Der Besuch der toten Tante – Miriram Gebhardt, Helmut Zander und ihre neuen Steinerbiographien

17. Januar 2011 at 12:18 am 27 Kommentare

Eine kritische Aufarbeitung von Steiners Biographie ist bis heute ein Desiderat geblieben. Im Auftakt zum Jahr 2011, in dem die Anhänger des großen Gurus seinen 150. Geburtstag feiern, sind zwei Bücher erschienen, die das beheben wollen. Die Autoren, Miriam Gebhardt und Helmut Zander, versprechen vor allem eine historische Einordnung – und ich hiermit eine ausführliche Besprechung.

Am Pottschacher Bahnhof…

Am 4. Februar 1913 trat der Esoteriker Rudolf Steiner (1861-1925) vor seine handverlesenen „lieben theosophischen Freunde“, um, wie so oft, einen Vortrag zu halten. Wenige Wochen vorher, am 28. Dezember 1912, war seine „Anthroposophische Gesellschaft“ gegründet worden. Einen Tag zuvor, am 3. Februar, hatte die A.G. ihre erste Generalversammlung abgehalten. Nun drohte der Rauswurf ihrer Mitglieder aus der theosophischen Muttergesellschaft. Steiner trat also in einer gespannten Atmosphäre auf – und was er dem verzückten Fanclub an diesem Abend zu bieten hatte, war nicht weniger als ein Einblick in den eigenen „okkulten“ Werdegang (oder was er als solchen ausgab). Darin enthalten ist eine merkwürdige Erzählung über seine angebliche erste „übersinnliche Erfahrung“ in frühen Jahren. Der kleine Rudolf saß in der Bahnhofsvorhalle des Potschacher Bahnhofs, wo sein Vater Stationsvorsteher war:

„Und als er [Steiner erzählt von sich in der 3. Person – AM] so dasaß, tat sich die Tür auf … eine Frauenspersönlichkeit [trat] zur Türe herein…, die er früher nie gesehen hatte, die aber einem Familiengliede außerordentlich ähnlich sah. Die Frauenspersönlichkeit … ging bis in die Mitte der Stube, machte Gebärden und sprach auch Worte, die etwa in der folgenden Weise wiedergegeben werden können: ‚Versuche jetzt und später, so viel du kannst … für mich zu tun!‘ Dann war sie noch eine Weile anwesend unter Gebärden, die nicht mehr aus der Seele verschwinden können, wenn man sie gesehen hat, ging zum Ofen hin und verschwand in den Ofen hinein.“ (Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Bd. 83/84, Dornach 1984, S. 6)

steiner_1867.jpg

Steiner und Schwester Leopoldine, wohl 1867

Steiner berichtet weiter, dass er sich damals nicht traute, seinen wenig spiritismuskompatiblen Eltern von der im Ofen verschwindenen Erscheinung zu erzählen. Bald darauf aber kam die Nachricht, dass eine Tante zu exakt diesem Zeitpunkt Selbstmord begangen habe. Steiner hatte es hellsichtig mit angesehen – so die Botschaft dieser Aussage, die beim Fanclub freilich ankam, denn: „In seinem Vortrag lässt er keinen Zweifel daran…“ (Lorenzo Ravagli: Im Wartesaal geboren, erziehungsKUNST – Waldorfpädagogik heute, 01/2011, S. 51).

… und an den Schreibtischen der Biograph_innen

Selbst der zumeist angenehm sachliche Anthroposoph Christoph Lindenberg überspannte die in Steiners Rückblicken reichlich einsam dastehende Mitteilung als das Kindheitserlebnis des Gurus: „Der Auslöser einer kindlichen Hellsichtigkeit“ (Lindenberg: Rudolf Steiner, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 13f.), an dem „man den Ansatz der späteren Anthroposophie erkennen“ könne (S. 13). „Es wäre also nicht völlig verfehlt zu sagen, dass die Anthroposophie im Wartesaal eines Bahnhofs geboren wurde“, freut sich auch Lorenzo Ravagli (Im Wartesaal geboren). Die sonst nicht gerade wortkargen Kritiker_innen der Anthroposophie haben diesen Bericht Steiners dagegen bisher durchgängig mit Schweigen bedacht. Zu kurios erscheinen Anlass und Gegenstand. Wie gesagt: bisher.

Seit Januar 2011 liegen nun zwei dezidiert „kritische“ Steiner-Biographien vor. Deren Autoren haben sich nicht nur dem oft unternommenen Versuch einer objektiven Darstellung und kritischen Kommentierung der anthroposophischen Lehre, sondern auch einer Deutung von Steiners Leben verschrieben: Die Historikerin und Kulturjournalistin Miriam Gebhardt und der Religionswissenschaftler Helmut Zander. Beider Steiner-Biographien sind unabhängig voneinander entstanden und erschienen – ich bespreche sie trotzdem gemeinsam, weil sie einander ergänzende Deutungen bieten. Welche Herausforderung sie damit meistern, zeigt sich an Erzählungen wie dem vom Besuch der toten Tante. Ich beginne mit zwei Kostproben zu dieser angeblichen Begebenheit, die Lindenberg in so staunende Ehrfurcht vor seiner „geliebten Autorität“ versetzte. Nicht aber Miriam Gebhardt:

„Dergleichen magische Kindheitserlebnisse sind in der Erinnerungsliteratur dieser Zeit keine Seltenheit. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jhdts waren die pädagogisch-religiösen Einflüsse der Erwachsenen auf die Kinder schwächer geworden.  … Es entstanden ganz individuelle Vorstellungswelten … Nicht nur im ländlichen Raum kreisten die kindlichen Phantasien um den Tod und das Nachleben.“ (Miriam Gebhardt: Rudolf Steiner – Ein moderner Prophet, Deutsche Verlagsanstalt, München 2011, S. 33)

Miriam Gebhardt: Rudolf Steiner

Sie referiert anschließend eine Szene aus den Kindheitserinnerungen des 1983 geborenen Schriftstellers Ernst Toller. Der berichtete, wie er nach dem Tod seines Onkels dessen Grab inspizierte, „um sich Gewissheit über dessen Verbleib zu beschaffen“. Davon geht Gebhardt zu der Aktualität über, die die Beschäftigung mit dem Tod in der Romantik – in einer historischen Schocksituation nach den Entdeckungen der „materialistischen“ Wissenschaft – hatte. Es kreisten gar Vorstellungen von Kontaktaufnahmen mit Toten durch Tischerücker und spiritistische Medien. Dieser Versuch einer Remythologisierung des Todes und eines Nachweises für ein individuelles Weiterleben sei in der 2. Hälfte des 18. Jhdts der Aufstand gegen säkularisierte Ängste vor dem Sterben gewesen. Bedeutsam sei also…

„…weniger Steiners Erfahrung mit der toten Verwandten selbst als der Stellenwert der Episode im Kontext seiner Biographie. Während Ernst Toller seine Kindheitserzählung in die Lebensgeschichte eines Sozialisten und Revolutionärs eingebaut hat, hat Steiner daraus die Initationsgeschichte eines Okkultisten gemacht … Hier wird die Fährte gelegt zu einem Lebenswerk, das von den zeitgenössischen Großthemen, allen voran dem Verhältnis zur geistigen Welt, bestimmt sein sollte.“ (ebd., S. 34)

Der Wissenschaftshistoriker Helmut Zander teilt in seiner einige Tage vor Gebhardts Buch erschienenen Steinerbiographie zumindest das Fazit seiner Kollegin. Er schaut aber auch auf die besondere Situation, in der Steiner dieses sogenannte Kindheitserlebnis 1913 referierte, und fragt deshalb weiter nach der ideenpolitischen Stellung der Erzählung in der Biographie des „Hellsehers“:

„Steiner als paranormal begabter Mensch, das war eine massive Statusanzeige im theosophischen Milieu. Doch wie sich kindliche Phantasie und Erinnerung des gut fünfzigjährigen Steiner zueinander verhalten, bleibt undurchschaubar.

