnahme in seinen schillernden Kosmos zu finden. Selbst Beuys‘ autobiographische Bemerkungen sind Dichtung und Wahrheit – oft eben wohl auch Ersteres. Riegel widerlegt wie nebenbei eine ganze Reihe von Mythen, denen viele frühere Beuys-Biographen distanzlos folgten. Beuys behauptete etwa, in seiner Jugend mit einem Wanderzirkus umhergezogen zu sein und fälschte sein Abiturzeugnis – weil er 1941, in der Zeit seines Schulabschlusses, schon längst als Freiwilliger zur Wehrmacht gegangen war. Die Legenden über Koyoten und Tataren waren nach Riegels Recherchen ebenso irreal wie die Person Fritz Rothenburg, durch den Beuys zur Anthroposophie gekommen sein wollte. Riegels alternative Deutung von Beuys‘ anthroposophischer Konversion verweist auf Ewald Mataré, seinen langjährigen Lehrer an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf, der mit Steiner vergleichbare Position zu „Geist“ und „Gesamtkunstwerk“  artikulierte. Sieben von neun Schülern aus Matarés Klasse wurden später Anthroposophen.

Riegels Fokus auf den politischen Beuys zeigt zugleich, dass die Kunst dessen bedeutendste Bühne war. Sein Sendungsbewusstsein machte ihn zwar vorübergehend zu einem beliebten Aushängeschild der „Grünen“, er wurde aber schließlich „von seiner eigenen Partei böswillig abgesägt“, so Johannes Stüttgen. Beuys ist nicht auf den Müllhaufen der Geistesgeschichte zu werfen. Gerade die Untiefen seiner ekklektischen deutschen Ideologie zeigen, dass seine Kunst die Widersprüche der deutschen Geschichte spiegelt. Statt sich abzuwenden, gilt es, ihren Abgründen standzuhalten.

Hans-Peter Riegel: Beuys. Aufbau Verlag. 28 Euro, 595 Seiten

Der Text erscheint auch auf der Webseite von Info3

16. Mai 2013 at 3:28 pm 5 Kommentare

Inhalte überwinden: Was Peter Sloterdijk zu Steiner zu sagen hat

Über Anthropotechnik, Kulturkapitalismus und fliegende Reptilien. Eine Polemik

„Menschlich am Menschen ist in der Welt von Schrecken und Herrschaft bloß der Dämon.“ (Theodor W. Adorno: Beethoven. Philosophie der Musik. Fragmente und Texte, hg. v. Rolf Tiedemann, Frankfurt a.M. 1993, 241)

Peter Sloterdijk, Philosoph, Fernsehmoderator und Essayist, war am 14. Oktober in Weil am Rhein zu Gast. Der freudige Grund: Eine Ausstellung über den Anthroposophen Rudolf Steiner (1861-1925) im rennomierten Vitra-Design-Museum. Es soll sich, so die Veranstalter, um die „erste Retrospektive auf den wohl einflussreichsten und zugleich umstrittensten Reformer des 20. Jahrhunderts“, also auf Steiner handeln und es gibt sicher Interessantes zu sehen (vgl. „Kreative Fundgrube“). Nachdem die Ausstellung in Stuttgart und Wien zu sehen war, kehrt sie nun zu ihrem Ausgangsstandpunkt Wolfsburg zurück. Sloterdijk diskutierte zu diesem Anlass über Steiner mit Matteo Kries (Museumskurator) und Walter Kugler vom Steiner-Archiv in Dornach. Einen genauen Bericht über den Abend und die Ausstellung hat Wolfgang Vögele vorgelegt, einen weiteren gab’s in der Badischen Zeitung. Auf Youtube ist auch ein 10-minütiger Videomitschnitt zu sehen.

Dem Vitra-Design-Museum wie dem Steiner-Archiv ist zu dieser Aktion in ökonomischer Hinsicht (und ohne Anflug von Ironie) nur zu gratulieren: Wer wäre zu diesem Anlass PR-tauglicher gewesen als Sloterdijk?

„In der ihm eigenen Weise sagt Sloterdijk zu jedem beliebigen Thema treffsicher genau das, was alle denken, aber es klingt immer irgendwie anders, ist in einer Weise metaphorisch verpackt, die der deutsche Durchschnittsintellektuelle für philosophisch, das heißt tiefsinnig hält.“ (Manfred Dahlmann: Biedermann und Übermensch. Peter Sloterdijks deutsche Ideologie, in: Alex Gruber/ Philip Lenhard (Hg.): Gegenaufklärung. Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft, Freiburg 2011, 257)

Sehr hübsche metaphorische Verpackungen benutzte Sloterdijk auch in in Weil. Er erklärte beispielsweise, Steiner – den er als „größten mündlichen Philosophen des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete – sei kein Guru gewesen, sondern würde inzwischen als „ganz normales Genie“ erkannt. Das ist zwar Konsens aller, die den „spirituellen“ Dschungel des Steinerschen Weltanschauungskosmos‘ heute mit postmodernen Motiven als Steinbruch benutzen  – frei nach dem Motto: Der habe alles irgendwie „ganz anders“, rein konstruktivistisch, heuristisch, kreativ gemeint. Sogar Bundespräsident Christian Wulff nannte Steiner kürzlich in einer Reihe mit Heinrich Schliemann, Joachim Gauck und Albert Einstein (es ging um wissenschaftliche Vorbilder aus der Stadt Rostock, vgl. „Sie werden gebraucht“). Aber: Wie angenehm, dass Sloterdijk das alles auch findet! Mein Kollege Jens Heisterkamp, Chefredakteur der Zeitschrift „Info3 – Anthroposophie im Dialog“ und (damit schon von Berufs wegen) ein wacher Beobachter der anthroposophischen Szene, hat Aussagen und Stimmung des Abends in einem Bericht eingefangen dem ich die obigen Sloterdijkzitate verdanke. Im Folgenden kommentiere ich Sloterdijks Steiner-Vereinnahmungen nach dem Wortlaut dieses Berichts.

Anthropotechnik und „Schulungsweg“

„Besonders interessant“, so Jens Heisterkamp, „war Sloterdijks medientheoretische Deutung des Phänomens Steiner: Der Gründer der Anthroposophie habe mit seinem Ansatz »die Vertikalität neu definiert« und die menschliche Subjektivität an eine andere Sphäre gekoppelt. Steiners Übermittlung von Hinweisen aus einer »Geistigen Welt«, mit denen er die Pädagogik, die Landwirtschaft, die Medizin und viele andere Gebiete erneuerte, interpretierte Sloterdijk als quasi-mediale Durchgaben eines »Imperativs zur Veränderung« (Ein genialer Trandmitter)

Diese Sloterdijksche Steinerexegese ist so allgemein, dass man ihr tatsächlich zustimmen könnte. Zunächst: „Vertikalität“ in Sloterdijks Welt bedeutet so viel wie Übung, Selbstdisziplin, Training, das einen über die profanen Niederungen der gesellschaftlichen „Horizontalität“ hinausführen soll. Und tatsächlich: Auch Steiner wollte die menschliche Subjektivität zum „Geistigen im Weltenall“ und über den „materialistischen“ Zeitgeist emporheben. Dazu legte er einen meditativen „Schulungsweg“ vor, der im finalen Punkt die vollbewusste, hellsichtige „Erforschung“ einer übersinnlichen, „geistigen Welt“ ermöglichen sollte. So grundsätzlich betrachtet passt das zu Sloterdijks Konstrukt der „Anthropotechnik“, die er so definiert:

„Ich verstehe hierunter die mentalen und physischen Übungsverfahren, mit denen die Menschen verschiedenster Kulturen versucht haben, ihren kosmischen und sozialen Immunstatus angesichts von vagen Lebensrisiken und akuten Todesgewissheiten zu optimieren.“ (Sloterdijk: Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechnik, Frankfurt 2009, 23)

Sloterdijk versucht also, die verschiedenen religiösen Traditionen zu entkernen und projiziert in sie alle ein urprotestantisches Arbeitsethos mit sinnstiftendem Endziel: Religiöse Praktiken und Rituale seien deren eigentlicher Zweck, einfach, weil sie praktisch sind. Es sei bloß nötig, diese „Übungsverfahren“ von den religiösen Vorstellungen zu reinigen, um das eigene Leben in die „Vertikalität“ zu heben und zuguterletzt als glücklicher Übermensch zu enden. Der ideale (post-)religiöse Mensch wäre nach diesem Ideal zwar irgendwie und erklärt inhaltslos, aber fit in verschiedenen „Übungs“techniken und -ideologien. Sloterdijks Versessenheit auf „Übung“ bleibt, das nur nebenbei, nicht auf dem Gebiet verstümmelter Religion, es geht grundsätzlich und bis in eugenische Bereiche darum, den Menschen zu optimieren.

Steiner und Sloterdijk, treffen sich in der Tat darin, ehemals der Religion vorbehaltene Themen dem menschlichen Bewusstsein methodisch verfügbar machen zu wollen. Beide stehen hier im Traditionsfeld der westlichen Esoterik: Die Neuplatonismen der Rennaissance über die Spiritisten bis zu den LSD-Experimenten der Transpersonalen Psychologie enthalten trotz gewaltiger Differenzen das Grundmotiv, „Geistig-Göttliches“ irgendwie technisch-methodisch zugänglich zu machen. Sloterdijks Weltbild kann vor diesem Hintergrund nicht nur als esoterisch bezeichnet werden, es bietet, wie man sagen könnte, geradezu Esoterik „auf der Höhe der Zeit“: „postmetaphysisch“ und lifestyle-orientiert. Statt psychisch riskantem Tischerücken oder anstrengenden Meditationen winkt hier ein so weitgefasster wie übersichtlicher Begriff bienenfleißigen „Übens“.

