Anthroposophische Reformation. Dogmen der liberalen Anthroposophie

12. Januar 2015 at 2:59 pm 18 Kommentare

„Anthroposophie im 20. Jahrhundert ist weit mehr als Traditionsverwaltung. Zu den Innovationen gehört vor allem eine Neudefinition der Rolle Rudolf Steiners: Vielen gilt er heute weniger als der Guru oder der Eingeweihte, der ein System letzter Wahrheiten eröffnet hat, sondern als ein Schlüssel zur Ermöglichung individueller Sinnsuche. Hier sehe ich eine der dramatischen Verschiebungen gegenüber den ersten Jahrzehnten der Interpretation seiner Person und seines Werks.“
– Helmut Zander: Wie kann man mit Rudolf Steiner sprechen?

Das traditionelle anthroposophische Milieu stirbt aus. Überalterung und schwindende Mitgliederzahlen der „Anthroposophischen Gesellschaft“ (vgl. „Sergej, du hast dich selbst gegeben“) sprechen aber nicht dafür, dass die Steinersche Ideologie sich damit endgültig verflüchtigt. Helmut Zander geht zweifelsohne zutreffend davon aus, dass die Steiner-Interpretation individualisiert und pluralisiert werde – in rein selektiver Aneignung, vermischt mit anderen esoterischen Weltanschauungen oder durch die Sprachgrenzen einer sich globalisierenden anthroposophischen Gemeinde. Ich meine zusätzlich, dass man – für den deutschsprachigen Raum – aber durchaus ideologische Konturen sehen kann, in denen sich so manche „Individualisierung“ und „Pluralisierung“ einpendelt. Die Alternative lautet nicht: orthodoxe Anthroposophie oder irgendwie geartete Erosion. Die „liberale“ Anthroposophie, die sich als solche von den traditional-anthroposophischen Dogmen loslöst, ist nicht mit dem Unsichtbarwerden von Anthroposophie identisch. Sondern hier formen sich ganz eigene Dogmen: Betont wird ein verkitschtes Steinersches „Frühwerk“, das als einzige legitime Urteilsgrundlage für die gesamte Steinerdeutung gelten soll. Ferner werden die höheren Wesen und Welten Steiners als Bilder und Veranschaulichungen ins Subjekt hineingelegt. Schließlich werden so auch Steiners Selbstdeutungen relativiert: Aus dem „Mysterium von Golgatha“ werden biographisch-psychologische Phasen des Gurus gemacht. 

„SKA“ 7: In den Einleitungen zu Christian Clements kritischer Steiner-Ausgabe findet sich die reformierte Steiner-Lesart detailliert

Diese Umdeutungen lösen im ortodoxen Lager scharfe, meist unfaire Anfeindungen aus. Denn in der Tat reagieren die liberalen Anthroposophen (bewusst oder unbewusst) auf die Unzugänglichkeit des verquasten Steinerschen esoterischen Werks, und Zweifel an diesem können die Orthodoxen nicht aufkommen lassen. Freilich gehen die Liberalen genauso fehl, wenn ihnen die anthroposophische Esoterik dann nur wieder eine nette, bilderreiche Illustration oder methodische Verlängerung des „Frühwerks“ zu sein scheint. Im Stillen aber bereitet sich so mancherorts eine anthroposophische Reformation vor: Wer Steiners Aussagen über „höhere Welten“ nicht mehr unmittelbar für evident hält, ist in Bezug auf diese offener gegenüber historischen Deutungen oder punktueller Kritik. Im Ganzen freilich ist diese Neo-Anthroposophie nicht minder ideologisch als die orthodoxe Variante, wie sich an ihrem prominentesten Verfechter, dem Germanisten Christian Clement zeigen lässt.