Steiner hat diese Erzählung aus dem Jahr 1913 nicht in seine Autobiographie übernommen. Vielleicht hat er sie für die noch geplante Biographie seines inneren Lebens zurückbehalten. Aber man kann diese Leerstelle in den Erinnerungen von 1923 auch als leise Distanzierung von seiner theosophischen Phase lesen, von dem Zwang, sich durch handfeste paranormale Phänomene legitimieren zu müssen [erst Recht Anfang 1913, wenige Wochen vor seinem Rausschmiss aus der Theosophischen Gesellschaft durch seine Konkurrentin Annie Besant – AM]. Denn eigentlich hatte der Theosoph Steiner die Parole ausgegeben, das nicht mehr die dunklen Erfahrungen des Okkultismus gelten sollten, sondern die helle Rationalität reflektierter theosophischer Erkenntnis. … Aber vielleicht gab es auch Erinnerungssedimente aus Steiners Kindheit, die die Theosophie wieder ins Wachbewusstsein holte – vielleicht.“ (Zander: Rudolf Steiner – Die Biographie, Piper Verlag, München 2011, S. 27f.)

Helmut Zander: Rudolf Steiner

Inszenierungen

Beide, Zander und Gebhardt, versuchen also, Steiners Erzählung von 1913 durch eine historische Einordnung plausibel zu machen. Wo Gebhardt eine Collage von Parallelen aufspannt, die zeigen, dass die Erzählung des Gurus gewissermaßen dem „Zeitgeist“ des ausgehenden 18. Jhdts folgte, sucht Zander den Zugang über Steiners Selbstdarstellung, die von raschen Wenden gekennzeichnet und von äußeren Faktoren sowie den Erwartungen seiner Gegner_innen und Fans beeinflusst war.

Neben vielem anderen enthalten beide Biographien natürlich jene Seiten des charismatischen Anthroposophiegründers, die Anthroposoph_innen für gewöhnlich eher übergehen würden, weil sie nicht wirklich zur Figur des keuschen Heiligen passen: Sie sammeln etwa Belege für Steiners Alkohol- und Zigarettenkonsum – v.a. während seiner Weimarer und „wilden“ Berliner Jahre. Sie stellen Fragen nach Steiners Liebesleben, warum etwa immer „mütterliche“ Frauen an seiner Seite standen, bzw. eben nicht dort, sondern umsorgend im Hintergrund. Beide schildern Steiners späte Liebe zu Ita Wegman, der Begründerin der anthroposophischen Medizin – Zander zitiert sogar einen Liebesbrief aus Steiner Hand, der eine ungeahnte, nahezu rührende Ergriffenheit des so verkopft erscheinenden Gurus zeigt.

Weder Gebhardt noch Zander legen natürlich den Hauptfokus auf solche Einzelheiten von Steiners Alltagswelt, sondern wollen vor allem Steiners Selbstinszenierung rekonstruieren, um seine gegenwärtige Wirkung nachzuvollziehen. Denn der Begriff „kunstvolle Inszenierung“ scheint ein Schlüssel zu Steiners Werkleib und Selbstdeutung zu sein.

Moderne Biographie

Das beginnt bei einfachen, bisher unbeachteten Details seines äußeren Auftretens, die v.a. Gebhardt herausstellt:

„Es ist offensichtlich, dass er als erwachsener Mann begonnen hat, sich selbst durch einen eigenen, wiedererkennbaren Stil zu inszenieren. Der Zylinder der Zwicker, die übergroße Schleife, der schwarze Gehrock, die in das Gesicht fallende schwarze Tolle symbolisierten einen aus der Zeit wie aus der Mode Gefallenen und wurden zu seinem Markenzeichen, ähnlich wie Charlie Chaplins Aufzug als Tramp. … Zur gekonnten Selbstdarstellung gehörte Rudolf Steiners Intonation beim Sprechen, die jedem noch so kritischen Zuhörer auffiel und einen Kommentar abnötigte … Steiners persönliche Darstellungsmittel waren natürlich auch Strategien der Selbstvermarktung. Aber es war auch typisch für die Avantgarde jener Zeit, zunehmend bewusst ihre expressiven und demonstrativen Ressourcen zu setzen.“ (Gebhardt, S. 129)

Steiners „übergroße Schleife“: Teil einer exzentrischen Selbstinszenierung

Wesentlicher Teil der „modernen Lebensführung Rudolf Steiners“ sei aber seine Fähigkeit und sein Wille zu plötzlichen Lebensumbrüchen gewesen. Gebhardt findet den (für dieses Merkmal moderner Biographien verwendbaren) soziologischen Begriff des „transgressiven Subjekts“ auf Steiner passend (S. 121). Die Selbstinszenierung als „moderner“, „wissenschaftlicher“ Hellseher arbeitet auch Zander an der Genese von Steiners esoterischer Weltanschauung heraus:

„Steiners Hellsehen sollte ganz anders sein als die Manifestationen in den Séancen der Spiritisten. Kein Medium sollte von einem Medienführer geleitet werden, es sollte nicht, einem Besessenen gleich, das Sprachrohr einer fremden Macht sein. Der Eingeweihte sollte sich vielmehr als selbstverantwortliches, modernes Subjekt die übersinnliche Erkenntnis selbst erarbeiten: im hellen Raum der „Clairvoyance“ statt in den dunklen Räumen der Geistererscheinungen.“ (Zander, S. 244f.)

Dieser Anspruch zog sich durch die verschiedenen „Praxisfelder“ der Anthroposophie, von der behaupteten Anschlussfähigkeit der Anthroposophischen Medizin an ihre schulmedizinische Konkurrentin bis hin zur Präsentation der Figur „Benediktus“ als „bartloser, moderne Mystiker“ in Steiners sogenannten Mysteriendramen, die die anthroposophischen Konzepte auf der Bühne darstellen sollten.

„Steiner war und blieb auf der Suche. Seinen Schülerinnen und Schülern präsentierte er sich zwar als Meister, aber zugleich war er auch immer Adept, der working by doing sich erarbeitete, was er seinen Anhängern vermittelte …viele Meditationswege kennen Vorbehalte gegenüber dem Subjekt angesichts des Geistigen. Aber: Steiner vertrat zugleich ein ambitioniertes Individualitätskonzept, in dem die soziale Person, das autonome Individuum, eine zentrale Rolle spielte. Weder Steiners Leben noch das der gebildeten Anthroposophinnen und Anthroposophen war auf Verlöschen angelegt, sondern auf eine erkennbare gesellschaftliche Rolle und ein hohes Sozialprestige.“ (Zander, S. 250)

Noch zwei Beispiele: Psychoanalyse und Elternhaus

Die Autoren treffen sich also in dem Punkt, dass Steiner nicht als wahnbefangene Gallionsfigur einer Art esoterischen Anti-Aufklärungsbewegung zu betrachten sei, wie manche  Kritiker_innen das gern darstellen. Um Attraktivität und „Wesen“ der Anthroposophie zu verstehen, sei zuerst Wissen über ihre Entstehung und Verankerung in der bürgerlichen Moderne vonnöten. Sowohl Gebhardt als auch Zander erwähnen die Freudsche Psychoanalyse als Parallelbeispiel. Steiner und Freud „versuchten, ein komplexes Subjekt, das mehr als die schlichte Person sei, zu erklären“ und lagen damit näher aneinander, als es zunächst den Eindruck macht oder beiden „Meistern“ lieb gewesen wäre (Zander, S. 243). Das beginne mit beider freilich unterschiedlich gelagerter „Drei-Instanzen“-Anthropologie (Gebhardt, S. 153). Es zeige sich auch in ihren Kontakten mit theosophisch-spiritistischen Kreisen und gipfle in dem Versuch, den spiritistischen Seelen- und „Medienführer“ zum „modernen“ Psychotherapeuten bzw. Geistesforscher zu transformieren (Zander, S. 244). Vergleichbar sind auch die Beziehungen der beiden „Meister“ zu ihren Schüler_innen (Gebhardt, S. 208).