So weit, so schlecht. Während es Sloterdijk also um die Abschaffung von Inhalten und den Aufbau einer Übungsmentalität, die Internalisierung des „unternehmerischen Selbstes“ zu gehen scheint, sind bei Steiner jedoch gerade die Inhalte zentral: Die Aufgabe ist keine geringere als das (Wieder-)Aufschließen einer „objektiv“ existenten „geistigen Welt“. Den Lehrplan seiner Waldorfpädagogik komponierte Steiner daher bis in Details mit kosmischen Diktaten aus (vgl. Gänzlich „ganzheitlich“?).

ausgefahrene Äther-Antennen

Von Allgemeinplätzen abgesehen, vereinnahmt Sloterdijk den „modernen Propheten“ (Miriam Gebhardt) also zu Unrecht. Dafür wieder umso schöner: die von Sloterdijk verwendeten Metaphern – in der Wiedergabe von Jens:

„Im Blick auf die inzwischen in vielen Museen der Welt gezeigten Wandtafelzeichnungen, mit denen Steiner seine Vorträge illustriert hatte, meinte Sloterdijk, Steiner habe „die Powerpoint-Präsention mit Kreide“ erfunden. Die eigentliche „Power“ habe er dabei allerdings nicht wie heute aus einem auf Folien abgelegten Wissen bezogen, vielmehr habe er sich darauf verlassen, dass ihm im entscheidenden Moment die Evidenz selbst zur Hilfe kam. Steiner habe sich von der Inspiration überraschen lassen. Er sehe ihn deshalb als eine Art Medium, als einen „Antennenmenschen“. „Ich glaube Steiner ist und bleibt wichtig, weil er einer von denen war, die die Antennen ausgefahren haben schon bevor die Antennen erfunden waren“, sagte Sloterdijk abschließend. Seither horchten die Menschen ja tatsächlich in den Äther hinein und wollten erfahren, was zu tun ist.“ (Ein genialer Transmitter)

Zwar ist es, wie oben gezeigt, scheinbar Sloterdijks Programm, Inhalte zu überwinden, und er liegt damit zweifellos im Trend der zeitgenössischen Selbstsatire (vgl. das gleichnamige Wahlplakat der PARTEI). Trotzdem wäre es sinnvoll, wenigstens Metaphern mit Inhalt in die Welt zu setzen. Die erste funktionstüchtige Antenne beispielsweise entstand 1886, Steiner entwickelte seine Anthroposophie jedoch erst ab 1900. Mir will sich auch nicht erschließen, was der „Äther“ sein soll, in den „die Menschen“ (alle?) „seither“ (seit wann?) „tatsächlich“ (oder nicht doch eher im übertragenen Sinne?) „hineinhorchen“ sollen (wie?). Und ganz obendrein finde ich die Titulierung von Steiners Wandtafelzeichnungen als „Powerpoint-Präsentation“, gelinde gesagt, zusammenhanglos. Als Kostprobe sei eine Aussage Steiners über das sog. lemurische Zeitalter wiedergegeben, und dazu die entsprechende Wandtafelillustration:

„So würde sich einem Menschen … zurückwandernd in jene Zeit, die das lemurische Zeitalter mit dem atlantischen verbindet, ein besonderer Anblick darbieten: solche riesigen fliegenden Eidechsen mit einer Laterne auf dem Kopf, die leuchtet und wärmt; unten etwas wie eine weiche, morastartige Erde, die aber etwas außerordentlich Anheimelndes hat, weil sie dem Besucher von heute eine Art von Geruch darbieten würde, der zwischen Moderduft und dem Duft der grünenden Pflanzen mitten drinnen steht. Etwas Verführerisches auf der einen Seite und außerordentlich Sympathisches auf der anderen Seite würde dieser Schlamm der weichen Erde darbieten.“ (Steiner, GA 232, S. 84)

Wandtafelzeichnung Rudolf Steiners: Fliegende Eidechse aus Lemurien. Peter Sloterdijk sieht in diesen Zeichnungen Steiners eine Vorwegnahme der Powerpoint-Präsentation

Um zu erklären, was das denn so für belauschbarer Äther sein könne, gebraucht Sloterdijk einen weiteren diffusen Ausdruck: „Meeresrauschen“ und begibt sich damit wieder in mythische Gefilde:

„Sloterdijk bezog sich dabei auf den Satz von Robert Musil: „Wir horchen in uns hinein und wissen nicht, welches Meeresrauschen wir hören.“ „Die Sender [offenbar die der „Antennen“ zum „Äther“-Hören – AM] waren noch nicht genau eingestellt“, erläuterte Sloterdijk. „Gleichzeitig hat bei Steiner ein viel intensiverer Empfang begonnen. Er wirkt wie unter einem Diktat und hört offenbar im Äther einen Auftrag für eine Lebensreform. Hundert Jahre später nach diesem verlorenen 20. Jahrhundert fahren die Menschen wieder ihre Antennen aus und wissen nicht genau, welches Meeresrauschen sie hören. Aber sie hören den neuen absoluten Imperativ: ‚Du musst Dein Leben ändern’. Es geht um den Auftrag eine Lebensreform zu entwickeln, die den Fortbestand der Menschheit auf dem gefährdeten Planeten sichert. Und Steiner ist ein genialer Transmitter für diese Botschaft.““ (Ein genialer Transmitter)

Zwar hielt Steiner den Planeten tatsächlich für gefährdet, aber nicht aufgrund von politischen, gar Umweltkrisen. Er sah eine Gefährdung durch kosmische Kräfte: Der prädestinierte Kalender der spirituellen Evolution sagte Steiner die baldige „Inkarnation Ahrimans“ voraus. Ahriman – den Namen verdankt Steiner dem Zoroastrismus – stellt in der Anthroposophie den Anführer schrecklicher dämonischer Geister (der „ahrimanischen Wesenheiten“) dar. Deren Plan ist es, die Menschen mental an die Technik und die Vergötzung des Materiellen zu binden und letzten Endes die Erde in eine Art Roboterzustand verwandeln: den „Neuen Saturn“. Sloterdijk müsste erst belegen, wo er in Klima-, Umwelt-, Umwelt, Finanz- oder beliebiger anderer Krise die Handschrift Ahrimans ausfindig zu machen glaubt, um sich hier glaubwürdig auf Steiner berufen zu können. Die Feststellung, dass Steiner einen Lebenswandel forderte, ist so frappierend trivial, dass es wohl keinen Philosophen, Esoteriker oder religiösen Prediger des letzten Jahrhunderts gäbe, auf den Sloterdijk diese Charakteristik nicht beziehen könnte. Auf unverblümte Weise hat das ein Repräsentant orthodox-anthroposophischer Publizistik, Lorenzo Ravagli, demonstriert. Der berief sich in seinem Buch „Aufstieg zum Mythos“, das einmal mehr in enthusiastischen Prophezeiungen über die künftige Glorie der remythisierten Menschheit mündet, wohl auf name-dropping-Gründen, auf Sloterdijk, gestand aber in einer Fußnote diskret:

„Peter Sloterdijk kommt in seinem Buch ‚Du musst dein Leben ändern‘ zu einer übereinstimmenden Zeitdiagnose. Seine Therapievorschläge weichen von den hier vorgetragenen ab.“ (Lorenzo Ravagli: Aufstieg zum Mythos. Ein Weg zur Heilung der Seele in apokalyptischer Zeit, Stuttgart 2009, 11)

Gutes Karma für Reformer

Wie am Atomausstieg mit Grillparty-Atmosphäre oder Populismen um die Euro-Rettung zu sehen, ist man hierzulande aber mit „Wir ändern uns“-Slogans immer gut beraten. „So sehr man an Sloterdijks Denkbemühungen auch nicht ein gutes Haare lassen kann, eines ist ihm zuzugestehen: er hat ein untrügliches Gespür dafür, wie Deutsch-Denken (und -Fühlen) den aktuellen Umständen entsprechend zum Ausdruck zu bringen ist.“ (Manfred Dahlmann, a.a.O.). Dazu noch einen Teil aus Jens Heisterkamps Bericht.

„Den Grund der neuen Offenheit für Steiner sah Sloterdijk in einer besonderen geistesgeschichtlichen Konstellation unserer Zeit. Der Ansatz der Lebensreform als Gegenentwurf zur politischen Revolution erscheine wieder hoch aktuell. Denn im Rückblick auf das „verlorene 20. Jahrhundert“ (Sloterdijk) zeige sich heute, dass die „Revolutionäre“ im Unrecht gewesen seien. Ansätze, die Welt durch Veränderung der Verhältnisse ändern zu wollen, haben nur Zerstörung hinterlassen. Die Lebensreform dagegen, die eine Erneuerung von Innen anstrebte, hätte sich als der richtige Weg erwiesen.“ (Ein genialer Transmitter)

Peter Sloterdijk 2009 bei der Präsentation seiner Buches „Du musst dein Leben ändern“, (Foto von Rainer Lück; Wikipedia-Commons)

Sloterdijk konstruiert also einen Gegensatz „Reform versus Revolution“ und entscheidet sich für erstere. Hier zeigt sich ein weiterer Sloterdijkscher Standard: Der Hang zur „Provokation“, die „niemanden wirklich provoziert, weil alle insgeheim dasselbe denken“ (Dahlmann, a.a.O). Dem linksspießbürgerlichen und liberalen Umfeld, zwischen dem sich das umfangreiche Milieu anthroposophischer SympathisantInnen aufspannen dürfte, kommt der Terminus der Revolution in der Tat eher ungelegen. Dagegen ist das Selbstverständnis, Träger eines neuen, bewussteren, nachhaltigen und zumindest auch ein bisschen spirituellen Trends zu sein, immer zu haben für „Reformen“. Insbesondere dann, wenn man selbst den reformerischen Geist ohnehin schon für sich gepachtet zu haben meint. Dazu einmal wieder Jens Heisterkamp, diesmal im Vorwort des von ihm herausgegebenen Buches „Kapital = Geist“:

„Es sind Marken wie Weleda, Voelkel und Stockmar, die bereits ökologisch, verantwortungsbewusst und im Sinne einer weltzentrischen Ethik wirtschafteten, als diese Begriffe noch gar nicht erfunden waren; es sind Firmen wie Alnatura, hessnatur oder die GLS-Bank, die an einen ökologisch-ethischen Breitenmarkt dachten, als erst eine kleine Subkultur von diesen Ideen überzeugt war. Es sind schließlich Firmen wie Wala oder Sonnett, die bereits vor Jahren mit einer Krise des Ego-Kapitalismus rechneten und bis in ihre Rechtsformen hinein entsprechende Konsequenzen zogen … Ihr Beispiel zeigt, wie die Ideen Rudolf Steiners heute bis in die wirtschaftliche Praxis hinein Wirkung haben.“ (Heisterkamp: Pioniere der Nachhaltigkeit. Anthroposophie und neues Denken in der Wirtschaft, in: Ders. (Hg.): Kapital = Geist. Pioniere der Nachhaltigkeit. Anthroposophie in Unternehmen, Frankfurt a.M. 2009, 8f.)