Obwohl die im Folgenden zitierten Autoren sich zweifelsohne nicht als homogene Gruppe sehen würden und jeder Standpunkte einnimmt, denen andere untere den Aufgeführten widersprechen würden, scheinen mir doch die folgenden Punkte geeignet, das Credo eines kleinen, aber wachsenden Flügels von Steiners-Fans zusammenzufassen:

  • Depotenzierung der Inhalte: Was Steiner über Engel, Elementarwesen und Weltzeitalter sagte, sei inhaltlich nicht, jedenfalls nicht ganz ernst gemeint, sondern methodische oder heuristische Veranschaulichung von ganz anderen Philosophemen.
  • Prospektive statt retrospektive Deutung: Beurteilen die Orthodoxen das Leben des vor-theosophischen Steiner durch die Augen des Theosophen, so drehen die Liberalen den Spieß um. Steiners Aussagen nach seiner Kehre um 1902 werden auf das früher liegende Werk reduziert.
  • Radikale Selbstdeutung: Wie jede religiöse Innovation versteht auch diese sich nicht als solche. So behaupten die Neo-Anthroposophen, zum „echten“ Steiner zurückzukehren, „es“ so zu sehen, wie „es wirklich gemeint“ war.
  • Individualisierung: Der klassische Steinerjünger sieht sich in einem sehr festgelegten Kosmos von übersinnlichen Kräften und Welten, der liberale, der an diese nicht glaubt, sucht jene Potenzen im Individuum. Jeder muss sich selbst, neu, kreativ, individuell mit ihnen verbinden.

Nochmal: Steiner-Verkürzung in der „SKA“

Manchmal sieht man sich zu peinlichen Schritten gezwungen: zum Beispiel heute ich und zu dem garstigen Schritt, Lorenzo Ravagli zuzustimmen, jenem Verteidiger der Steinerschen Rassenlehre und Möchtegernkritiker der Anthroposophiekritik, der zu allem Überfluss noch pathetisch einen (Wieder-)“Aufstieg zum Mythos“ predigt. (vgl. Ravagli, die Rassen und die Rechten) Nun hat Ravagli allerdings eine geschwätzige Rezension zu Band 7 der von Christian Clement herausgegebenen Kritischen Steiner-Ausgabe (SKA) geschrieben, die auf das zentrale Defizit in Clements Ansatz hinweist. In diesem Band sind Steiners „Schriften zur Erkenntnisschulung“ ediert worden: Anweisungen, Übungen und Schilderungen für seine „Geistesschüler“, um den Pfad in die „höheren Welten“ anzutreten. Clements meisterlicher Stellenkommentar kontextualisiert viele Äußerungen Steiners, weist ausführlich die Quellen nach, aus denen Steiner (natürlich ohne sie zu nennen) geschöpft hat und geht auf inhaltliche Zusammenhänge ein, die jenseits der herausgegebenen Schriften liegen.

Aber. In Vorwort und besagtem Stellenkommentar nähert Clement sich Steiners Konzept der „höheren Erkenntnis“ in ähnlicher Manier wie Ravagli dem Steinerschen Rassismus: Alles sei irgendwie ganz anders gemeint. Konkret meint Clement offenbar, Steiner kenne keine Objekte höherer Erkenntnis. All die Auren, Wesen und Kräfte, die Steiner da umschreibe seien lediglich Bilder und Symbolisierungen. (vgl. Zu Band 7 der Kritischen Steiner-Ausgabe) Clement: “Muss man nicht, gerade im Sinne seines Frühwerks, die von Steiner beschriebenen ‘Lotusblumen’, ‘Astralleiber’ oder ‘Schwellenhüter’ als Gestalten ansehen, die er selbst, wie Faust seine Helena, aus dem ‘Weihrauchnebel’ seiner eigenen Imagination hervorzauberte?“ (SKA 7, XXVIII) Das wäre vielleicht zu bejahen, wenn man es anthroposophiekritisch in dem Sinne wendete, dass es sich bei Steiners „Hellsichtigkeit“ um idiosynkratische Projektionen und Autosuggestionen gehandelt habe. Das jedoch ist Clements Anspruch nicht. Zwar wirft er dem Guru vor, dass er nicht Philosoph blieb, also dem Steiner nach 1900, dass er sich nicht wie vor 1900 verhalten habe – versucht dann aber doch weitgehend ohne Belege, Steiners esoterisches Programm als bloße mythologische Veranschaulichung seiner vormaligen Philosophie zu verkaufen.