Auch sonst scheint für beide Autoren Steiners wechselhafter „Lebensgang“ eine beispielhafte Biographie im weltanschaulichen Selbstbedienungsbuffet um die Jahrhundertwende zu sein – von seinen ungewöhnlichen Projekten in der theosophischen Phase bis zurück zu seinem Elternhaus. Hier können sie übrigens ein weiteres anthroposophisches Mythologem auflösen. „Steiner war armer Leute Kind“, das „von der Armut in seinem Elternhaus nie viel Aufhebens gemacht“ habe, lobte Christoph Lindenberg (a.a.O., S. 7). Er sei „im besitzlosen kleinbürgerlich-ländlichen Milieu“ auf- und diesem schließlich entwachsen, fand auch noch Steiners jüngster Biograph, der Mainzer Erziehungswissenschaftler Heiner Ullrich (Ullrich: Rudolf Steiner. Leben und Lehre, C.H. Beck-Verlag, München 2010, S. 14f. – ich erwarte noch eine gesonderte Besprechung). Diese Geschichte ist das Ergebnis anthroposophischer Mystifizierung: Steiners Lebensweg als steiniger Aufstieg des vernachlässigten Bahnwärtersohnes – aus den Niederungen sozialer Nöte zum erfolgreichen Vortragsredner und strahlenden Propheten. Eine Stilisierung, die Gebhardt und Zander entzaubern:

„Was heißt hier Bahnwärter? Was in unseren Ohren nach Nachtwächter klingt, war am Ende des 19. Jahrhunderts die Schaltstelle einer Hightech-Welt.  Die Eisenbahn war Motor der Industrialisierung… “ (Zander, S. 17)

„Die Bahn war ein hochmoderner und sozialer Arbeitgeber. Johann Steiner ermöglichte sie nicht nur, sich zum Zwecke der Ausbildung seines Erstgeborenen versetzen zu lassen, sie hielt auch ein Ausbildungsstipendium für die Kinder ihrer Angestellten bereit. Die Steiners gehörten aufgrund dieser Position in der sozialen Hierarchie des mittleren 19. Jahrhunderts keineswegs zu den Unterpriveligierten …“ Und auch „die Vermutung der Biographen, Steiner sei in einem bildungsfernen Haushalt aufgewachsen, ist historisch nicht nachvollziehbar.“ (Gebhardt, S. 36f.)

Helmut Zander: Mehr als nur Jagd nach Kontexten

Ich habe die beiden Biographien hier Seit‘ an Seite präsentiert, um zu zeigen, wie sehr die Interpretationen der beiden Autoren einander berühren, wenn es um die grundsätzliche Beurteilung von Steiners Biographie geht. Selbstverständlich gibt es aber auch weitreichende Unterschiede.

Im Zentrum des Interesses steht für den Biographen Helmut Zander weniger der „Mensch“ Rudolf Steiner – obwohl er beschreibt, dass und wie der puritanische Guru auch „herzhaft lachen und fröhlich erzählen [konnte]. Manchmal entwickelte er auch einen regelrechten theosophischen Mutterwitz … Und wenn er ganz entspannt war, konnte er den Haushund eines Gastgebers ins übersinnliche Gespräch mit einbeziehen…“ (S. 283). Für den Wissenschaftshistoriker liegt der Fokus auf Steiners ideengeschichtlichem Umfeld und folglich Steiners weltanschaulicher Entwicklung. Als zentrales Motiv in Steiners philosophischer Odyssee erscheint ihm die Suche nach unbezweifelbarer Erkenntnis:

„Man kann Steiners Biographie als einen lebenslangen Versuch lesen, die von Kant in die Wege geleitete Vertreibung aus dem Paradies eines unmittelbaren Zugangs zur Welt wieder rückgängig zu machen.“ (Zander, S. 22)

Zur Erinnerung: Schon 2007 hatte Zander ein Buch über die „Anthroposophie in Deutschland“ vorgelegt, in dem er sachlich, aber zielsicher aufzeigte, dass und wie die Anthroposophie sich in ihrem Entstehungsumfeld im frühen 20. Jahrhundert erklären lässt, Themen dieser Zeit ansprach und verarbeitete. Zander fuhr dabei auch notwendige Kritik auf, bemühte sich aber vor allem sachlich um ein historisches Verständnis der Anthroposophie. Die Folge war natürlich, dass die anthroposophische Presse publizistisch das Feuer gegen den „unverständigen“ Zander eröffnete.

„Denn ich meine das Folgende: entweder man ist für Rudolf Steiner oder man ist ruhig.“ (Friedhelm Braun: Anthroposophie in Deutschland – ein Gegenentwurf zu den seltsamen und völlig falschen Ausführungen des Herrn Zander, Selbstverlag, Niedenstein 2010, S. 3 – Hervorhebung von mir)

Das Ergebnis war ein erstaunlicher Freizeitpark für jede Art von Unterstellung, Verdrehung und Polemik (vgl. Leitmotiv Zertrümmerung). Die argumentativen Details der Zander-Kritiker_innen hinterließen allerdings – mit wenigen (trotzdem dezidiert apologetischen) Ausnahmen – einen eher hilflosen Eindruck. Es wundert entsprechend nicht, dass Zander die zentralen Thesen aus seinem Opus Magnum auch in seiner Steinerbiographie erneut referiert (wobei er ernstzunehmende anthroposophische Kritiken einbezieht, vgl. Zander, S. 509).

Helmut Zander: "Man kann Steiners Biographie als einen lebenslangen Versuch lesen, die von Kant in die Wege geleitete Vertreibung aus dem Paradies eines unmittelbaren Zugangs zur Welt wieder rückgängig zu machen."

Helmut Zander (Bild von Hans Schafgans): „Man kann Steiners Biographie als einen lebenslangen Versuch lesen, die von Kant in die Wege geleitete Vertreibung aus dem Paradies eines unmittelbaren Zugangs zur Welt wieder rückgängig zu machen.“

„Kontinuität und Wandel“

Viele der geschichtlichen Ausführungen, betreffend v.a. die anthroposophischen Praxisfelder, erscheinen somit aber auch „nur“ wie aktualisierte Kurzfassungen von Kapiteln aus „Anthroposophie in Deutschland“ – wo sie sich übrigens entschieden besser machen. Denn Steiners Biographie gerät so auf dutzenden Seiten historischer Umschweife allenfalls sporadisch in den Blick. Im Kapitel über die Gründung der Waldorfpädagogik wäre es viel hilfreicher gewesen, sich stärker Steiners persönlicher Motive dabei oder seiner Tätigkeit als praktischer Pädagoge zu widmen. In Bezug auf die anthroposophische Medizin sind Zanders Ausführungen über „Heilung und Heil am fin de siécle“ zweifellos interessant, aber im Prinzip bekannt und hätten ruhig auch Ausführungen über Steiners Umgang mit eigenen Krankheiten oder dem mit seinen Patient_innen Platz machen dürfen. Im Zusammenhang mit Steiners „Mysteriendramen“ hatte Zander bereits in „Anthroposophie in Deutschland“ die wichtige Frage nach autobiographischen Elementen Steiners in diesen Dramen gestellt (vgl. Wie durch eine dünne Wand) und kam nach einigen Vergleichen zu dem Schluss, solche ließen sich erst mit „dem Vorliegen einer kritischen Biographie näher bestimmen“ (Bd. II, S. 1037). In Zanders eigener „kritischer Biographie“ finden sich aber lediglich die Verbindungen aufgezählt (S. 299f.), die er auch in der Vorarbeit schon benannt hatte. Diese kritischen Punkte betreffen natürlich keineswegs den Wert und die Relevanz von Zanders Forschungen, doch die Partitur einer Steinerbiographie hätte günstiger zusammengestellt werden können.