Das ist, jedenfalls in den groben Umrissen, wohl wiederum inhaltsgleich mit Sloterdijks „Vertikalität“ oder Anthropotechnik. Der Versuch eines „bewussten“ Kapitalismus allerdings ändert nichts am Kapitalismus, sondern führt zu einer subtileren, verinnerlichten Form ehemals äußerlicher ideologischer Programme: zu den diffusen, „ätherischen“ „Verändere dich“-Idealen.

„Im Zeitalter der liberalen Expansion lebte Amusement vom ungebrochenen Glauben an die Zukunft: es würde so bleiben und doch besser werden. Heute wird der Glaube noch einmal vergeistigt; er wird so fein, dass er jedes Ziel aus den Augen verliert und bloß noch im Goldgrund besteht, der hinters Wirkliche projiziert wird.“ (Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung (1945), Frankfurt a.M. 1969, 152)

Und damit ist der gesellschaftsverändernde Gehalt der Lebensreform auch bald ausgeschöpft. Im Glauben gefangen, „das Bewusstsein“ sei momentan „endlich“ bereit, sich zu einer weltzentrischen Verantwortungsbereitschaft zu „entwickeln“, bleibt das Luftholen zum Bewusstseins-Sprung, der dazu nötig wäre, aus. Stattdessen wird ein „Karmakapitalismus“ produziert, der glücklich im eigenen guten Gewissen um sich selber kreist: Das Moment der Utopie bleibt aus, das „klassiche“ kapitalistische Motiv des  finanziellen, irgendwie materiellen Gewinnes ist aber ebenfalls als Option verschwunden. Es wird ersetzt durch säkularisiert-religiöse Fitnessprogramme wie Sloterdijks übend-vertikale „Anthropotechnik“. Der populäre Philosoph und Lacanianer Slavoj Žižek erläuterte das 2009 am Beispiel einer neuen, ökologisch wertvollen Starbucks-Werbekampagne:

„Das nennt man «Kulturkapitalismus». Der kulturelle Mehrwert liegt hier auf Hand: der Kaffeepreis ist höher als nirgendwo [sic!] sonst, denn was Sie in Wirklichkeit kaufen, ist eine «Ethik des Kaffees»… mit Umweltbewusstsein, sozialer Verantwortung, an einem Ort, an dem Sie am öffentlichen und sozialen Leben teilnehmen können (schon von Anfang an hat Starbucks seine Cafés als Orte der Bürgerlichkeit inszeniert). … Indem wir sie kaufen, kaufen wir nicht nur ein Konsumprodukt, sondern wir tun zusätzlich noch etwas, nämlich etwas, was unseren Wunsch nach Verantwortung, unser Gewissen oder die Teilnahme an einem ehrgeizigen sozialen Projekt zeigen will… Eine neue Disziplin hat sich etabliert, die happiness studies. Wie aber kommt es, dass im selben Moment Angst und Depression trotzdem nicht abnehmen? Die Selbstsabotage des Glücks und der Lust zeigt mehr als alles andere die Wahrheit einer Freud’schen Erfahrung.
Der Protest der 60er Jahre fügte der Kritik der ökonomischen Ausbeutung eine Kulturkritik bei: Entfremdung am Alltagsleben, Verdinglichung des Konsums, Uneigentlichkeit der Massengesellschaften, sexuelle Unterdrückung. Der neue Geist des Kapitalismus hat im Triumph die egalitäre und antihierarchische Rhetorik von 1968 übernommen und präsentiert sich nun als gelungene libertäre Revolte gegen die gesellschaftlichen Unterdrückungssysteme (seien sie kapitalistisch oder sozialistisch) … Ein toleranter Hedonismus bleibt als Rest von der sexuellen Befreiung der 60er Jahre. Kürzlich habe ich Folgendes in einer Broschüre eines New Yorker Hotels gelesen: «Sehr geehrter Kunde, um Ihnen einen angenehmen Aufenthalt zu bieten, informieren wir Sie, dass dies ein komplett raucherfreies Hotel ist. Jeder Verstoß gegen diese Regel wird mit einer Geldbuße von 200 Dollar geahndet.» Diese Formel strotzt vor Schönheit: Sie werden bestraft, wenn Sie es wagen, ihren Aufenthalt in diesem Hotel nicht gut finden! … Willkommen in der besten aller Welten des hedonistischen Über-Ichs!“
(Willkommen im Kulturkapitalismus)

Unter absolutem Verzicht auf die hedonistische Komponente waren anthroposophische Unternehmen tatsächlich Vorreiter dieses ethisch-existentiell ambitionierten Kulturkapitalismus. Sloterdijk teilt mit diesen anthroposophischen Unternehmern und ihren glücklichen Kunden allerdings mehr, als beide mit Steiner teilen, wenn sie im LOHAS-Rad der fair gehandelten Wiedergeburten ihre ewigen Kreise ziehen:

Steiner arbeitete noch mit einer überschaubaren Zahl von AnhängerInnen, keiner globalen Modebewegung. Er denunzierte jede andere religiöse und politische Bewegung als überholt oder defizient. Er glaubte nicht daran, zog gar nicht in Erwägung, dass seine Waldorfschule einmal zum weltweiten Exportschlager werden würde, er erlebte nicht, wie Weledakosmetik Einzug in die Apothekenregale hielt, nicht, wie anthroposophische Banken oder AktivistInnen Ethikpreise abstaubten. Wenn er sich auch von den Praktiken der Lebensreformer oder Reformpädagogik Anregungen holte, plante er letztlich nur konsequent im Sinne seiner privaten „geistigen Welt“. Steiner hielt in einer penetrant dogmatischen Religiosität letztlich an der utopischen Idee der Revolution fest: Die Veränderung der Welt geschehe nicht einfach so, sondern nur – und zwar nur – durch die konsequente Verwirklichung der Anthroposophie, die folglich im Plan der höheren Mächte vorgesehen war. Auch wenn das paradox klingt, wäre den postmodernen „Reformern“ für die Umsetzung ihrer Ideale zumindest ein Stück solcher Konsequenz zu wünschen: „Fair wirtschaften“ nicht, weil alles irgendwie bunt, (post)modern und gutes Karma wäre, sondern trotzdem. Der „Kulturkapitalismus“ bedient sich wohlklingender Schlagwörter und erreicht darin Dimensionen, die der „kalte“ „Ego-Kapitalismus“ nicht kannte (vgl. Generation Dümpel). Statt in diesem Strohm mitzuschwimmen, ist eine wirklich glaubwürdige Praxis nur möglich, wenn man beispielsweise den zitierten fairen Kaffeehandel wirklich betreibt, um Ausbeutung verhinden, Menschenwürde zu wahren, um konkreten menschlichen Schaden zu begrenzen… und nicht, weil es „ganzheitlich“, karmisch hilfreich oder Symptom bewusstseinsevolutionären Fortschritts sei. Diese glaubwürdige Praxis kann nur stattfinden, wenn die Intentionen hinter den postmodernistischen Idealen von Pluralismus, Solidarität und Selbstverwirklichung Selbstweck sind und nicht zu postmodernistischen Phrasen oder mentalem Fitnesstraining à la Sloterdijk werden. Letzteres steht aber der Anthroposophie bevor, so wie sie sich im Umfeld der Steinerausstellung im Vitra-Design-Museum präsentiert. Schließlich: Fans der Sloterdijkschen Steinerdeutung, und erst recht Peter Sloterdijk selbst, sollten einen konsequenteren Umgang mit Steiners Anthroposophie finden: Steiner derart liberal zu deuten, ist – davon bin jedenfalls ich überzeugt – nur nach einer historisch-kritischen Einordnung legitim.

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Post scriptum

Wenn ich Sloterdijk als Esoteriker bezeichne, will ich damit nicht von der Verpflichtung entbinden, sich mit seinem Werk und seinen Aussagen auseinanderzusetzen. Das Thema ist sogar noch um einiges komplizierter: Sloterdijks esoterische Weltanschauungskonstrukte, die sich zum Beispiel im Postulat einer metahistorisch existenten „gnostischen“ Denkform manifestieren (vgl. sein Vorwort „Die wahre Irrlehre“ zu: Ders./Peter Macho (Hg.): Weltrevolution der Seele. Ein Lese- und Arbeitsbuch der Gnosis, Zürich 1993 – das Buch enthält auch einen Textauszug von Steiner) regen auch erklärte KritikerInnen der Gnosis oder der Esoterik an. Jüngst auf diesem Blog besprochen habe ich zum Beispiel die Dissertation von Jana Husmann. Die kritisiert zwar die schwarz-weiß-codierten Denkformen der spätantiken Gnosis, der aufklärerischen Philosophie oder den Wissenschaftsbegriff der Anthroposophie, beruft sich in geschichtlichen und religionsphilosophischen Belangen immer wieder unkritisch auf Sloterdijk. Husmann übernimmt etwa Sloterdijks Begriff des „demiurgischen Humanismus“, „des“ neuzeitlichen Menschen, der als „Gott der zweiten Schöpfungswoche“ agiere, wenngleich sie das sicher wesentlich kritischer meint als Sloterdijk (Jana Husmann, S. 124). Forschung und Forschungsgegenstand sind also auch im Falle von Esoterik und Esoterikforschung nicht nur offen für Synthesen, sondern begründen sich gegenseitig inhaltlich (vgl. zu diesen unbewussten Bündnissen Michael Bergunder: Was ist Esoterik? Religionswissenschaftliche Überlegungen zum Gegenstand der Esoterikforschung, in: Monika Neugebauer-Wölk (Hg.): Aufklärung und Esoterik. Rezeption – Integration – Konfrontation, Tübingen 2008, 477-507).