Was Steiner über die “höheren Welten” gesagt hat, sei lediglich “eine bewusstseinsphilosophische Darstellung im Geiste Kants und Fichtes, d.h. … eine Phänomenologie der Inhalte des menschlichen Bewusstseins. Das einzige Wesen, dem der Mensch in der Meditation begegnet, ist nach Steiner letztlich das eigene, und zwar als zugleich individuell-persönliches und universell-absolutes.” (ebd., XXIX) Abgesehen davon, dass man Fichte und besonders Kant vor dieser Zuschreibung zumindest partiell in Schutz nehmen muss, ist auch Steiner gegen diese Verzerrung zu verteidigen: Dass er selbst Meditation bzw. „höheres Forschen“ bloß als Selbstbegegnung eines Universalsubjekts sah, lässt sich nicht nur nicht belegen, sondern Steiner selbst sagt verschiedentlich explizit das Gegenteil. In dieser Hinsicht nun ist auf Lorenzo Ravagli Verlass, der Clements Steinerverzerrung ebenfalls, wenn auch vom orthodox-anthroposophischen Standpunkt, nicht nachvollziehen kann:

„Ich sehe keinen Weg, solche Äußerungen Steiners als mythologisierende Redewendungen wegzuraisonnieren, zu denen er nur gegriffen hätte, weil sein Publikum zu dumm war, die Sprache der Aufklärung zu verstehen. Vielmehr erscheint mir dieser Rationalisierungsversuch seinerseits als eine Art Rückfall in den Feuerbachschen Anthropomorphismus. Die aus dem imaginierenden Bewusstsein hervorgehende bildliche Darstellungsform als Rückfall in ein vorwissenschaftliches Bewusstsein zu bezeichnen, widerspricht der gesamten Logik und Systematik der von Steiner nach 1900 entwickelten Anthroposophie …. Auch in den »Stufen der höheren Erkenntnis«, die Clement ja ebenfalls herausgibt und kommentiert, spricht Steiner deutlich aus, dass es sich bei der durch die Imagination erreichbaren Welt – die deswegen keine dualistisch gedachte metaphysische Hinterwelt sein muss – um eine höhere Wirklichkeit handelt, als jene, die dem gegenständlichen Bewusstsein der gewöhnlichen Wissenschaft zugänglich ist.“ (Ravagli: Die Anthroposophie: ein „Rückfall “ in Mythos?)

Ravagli natürlich hat seinen eigenen Anteil an der Genese des von Clement und anderen vertretenen Steinerbildes (vgl. Ravagli: Der esoterische Schulungsweg im Frühwerk Rudolf Steiners, in: ders. (Hg.): Jahrbuch für anthroposophische Kritik, 74ff.), vertritt, zumindest inzwischen, jedoch selbst seinen ganz dezidierten Remythologisierungsansatz. Seinem Vorbehalt gegen Clement ist zwar nicht im Impetus, aber in der konkreten Kritik an Clements Steinerdeutung zuzustimmen. Clement wiederum hat in einer Replik auf meinen Vorwurf, dass er eine ideologische statt analytische Steinerdeutung vornehme, die letztere als „ideogenetisch“ und wie folgt verteidigt:

„Dabei beziehe ich mich nicht nur auf die erkenntnistheoretischen Argumente Steiners bis 1894, sondern auch und vor allem auf die bewusstseinsphilosophisch geprägten Texte von 1901 und 1902 und dem darin von Steiner formulierten (und dann von mir in der Einleitung zu SKA 5 so genannten) „ideogenetischen Grundgesetz“. In dieser Herangehensweise sehe ich aber nicht eine „ideologische Verkürzung“, sondern eine legitime Methode der Deutung Steiners, welche sich zum einen problemlos von Steiner her rechtfertigen lässt und zudem den Vorteil hat, dass sich anhand seiner ohne Schwierigkeiten eine innere Kontinuität zwischen Steiners philosophischen Frühwerk und seiner späteren Esoterik behaupten lässt. So kann man Steiner durch Steiner auslegen lassen, ohne mit den Anforderungen kritischen Denkens in Konflikt zu kommen.“ (Clement: Ideologische vs. ideogenetische Steinerdeutung)