Aber wer genau nachliest, sieht genauso, wo und wie sich Änderungen, Perspektivwechsel und neue Betrachtungen finden. So sind Zanders Schilderungen von Steiners okkultem Kompetenzkrieg mit der Theosophin Annie Besant wesentlich empathischer und versöhnlicher geraten als in „Anthroposophie in Deutschland“. Auch hat Zander seit 2007 recherchierte Fakten und vorgelegte Publikationen, etwa von Robin Schmidt (Rudolf Steiner und die Anfänge der Theosophie, vgl. Bilder und Sachen) und Karl Baier (Meditation und Moderne) in seine Ausführungen integriert,  die v.a. Steiners theosophische Sozialisation (Schmidt) und die mesmeristischen Kontexte der Theosophie (Baier) betreffen. Dabei hat Zander manch frühere Deutung ergänzt und zurückgenommen. Auch anthroposophische Kritiken an seiner früheren Publikation sind, wie erwähnt, inzwischen in die Deutung eingeflossen. Spannend, vollständig neu und sehr intensiv lesen sich die Kapitel, die Steiners Biographie vor seiner theosophischen Wende um 1900 sowie Steiners letzte Lebensjahre zum Gegenstand haben.

Und andere unter den vorhin getadelten Schilderungen zu den anthroposophischen Praxisfeldern kann Zander auch lebhaft gestalten: Das Kapitel über Steiners Freimaurerzeit leitet er durch eine ausführliche Schilderung des symbolträchtigen, magisch anmutenden Verlaufs eines solchen Rituals ein, das fast narrative Elemente enthält. Seine Ausführungen über Steiners Meditationsanweisungen für seine „Geistesschüler“ erzählt Zander, indem er den Tagesablauf einer „Geistesschülerin“ mit den einzelnen kontemplativen Übungen zwischen seine systematischen und historischen Schilderungen einstreut. Ein Kapitel versucht sich an einer Schilderung der theosophischen „Alltagswelt“ in „kaleidoskop“artigen Facetten. Heimliches Herzstück des Buches ist aber ein fiktives Gespräch zwischen Steiner und seinem Schüler Ludwig Polzer Hoditz. Zander schreibt einen Dialog, in dem Polzer-Hoditz Steiner unter anderem über seine christologische Wende befragt und der Guru ihm mehr als nur andeutungshaft Antwort gibt. Die Frage vorweg beantwortend, wie er denn dazu komme, beiden Dialogpartnern diese Aussagen in den Mund zu legen, schreibt Zander, er habe das Gespräch in der „Akasha-Cornik“, Steiners immateriellem Weltgedächtnis, „entdeckt“. Das originelle Gespräch ist ein gelungenes Intermezzo, und zeigt auch eine Tendenz, die hoffentlich im anthroposophischen wie anthroposophiekritischen Dunstkreis zunehmen wird: Die ganze Sache um Gottes willen nicht so ernst zu nehmen!

Miriam Gebhardt: „Esoterikratgeber“ des „Kohlrabi-Apostels“

Die Beziehungsgeschichte von Miriam Gebhardt und der Anthroposophie ist, im Vergleich mit Zander, wenig „vorbelastet“. Sie schrieb ihre Steinerbiographie nach einer Anfrage der „Deutschen Verlagsanstalt“ – und hat sich in der einschüchternden Menge von Daten und Publikationen scheinbar sehr schnell überraschend gut orientiert. Ein Auszug aus dem Buch ist hier online zu finden, das Kapitel zur „Waldorfpädagogik heute“ auch auf diesem Blog.

Miriam Gebhardt (Foto von Quirin Leppert): "Steiners Geist sitzt nicht mehr im okkultistischen Spukschloss"

Miriam Gebhardt (Foto von Quirin Leppert): „Steiners Geist sitzt nicht mehr im okkultistischen Spukschloss.“

Das Buch ist – was ich nicht negativ meine –  deutlich „journalistisch“. Es sammelt wenig neue Daten zu Steiners Leben, aber präsentiert die bekannten in einem ungewohnten Licht und unter Beigabe spannender anderer Informationen. Wo Zander mit kriminologischem Fleiß die Inhalte von Steiners Kosmologie rekonstruiert und auf ihr Entstehungsumfeld hin abtastet, also in Detail und Tiefe geht, entwirft Gebhardt v.a. weite kulturelle Panoramen und zeigt biographische Parallelen Steiners zu anderen Figuren im frühen 20. Jahrhundert. Der Hintergrund, vor dem sie Steiner versteht, ist hauptsächlich der der umstrittenen „Lebensreformszene“ (Gebhardt, S. 172ff.), die im ausgehenden Kaiserreich viele ökologische und alternativkulturelle Gedanken vorwegnahm, welche u.a. in der 68er-Bewegung modifiziert wieder auftauchten.

Am aufschlussreichsten daran ist vielleicht die erwähnte Gegenüberstellung von Steiners Lebenslauf mit denen einiger „Konkurrenten“: „Er war zu seiner Zeit ja nicht als einziger Prophet unterwegs, sondern nur einer unter vielen“ (S. 181). Konkret werden der eigenwillige Theologe Johannes Müller und der Schäfer Joseph Weißenberg portraitiert, die tatsächlich einige biographische und inhaltliche Parallelen zu Steiner zu bieten haben. Einen liebevollen Seitenhieb erhält auch der Reformtheologe Friedrich Rittelmeyer, später Steiners Jünger, davor aber nur „ein weiterer Anbieter auf dem Reformmarkt.“ Gebhardt beschreibt ihn als von „Depressionen und Einsamkeit geplagt“, „eine zwischen moderner Theologie und todessehnsüchtiger [!], vom Okkultismus geprägter Frömmigkeit zerrissene Figur…“ (S. 189).

Anthroposoph_innen werden sich auch über ähnlich gnadenlose Beurteilungen anderer Personen aus Steiners Umfeld echauffieren. Die Partnerschaft des Gurus mit seiner zweiten Frau Marie v. Sivers interpretiert sie etwa als

„Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Beziehung … Der treffendste Ausdruck, der das Wesen der Verbindung Steiner-von Sivers charakterisiert, bleibt tatsächlich Waffenbrüderschaft. Dass die beiden darüber hinaus ein Ehepaar werden sollten, verstörte ihre Umgebung zutiefst.“ (S. 147f.)

Überhaupt ist es vor allem der Schreibstil – Jens Heisterkamp kommentierte treffend: „Flüssig geschrieben, ein wenig flapsig, gut zu lesen“ (info3 01/2011, S. 15) -, der das Buch lesenswert macht. Gebhardt schreibt gut. Und herrlich unaufgeregt, wenn es um anthroposophische Kleinodien geht: So wird etwa Steiners Meditationsschrift „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“ zum „Esoterikratgeber“ (S. 155), er selbst aufgrund seiner Gesundheitsvorstellungen zum „Kohlrabi-Apostel“ (S. 177). In manchen Punkten urteilt Gebhardt auch sehr kritisch, etwa, wenn sie die Pädagogik der Waldorfschulen analysiert. Bei anderen Themen weicht sie wiederum von der Linie der üblichen Anthroposophie-Kritiken ab: Von der Behauptung etwa, Steiners Werk sei offenbar antidemokratisch und größenwahnsinnig:

„Für den Vorwurf des institutionellen Autoritarismus unter Steiners Führung gibt es … keine stichfesten Beweise. Die einschlägigen Passagen in den Texten sind, wie immer, vieldeutig.  … verglichen mit anderen Meistern und Propheten seiner Zeit, etwa dem hoch narzisstischen und autokratischen Zeitgenossen Stefan George, war Rudolf Steiner geradezu Demokrat.“ (Gebhardt, S. 203)

Auch der Theosophischen Gesellschaft attestiert sie den Versuch, esoterische Inhalte zu „demokratisieren“. Für die tatsächliche Praxis beschreibt sie dann aber auch detailliert etwa das Schülerin-Lehrer-Verhltnis zwischen der Künstlerin Edith Maryon und Steiner, das von einer ungeheueren Devotion zeugt. Die aber war „für jene Zeit nicht untypisch … Freud schenkte seinem ‚Hofstaat‘ sogar aus Dankbarkeit für die Treue antike Gemmen aus seiner Antiquitätensammlung, die seine Anhänger in goldene Ringe fassen ließen und als Zeichen ihrer Hingabe an Freud und die Psychoanalyse trugen.“ (S. 208)

