EU und Ukraine: Neues von der angloamerikanischen Weltherrschaft

8. April 2014 at 9:08 pm 5 Kommentare

„Gutmütige Enthusiasten dagegen, Deutschtümler von Blut und Freisinnige von Reflexion, suchen unsere Geschichte der Freiheit jenseits unserer Geschichte in den teutonischen Urwäldern. Wodurch unterscheidet sich aber unsere Freiheitsgeschichte von der Freiheitsgeschichte des Ebers, wenn sie nur in den Wäldern zu finden ist? Zudem ist bekannt: Wie man hineinschreit in den Wald, schallt es heraus aus dem Wald. Also Friede den teutonischen Urwäldern! Krieg den deutschen Zuständen!“
– Karl Marx, Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie

Während die deutsche Berichterstattung um die sog. „Ukraine-Krise“ und Euromaidan-Proteste mit anschließender „Krim-Krise“ und über Putins großrussischen Chauvinismus schon wieder abflaut, nährt sie noch die Sehnsucht heimischer Verschwörungsdenker. Wie immer auch in der anthroposophischen Szene. Einsam steht hier ein Artikel der liberalen Zeitschrift Info3 gegen eine Front, die von rechten Konspirationsnostalgikern wie Willy Lochmann zu Schwätzern wie Michael Mentzel reicht. Deren Feindbilder sind klar: USA, EU und die manipulierten „westlichen Medien“. Ihr Ziel: Ein spirituelles, ungegängeltes „Mitteleuropa zwischen Ost und West“.

Pläne zur "Neugestaltung Europas", erdacht "in den geheimen Zirkeln der englisch sprechenden Welt": Steiners verschwörungstheoretische Phantasien, abgedruckt von Karl Heise, der später Himmler und Rosenberg als Stichwortgeber diente (aus: Heise: Die Entente-Freimaurerei und der Weltkrieg, Basel 1918).

Pläne zur „Neugestaltung Europas“, erdacht „in den geheimen Zirkeln der englisch sprechenden Welt“: Steiners verschwörungstheoretische Phantasien, abgedruckt von Karl Heise, der später Himmler und Rosenberg als Stichwortgeber diente (aus: Heise: Die Entente-Freimaurerei und der Weltkrieg, Basel 1918).

„Themen der Zeit“: Feindbild Westen

Die deutsche Meinung steht: Böse, gleichgeschaltete Medien machen sich über Putin lustig, linke und rechte Blätter entdecken ihre Sympatien für ihn. Rigolf Hennig von der rechtsradikalen „Europäischen Aktion“, erklärt, die ukrainischen Nationalisten seien von „den Zionisten im Gewand der EU“ als „nützliche Idioten“ missbraucht worden. Und weiter: „Wenn das Monster ‚Zionismus‘ über die Ukraine verfügt, dann ist Russland gefährdet und nur noch China steht zwischen ihm und der Weltherrschaft.“ Klar, wem da die Sympathien gelten: „Auch wenn Putin schwer zu durchschauen ist: er hat bislang geopolitisch gute Arbeit geleistet“, so Hennig. Ähnlich mahnt Nick Griffin, Chef der neofaschistischen British National Party, die ukrainischen Genossen, „den US- und EU-Globalisten bei ihrem anhaltenden Krieg gegen die Völker Europas, was selbstverständlich Russland einschließt“, nicht nachzugeben.  Udo Voigts, ehemaliger Vorsitzender und aktueller Europa-Spitzenkandidat der NPD findet, EU und USA „hetzen die Ukrainer gegen die Russen auf und lassen sie am Ende doch im Stich“ (zit. n.  Carsten Hübner)

Natürlich haben die allerwenigsten Anthroposophen Sympathien für die NPD (Steiner war ja in ihren Augen auch der größte Antirassist) und derartiges will ich keinem der im Folgenden Zitierten unterstellen. Bekanntermaßen sind die Meinungen der Mitte den Thesen von rechts aber in der Regel nicht so unähnlich, wie erstere gern glauben möchte. In Anthroposophistan weiß man überdies seit Steiners Zeiten, dass der freie Westen die wahre Gefahr für alle dreigegliederten Mitteleuropäer ist. Michael Mentzel von „Themen der Zeit“ schrieb bereits im März in Erinnerung an Steiners Politikmodell:

„Deutschland und die EU wären gut beraten, endlich die Aufgabe einer echten Mittlerrolle zwischen Ost und West einzunehmen und gleichzeitig darüber nachzudenken, wie die Ideale der Freiheit, der Gleichheit und der Brüder- oder Geschwisterlichkeit endlich einmal Fuß fassen könnten in unserer Gesellschaft. Der aktuelle Konfrontationskurs, den die derzeitige Große Koalition – mit freundlicher Unterstützung der Grünen – in Sachen Ukraine und Krim eingeschlagen hat, wird uns in die falsche Richtung führen. Völlig in den Hintergrund scheinen die Vorgänge um Edward Snowden und die NSA zu geraten. Haben wir eigentlich immer noch nicht bemerkt, dass die Überwachungs- und Kontrollpraktiken der westlichen Geheimdienste längst unser aller Leben im Blick hat? Stattdessen schaudert Otto-Normalbürger immer noch vor „dem Leben der Anderen“ (Ein Film, der die Praktiken der Stasi-Ost zum Thema hatte) und bei dem Hinweis auf die KGB-Vergangenheit Putins gerät er gleich vollends aus dem Häuschen und sieht sich schon in Sibirien erfrieren und verhungern. Wer die Berichterstattung während der Olympiade einigermaßen aufmerksam verfolgt hat, wird wissen, was hier gemeint ist.“

Da der finstere Westen in Mentzels Augen Sowjetunion und Stasi-Terror also längst an Boshaftigkeit überholt hat, solle die deutsche Regierung sich lieber als „Mittlerin“ erweisen und den großrussischen Chauvinismus gleichberechtigt berücksichtigen. Mentzel hat, wie die zitierten Zeilen vermuten lassen, viel Verständnis für Putin übrig, die russische Annexion der Krim hält er für demokratisch legitimiert, ebenso Janukowitsch, keineswegs jedoch die Euromaidan-Revolutionäre. Dass diese erst auf ihre Kriminalisierung durch Janukowitsch militant wurden, ja der ganze Hergang der Ereignisse wird nicht näher erläutert. Was Mentzel wirklich interessiert, zeigt der im Artikel kontextlos eingeführte Edward Snowden: Die „westlichen Geheimdienste“. KGB-Putin ist Mentzel anscheinend die sympathischere Option, obwohl er dessen „Politik des Stärkeren“ immerhin ein bisschen unheimlich findet. Doch Putin sei höchstens genauso schlimm wie die USA:

„Einhundert Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs steht die Welt wieder einmal vor dem Scherbenhaufen einer ideenlosen Gesellschaft, in der das so genannte Recht des Stärkeren fröhliche Urstände feiert. Und es ist beileibe nicht nur Wladimir Putin, der diesem „Recht“ durch sein derzeitiges politisches Handeln Ausdruck verleiht. Die geopolitischen Interessen der USA und seiner westlichen Verbündeten sorgen für einen Ausgleich in diesem Spiel, in dem sich – seit dem Ende des Kalten Krieges – die ehemals klar erkennbaren Trennlinien in andere Sphären verlagern, die Akteure in diesem Spiel unterhalb der allgemeinen und öffentlichen Wahrnehmungsschwelle agieren und ein wahrhaft gefährliches Spiel treiben.“

Natürlich war der ukrainische Versuch, Russisch als Zweitsprache in Landesteilen mit überwiegend russisch sprechender Bevölkerung zu vebieten, sicher nicht der klügste. Natürlich darf man bezweifeln, dass eine Integration der Ukraine in die EU bei gleichzeitigen Problemen mit Gaslieferungen von russischer Seite den einzelnen Landesbürgern mittelfristig viel helfen wird. Natürlich kann man allerlei an der EU aussetzen. Aber die Ukraine ist für Mentzel von minderer Bedeutung. Der echauffiert sich vielmehr über Deutschlands und der EU Versuch, sich politisch an die USA zu halten, über Auslandseinsätze der Bundeswehr und die unterkühlte diplomatische Beziehung mit Russland. „Mitteleuropa zwischen Ost und West“ – das schwebte schon Steiner als ideale politische Konstellation vor. Am deutschen Wesen muss die Welt genesen, das dafür vor allem eines nicht darf: sich mit dem hinterlistigen „Angloamerikanertum“ verbünden. Steiner:

„Damit soll nicht gesagt werden, daß Mitteleuropa nicht im Sinne einer inneren politischen Gestaltung eine Fortentwickelung erfahren solle, allein eine solche darf nicht die Nachahmung des westeuropäischen sogenannten Demokratismus sein, sondern sie muß gerade dasjenige bringen, was dieser Demokratismus in Mitteleuropa wegen dessen besonderer Verhältnisse verhindern würde. Dieser sogenannte Demokratismus ist nämlich nur dazu geeignet, die Menschen Mitteleuropas zu einem Teile der englisch-amerikanischen Weltherrschaft zu machen, und würde man sich dazu auch noch auf die sogenannte zwischenstaatliche Organisation der gegenwärtigen Internationalisten einlassen, dann hatte man die schöne Aussicht, als Mitteleuropäer innerhalb dieser zwischenstaatlichen Organisation stets überstimmt zu werden.“ (Rudolf Steiner: Memorandum vom Juli 1917, GA 24, 350)

„Das Deutschtum“, da war Steiner sicher, „kann für England-Amerika nur so behandelt werden, dass es als kleinstes Hindernis für dieses wirkt. Daher kann das Deutschtum sich nur retten, wenn es erkennt, was ihm droht und sich darauf einrichtet, durch Harmonisierung seiner Interessen mit denen der slawischen Welt.“ (GA 173c, 269) Mentzel ist sicher kein Antidemokrat, vielleicht eher ein Verfechter der anthroposophischerseits inzwischen favorisierten „Direkten Demokratie“. Aber die Angst vor der „englisch-amerikanischen Weltherrschaft“ (Steiner) und ihrer selbstverständlich dekadenten, materialistischen Kultur teilt er offenbar, wenn er schreibt:

„Garniert wird das alles mit einem kaum definierbaren Freiheitsgeschwurbel. den „Segnungen“ des Infotainment und einer damit eng kooperierenden schier allmächtigen Unterhaltungsindustrie, die dafür sorgt, dass Ruhe herrscht im Karton. Die Ruhe aber ist trügerisch, denn es brodelt ganz schön unter der Schminke, mit der die Probleme in unserem Land – nur notdürftig – überdeckt werden. Werden wir demnächst mit dem Hinweis auf eine – natürlich durch Russland – gefährdete Energieversorgung, die dann auch die Konjunktur gefährdet, wieder über verlängerte Laufzeiten der AKW reden? Oder über das Fracking, dass ja in den USA so „erfolgreich“ angewendet wird? Braucht es tatsächlich noch die Bilderberger oder gar den eher nach rechtsgeschwenkten Kopp-Verlag, um festzustellen, dass hier Entwicklungen im Gange sind, deren Folgen kaum abzusehen sind?“

Mentzel ist scheinbar nicht allzu wohl dabei, auf Bilderberger und Kopp hinzuweisen. Aber er realisiert zurecht, dass man seine Einschätzung der Zeitlage eher dort teilen würde als anderswo. Zwar hat man der russischen Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit und anderen Grausamkeiten der dortigen Politik bei „Themen der Zeit“ keine Zeile gewidmet und auch kein Wort darüber verloren, warum die Ukrainischen Protestler sich eher der EU als dem russischen Imperialismus zuwandten, dem sie nichts zu verdanken hatten. Nun aber übernimmt Mentzels Seite einen Artikel des Soziologen Arno Klönne, der unter anderem schreibt:

„Völlig außer Kontrolle ist die Entwicklung in der Ukraine geraten. Aus der geplanten ‚zivilgesellschaftlichen‘ Übernahme des Terrains ist nichts geworden, das Land mit seinen Turbulenzen wird nun zu einer kostspieligen Last, der neue Kalte Krieg bringt nachhaltige Beschädigungen deutscher Wirtschaftsinteressen hervor. Lästig ist auch, dass in der deutschen Medienwelt die Aggressionen gegen den „Brandstifter Putin“ sich verselbständigen; so militant hat die regierende Koalition das nicht gewünscht. Die Mehrheit der Deutschen aber findet solcherart Russophobie unsinnig, Zweifel an der Steuerungsfähigkeit der eigenen Regierung kommen auf.“