18. Oktober 2011 at 8:40 pm 10 Kommentare

„Kreative Fundgrube“? – Der „neue“ Steiner und die Kunst

„Das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Steiner, weil wir überzeugt sind, dass seine Ideenwelt eine noch lange nicht ausgeschöpfte, kreative Fundgrube für die Kunst ist und gerade für das kreative Denken im 21. Jahrhundert akut wird.“ Markus Brüderlin, Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg

„Steiner wäre heute ein Star in den Talkshows und auf Diskussions-Podien“, erklärte dazu der Wolfsburger Museumschef Professor Markus Brüderlin bei der überfüllten Eröffnungs-Pressekonferenz. Und Mateo Kries, Leiter des beteiligten Vitra Design-Museums, ergänzte: „Welche andere Figur hat eine solche Spanne von der Goethezeit über Nietzsche, den beginnenden Expressionismus bis hin zur Postmoderne?“ (zit. nach Jens Heisterkamp: Sternstunde für Steiner)

In den letzten Wochen wurde Rudolf Steiner (1861-1925), Begründer der esoterischen Ideenlehre Anthroposophie, die „das Geistige im Menschen zum Geistigen im Weltenall führen will“, mal wieder in allerlei Medien prächtig gefeiert. Die Ereignisse und Einstellungen im Umkreis dieser Neuinszenierung sind in vieler Hinsicht symptomatisch, weshalb ich sie in diesem Artikel behandeln möchte. Anlass des Ganzen ist eine Doppelausstellung in Wolfsburg: Unter dem Titel Rudolf Steiner – die Alchemie des Alltags wird Steiners Vita und Werk unter besonderer Rücksicht auf künstlerische und gestalterische Aspekte präsentiert, während in der Parallelausstellung Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart 15 moderne und zeitgenössische KünstlerInnen Bezüge dazu herstellen (zur Veranschaulichung der buchstäblichen Presseflut habe ich im Anschluss an diesen Artikel eine Reihe von Artikeln und Essays zur Wolfsburger Ausstellung zusammengestellt).

Ich habe die Ausstellung übrigens noch nicht besucht, werde das aber wahrscheinlich noch tun und bei danach geänderten Eindrücken oder Einstellungen darüber berichten.

Das ist zwar die erste Ausstellung, auf der Steiner so stark im Mittelpunkt steht, Steiners Architektur und Malerei, besonders seine zu illustrativen Zwecken während diverser Vorträge entstandenen Wandetafelzeichnungen waren schon erstaunlich oft irgendwo ausgestellt:

„…1992 (…) stellte die bekannte Kölner Galerie Monika Sprüth erstmals (außerhalb Dornachs) zahlreiche jener großformatigen Wandtafelzeichnungen aus (…) Die Werkbezüge zum ‚Vortragskünstler‘ Beuys wurden nun augenfällig.

Die Resonanz in der Kunstwelt darf erstaunen: anschließende Ausstellungen im Verlauf nur eines Jahres wurden realisiert im Frankfurter Portikus, im Lenbachhaus München, in der Albertina Wien, im Kunstmuseum Bern und im Fridericianum Kassel. Mit den Wandtafelzeichnungen geriet Steiner neu in das Blickfeld der Kunstkritiker, Kunsthistoriker und der Kunstöffentlichkeit (…) und nicht nur innerhalb eines relativ kleinen Fachpublikums, sondern mittlerweile innerhalb der western art Weltkunstszene (durch weitere Ausstellungen in Venedig, Prag, Berkely, New York, und Tokyo). Mehrere begleitende Kataloge erschienen, in den Feuilletons würdigten renommierte Kunstkritiker Steiners Zeichnungen. (…) Teilweise wurden in den Publikationen neben den Wandtafelzeichnungen auch weitere, vordem unbekannte, grafisch-malerische und skulpturale Werke des Künstlers Steiner abgebildet. Davon waren außerhalb des Goetheanums erstmals 1995 zahlreiche Originale innerhalb der großen Ausstellung Okkultismus und Avantgarde in der Frankfurter Schirn zu besichtigen.“ (Johann Fäth: Rudolf Steiner Design, Dissertation, Konstanz 2004, S. 23)

Joseph Beuys: Basisraum Nasse Wäsche 1979 (Detail) - Steiners Wandtafelzeichnungen (s.u.) zum Verwechseln ähnlich...

Joseph Beuys: Basisraum Nasse Wäsche 1979 (Detail) – Steiners Wandtafelzeichnungen (s.u.) zum Verwechseln ähnlich…

Anthroposophie und

Kunst

Die Verbindung von Anthroposophie und Kunst ist intentional ohnehin keine neue Sache, sondern gehört vielmehr zum anthroposophischen Standardrepertoire. Durch das Künstlerische, die Ästhetik in allen Dingen werde Soziales, Wissenschaft und Spiritualität verschmolzen, behauptete Steiner (wie wohl vor ihm schon eine unaufzählbar lange Liste von PhilosophInnen und DichterInnen seit der Wirkungsästhetik der griechischen Antike):

„Das Goethesche Wort [wahrscheinlich Goethe: „Zahme Xenien“ IX (Gedichte aus dem Nachlass) – AM] wird wahr: Die Kunst ist eine Art von Erkenntnis, – weil die andere Erkenntnis keine vollständige Welterkenntnis ist. Kunst muß erst hinzutreten zu dem abstrakt Erkannten, wenn wirkliche Welterkenntnis eintreten soll. Es bleibt doch wahr, daß dann, wenn solche Erkenntnis eintritt, die bis zum Gestalten vordringt, auch das so tief in die Menschenseele hereingeht, daß diese Vereinigung von Kunst und Wissenschaft auch die religiöse Stimmung abgibt.“ (Steiner: Anthroposophie und Kunst (1923) in: GA 276 „Das Künstlerische in seiner Weltmission“, Steiner Verlag, Dornach 2002, S. 276)

Goethe: Farbkreis (1810)

Goethe: Farbkreis (1810)

Folglich hieß seine Pädagogik „Erziehungskunst“, seine Medizin war eine „anthroposophisch erweiterte Heilkunst“, die Eurythmie besteht bis heute auf den Namen „Bewegungskunst“ (statt Tanz), die in Dornach bei Basel um Steiners „Goetheanum“ genannten Tempelbau entstandene Wohn-, Arbeits- und Geistesgemeinschaft ließe sich als Excellence-Beispiel für das Jugendstilideal vom allumspannenden „Gesamtkunstwerk“ bezeichnen. Anthroposophischen Hochschulgründungen wie der FH Ottersberg, die als eine der ersten Einrichtungen Kunsttherapie-Ausrichtungen anbot, fiel es schwer, sich von der Überlast anthroposophischer Kunstbegriffe und -ansprüche zu befreien, wie Rektor Peer de Smit in einem bemerkenswerten Vortrag zum Thema festhielt:

„Der Gründungsvorgang und auch die Entwicklung der FH, das lässt sich schwer wegreden, ist nicht frei von Tendenzen, die man als ahistorisch und konservativ bezeichnen könnte. Die FH ist über 30 Jahre weitgehend insular und isoliert aufgewachsen. Bis in die 90er Jahre hinein hat sie kaum Beziehungen zu anderen aufgenommen, hat in Theorie und Praxis keinen Dialog eröffnet (…) Es blieb bei der stereotyp vorgetragenen und auch leicht anzweifelbaren Feststellung: ‚Wir sind die ersten, die in Kunsttherapie ausbilden, die ersten, die diesen Begriff geprägt haben, ein Berufsbild formuliert haben.‘ (…) Dies alles gab der FH einen unwissenschaftlich anmutenden Zug. Ich sehe in der Abschottung gegen außen ein Kennzeichen, das für anthroposophische Einrichtungen und die anthroposophische Bewegung insgesamt typisch ist. (…) Die Geschichte der FH begleitet der Versuch, sich vom Vorwurf des Anthroposophischen reinzuwaschen, zumindest aber das Verhältnis zu normalisieren, verträglich zu gestalten.“ (Peer de Smit: Rückblicke für die Zukunft, Vortragsmanuskript, abgedruckt in: Seitenweise – 40 Jahre Fachhochschule Ottersberg, 2008, S. 70-75)

Dazu ist zu sagen, dass wenige genuin anthroposophische Einrichtungen diesen Weg von Konfrontation, Reflexion und Neuorientierung gegangen sind, dass die FH Ottersberg aber nach meinem bisherigen Eindruck eine der wenigen dieser Einrichtungen darstellt, die dabei zu tieferen Gedanken und erfolgreichenn Konzepten kamen – wenngleich der Prozess noch verbesserungswürdig und unabgeschlossen scheint (ebd., S. 83f.).