Diese Auswahl an Anekdoten und Parallelen, die sich gerade auch an den Stellen zeigen, an denen Steiner und sein Weltanschauungskosmos besonders „spleenig“ scheinen, ist das eigentlich „Spannende“ an Gebhardts Buch. Damit einher geht leider auch eine gewisse Unübersichtlichkeit. Immer wieder wird  – scheinbar plötzlich – zwischen unterschiedlichen Punkten in Steiners Lebensgeschichte gesprungen: Auf seinen kurzen Kontakt mit der Wiener Theosophischen Gesellschaft hin (vgl. Bilder und Sachen, relativ weit unten im Abschnitt zu Robin Schmidt) folgt in der Darstellung Gebhardts ein interessanter Exkurs zum Thema Okkultismus, bei dem aber das eigentliche Thema – Steiner in Wien – völlig aus dem Blick gerät. Und nach der Erwähnung der antijudaistischen Ressentiments des 30-Jährigen Steiner lässt Gebhardt eine Zusammenfassung der theosophischen Kosmogonie und Rassentheorie folgen – lange bevor Steiners Konversion zur Theosophie beschrieben wird. Ich jedenfalls habe immer wieder im Text den Faden verloren, obwohl ich mich in Steiners Biographie durchaus leidlich orientieren kann.

Es lässt sich also pädagogisch wertvoll schließen, dass bei beiden Biographen, Gebhardt und Zander, der besondere Wert und Reiz der Darstellung auch jeweils am ehesten zu Längen und Unübersichtlichkeiten neigt. Und dann muss auch gesagt werden, dass Reiz und Wert in beiden Fällen trotzdem überwiegen!

„Ein Geheimnis“

Nach dem Überblick über ein opulentes Lebenswerk, mannigfachen Kritiken und sehr viel Verständnis schließen beide Autoren auf charakterisitische Weise: Zander mit einem Überblick „über Bücher zu Steiners Leben und über die Grenzen ihres Verstehens“ – von den frühesten Hagiographien über Gerhard Wehr, den „Vater der kritischen Steiner-Forschung“ und den „Meilenstein“ Christoph Lindenberg bis hin zu seinem eigenen Opus (S. 473-478).

Gebhardt versucht dagegen im Schlusskapitel noch einmal, die gesellschaftliche Präsenz der Anthroposophie zu schildern. Dabei beantwortet sie en passant die Frage, wieso ausgerechnet Steiners Konzepte nicht den Tod vieler alternativkultureller Strömungen der letzten Jahrhundertwende gestorben seien, mit denen sie ihn so engagiert verglichen hat.

„Steiner war eher ein erfolgreicher Popularisierer als ein originärer Denker … Während die Vegetarier ihren Vegetarismus hatten und die Wandervögel ihre Wanderlieder, konnte der reformbedürftige Zeitgenosse bei Steiner all das auch finden und dazu noch eine Meistererzählung, die die gesamte Geschichte der Menschheit mit dem Schicksal jedes einzelnen Individuums verband. Das war Steiners Erfolgsrezept. … Er hatte für jeden etwas im Angebot. … Dass so vieles davon kombinierbar war, machte Steiner zum Propheten des Pluralismus.

Die Demeterkartoffeln transportieren das Versprechen von Harmonie und Gesundheit. Sie wachsen, zumindest in der Phantasie von Konsumenten, in einer heilen Welt. Und auch wenn der Glaube an die Macht der Sterne und die Kraft des Kuhhorns schwerfällt, ein bisschen Esoterik kann auf jeden Fall nicht schaden. Wir ‚Verbraucher‘ der Anthroposophie sind wie die Römer, die alle Götter in ihr Pantheon aufnahmen, man kann ja nie wissen.  … Rudolf Steiners Geist sitzt nicht mehr im okkultistischen Spukschloss. Der moderne Prophet hat viele Leben.“ (Gehardt, S. 343ff.)

Das sind mutige Worte angesichts einer Mehrheit von Anthroposoph_innen, die sehr wohl im okkultisten Spukschloss sitzt. Und angesichts einer großen Anzahl von Kritiker_innen der Anthroposophie, die jeden, der glaubt, das Spukschloss besitze eventuell einen Ausgang, gleich mit dort einsperren will. Zugleich sind es zutreffendere Worte, als beide Fraktionen sie meist verlauten lassen. Die öffentliche Debatte um die Anthroposophie wird also mit diesen beiden Biographien nicht beendet oder sortiert, sondern geht, wenn auch bereichert, in eine neue Runde:

„Gibt es ‚die‘ Biograpfie Steiners? Die Antwort des Wissenschaftlers ist ein klares Nein. Jede Lebensbeschreibung ist Fabel und Faktum zugleich … und wenn ein Biograph deutet, nutzt er für seine persönliche Perspektive ein begrenztes Material. Die Metaphysiker aus der Theologie behaupten zudem, dass der Mensch ein Geheimnis sei – ein Wissensvorbehalt, den auch die Psychologie buchstabiert: Nicht einmal wir selbst wissen genau, wie unser ‚Unterbewusstsein‘ (Steiner würde sagen: unser ‚übersinnliches Bewusstsein‘) mit unserem Alltagsbewusstsein zusammenhängen. Kurz und gut: Auch die vorliegende Biografie ist eine Erzählung, ein Versuch, aus den Trümmern, die wir Fakten nennen, Rudolf Steiner zu verstehen. (Zander, S. 473)

Ein umso anspruchsvolleres Unternehmen, als Steiner ja versuchte, eine genau gegenteilig arbeitende „Wissenschaft“ zu installieren. Eine, die sich von physischen Trümmern zu „geistigen Tatsachen“ erhebt. Eine, die, statt eine Trauernachricht im Familienkreis zu verarbeiten, von der toten Tante selbst Besuch im Wartesaal bekommt. In beider Perspektiven hätte Steiner zumindest eines zu bieten: Kreativität und Durchhaltevermögen. Mythos und Moderne sind als gesellschaftliche Realität nicht so leicht zu trennen, wie meist angenommen wird. Steiner und die Anthroposophie können exemplarisch zeigen, welche positiven und negativen Folgen das haben kann.

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Bilder und Sachen. Wege und Irrwege zeitgenössischer Anthroposophie Unterrichtspraktische Vorteile und anthroposophische Entwicklungsmythologie

27 Kommentare Add your own

  • 1. S.E.  |  17. Januar 2011 um 1:00 am

    „Es lässt sich also pädagogisch wertvoll schließen, dass bei beiden Biographen, Gebhardt und Zander, der besondere Wert und Reiz der Darstellung auch jeweils am ehesten zu Längen und Unübersichtlichkeiten neigt. Und dann muss auch gesagt werden, dass Reiz und Wert in beiden Fällen trotzdem überwiegen!“

    Ansgar, mit diesem (Ab)Satz hast du nicht nur die beiden Bücher, sondern vor allem deinen Blog gut portraitiert. Aber danke für die vielen „Originalzitate“ *lach*, mal schaun, ob ich mir einen der beiden zulege. Besonders wäre ich auf die Freud-Parallelen gespannt…

    Anmerkung AM

    Hallo mal wieder, S., und danke. Die Länge ist in diesem Fall jedes Mal wieder volle Absicht 😉

    Antworten
  • 2. Norbert Reuter  |  17. Januar 2011 um 12:11 pm

    Hallo Ansgar. Danke für den ausführlichen Kommentar zu den beiden Büchern. Ich habe hier vor Ort in den letzten Tagen mehrfach auf beide hingewiesen und bekam z.B. gestern vor unserer Klassenstunde folgende Antwort: „Der [Helmut Zander] wird Rudolf Steiner nie verstehen.“ Da ist es wieder, dass Spukschloss. Gebhards roter Faden überzeugt mich nicht immer und Zander ist manchmal zu KleinKlein. Trotzdem: Die unverblendete Geschichtsschreibung bzw. biografische Aufarbeitung zu Steiners Leben und Wirken bis heute und in die Zukunft kann weiter gehen. Grüsse

    Antworten
  • 3. A.M.  |  17. Januar 2011 um 9:23 pm

    Weitere, eher unkritische Rezension:

    http://nachrichten.rp-online.de/kultur/der-umstrittene-reformer-rudolf-steiner-1.326770

    Antworten
  • 4. Roithamer  |  19. Januar 2011 um 10:50 pm

    Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten ist also nur ein Esoterikratgeber, ich dachte immer, dass Steiner die Esoterik überwinden wollte. Schließlich geht es ja bei ihm um Wissenschaft. Dann doch lieber Zander, der diesen Anspruch Steiners ernst nimmt. Und aus seiner Sicht die ganze Problematik dieses Anspruchs aufzeigt.