Thomas Meyer und Willy Lochmann: „Das eigentliche Fernziel der EU“

In der Basler Zeitschrift „Der Europäer“ hält man sich zwar für antinationalistisch, teilt aber die Feinde der extremen Rechten und der antiimperialistischen Linken. Während „Themen der Zeit“ sich mit modisch-antiwestlichem Ressentiment begnügt, werden im „Europäer“ die widerlichen esoterischen Hintergrundüberzeugungen sichtbar. Im Editorial der April/Mai-Ausgabe 2014 schreibt „Europäer“-Chefredakteur Thomas Meyer wieder einmal über die gerade erschienene erste historisch-kritische Steiner-Ausgabe, die er für eine Verschwörung der Mormonen hält. Im selben Text geht es auch um die sog. Ukraine-Krise – wirkt zusammenhanglos, ist es aber nicht. Das Schlüsselwort heißt wieder „Angloamerikanertum“ und hinter diesem stehen geheime, verschworene okkulte Zirkel. Die stehen hinter allem Ausdenkbaren: Wissenschaftlichen Büchern über Rudolf Steiner, hinter dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, der EU, den demokratischen Kräften in der Ukraine – und den USA ja ohnehin. Meyer zitiert natürlich keine rechte Quelle, um seine abstrusen Theoreme zu belegen, dafür aber die links-antisemitische Tageszeitung Junge Welt. Wie Udo Voigts und letzteres Schmierblatt sieht er den Weltfrieden durch die hinterhältige westliche Zuwendung zur Ukraine in Gefahr. Hinter den Euromaidan-Protesten sieht er dagegen freilich nichts als die nun ebenfalls an die Macht gekommenen ukrainischen Faschisten.

„Im November 2013 hatte der abgesetzte ukrainische Präsident Janukowitsch ein Assoziierungs-Abkommen mit der EU auf’s Eis gelegt – Auftakt zu den von einem Profiboxer mitgeleiteten Unruhen. Besonders besorgniserregend: die Mitwirkung neo-nazistischer Kräfte beim Kiewer Staatsstreich. Die Einseitigkeit westlicher Berichterstattung ist phänomenal. Die argentinische Schriftstellerin Stella Calloni schrieb am 24. Februar in der Tageszeitung Junge Welt über den Kiewer Putsch: ‚Die jüdische Bevölkerung in der Ukraine muss um ihre Sicherheit und Unversehrtheit fürchten, und ausgerechnet in Deutschland wird der Grund dafür bejubelt. Außerdem sehen viele nicht, dass die aggressive NATO-Politik den Weg für den Dritten Weltkrieg bereitet (…) Die Kette Irak, Libyen, Syrien und jetzt Ukraine führt geradewegs dahin. Die USA und Europa stecken in einer tiefen Krise, das macht sie so gefährlich (…) In Deutschland und Europa sind die Menschen nicht richtig informiert und sich auch nicht darüber im Klaren, dass ihre Regierungen zwar überall Sprengsätze legen, die Zünder dafür aber andere in der Hand halten.'“

Endlich einmal wieder echte „Faschisten“ ausmachen und sie dann noch vermeintlich den USA anlasten zu können, überdies im Zitat einer echten „Tageszeitung“ auch noch den Hinweis auf einen Dritten Weltkrieg dank NAZO zu finden – darauf muss man beim „Europäer“ lange gewartet haben. Und für alle, die den Wink mit dem Zaunpfahl noch nicht verstanden haben, steuert Meyer auch gleich noch bei, dass die angloamerikanischen Dunkelmänner hinter allem stecken:

„‚Tonangebend ist eine Gruppe von Menschen, welche die Erde beherrschen wollen mit dem Mittel beweglicher kapitalistischer Wirtschaftsimpulse‘, so konstatierte bereits Rudolf Steiner nach dem Ersten Weltkrieg in einer erstmals im Europäer veröffentlichten Notiz.“

Diese „Notiz“ liest sich weiter so:

„Hinter der Politik der englischsprachigen Völker steht als fester Plan die allmähliche Beherrschung der Welt durch diese Völker … Für diesen Plan wird die Elite der englischsprachigen Völker in den geistigen Gemeinschaften erzogen, die hinter dem sichtbaren Geistes- und Kulturleben der englischsprachigen Völker stehen und von denen das Sichtbare nur der äußere Ausdruck ist.“ (GA 173c, 268f.)