Und damit wären wir auch schon beim sehr umfangreichen und ausgestalteten Kunstunterricht an Waldorfschulen (vgl. dazu v.a. Michael Martin (Hg.): Der künstlerisch-handwerkliche Unterricht in der Waldorfschule, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1991), der in der ersten Klasse mit Aquarellmalen und Plastizieren bis zum Umfallen beginnt und oft (zB in Mainz) mit einer spektakulären mehrwöchigen „Kunstfahrt“ durch historisch bedeutende Orte endet (in meinem Fall von Paestum über Rom, die Toskana und der Tarotgarten von de St Phalle zur Bienale nach Venedig). Viele WaldorfschülerInnen blicken gerne und dankbar auf die kreativen Freiräume und interessanten Projekte zurück, die Waldorfschulen im Bereich der Kunst durchaus bieten. Dazu kann auch ich mich wie gesagt zählen. Andere erleb(t)en auch in diesen Bereichen anthroposophische Versteinerungsritualien, die v.a. in den erwähnten obligatorischen Aquarellmalstunden der „Unterstufe“ (Klasse 1-4) zuschlägt. Etwa der Info3-Redakteur und Blogger Sebastian Gronbach (vgl. Steiner = Jesus):

„Als hätte die Welt zwischen 1919 und 2010 still gestanden. (…) In keiner Schulform wird so viel von der Tafel abgeschrieben wie in der Waldorfschule. Für Neulinge wirkt alles farbig, kreativ und sehr lebendig. Für Kenner ist dagegen überall die anthroposophische Kreativitätsschablone sichtbar.“ (Anthroposophie und ihr Schatten)

Anthroposophisch inspiriert?

Diverse KünstlerInnen und ihre Verbindungen zu Steiner

Erstaunlicherweise wurde Steiner aber wohl in keinem der gesellschaftlichen und kulturellen Bereiche, in der er seine Alternativkonzepte aufbaute, so viel und so vielseitig diskutiert wie in der „Kunstszene“ im weitesten Sinne – von SchriftstellerInnen über MusikerInnen zu MalerInnen. Unter diesen zu den „Kreativen“ gehörenden Kommentatoren wurde Steiner vielfach abgelehnt, etwa von Kurt Tucholsky, der einen sarkastischen und sehr ablehnenden Bericht über einen Vortrag Steiners in Paris verfasste (Tucholsky: Rudolf Steiner in Paris). Hermann Hesse, der spirituellen Weltdeutungen insbesondere fernöstlicher Herkunft wahrlich nicht abgeneigt und ein Freund des Waldorfschulgründers Emil Molt war, veröffentlichte einige seiner Texte in den „Waldorf-Nachrichten“ sowie der anthroposophischen Zeitschrift „Individualität“. Er war aber auch der erste, der (als inniger Verehrer des großen, großen Tao Te King) Steiners Eurozentrismus bzw. seine „Parolen gegen die Gedankenwelt des Alten Asien“ kritisierte. 1935 schrieb er:

Ich kenne sehr liebe Leute, die Steinerverehrer sind, aber für mich hat dieser krampfhafte Magier und überanstrengte Willensmensch nie einen Moment von etwas Begnadeten gehabt (…) Was bei Euch [in Nazideutschland] an Geschichtsfälschung betrieben wird, bedurfte, um möglich zu sein, einer langen Auflockerung und vorbereitenden Hypnotisierung, sie geschah von vielen Seiten, seit Jahrzehnten, und Steiner war tüchtig mittätig.“ (Hesse in einem Brief an Otto Hartmann, 22.03.1935, abgedruckt in: Wolfgang Vögele (Hg.): Der andere Rudolf Steiner, Pforte Verlag, Dornach 2005, S. 243 – Hervorhebungen AM)

Hermann Hesse (1905), kritisierte als erster Steiners "Parolen gegen die Gedankenwelt des Alten Asien"

Hermann Hesse (1905), kritisierte als erster Steiners „Parolen gegen die Gedankenwelt des Alten Asien“

Dagegen ist aber auch die Reihe der KünstlerInnen auf vielen Gebieten lang, die sich zu VerehrerInnen und Inspirierten Steiners rechneten: Die Regisseure Alexander Kluge und Andrej Tarkowsky (Sünner: Eine Reise ins innere Atlantis); KomponistInnen wie Viktor Ullmann (wikipedia) und Bruno Walter; ArchitektInnen wie Frank Gehry;   SchriftstellerInnen wie Selma Lagerlöf, Gabriele Reuter, Stefan Zweig, Saul Bellow, Christian Morgenstern (Belege bei Walter Kugler: Feindbild Steiner, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2001, S. 37f., 61ff.), sowie kurzzeitig Max Brod und nicht zu vergessen Michael Ende, zum dem ich noch ausführlicher komme; MalerInnen wie Andrej Belyj (ebd., S. 36), Piet Mondrian (S. 47ff.), Jackson Pollock (S. 52) und Franz Marc (wikipedia). Zitate und Würdigungen der genannten ließen sich zusammentragen wie Sand am Meer, ich verzichte auf beides und beschränke mich auf zwei interessante Beispiel.

Auf Steiner berief sich auch gelegentlich Wassily Kandinsky, der auf eine konstruktivistische Neuinspiration der Kunst als Wegweiser für eine im Entstehen begriffenen spirituelleren Welt hoffte:

„Zum Schluss möchte ich anmerken, dass meiner Ansicht nach wir der Zeit des bewussten, vernünftigen Kompositionellen immer näher rücken, dass der Maler bald stolz sein wird, seine Werke konstruktiv erklären zu können (im Gegensatz zu den reinen Impressionisten, die darauf stolz waren, dass sie nichts erklären konnten), dass wir schon jetzt die Zeit des zweckmäßigen Schaffens vor uns haben, und endlich, dass dieser Geist in der Malerei im organischen direkten Zusammenhang mit dem schon begonnenen Neubau des neuen geistigen Reiches steht, da dieser Geist die Seele ist der Epoche des großen Geistigen.“ (Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst, Benteli Verlag, Bern 1952, S. 142f.)

Die Frage ist natürlich, ob diese sicher ganzheitliche und esoterisch angehauchte Ansicht als genuin anthroposophisch eingestuft werden kann oder muss (explizte Bezugnahmen auf Steiner und mehr noch die theosophische Ikone Helena Blavatsky gibt es in „Über das Geistige in der Kunst“ nur auf S. 42f.). Weniger Steiners Person und konkrete Inhalte seiner Weltsicht können als Inspiration für eine solche Weltsicht herhalten als vielmehr der „ganzheitliche“, „freigeistige“, „unkonventionelle“ „Geist“, der ihm zugeschrieben wird (s.u.) und ja auch gern das KünstlerInnenmilieu umgibt. Die Übereinstimmungen und Anregungen bleiben also auf einer oft sehr formalen, oberflächlichen Ebene. Historische Verbindungen und ideengeschichtliche Kontinuitäten zwischen Steiner und Kandinsky etwa zeigen sich bei historischer Überprüfung denn auch als dünn:

„Den neueren Versuchen, Esoterik nicht nur als schlechtes Gewissen der rationalisierten Welt abzuhandeln, sondern als Triebfeder künstlerischer Bewegungen zu nobilitieren, trat der Wiener Kunsthistoriker Raphael Rosenberg entgegen. Rosenberg untersuchte den Einfluss der aufklärerischen Wirkungsästhetik auf moderne Kunst und auf die Anthroposophie, wo die Kunsterfahrung auch als Ersatz für ausbleibende übersinnliche Erleuchtungen herhalten musste. Entschieden verwarf Rosenberg die These von der Geburt der abstrakten Kunst aus dem Geist der Esoterik, die daran kranke, dass die Wendung zum Abstrakten schon im 19. Jahrhundert bei Gustav Moreau erfolgt und nur nicht als solche ausgewiesen worden sei. Die Rezeption esoterischer Schriften bei abstrakten Künstlern wie Kandinsky oder Mondrian bedeute nicht notwendig einen zentralen Einfluss dieser Gedanken auf ihr Werk. Ähnlichkeiten zwischen Kandinsky und dem Esoteriker und Aurakartographen Charles Leadbeater resultierten aus ihrem gemeinsamen Interesse an der aufklärerischen Wirkungsästhetik, nicht aus einer primären esoterischen Inspiration Kandinskys.“ (Thomas Thiel: Zwischen Vernunft und Geisterseherei; Bericht von einer EsoterikforscherInnentagung im März 2010 in Halle; in: FAZ vom 17.03.10. Die Beschäftigung von EsoterikerInnen mit der Kunst als Kompensation ausbleibender „geistiger“ Erfahrung zeigt überdies, dass die von den Ikonen der Esoterik aufgespannten Visionen zwar sicher deren eigene, „private Wirklichkeit“ waren, aber für Normalsterbliche in der Regel wenn auch faszinierende Irrlichter bleiben.)

Wassily Kandinsky (1913)

Dasselbe trifft bei den GegenwartskünstlerInnen zu, die in der aktuellen Wolfsburger Ausstellung zu sehen sind:

„Trotz sinnfälliger visueller Parallelen, was etwa die organischen Formen von Tony Craggs Wulstskulpturen angeht (früher anthroposophischer Steiner) oder die kristallinen Formen Helmut Federles (später anthroposophischer Steiner), eine inhaltliche Verbindung jenseits von Allgemeinplätzen (Tony Cragg: ‚Was uns fehlt, ist der Gesamtsinn‘) lässt sich selten erkennen. (…) Viele der Künstler nutzen denn auch die Kataloginterviews, um vage auf formale Parallelen hinzuweisen, sich von der Anthroposophie selbst aber zu distanzieren. Selbst Katharina Grosse, deren farbige Raumskulpturen noch am ehesten an Waldorf-Fenstermalereien erinnern, sieht sich von Yoga und Hinduismus beeinflusst, nicht von Steiner.“ (Jungen: Ordnungssinn ist abzulehnen)

Manche der von AnthroposophInnen gern und stolz aufgezählten Personen haben sich auch wieder von Steiner abgewandt, etwa Andrej Belyj, der zwar bei der Gestaltung von Steiners Erstem Goethenaum (Der Europäer) mitgewirkt hatte, in den Zwanzigern aber der anthroposophischen Gesellschaft eine „Verquickung von falscher Esoterik und von Vereinsmalerei“ vorwarf (wikipedia). Max Brod interessierte sich nur 1910/11 für Steiners „Schulungsweg“ und Mondrian war erst in den letzten Jahren Anhänger Steiners, vorher beschäftigte er sich mit Blavatskys Theosophie. Freilich gibt es auch ganz explizite Anhänger der Steinerschen Weltanschauung, die ihre Inspirationen und konkreten Konzepte tatsächlich aus der Anthroposophie gewonnen zu haben angaben.