    Anmerkung AM

    Zur Problematik dieses Anspruches gehört eben auch die sakrosankte Umbauung von allem, was Steiner so produziert hat. „Wie erlangt man…“ würde, heute auf den Markt gekommen, ganz selbstverständlich als „Esoterikratgeber“ benannt werden. Die Formulierung Gebhardts ist „flapsig“, aber zeigt, wenn sie provoziert, eigentlich nur, wie tief der anthroposophische Elitarismusanspruch heute noch sitzt. Wissenschaftlich ist Zander zweifellos „objektiver“.

    Antworten
  • 5. A.M.  |  20. Januar 2011 um 1:59 pm

    Inzwischen ist noch mehr zum Thema online:

    Interview mit Zander:

    http://derstandard.at/1293370720067/Interview-Den-Nerv-der-Zeit-getroffen

    „Geheimlehre für Eingeweihte“:

    http://www.nzz.ch/nachrichten/hintergrund/wissenschaft/geheimlehre_fuer_eingeweihte_1.9107647.html

    Antworten
  • 7. A.M.  |  20. Januar 2011 um 10:56 pm

    Und noch eine Rezension, triefend vor Verachtung:

    http://www.amazon.de/review/R3R29YMMMM31XF/ref=cm_cr_dp_perm?ie=UTF8&ASIN=349205448X&nodeID=299956&tag&linkCode

    Antworten
  • 8. Roithamer  |  21. Januar 2011 um 9:54 am

    Man muss den Weg gehen, den Steiner aufgezeichnet hat. Es hat sonst keinen Zweck, über den Wahrheitsgehalt oder die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie zu spekulieren.
    Der Esoterik-Ratgeber muss erstmal befolgt werden. Natürlich darf man die sakrosankten Umbauungen vorher entfernen.
    Es bleibt der hohe Anspruch, den Steiner an einen Geheimschüler/Geistesschüler stellt.

    Anmerkung AM

    …sagt der Geistesschüler.

    In diesem Fall sollten sich AnthroposophInnen auch nicht zu Helmut Zander äußern dürfen, solange sie nicht Geschichte studiert und sich mindestens habilitiert haben.

    Antworten
    • 9. HKU  |  23. Januar 2011 um 1:23 pm

      Warum denn das? Man kann die Übungen, die Steiner in seinem Schulungsbuch, Esoterikratgeber (oder wie immer man das zu nennen beliebt) und andernorts beschrieben hat, natürlich vorab auf ihre Plausibilität prüfen, auch ohne sie durchzuführen. Ebenso können (und sollten) die gemachten Erfahrungen kritisch reflektiert werden. Ein Urteil über die unmittelbare Evidenz und den Erkenntniswert meditativ erlangter Erfahrungen setzt aber eben doch voraus, dass man sich mit einem nicht unerheblichen Aufwand daran macht, die Meditationen selbst durchzuführen. Steiner Anspruch, der von ihm beschriebene Erkenntnisweg bewirke nicht eine Herabdämpfung, sondern eine beträchtliche Steigerung der Erkenntnisklarheit, lässt sich unmittelbar verifizieren, indem man die ersten schritte nachvollzieht; denn wenn diese Aussage stimmt, muss sie für jeden noch so kleinen Schritt des Weges gelten.
      Für einen Steiner-Biografen gehört es natürlich zum Handwerk, Bezüge zu anderen gesellschaftlichen Erscheinungen seiner Zeit herstellen, aber ein Urteil über den Wirklichkeitsgehalt des von Steiner beschriebenen Erkenntnisweges steht ihm nicht zu, wenn er à priori voraussetzt, dass dieser im Kern nichts anderes war als eine, wenn auch gut inszenierte, Strategie der Selbstvermarktung und der Verschleierung seiner tatsächlichen Quellen. Genau das ist aber die Folie, auf der sich inbesondere Zanders Biografie bewegt.
      Umgekehrt wird also ein Schuh draus: Ich muss nicht Historiker sein, um Zanders Aussagen über Steiner beurteilen zu können, sondern ich darf ganz gut dem Historiker Zander abverlangen, dass er Steiner als Quelle ebenso ernst nimmt wie andere Quellen, wenn es um den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen geht.

      Anmerkung AM

      Zander trifft ja auch – wie er ununterbrochen erklärt und Anthroposoph_innen, sich dafür um Kopf und Kragen argumentierend, i.d.R. nach Kräften übersehen – keine Urteile über diesen Wirklichkeitsgehalt. Er erklärt nur, warum es damals plausibel war, damals dieses oder jenes zu äußern oder anzunehmen.
      Alles andere ist religiöse Binnenwelt – ich habe Steiner meditiert und empfinde ihn jetzt nicht als herausragend „klar“, aber das liegt eben daran, dass es gerade für meditatives Erleben keine objektiven, „wissenschaftlichen“ Erklärungen gibt – nur individuelles geistiges Erleben. Und das würde ich, wiederum ganz subjektiv (Selbsterfahrungs-)Religion, nicht Wissenschaft nennen.

  • 10. HKU  |  25. Januar 2011 um 2:17 pm

    Link zu einer Rezension des Zander-Buches:
    http://www.themen-der-zeit.de/content/Rudolf_Steiner_als_Doku-Soap.1385.0.html

    Anmerkung AM

    Vielen Dank. Der hebt sich doch zB angenehm von Neiders Anmaßungen ab – auch wenn ich es seltsam finde, dass er triviale Sachfehler wie Straßennnamen zu urteilsrelevanten „Irrtümern“ (v)erklärt.

    Ähnlich zu allen drei Steiner-Biographien übrigens jetzt Jens Heisterkamp:

    http://www.info3.de/c5/index.php/thema/buecher/aufgenommen-in-den-kanon/

    Antworten
  • […] den anderen beiden neuen Steiner-Biographien: Der Besuch der toten Tante sowie Miriram Gebhardt über die Waldorfpädagogik […]

    Antworten
  • 12. Roithamer  |  7. Februar 2011 um 1:31 pm

    „In diesem Fall sollten sich AnthroposophInnen auch nicht zu Helmut Zander äußern dürfen, solange sie nicht Geschichte studiert und sich mindestens habilitiert haben.“

    Man muss nicht genauso weit gegangen sein. Einerseits muss man nicht ein Eingeweihter sein, um zu sehen, ob Steiner recht hat, es reicht, wenn man versucht, den Erkenntnisweg ernsthaft zu beschreiten. Andererseits muss man nicht in Geschichte habilitiert sein, um Zander zu kritisieren. Es reicht, wenn man sich ernsthaft mit der Geschichtswissenschaft auseinander gesetzt hat. Da kann man gerne schnell einwenden, die wenigsten Anthros, die Zander kritisieren, hätten dies getan. Aber das rechtferigt noch lange nicht Zander, wenn er behauptet, dass Steiners Weg nicht funzt. Dabei weiß ich gar nicht, ob er das wirklich behauptet. Er weist eher auf Widersprüche in Steiners Darstellung seines Weges und seiner Erkenntnisse hin. Und die gibt es meiner Meinung nach reichlich. Daher hatte ich auch gar nicht Zander kritisiert, sondern diese Medientante, die mit Schlagworten wie ‚Esoterikratgeber‘ Steiner auf das Niveau des Proletarierfernsehens (Das kann ja jeder, was der Doofe da macht) herunterziehen will.
    Und wer behauptet, dass sakrosankte Umbauungen geschützt werden, wenn man etwas genauer differnzieren will, der hat auch Zander nicht verstanden.