Das zitiert Meyer zwar nicht, hält es aber zweifellos für richtig und formuliert seine eigene, ‚zeitgenössische‘ Version zur „Errichtung einer Welt-Herrschaft unter anglo-amerikanischer Führung“:

„Vergessen wir niemals das eigentliche Fernziel der EU, wie es einmal Winston Churchill für die Vereinigten Staaten von Europa vorgesehen hatte: die Errichtung einer Welt-Herrschaft unter anglo-amerikanischer Führung. Churchill machte unmissverständlich klar: ‚Ohne ein vereintes Europa gibt es keine sichere Aufsicht auf eine Welt-Regierung.‘ (London 14. Mai 1947)* In dieses Europa sollte seit geraumer Zeit auch die Ukraine mehr und mehr eingebunden werden. Das ging nicht so glatt von statten, wie erwartet. Die Aktivierung legal stationierter russischer Truppenteile auf der Krim wurde zur ‚Invasion‘ aufgebläht und Russland mit Sanktionen gedroht, denn es habe in eklatanter Weise Völkerrecht gebrochen, – eine unüberbietbare Heuchelei, wenn die Vorwürfe von Seiten der seit bald einem Jahrhundert global agierenden Invasions-Macht USA erhoben werden.“

USA und EU, aber letztere nur als verlängerter Arm der ersteren, sind für Meyer und Konsorten durchweg böse. Hier zeigt sich einmal mehr der explizite Hass auf Demokratie und Rechtsstaat, für die brave Deutsche die Alliierten nach zwei Weltkriegen zu verachten gelernt haben. A priori steht auch fest, welche Verbündeten gegen die westliche Welt man beim „Europäer“ wie in links- und rechtsradikalen Kreisen schätzt: Russland. Natürlich hat die erbarmungslose staatliche Homophobie und Putins autoritäre Politik auch im „Europäer“ bisher keine Ächtung gefunden. Aber so richtig empfehlenswert wird Russland dann doch erst, wenn es auf Konfrontationskurs mit dem verhassten Westen geht: In einer älteren Notiz hatte „Der Europäer“ empfohlen, zum Krimreferendum könne man sich auf russischen Kanälen besser informieren als in westlichen Medien.

Ähnlich sieht das der Anthroposoph Willy Lochmann. In einer 5-seitigen Ausgabe seines obskuren Online-„Rundbriefs“ schreibt er etwa:

„Die Feinde der menschlichen Zivilisation sind unentwegt aktiv, eine „Baustelle“ nach der anderen wird „aufgearbeitet“. Nun ist die Reihe an der Ukraine, nachdem die „Umtriebe“ in Syrien, trotz der üblichen gigantischen Propaganda-Walze, im Gegensatz zu Libyen, nicht zur völligen Zufriedenheit verlaufen sind. Die geopolitische „Denkfabrik“ (Think Tank) Zbigniew Brzeziński beschreibt  welchem Zweck die „demokratische“ Umwandlung der Ukraine in eine Ganovenrepublik dienen könnte. Die uns im Westen servierten Berichte über die verworrenen Verhältnisse waren nie dazu angetan, uns die Probleme und Unruhen wirklich verständlich zu machen – im Gegenteil…“

Und so geht es seitenlang, großenteils in Zitaten weiter. Lochmann bekundet neben vielem anderen seine Sympathie für Putin und lässt dabei den Kopp-Verlag sowie den anthroposophischen Holocaustleugner Gennadij Bondarew zu Wort kommen.