In der Tat lässt sich Steiner nach 1902 kohärent allein mit seinen vorherigen Schriften auslegen, jedoch wohl (jedenfalls bei Clement) um den Preis, das alle seiner späteren Verlautbarungen nicht ernst genommen bzw. auf frühere reduziert werden. In der Tat versucht Clement, Steiner mit seiner Mystik-Schrift von 1902 zu lesen, nach der die mystischen Inhalte menschliche Projektionen seien, in denen doch ein Universales mitschwingt: „dürfen dann nicht, in Anwendung der Steinerschen Konzeption auf seine eigene Gedankenproduktion,auch seine eigenen philosophischen Vorstellungen wie auch die Inhalte der Steinerschen Esoterik, also die Inhalte des imaginativen, inspirativen und intuitiven Bewusstseins, in eben derselben Weise aufgefasst werden? Was an diesem Deutungsansatz ideologisch sein kann, kann ich nicht sehen…“ (ebd.) Da sich Steiners Auffassungen um und nach 1902 (und bis 1925) in rasendem Tempo immer wieder weiterentwickelten, umlagerten und verschoben, ist es bestenfalls gedankenlos, alles nach 1902 willkürlich auf seine Positionen um 1902 zu reduzieren. Wenn das aber kein legitimer Ansatz sei, müsse ich doch wohl jeden hermeneutischen Ansatz als ideologisch brandmarken, so Clement.

Der ungeheure editorische Wert der „SKA“ bleibt ungemindert – ja, in seinem Vorwort zum Band mit den Mystik-Schriften Steiners erwies sich Clements Interpretationsansatz auch noch als treffend (vgl. Die Mystik im Aufgang), wohl weil glücklicherweise Texte bis 1902 untersucht wurden. Ich habe in meiner Rezension einige Aussagen Steiners zitiert, an der Clements Umdeutungsversuche abprallen, Ravaglis Rezension nennt einige mehr, und mühelos wären weitere zu finden. Steiners Aussagen über „höhere Welten“ auch als solche aufzufassen gelingt Clement nicht, er sähe darin wohl einen Dualismus – dass für Steiner monistisch zusammenhängende geistige Wesen mit unterschiedlichen ontologischen Strukturen und Aufgaben existierten, scheint keine Deutungsoption zu sein, die er auch nur heuristisch durchgedacht hätte.

Zur Ideogenese der reduktionistischen Steiner-Lesart

Ich behaupte, dass Clements hermeneutischer blinder Fleck seinerseits nicht im luftleeren Raum steht. Seine Steiner-Lesart ist jedenfalls keineswegs neu, sondern wurde längst in einem gewissen anthroposophischen Milieu vertreten, das auch zu seinen Ausführungen am lautesten applaudiert hat: dem liberal-anthroposophischen Umfeld von Info3. Dort hat Felix Hau, allerdings als „Arbeitshypothese“ gekennzeichnet, schon 2005 den theosophischen Steiner zur verkleideten Verlängerung des frühen Steiner erklärt, was einen bösartigen Aufschrei im anthroposophischen Mainstream nach sich zog.

„Zu keinem Zeitpunkt“ habe Steiner „Engelshierarchien, zwei Jesusknaben, Ätherleiber und soratische Mächte als Anschauungen“ in sich getragen, so Hau, sondern sich „lediglich später auf diese bestimmte Art“ ausgedrückt. Und nochmal:

„Ich bin im Übrigen nicht der Ansicht – und war es nie –, dass Steiner bei seiner Verbindung mit der Theosophie seine Ideen aufgegeben, wesentlich modifiziert oder erst danach die ihn kennzeichnende Auffassung entwickelt hat; ganz im Gegenteil [nämlich dass die Theosophie] … ein Feld bot, auf dem er in aller Seelenruhe seine ureigensten Auffassungen zu Anschauungen entwickeln und ausarbeiten konnte – lediglich um den Preis, sie in eine bestimmte Ausdrucksform zu gießen…“ (Felix Hau: Rudolf Steiner integral, in: Info3 5/2005, 30)