    Anmerkung AM

    Zander zu Steiners Meditationen:

    „Gegenüber der Öffentlichkeit galt es aus verschiedenen Gründen zurückhaltend zu sein. Steiner fürchtete: ‚gewisse Wirkungen auf den Menschen …, die zuweilen das sofortige Eingreifen eines erfahrenen Geheimkundigen und jedenfalls dessen fortwährende Aufsicht nötig machen.‘ Im Klartext; Bei Psychotechniken, wie sie in der Esoterischen Schule angewandt wurden, drohten psychische Schäden…“ (Biographie, S 242)

    Sprich: Zander sieht, dass Meditationen Meditationen und damit psychisch wirksam sind. Auf welche Weise auch immer. Ansonsten analysiert er v.a., wie Steiner seine Konzepte über die Jahre nach dem Entwicklungsstand seiner Theoreme überarbeitete und fortschrieb bzw. in welche kontextuellen Gravitationsfelder er zu dieser Zeit geraten war. Beantwortet das Ihre Frage?

    Antworten
  • 13. CAS  |  9. Februar 2011 um 2:25 pm

    Lieber Herr Martins,

    vielen Dank für die ausführlichen Buchbesprechungen.

    Die „Kritiker“ haben den „Besuch der toten Tante“ durchaus bereits abgehandelt und auf die Widersprüche hingewiesen.
    Allerdings schon zu Lebzeiten Steiners (Hans Leisegang, Die Grundlagen der Anthroposophie, 1922, Leisegang war Philosophieprofessor und Physiker), was diesen offensichtlich dazu veranlasste „den Besuch der toten Tante“ aus seinem „Lebensgang“ herauszulassen.

    http://books.google.de/books?id=FTfbvc6ToPYC&lpg=PP1&dq=klaus%20prange%20anthroposophie&pg=PA45#v=onepage&q=leisegang&f=false

    Nach Steiner selbst kann ein Kind diese „Wahrnehmungen“ noch nicht haben, da der dazu nötige astralische Leib noch nicht verfügbar ist, so in etwa Leisegang.

    Auch der Schulungsweg, den Steiner zur Ausbildung der Organe für die übersinnliche Wahrnehmung beschreibt, kann da noch nicht beschritten worden sein.

    Entgegen Heisterkamp kann ich wegen dreier Biografien keinen Hinweis auf eine größere Bedeutung Steiners erkennen, die es rechtfertigte seine Werke in Grundzügen zu kennen.
    Bisher weist außerdem vieles darauf hin, dass Steiner sich bei anderen bedient und daraus „sein“ Werk gezimmert hat.
    Die Impulse, zumindest für die Praxissfelder Pädagogik und Landwirtschaft (und so weit ich weiß auch Christengemeinschaft), kamen noch nicht einmal von ihm.
    Einiges der „übersinnlichen Wahrheiten“ wurde längst widerlegt (z.B. kosmische Einflüsse bei Pflanzen) und ein Nachweis der Qualitäten in den Praxisfeldern konnte bislang nicht erbracht werden. Weder anthroposophische Medizin noch Waldorfschule noch Demeter sind überlegen oder besser als konventionelle Methoden.
    Die Waldorfschulen bleiben hinter ihren Möglichkeiten weit zurück, Entwicklung findet so gut wie nicht statt, wissenschaftliche, empirische Forschung findet seltenst Anwendung.
    Die so vielfach gepriesenen Waldorfschulen haben jedenfalls bis heute keinen Nobelpreisträger hervorgebracht, obwohl zur Freiheit erzogen und das eigenständige Denken angeblich so gefördert werden.
    Es bleibt lediglich die Verwunderung darüber, wie sich ein teilweise haarstreubender Unsinn so lange halten, sich sogar weiter verbreiten konnte und noch nichteinmal kritisch hinterfragt wird/wurde (auf Seiten der Anthroposophie).
    Allerdings trifft das ebenfalls auf andere pseudowissenschaftliche oder esoterische Gebiete zu wie z.B. Astrologie, Homöopathie, TCM und Radiästesie, um nur wenige zu nennen.
    Ich kann mir die Beliebtheit bisher nur mit mangelnden Information oder mit einer „hauptsache Dagegen“ / „hauptsache anders“ Haltung erklären!?

    CAS

    Anmerkung AM

    Danke für den interessanten Hinweis!! Ich weiß trotzdem nicht, ob er zieht – unabhängig von dieser Anmerkung Leisegangs hat Steiner in seinem „Lebensgang“ von seiner frühkindlichen Wahrnehmung übernatürlicher Wesen erzählt – die müsste er dann auch weggelassen haben. Mit Widersprüchen in Steiners Werk zu argumentieren, halte ich für sehr schwierig: Es finden sich Belege für soziemlich alles. Kindliches Hellsehen ist für Steiner ein sog. „atavistisches“ – den avantgardistischen Weg in den Tempel „wissenschaftlichen“ Hellsehens zu beschreiten, bleibt natürlich „durch-ichten“ Erwachsenen jenseits der 21 vorbehalten.

    Antworten
  • 14. CAS  |  15. Februar 2011 um 4:57 pm

    Zum atavistischen Hellsehen meint Steiner:

    „Wenn also heute jemand auftritt, der, ohne daß er ernste Übungen gemacht hat, ohne daß er, sagen wir, entsprechend in die Geisteswissenschaft eingedrungen ist – denn die Geisteswissenschaft kann selbst, wenn man richtig in sie eindringt, die beste Übung sein, um das alte Hellsehen herauszubringen -, wenn ein solcher gewisse psychische Fähigkeiten, ein gewisses Hellsehen oder anderes zeigt, so deutet das darauf hin, daß er nicht etwa in der Entwickelung voraus ist vor den anderen, sondern daß er zurückgeblieben ist.“

    „Und am meisten geht man fehl, wenn man sich imponieren läßt durch solche atavistischen hellseherischen Fähigkeiten. Wenn man sich zu dem Glauben verleiten läßt, daß eine solche Persönlichkeit eine besonders entwickelte Seele vorstellt, so geht man immer fehl. Denn daß diese Seele solche Fähigkeiten zeigt, das bedeutet, daß sie besondere Dinge noch nicht durchgemacht hat, die während der Zeit des Hellsehens durchgemacht werden mußten. Deshalb holt sie es heute nach. Das Groteskeste ist, wenn innerhalb der geisteswissenschaftlichen Strömung der Glaube auftritt, daß jemand, der ein gewisses Hellsehen hat, ohne in die Geisteswissenschaft eingedrungen zu sein, früher etwas Bedeutenderes gewesen sein muß. Er ist sicher etwas Unbedeutenderes als der, welcher ein gesundes Urteil über die Dinge hat.“

    (Sorry für das lange Zitat aus GA154, 1985, musste aber sein)

    M.E. verpasst Steiner damit diesem „Hellsehen“ einen negativen Anstrich nach dem Motto lieber kein „Hellsehen“ als atavistisches.
    Ich habe beim überfliegen Steiners Autobiografie keinen Hinweis auf „Hellsichtigkeit“ gefunden. Er deutet zwar Ahnungen an, dass es noch mehr geben müsse aber mehr (frühkindliches Hellsehen) fand ich nicht. Möglicherweise habe ich es überlesen.
    Eine Autobiografie ist natürlich außerdem eine äußerst unzuverlässige Quelle und zeugt nicht gerade von Bescheidenheit eher von Überschätzung und „Geschichtsklitterung“.