„Obwohl es mehr von der Anthroposophie inspirierte Künstler gibt, als man vielleicht allgemein annimmt, ist es doch auch nicht zu leugnen, dass es oft über Schichtenmalerei und ein diffuses „Malen aus der Farbe“ nicht hinausreicht. (…) In Ausstellungen weiß man oft nicht, ob man sich gerade in einer solchen befindet, oder in einem Therapeutikum. Alles, was nicht in diese Sehgewohnheiten passt, gehört in die Abteilung: Beuys. Beuys ist auf anthroposophisch gelegentlich so eine Art Synonym für alles Experimentelle, Schockierende und auf jeden Fall nciht ‚Anthroposophische‘.“ (Vera Koppehel: Work in progress – Rudolf Steiner und die Kunst, in: info3 – Sondernummer Frühjahr 2009, S. 37)

Joseph Beuys im Foyer der Kunstakademie während eines Ringgesprächs mit Studenten am 6.5.1969

Joseph Beuys im Foyer der Kunstakademie während eines Ringgesprächs mit Studenten am 6.5.1969

Joseph Beuys (der sich auch in der deutschen Plebiszitbewegung und im anthroposophischen „Achberger Kreis“ bei der Gründung der „Grünen“ engagierte und dort schließlich an einer Gegenkandidatur des ebenfalls anthroposophisch orientierten Otto Schily scheiterte) und sein von Steiners „Sozialer Dreigliederung“ inspiriertes Konzept der „Sozialen Plastik“, das seinerzeit eine revolutionäre Kunstauffassung darstellte, sind denn auch das prominenteste Beispiel eines „bekennend“ anthroposophischen Künstlers, der zu Weltruhm gelangte.

„Andererseits findet das Werk von Beuys seine Anerkennung nicht aufgrund dieser Symbiose [von „künstlerischer Praxis und anthroposophischer Konzeption“], sondern, weil namhafte Kunsthistoriker ihr Placet gaben. Seinen Marktwert bezieht das Beuyssche Werk nicht aus dem Fundus der Anthroposophie und doch ist das Werk durch anthroposophische Sichtweisen inspiriert.“ (Peer de Smit: Rückblicke für die Zukunft, a.a.O., S. 77)

Ein weiteres und sehr interessantes Beispiel wäre der Autor Michael Ende, der in seinem unschätzbaren Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ nicht nur mit seiner Schulzeit im „Dritten Reich“ abrechnete, sondern anthroposophische Grundsatzthemen erörterte, wie die Vom „Bund der Freien Waldorfschulen“ herausgegebene Zeitschrift „Erziehungskunst“ jüngst wieder betonte und freilich nicht vergaß, allerlei glorreiches und völlig ahistorisches zu Anthroposophie und Nationalsozialismus zusammenzutragen (Ulrich Kaiser: Jim Knopf besiegt die Nazis).

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer brechen von der winzigen Insel Lummerland auf und retten schließlich die Prinzessin Li Si vor dem Drachen „Frau Mahlzahn“, den sie aber aus Barmherzigkeit nicht töten, woraufhin er sich zum „goldenen Drachen der Weisheit“ verwandeln kann. Im Haus des Drachen in der Vulkanstadt „Kummerland“ entsprang auch der „gelbe Fluss“, der Retter und Gerettete bis in Li Sis esoterisch-luftiges Heimtland Mandala zurückbringt. Am Ende erweist sich die Insel Lummerland als oberster Gipfel des (wie Atlantis) versunkenen Landes Schamballa. Das ist ein fernöstliches (und theosophisches) Sagenland, das auch Steiner gelegentlich im Zusammenhang mit seinem „Ätherischen Christus“ als verlorenes und einst wiederzugewinnendes „Land“ anführte. Jim, stellt sich heraus, ist Nachfahre und Erbe von Kaspar, einem der biblischen „Weisen aus dem Orient“, den Steiner in seiner Rassentheorie mit dem wie Atlantis im Meer versunkenen „Lemuria“ verknüpfte. Vor langer Zeit hatte der Drache Mahlzahn Schamballa im Kampf mit Kaspar irgendwie versenkt und stattdessen das sturmumtoste „Land, das nicht sein darf“ aufsteigen lassen. Das wiederum wird von der „Wilden 13“ bewohnt, einer Piratentruppe, die am Ende feststellt, dass sie doch nur aus zwölf Personen besteht und sich dann Jim Knopf anschließt – eine Christusmetapher.

Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (Cover) - eine Parabel auf anthroposophisches Gedankengut

Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (Cover) – eine Parabel auf anthroposophisches Gedankengut

All das liest sich grotesk in einer solchen Zusammenfassung, wunderbar als Kinderbuch und enthält zahllose Parallelen zur Konfrontation mit den zwei „Hütern der Schwelle“ in Steiners meditativem „Schulungsweg“, vor allem seinen Evolutionstheorien und verwendeten Symbolen zu Michael, Christus und (wie gesagt) Schamballa. Dieses eine Beispiel von vielen (das Werk „Momo“ und die „Unendliche Geschichte“ ließen sich ähnlich interpretieren und das Werk von Christian Morgenstern und Stefan Zweig wohl noch viel gewinnbringender auf anthroposophische Themen untersuchen) muss hier erstmal genügen.

Der „neue“ Steiner:

Poetry-Slammer und Stand-Up-Okkultist

Und damit schon wieder zurück zur Gegenwart. Wenn schon in der Vergangenheit eher Bruchstücke des Steinerschen Werkes inspirierend auf KünstlerInnen wirkten, selten dessen Gesamtvision, so geschieht das heute umso mehr – wie wir schon bei den KünstlerInnen der Wolfsburger Ausstellung gesehen haben (Ordungssinn ist abzulehnen). Damit einher geht eine seltsame, aber logische Wende der Wahrnehmung und Darstellung von Steiners Person. Dieser wird vom verehrungswürigen (bzw. für GegnerInnen verachtenswürdigen) „Doktor“ des Okkulten zu einer dynamischen, spontanen Querdenkerfigur, die ihre Ideen und Konzepte nur zur Anregung und um des Spiels, der Inspiration willen formuliert, verworfen und neu formuliert habe. Dieser „neue“ Steiner hat sicher seine Wurzeln beim „tatsächlichen“ (vgl. Christian Grauer: Genie und Dilettant), ist aber auch eine arg idealisierte und beschönigte Figur. Auch der originellste und interessanteste der zur Wolfsburger Ausstellung erschienenen Artikel stimmt da mit ein. Da wird zunächst Steiners kruder Dogmatismus und „totalitärer Gestaltungswille“ thematisiert. Dann heißt es:

„Wo er Kunst wollte, kam schrecklicher Unsinn heraus. Man werfe nur einen Blick auf seine Skulptur „Der Menschheitsrepräsentant“ oder seine Gemälde. Umso frappierender ist der Reiz seiner Wandtafelzeichnungen. Sie sind etwa ein mal eineinhalb Meter groß. Sie haben Joseph Beuys noch stärker beeinflusst, als Steiner selbst ihn beeindruckt hat. Steiner hatte die Wandtafelzeichnungen als erläuternde Skizzen zu seinen Vorträgen gedacht. Sie waren keine Sekunde als Kunst geplant. Die ausgearbeiteten Vorträge mögen gewesen sein, wie Tucholsky sie beschrieb [d.h. unauthentisch, s.o. – A.M.]. Die Wandtafelzeichnungen dagegen scheinen spontan. Selbst das „In mir ist Gott. Ich bin in Gott“, das am Rande einer der schwarzen Tafeln steht, wirkt – krakelig hingeworfen – wie selbstverständlich wahr..“ (Widmann: Buchhalter des Universums)

Tafelzeichnung Steiners. Für einige "groteske Selbstvergötterung", für manche inspirierender Pantheismus, bei Steiner zu erklären aus komplizierten "Wesensglieder"lehren

Tafelzeichnung Steiners. Für einige „groteske Selbstvergötterung“, für manche inspirierender Pantheismus, bei Steiner zu erklären aus komplizierten „Wesensglieder“lehren

Ein anderer Artikel bringt das auf den Punkt, indem er die Wahrnehmung Steiners als Okkultisten bedauert, da sie den Blick auf das Bedeutungsvolle verstelle:

„Welch eine Ironie, dass ihn die Nachwelt vor allem als Begründer einer Lehre voll mystisch-wirren Ordnungssinns kennt. (…) Ihn selbst jedoch haben seine Texte über den Augenblick hinaus nicht interessiert; Mitschriften mochte er nicht einmal durchsehen. Die vielen tausend Vorträge, die eklektisch zugreifen auf Spiritismus, Gnosis, Idealismus und auf alle damals – wie heute wieder – beliebten esoterischen Abkürzungen am mühsamen Denken vorbei, waren nie als jenes Werk gedacht, das die Beschäftigung mit Steiner heute bleischwer bedrückt. Es handelte sich eher um so etwas wie Stand-up-Okkultismus, einen ultraspätromantischen Poetry Slam: Wissenschaft der Form nach, an sich aber Mysterienspiel und Gesamtkunstwerk. (…) ‚Steiner gehört nicht den Anthroposophen allein‘, sagt Markus Brüderlin, Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg und Kurator der Ausstellung ‚Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart‘. Mateo Kries pflichtet bei, schätzt Steiners Werk als Phantasmagorie.“ (Jungen: Ordnungssinn ist abzulehnen)

Auch dieser Steiner ist künstlich. Aber geschaffen von einem (post-)modernen, postmaterialistischen Publikum, das Steiners hierarchisch gegliederte Geisterreiche gern zu Versinnbildlichungen, rein illustrativen Skizzen, „Poetry Slam“ (Jungen) im Sinne seiner Tafelzeichnungen umdeutet. Es ist der schlampige Schöngeist Steiner, kindlich, egozentrisch, provokant, und findig. Er reiht sich problemlos an Alternative, Ökologen, mentale Fitnesstrainer und Selbsthilfegurus des 20. Jahrhunderts. Ein sympathischer, ein „postmoderner“ Steiner. Jeder kann sich beliebig aus seinem buchstäblich unerschöpflichen Werk bedienen. Dieser Steiner ist bei Weitem netter – und natürlich auch viel verwertbarer – als der „andere“, der „unauthentische“, verknöcherte okkulte Prediger. Frohlocken kann über diese öffentliche Wahrnehmung und Darstellung Steiners nun endlich auch mal diejenige Fraktion der AnthroposophInnen, die sich schon seit Jahren um eine liberale und kosmopolitische Präsentation und Interpretation des anthroposophischen Gedankenguts bemüht: Der „Dunstkreis“ der Zeitschrift info3.

