Zander als Gewährsmann II- Was sagt das Mittel?
5. März 2009 at 8:01 pm 1 Kommentar
Helmut Zander im Gespräch mit Norbert Bischofberger über das „Mysterium Anthroposophie“.
Dieser Artikel ist eine Fortsetzung und Bestätigung meines Artikels „Zander als Gewährsmann – In der Anthroposophiedebatte heiligt der Zweck die Mittel“.
2007 sorgte das Buch „Anthroposophie in Deutschland – Thesophische Weltanschauung, gesellschaftliche Praxis 1884-1945“ für Aufruhr in der kleinen, verzankten aber liebenswerten Welt der Anthroposophie und ihrer GegnerInnen. Der Autor Helmut Zander hat – unter Berücksichtigung ( fast ) aller bisher zum Thema erschienenen Literatur – auch bisher unbekannte oder kaum beachtete Quellen rund um Rudolf Steiner, seine Anthroposophie, deren historisches Umfeld und ihre heutige Adaption zusammengetragen. Dabei werden Steiners Aus- und Ansprüche radikal historisch kontextualisiert, wobei Zander den AnthroposophInnen notwendige Kritik, aber auch viel Verständnis entgegenbringt. „Niemand lebt von seinen Schwächen“ gemahnt Zander bei der Schilderung der Waldorfpädagogik: “Die Erfolgsgeschichte der Waldorfschulen macht klar, daß es bei aller Kritik starke Seiten dieser Schulform gibt.”
Das bemerkenswerte Werk hat es in kurzer Zeit geschafft, zum Standardwerk zu werden – vor allem für Anthro-KritikerInnen. Aber auch liberale(re) AnthroposophInnen wie Robin Schmidt von der „Forschungsstelle Kulturimpuls“ am Goetheanum oder Waldorfmamis wie Dorion Weickmann ( Journalistin „Die Zeit“ ) begrüßten das Buch.
Beide Fraktionen dabei stets im eigenen Interesse, das heißt: radikal und polemisch für oder gegen Anthroposophie. Dass dabei die Fakten oftmals verdreht oder zumindest äußerst tendenziös presäntiert werden, hat namenstaenzer.de schon thematisiert: ( „Zander als Gewährsmann“ )
Und leider lebt z.B. die Seite NWA davon, nur und ausschließlich die schwachen und schwächsten Seiten der anthroposophischen Praxisfelder ( die wiederum AnthroposophInnen wegschieben und uminterpretieren ) zu „Symptomen“ derselben zu erklären – mit Zander als „Gewährsmann“. Die „der-seriöse-Historiker-hat‘s-belegt-Rolle“ kann Zander jetzt aber nicht mehr guten Gewissens zugeschoben werden, ohne auch die positiven Seiten zu benennen, wenn mensch mal wieder die Schreckensmeldungen über prügelnde Sektenzuchthäuser etc. abstaubt.
WaldorfvertreterInnen dagegen können sich freuen: In der Tat sind einige Äußerungen Zanders, etwa die Würdigung der Waldorfpädagogik, in angenehmem Kontrast zu seinen meist rein historisch-analytischenen Beschreibungen in „Anthroposophie in Deutschland“.
Aber auch die KritikerInnenseite könnte manches zurecht beanstanden: An einigen Stellen ist Zanders Versuch, Steiner innerhalb seines historisch-kulturellen Umfelds zu verstehen, auch etwas unglücklich: So führt er aus, Steiners aus heutiger Sicht oft deterministisches Reinkarnationskonzept sei damals der Versuch gewesen, Freiheit bis in die letzte Konsequenz zu denken, d.h. ein selbstgewähltes Schicksal dem als passiv empfundenen buddhistischen Reinkarnationsgedanken gegenüberzustellen. Das Problem ist aber weniger, wie Steiners Konzept historisch zu verstehen ist, sondern wie AnthroposophInnen heute damit umgehen, denn das birgt in manchen Fällen problematische Implikationen. Das hat Zander in seinem Buch genauer ausgeführt:
„Steiner hat die Konsequenz, dass der Tod durch Katastrophen karmisch zu begrüden sei, selbst gezogen (GA 34,361–363), die Übertragung auf den Holocaust durch heutige Anthroposophen ist mir nur müdlich bekannt. Yonassan Gershom, der derartige Thesen vertritt, wird auf anthroposophische Tagungen eingeladen und in anthroposophischen Medien diskutiert (vgl. Diet: Auf den Spuren der Opfer, 288–291). Gershoms Buch „Kehren die Opfer des Holocaust wieder?“, wurde 1997 im Dornacher anthroposophischen Verlag Geering publiziert. Die in dieser Vorstellung vom selbstverschuldeten Holocaust-Schicksal implizierte Entlastung der Täter zieht inzwischen in rechtsradikalen Milieus außerhalb der Anthroposophie weite Kreise.“
Und da ist es relativ egal, warum Steiner vor 100 Jahren was wie sagte!
Der Fundiertheit von Zanders Forschung tut das selbstverständlich insgesamt keinen Abbruch! Es wäre hilfreich, wenn mehr KritikerInnen wie BefürworterInnen der Anthroposophie und Waldorfpädagogik an Zanders Ansatz anknüpfen könnten.
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1. Steiner = Jesus. Ein Gott, seine Gläubigen, die Ketzer und ein „trojanisches Pferd“ « Waldorf Blog | 8. Januar 2010 um 4:54 pm
[…] Praxisfelder von vielen AnthrogegnerInnen gescholten wurde (v.a. bei NWA, vgl. auch Zander als Gewährsmann II). Zanders Buch wurde von orthodoxen AnthroposophInnen natürlich als reine Blasphemie betrachtet. […]