    Was die Widersprüche in Steiners Werk anbelangt, so dachte ich bisher, in „Anthroposophistan“ gälte sein Werk als kohärent. Wenn es das nicht ist und man „so ziemlich alles“ damit Belegen kann, ist Anthroposophie keine Wissenschaft und außerdem beliebig.

    Natürlich war Steiner nicht „hellsichtig“, das ist ja an seinen Aussagen, die über den damaligen Wissensstand nicht hinausgehen (ganz im Gegenteil sogar) ablesbar.
    So wurde ihm z.B. bereits zu Lebzeiten nachgewiesen, dass er seine Aussagen zu den fliegenden Fortbewegungsmitteln der Atlantier bei einem SF-Autor „geborgt“ hatte (Quelle weiß ich jetzt nicht mehr genau: Prange oder Barz zitieren da genau).
    Eine weitere Kritik seiner „naturwissenschaftlichen Ansichten“ kam ebenfalls zu Lebzeiten Steiners vom Nobelpreisträger und Planck-Schüler Max von Laue (1922), der auf die Widersprüche Steiners zu aktuellen wiss. Erkenntnissen verwies (z.B. Aussagen zu Atlantis u.a.).

    Anmerkung AM

    Ich habe das Büchlein gerade nicht hier, aber Steiner beschreibt wortwörtlich, dass und wie „der Knabe von nun an mit den Wesen der Natur [lebte], mit den schaffenden Wesenheiten hinter den Dingen.“

    Atavistisches Hellsehen ist für Steiner zumeist ein solches, das noch nicht aus wacher Bewusstseinskraft stammt und daher unzeitgemäß und irgendwie schädlich-luziferisch ist – aber auch kindlich-naives Hellsehen fällt in diese Kategorie. An anderer Stelle beschreibt er ja auch Säuglinge, die Dämonen wahrnehmen können oder etwas wie einen „Telefonanschluss“ zur Geistigen Welt hätten.

    Die atlantischen Luftschiffe hatte Steiner aus William Scott-Elliots „Atlantis aus okkulten Quellen“ – 1904 stufte er seine „Akasha-Chronik“ nur als Ergänzung zu Scott-Elliot ein, was heute traurigerweise von den meisten Rassismuskritiker_innen unterschlagen wird (der historische Kontext mindert ja nicht nur Steiner positive, sondern auch negative, etwa rassistische Eigenleistung). Scott-Elliot gibt es im Original hier:

    Klicke, um auf Scott-Elliot_The_Story_of_Atlantis.pdf zuzugreifen

    Und darüber geschrieben habe ich hier über jüngere anthroposophische Fortdichtungen dieses Stoffes:

    „Der Europäer“ – Anthroposophie für Fortgeschrittene oder: Der Angriff der Antideutschen

    In Anthroposophistan gilt Steiners Werk natürlich als kohärent, aber das gelten Koran, Bibel auch, obwohl sie intern widersprüchlich sind. Religiöse Dynamik: Jeder Ausleger hat das Wahrheitsmonopol – eine Pluralität an Universalitätsansprüchen.

    Zu Steiners Synkretismus schreibt die Biographin Miriam Gebhardt:

    „Steiner war eher ein erfolgreicher Popularisierer als ein originärer Denker … Während die Vegetarier ihren Vegetarismus hatten und die Wandervögel ihre Wanderlieder, konnte der reformbedürftige Zeitgenosse bei Steiner all das auch finden und dazu noch eine Meistererzählung, die die gesamte Geschichte der Menschheit mit dem Schicksal jedes einzelnen Individuums verband. Das war Steiners Erfolgsrezept. … Er hatte für jeden etwas im Angebot. … Dass so vieles davon kombinierbar war, machte Steiner zum Propheten des Pluralismus.
    Die Demeterkartoffeln transportieren das Versprechen von Harmonie und Gesundheit. Sie wachsen, zumindest in der Phantasie von Konsumenten, in einer heilen Welt. Und auch wenn der Glaube an die Macht der Sterne und die Kraft des Kuhhorns schwerfällt, ein bisschen Esoterik kann auf jeden Fall nicht schaden. Wir ‘Verbraucher’ der Anthroposophie sind wie die Römer, die alle Götter in ihr Pantheon aufnahmen, man kann ja nie wissen.“ (S. 343f.)

    Was halten Sie davon?

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  • 15. Georg Wahrmunds Vorzeit-Früchte « waldorfblog  |  14. April 2011 um 9:00 am

    […] eines ominösen „Georg Wahrmund“, der ohne Namensnennung den Religionswissenschaftler Helmut Zander (Autor diverser anthroposophiekritischer Schriften) aufs Korn nimmt und – passend zum […]

    Antworten
  • […] fand Steiner einen „Masterplan der esoterischen Religionsgeschichte“ (Helmut Zander: Rudolf Steiner, S 155) vor, der „Eingeweihte“ und sich historisch ablösende kulturschöpferisch […]

    Antworten
  • 17. “Das Karma der Unwahrhaftigkeit” « waldorfblog  |  13. Mai 2012 um 11:50 am

    […] Theologe, Mystikforscher und “Vater der kritischen Steiner-Forschung” (so Zander: Rudolf Steiner, 476) haben Vorwörter beigesteuert, und das bedeutet in der Außenperspektive zunächst einmal […]

    Antworten
  • […] zu sagen, dass Traub hier bei Zander offene Türen einrennt: Der hob in seiner 2011 erschienenen Steiner-Biographie eigens hervor, dessen “Weg in die Theosophie sollte man nicht antagonistisch als Bruch oder […]

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  • […] hat “Unwahrheit und Wissenschaft” geschrieben, 414 Seiten über Zanders 2011 vorgelegte Steiner-Biographie. Offenbar Grund genug für eine plötzliche Rehabilitierung. Niederhausens groboberflächliche […]

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  • […] Fragestellung wäre schließlich die motivische Grundlegung von Steiners Esoterik. In seiner Steiner-Biographie (2011) schrieb Zander […]

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  • 21. Albert Steffen: Der Auszug aus Ägypten | waldorfblog  |  25. Juli 2014 um 9:04 pm

    […] 2004, S. 360f. Um 1900 hatte Lasker-Schüler auch mit Steiner zu tun, vgl. Helmut Zander: Rudolf Steiner, S. 110, […]

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  • […] Dankbarkeit “für dessen Bemühungen um dieses Sorgenkind der Familie” stand. (Zander: Rudolf Steiner, S. 53) Dass Steiner mit seiner esoterischen Konversion plötzlich ein Verächter von Behinderten […]

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  • […] stetig, es kommt offensichtlich kaum oder jedenfalls: zu wenig Nachwuchs. (vgl. Miriram Gebhardt: Rudolf Steiner, 15) Der anthroposophische Blogger Michael Eggert sieht darin eine “Quittung für das […]

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  • 24. Die unendliche Geschichte | Waldorfblog  |  9. November 2014 um 3:06 pm

    […] seiner unübersehbaren Vorurteile als Feind des Antisemitismus gelten.” (Miriam Gebhardt: Rudolf Steiner, […]

    Antworten
  • […] den anderen beiden neuen Steiner-Biographien: Der Besuch der toten Tante sowie Miriram Gebhardt über die Waldorfpädagogik […]

    Antworten
  • […] geht Clement noch weiter als Helmut Zander und Miriam Gebhardt in ihren Steiner-Biographien. (vgl. Der Besuch der toten Tante) Zur simplen Identifizierung von seelsorgerisch-therapeutischen Implikationen der Steinerschen […]

    Antworten
  • […] die Römer, die alle Götter in ihr Pantheon aufnahmen, man kann ja nie wissen.” (Gebhardt: Rudolf Steiner, 345) Neoliberale Selbsttechnologien, grüne Lebenskunst und spirituelle Philosophie – solange […]

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