„Soviel Offenheit, Wertschätzung und Kompetenz in Sachen Anthroposophie war bei Vertretern des kulturellen Lebens selten zu spüren. Manche sprechen schon von einer Trendwende in der öffentlichen Wahrnehmung -Steiner reloaded eben. Wir von info3 haben den Eindruck, dass das auch derjenige Steiner ist, den wir seit vielen Jahren in unserem Magazin der Welt zeigen möchten. Man darf gespannt sein, welche Wirkungen von diesem Ereignis noch ausgehen.“ (Jens Heisterkamp, Redaktionstagebuch, in: info3 06/10, S.1)

Vielleicht ist dieser Umgang mit seiner Person der einzig vorerst mögliche auf dem Weg zu einem allmählichen anthroposophischen „Emanzipations-„, und das hieße auch Auflösungsprozess – ähnlich geht es in manchen entsprechenden „linken“ oder „christlichen“ Kreisen zu mit den Auslegungen der Werke von Marx oder der Bibel zu (ein Beispiel etwa bei Erich Fromm: Haben oder Sein (1976), dtv, München 2010, zur Marx-Interpretation S. 189-199, zur Bibel S. 66-75), – ohne diese drei jetzt in Relevanz, Inhalt und Wirkungsgeschichte miteinander vergleichen zu wollen, die Differenzen kann sich wohl jedeR denken. Aber so begrüßenswert und interessant ich die spirituelle „Degradierung“ Steiners vom okkulten „Menschheitsführer“ zum schöngeistig-spätromantischen „Schlamper“ mit Museumstauglichkeit innerhalb dieses Prozesses auch finde – legitim und möglich ist diese Steinerinterpretation nur und einzig, wenn mensch 1. vorher den Dogmatiker  Steiner und die irrlichtelierenden Unmöglichkeiten seines Oeuvres realisiert, so benennt und sich von ihnen distanziert – und wenn mensch 2. bereit ist, Steiners „Leistungen“, gerade seines „künstlerischen Werkes“, im Licht der Kunstströmungen und -theorien seiner Zeit zu betrachten. Sonst bleibt diese Präsentation Steiners nicht mehr als (Selbst-)betrug.

Ignorierte Kontexte

Von diesen interpretatorischen Problemen abgesehen fragt sich nämlich auch, wie originell viele von Steiners oder seiner MitarbeiterInnen Beiträge, in ihren historischen Kontext gestellt, wirklich waren. Ich möchte das (um beim Thema „Anthroposophie in der Kunst“ zu bleiben) am Beispiel der anthroposophischen Weltanschauungsarchitektur beschreiben, die heute noch vor allem aus Gebäuden der anthroposophienahen „Christengemeinschaft“ oder Waldorfschulbauten bekannt ist und in ihrer bekannten, sehr auffälligen „organischen“ Ästhetik wie zu erwarten „Geistiges“ darstellen soll.

Seit den Sechzigern haben ArchitektInnen und ArchitekturhistorikerInnen pro- wie antianthroposophischer Einstellungen über anthroposophische Bauten und Bauweisen geschrieben und gestritten, wie Johann Fäth in aller Ausführlichkeit recherchiert und dargestellt hat. Das breite Spektrum der Meinungen insbesondere der großen ArchitektInnen ist äußerst lehrreich und interessant, würde aber selbst den Rahmen meiner Blogeinträge sprengen  (deshalb Fäth: Rudolf Steiner Design, v.a. S. 11, 19-22).

Manche KritikerInnen, die auf die Präsentation Steiners als geistesgestörten Wahnsinnigen ebenso versessen sind, wie die meisten AnthroposophInnen auf seine Darstellung als keuschen Heiligen, entwickeln bei der Beschreibung von Steiners Architektur ihrerseits eine an die Rhetorik mystisch-„höherer Wahrnehmung“ erinnernde Phantasie:

„Das zweite Goetheanum (…) Gigantisch gemeinter und so ungefähr auch wirkender Betonbau. (…) Jedermann kann an dem merkwürdigen Gebäude ein Inversionserlebnis ästhetischen Empfindens an sich selbst erproben. Der Schauder des Erhabenen, das Gefühl anthroposophischer Geborgenheit unter Steiners zu Beton geronnener ‚ätherischer Schädeldecke‘ kippt um in das Gänsehaut erzeugende Erlebnis des eisigen Anhauchs einer anderen Welt. Wegen seiner Einäugigkeit taufte ich das zyklopische Horrormonster ‚Totenschädel des Polyphem'“ (Wolfgang Treher: Hitler, Steiner, Schreber: Gäste aus einer anderen Welt – die seelischen Strukturen des schizophrenen Prophetenwahns, Oknos Verlag, Emmendingen 1990, S. 304)

Das "Zweite Goetheanum" (fertiggestellt 1928), nach Entwürfen von Rudolf Steiner

„Totenschädel des Polyphem“? Das „Zweite Goetheanum“ (fertiggestellt 1928), nach Entwürfen von Rudolf Steiner

Die meisten AnthroposophInnen – sowie einige KünstlerInnen der Wolfsburger Steiner-Ausstellung – sehen das natürlich anders. Auch sie halten an der beeindruckenden Einzigartigkeit von „Steiners“ Baustil fest:

„Auch wenn ich nicht den anthroposophischen Ideen nicht folgen kann, zeigt das ganze Phänomen Steiner doch, was für eigenartige Formen generiert werden, wenn sie sich innerhalb eines eigenständigen Ideengebäudes entwickeln.“ (Hilma af Klint laut dem Katalog zur Ausstellung, zit. nach Angelika Wiehl: Durchbruch: Zeitgenossenschaft, in: info3, 06/10, S. 58; vgl. die Aussagen von Helmut Federle im ORF-Beitrag zur Wolfsburger Ausstellung).

Psychologisch ist das natürlich verständlich:

„Das entscheidende Problem scheint mir die Furcht der Anthroposophie vor einem legitimationsgefährdenden Domino-Effekt zu sein: Wenn ein Teil von Steiners Weltanschauung fällt, weiß niemand, was am Ende noch stehen bleibt.“ (Helmut Zander: Anthroposophische Rassentheorie, in: Stefanie Schnurbein/Justus Ulbricht: Völkische Religion und Krisen der Moderne, Königshausen & Neumann, Würzburg 2001, S. 340)

Aber so poetisch es auch wirkt, die Gestaltungen aus „anthroposophischem Geist“ auch als Gestaltungen höherer Wirkmächte (oder vom gegnerischen Standpunkt nach Belieben Ausformungen einer größenwahnsinnigen schizoiden Psyche) zu interpretieren: Die Wahrheit sieht wie üblich im anthroposophischen Zusammenhang weit ernüchternder aus, als BefürworterInnen und GegnerInnen es gerne hätten. Die anthroposophische Architektur mit ihren stereometrisch-kristallinen Verwinkelungen und schwer lastenden Dachbauten erweist sich – in den historischen Kontext gestellt – als Devirat der expressionistischen Architektur des frühen 20. Jhdts vor und nach dem 1. Weltkrieg:

Fritz Kaldenbach: Große Villa (Entwurf), 1914

Fritz Kaldenbach: Große Villa (Entwurf), 1914

Ein Beispiel, das Steiner bekannt gewesen sein muss, ist die „Große Villa“ von Kaldenbach, der bis 1913 (also vor der Begründung „anthroposophischer“ Architektur) auch mit der Theosophical Society, deren Leiter Steiner in diesen Jahren war, zu tun hatte. Die Vermeidung rechter Winkel zugunsten kristalliner Verwinkelungen, die massive Gebäudefront „zwischen Jugendstil und Bunker“ (Peter Brügge), das lastende Dach, die strenge Symmetrie, deren Mittelachse durch ein großes Fenster betont und aufgebrochen wird – all das sind Parallelen zwischen dem „Goetheanum“ bzw. vielen Anthrogebäuden und diesem oder anderen expressionistischen Bauten. Und auch die konkav-konvexen Wölbungen und Spannungen, die das „Goetheanum“ von der „Villa“ Kaldenbachs noch unterscheiden, erweisen sich als Gestaltungsmerkmale expressionistischer Architektur:

Erich Mendelsohn: Einsteinturm, Potsdam, 1919-1921 (Foto von Wolf Rabe)

Erich Mendelsohn: Einsteinturm, Potsdam, 1919-1921 (Foto von Wolf Rabe)

Genau wie der „organische“ „Schwung“ des Gebäudes:

Mendelsohn: Einsteinturm (s.o.)

Mendelsohn: Einsteinturm (s.o.)

Aus dieser historisch-kritischen Perspektive erweisen sich viele Konzepte Steiners als lediglich mit einer esoterischen Kunsttheorie überformte Gedanken oder Ideen seiner Zeit – und das auf den allermeisten Gebieten (siehe das Mammutwerk von Zander: Anthroposophie in Deutschland, Göttingen 2007, 2 Bde, der überdies zeigt, dass auch die esoterische Kunsttheorie zu großen Teilen aus der Theosophie übernommen wurde). Mensch kann das positiv deuten:

„Die anthroposophischen Architekten partizipierten an einem kunsttheoretischen Diskurs, den sie kaum steuern konnten, aber mit wachen Augen wahrnahmen. Sie standen mit ihren Bauten zwar nicht in der ersten Reihe der Avantgarde, waren aber ganz nahe am Puls der Zeit.“ (ebd., II, S. 1177)

Oder die trotzdem existenten Einflüsse des „Goetheanums“ auf ArchitektInnen wie Frank Gehry (s.o.),  Le Corbusier, Hans Scharoun (der das Zweite Goetheanum für den bedeutendsten Bau in der ersten Hälfte des 20. Jhdtss hielt) und Frank Lloyd Wright herausstellen (ebd., siehe auch und schon wieder Rudolf Steiner Design).