Info3: Kritik auf einsamem Posten

Dass die anthroposophischen Positionen so sehr an rechte Sympathien und Feindschaften erinnern, sollte nicht von einem wesentlichen Detail ablenken. Es sind, sieht man vielleicht von Lochmann ab, weit eher die salonfähigeren Amerikahasser aus der antiimperialistischen Linken, die in Anthroposophistan zitabel sind. Und es ist keineswegs nur eine pseudomarxistische linke Splittergruppe, die in dieser Weise zur Solidarität mit dem russischen Chauvinismus aufruft. Beides hat kenntnisreich Jens Heisterkamp in der aufgeklärtesten anthroposophischen Zeitschrift, Info3, herausgearbeitet:

„Im politischen Diskurs steht solchen Ambitionen eine erstaunliche Bereitschaft an Verständnis gegenüber: Ob Gregor Gysi, Gerhard Schröder, Egon Bahr, Peter Gauweiler, Antje Vollmer oder Alice Schwarzer: Der Wille, ja nicht einer „Polarisierung“ das Wort zu reden und auf Russland „Rücksicht zu nehmen“, ist parteiübergreifend verbreitet. Noch eifriger sind verschwörungstheoretische Netzwerke dabei, wenn es darum geht, die machtpolitischen Interessen Russland zu relativieren. Sie treffen sich oft in einer auch von der Eurasien-Philosophie propagierten Ablehnung der modernen individualistischen Lebenshaltung, die manche als faschistisch einstufen. Das ganze Ukraine-Szenario, so kann man hier hören, sei eigentlich von den USA angelegt, um Russland schlecht aussehen zu lassen und ihm in der Folge den Zugang zum Weltmarkt zu verbauen. Russlands Landgier sei vom Westen geschürt, es laufe in eine „Falle“. – Abgesehen davon, dass diese Lesart sämtliche vorangegangenen Dialog-Gesten des Westens (bis hin zum Angebot einer russischen Nato-Mitgliedschaft) negiert, ist hier die Denkfigur bemerkenswert, wonach jedwedes tyrannische Verhalten auf dieser Welt entweder weniger schlimm ist als das der Amerikaner oder im Zweifelsfall sogar „eigentlich“ von ihnen angezettelt sei. Das ist gerade auch in Deutschland erstaunlich: Denn für viele, die in den 30er Jahren auf Hitler hereingefallen sind, waren auch damals die eigentlich „Bösen“ diffuse „Schattenbrüder“, die man dem Westen zuordnete und es ging für die gutbürgerlichen Intellektuellen nicht an, sich auf „eine der bösen Seiten“ zu stellen. Auch die Deutung des Ersten Weltkriegs folgt in manchen, auch anthroposophischen Kreisen bis heute dieser Lesart, wonach Deutschland durch „englischsprachige Zirkel“ seinem wahren Wesen entfremdet und zu Großmachtgebaren verführt wurde.

Solche schlafwandlerischen Ausfälle gehören zum Schmerzlichen dieser Tage: dass man dort, wo man wenigstens einen freien Blick auf die Dinge haben könnte, zum Opfer der eigenen Gescheitheit wird und beginnt, offensichtliche Gewalt schönzureden. „Wenn wir uns für Europa einsetzen, geht es dabei auch um unsere Souveränität. Um die Menschenrechte und um die Freiheit. Das sind nicht nur schöne Worte, das ist die nackte Wahrheit“, sagte kürzlich der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch auf einer Veranstaltung der Böll-Stiftung in Berlin. Wird hierzulande im entscheidenden Moment die Idee von Freiheit und die Solidarität mit denen, die dafür kämpfen, aufgegeben – mit den besten alternativen, friedensbewegten oder auch spirituellen Absichten?“

Entry filed under: Der Europäer (Zeitschrift), Info 3 (Zeitschrift), Michael Mentzel, Verschwörungsdenken, Willy Lochmann.

„Man kann doch nicht noch hundert Jahre davon leben, dass man irgendwie nicht all zu schlecht ist“. Ein Gespräch mit Valentin Hacken „Nationalist Cosmopolitanism“: Anthroposophen und der Erste Weltkrieg – ein Interview mit Peter Staudenmaier

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Ich bin Ansgar Martins, geb. 1991 und war bis Juni 2010 Schüler an der FWS Mainz. Inzwischen studiere ich Religionsphilosophie, Soziologie und Geschichte in Frankfurt a. M. Dieser Blog ( dessen "Leitbild" ganz oben rechts ) ist mein persönliches Projekt, um die oft einseitigen und selbstgerechten Pro- und Contra-Positionen in der Debatte um die Waldorfpädagogik und Anthroposophie kritisch zu kommentieren. Ich hoffe, das gelingt, und freue mich über Rückmeldungen jeder Art!

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