Gehry: Das Guggenheim-Museum in Bilbao, Spanien (1991–1997)

Gehry: Das Guggenheim-Museum in Bilbao, Spanien (1991–1997)

Aber mensch muss auch negativ darauf hinweisen, dass die „Entwicklung“ der anthroposophischen Kunst- und auch Architekturonzepte offenbar seit den 20ern bei ihrer expressionistischen Formensprache stehengeblieben, „versteinert“ ist – im architektonischen Bereich ausgenommen von denjenigen anthroposophischen ArchitektInnen, die eine „zeitgemäße“ Anknüpfung an Steiner in der Tradition des „Ökologischen Bauens“ sehen. Das führte zu Hässlichkeiten wie dem folgenden von Karlheinz Flauentworfenen anthroposophischen „Auto“:

Auto in "anthroposophischer" Formensprache von Karlheinz Flau

Auto in „anthroposophischer“ Formensprache von Karlheinz Flau

Oder klobig-kubistischen Klötzen aus Rudolf Steiners Entwürfen für Thronsockel (im „Ersten Goetheanum“):

"Thronsessel" im Ersten Goetheanum

„Thronsessel“ im Ersten Goetheanum

Der „Bund der Freien Waldorfschulen“ fühlte sich offenbar sogar zu einer Presseerklärung mit vielen großformatigen bunten Bildern nicht-typisch-„unrechtwinkliger“ Waldorfschulbauten aufgelegt, um dem Klischee der Anthroarchitektur zu entkommen (PM: Nicht nur abgerundete Ecken und sanfte Linien).

Es ist legitim, bestimmt auch in manchem bereichernd, sich den sicher faszinierenden architektonischen oder sonstwie künstlerischen Umsetzungen von Esoterik und Anthroposophie zu nähern – ungenügend erforscht sind heute noch etwa die Einflüsse okkulter Lebenskonzepte auf die Bauhausarchitektur oder das Ökologische Bauen. Aber all das wird zum peinlichen Selbstbetrug, wenn unangenehme umliegende Fakten ausgeblendet, ja: geleugnet werden.

Anhang – Berichte und Artikel zur Wolfsburger Ausstellung

  • Das innere Schauen: „Künstler, Philosoph und Guru: Wolfsburg entdeckt Rudolf Steiner. Es geht ihm um die Zusammenführung der wissenschaftlichen und der künstlerischen Erkenntnis und zugleich um beider „Verwirklichung“ in einem ganz wörtlichen Sinne. (…)“ (Tagesspiegel, 19.05.2010)
  • Steiner reloaded: „Rudolf Steiner? Man denkt an Waldorfschulen, Eurythmie, esoterische Zirkel. Dass der Begründer der Anthroposophie nicht nur Pädagoge war, sondern auch Einfluss auf die Kunst hatte, geriet in Vergessenheit. Nun zeigen Ausstellungen in Wolfsburg und Weil am Rhein Steiner als ak tuellen Denker und Künstler. (…)“(Art – das Kunstmagazin, 26.05.2010)
  • „Jesus der kleinen Mannes“: „Ob Waldorfpädagogik oder anthroposophische Medizin, ob biologisch-dynamische Landwirtschaft oder organische Architektur – Rudolf Steiner war einflussreich und umstritten zugleich. (…)“ (Deutsche Welle, 19.05.2010)
  • Missionar der Gestaltung: „Stuttgart – Mit farbiger Kreide sind schwungvolle Linien auf eine schwarze Wandtafel gemalt. „Das Äußere wird Inneres. Das Innere wird Äußeres“, steht in krakelig-markanter Handschrift daneben. Handelt es sich um eine der berühmten Wandtafelzeichnungen von Joseph Beuys? Nein, auch der charismatische Vortragsredner Rudolf Steiner hat seine Gedanken der Zuhörerschaft gern bildlich vor Augen geführt (…)“ (Stuttgarter Zeitung, 18.05.2010)
  • Ordnungssinn ist abzulehnen: „Wissenschaft als Mysterienspiel und Gesamtkunstwerk: Zwei Wolfsburger Ausstellungen weisen Rudolf Steiner, dem Begründer der Anthroposophie, einen neuen Ort in der Kulturgeschichte zu. (…)“ (FAZ, 18.05.2010)
  • Buchhalter des Universums – Rudolf Steiner-Ausstellung in Wolfsburg: „Die Moderne war nicht modern. Sie ist auch kein Projekt, das darauf wartet abgeschlossen zu werden. Die Aufklärung gibt es nicht. Allenfalls die Aufklärung über etwas. Der Prozess, in dem man sich klar wird über das Eine, verdunkelt den Blick auf das Andere. Je schärfer man etwas sieht, desto mehr verwischen die Konturen der anderen Dinge. (…)“ (Frankfurter Rundschau, 20.05.2010)
  • Lichtwolken und Kuhhörner: „Steiner (1861 bis 1925), der Begründer der Anthroposophie, war nicht nur einer der großen Irren der deutschen Kultur – geschichte. Aus ihm wurde auch ein mainstreamtauglicher Wellness-Philosoph, dessen Goetheanum in Dornach heute ein Wallfahrtsort ist. Nicht einfach, beides unter einen Hut zu kriegen.“ (Spiegel, 10.05.2010)
  • Die Werkstatt des Rudolf Steiner: „Im Kunstmuseum Wolfsburg ist zurzeit die erste umfassende Ausstellung über den Universalisten zu sehen. Steiner (1861–1925) ersann die Anthroposophie und die Waldorfpädagogik, doch hinterließ er Spuren auch in Medizin und Theologie, Landwirtschaft, Kunst und Architektur. (…)“ (Rheinische Post, 19.05.2010)
  • Rudolf Steiner wird „entsteinert“: „Die vom Vitra Design Museum konzipierte Ausstellung „Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags“ stellt die Vielfältigkeit des umstrittenen Künstlers Rudolf Steiner dar. Deutlich wird in dieser Ausstellung, welche Quellen Steiner für seine Arbeit und sein Weltbild hatte und in welcher Art und Weise sie sich in seinem Tun widerspiegeln. (…)“(Öffentliche, 17.05.2010)
  • Seele ohne Menschen: „Wie schon in seiner Pädagogik und seiner Medizin verarbeitete der Spiritist Rudolf Steiner (1861–1925) auch in seiner Kunst nichts, was über die eklektizistische Deutung zeitgenössischer irrational-esoterischer Tendenzen hinaus ging. (…)“ (Junge Welt, 02.06.2010)
  • Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart: „Das zweiteilige Großprojekt zum Thema ‚Rudolf Steiner‘ greift ein Phänomen auf, das zu einem der spannendsten Kapitel der modernen Kunst und Geistesgeschichte gehört. (…)“ (Monopol Magazin, 20.05.2010)

Radio- und Fernsehbeiträge

  • Impulsgeber für Kunst, Design und Architektur: „Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg: ‚Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart‘ – Ein Gespräch mit Walter Kugler, Leiter des Rudolf-Steiner-Archivs in Dornach.“ (Radiobeitrag auf WDR3, 14.05.2010)
  • Rudolf Steiner und die Alchemie des Alltags: „Rudolf Steiner gilt als einer der einflussreichsten Reformer des frühen 20. Jahrhunderts. Eine Doppelausstellung in Wolfsburg widmet sich seiner Philosophie und der Resonanz bis in die Gegenwart.“ (Radiobeitrag auf WDR 5, Sendung vom 14.05.2010)
  • Wo ist der Geist heute? (Radiobeitrag auf Bayern 2, 14.05.2010)
  • Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart: “ (…) Doch Steiner hat auch Künstler wie Piet Mondrian, Wassily Kandinsky oder Joseph Beuys inspiriert. Sein eigenes künstlerisches Werk umfasst zahlreiche Kunstmappen,1.100 „Wandtafelzeichnungen“ und viele Skizzen, darunter allein etwa 1.500 zur Eurythmie, einer expressiven Tanzkunst, die Steiner erfand.“ (NDR- Kulturjournal, 10.05.2010)
  • Rudolf Steiner und sein Einfluss auf die Kunst: „Umfassend wie nie zuvor erforscht die Doppelausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg den Kosmos Steiner und seinen Einfluss auf die Kunst. Mit einer Performance übersetzt Ansih Kapoor Steiners Gedanken: ein Massageraum, in dem sich Körper und Seele verbinden sollen.“ (3-Sat-Kulturtipp, 18.05.2010)
  • Ideen-Welt: Kosmos Rudolf Steiner: „Esoteriker, Denker, Künstler – zwei Ausstellungen in Wolfsburg Nietzsche donnerte „Gott ist tot“, das klang Rudolf Steiner ebenso in den Ohren wie der der Lärm der Granateneinschläge des ersten Weltkrieges. (…)“ (ORF Kulturmontag, 17.05.2010)

16. Juni 2010 at 7:21 am 35 Kommentare


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Hallo allerseits,
Ich bin Ansgar Martins, geb. 1991 und war bis Juni 2010 Schüler an der FWS Mainz. Inzwischen studiere ich Religionsphilosophie, Soziologie und Geschichte in Frankfurt a. M. Dieser Blog ( dessen "Leitbild" ganz oben rechts ) ist mein persönliches Projekt, um die oft einseitigen und selbstgerechten Pro- und Contra-Positionen in der Debatte um die Waldorfpädagogik und Anthroposophie kritisch zu kommentieren. Ich hoffe, das gelingt, und freue mich über Rückmeldungen jeder Art!

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