Ähnliches haben, ausführlicher, Haus Kollegen Christian Grauer und Sebastian Gronbach behauptet. Christian Grauer hat daraus einen eigenen, konstruktivistisch-solipsistischen philosophischen Ansatz geformt, der eine eigene Besprechung nötig machte. (vgl. Grauer: Am Anfang war die Unterscheidung. Der ontologische Monismus, Frankfurt 2007, siehe auf diesem Blog auch Grauer: Die Wunderwaffe jedes Fundamentalisten) Gronbach, der selbst als spiritueller Lehrer missioniert, sieht Steiners Engel usw. als bloße Symbole, die Steiner als Universaldidakt aus pädagogischen Gründen erfunden habe, um die Seele zu kultivieren:

„Die Erzengel, die Widersachermächte Luzifer und Ahriman, die Elementarwesen, am Ende auch Christus (ich komme noch dazu), das sind alles Steiners geniale und poetische Beschreibungen spezifischer Formen und Zustände der menschlichen Innenwelt. Es ist die wissenschaftliche Methode der Versinnbildlichung [!], ein Kunstgriff, um komplizierte menschliche Ideen in eine populäre Form zu gießen, mit denen wir über das Denken hinaus eine lebendige Beziehung eingehen können. Ideen finden so den Weg in unsere Seele. … Ist der Erzengel Michael nur ein Symbol? Er ist ein von Steiner, von mir, von Ihnen erschaffener Repräsentant einer Idee. Er ist Wesen, weil Steiner, ich und Sie es wollen, und er ist nur Symbol, wenn wir diese Beziehung zu beenden. Genau das ist für mich die zweite Wahrheit: Es ist Zeit, diese Beziehung zu beenden. Weil er für etwas steht, aber dieses Etwas, die Idee, dasjenige, was der Träger durch die Zeit trug, muss nun meine Sache werden.“ (Sebastian Gronbach: Missionen. Geist bewegt alles, Stuttgart 2008, 97f)

Mein Artikel wurde nicht ohne jeden Sinn „anthroposophische Reformation“ betitelt: Die protestantische Reformation schrieb Kirche und Konzile als relevante Institutionen zur Bibelexegese ab und gab dem einzelnen Gläubigen die Schrift in die Hand. Die anthroposophische Reformation lässt den Unmittelbarkeitsanspruch der Steinerschen Texte wegfallen und macht radikal den Rezipienten zum Dreh- und Angelpunkt. Der Leser muss die in Steiners Schilderungen niedergelegte Idee finden, verstehen und sich ganz individuell aneignen.

Welch radikaler Bruch zum anthroposophischen Mainstream in dieser Auffassung liegt, mag man behelfshalber an einem weiteren Beispiel illustrieren: Info3-Chefradekteur Jens Heisterkamp. Dessen Anliegen ist “eine Neubesinnung auf eine ursprüngliche, ‘nicht-theosophische’ Anthroposophie“, für die Steiners Entwicklung nach den Mystik-Schriften eine uneigentliche Phase bleibt. (Heisterkamp: Anthroposophische Spiritualität, 124) Heisterkamp begeistert sich zwar für eine spirituelle Evolution der Kultur, aber die läuft in Kapiteln wie „magisch“, „mythisch“, „rational“ und „integral“. Steiners Welten-, Wesen- und Rassen-Evolution wird als heuristischer, aber letztendlich gescheiterter Versuch der „Verbildlichung“ dieser Kulturgeschichte angesehen.

„Steiner hat hier offenbar keinen anderen Weg der Darstellung gesehen, als die Wirkmächtigkeit von Bewusstsein als evolutiver Kraft unter Rückgriff auf die Bildlichkeit ‘höherer Wesen’ zu schildern. Entstanden sind dabei äußerst bilderreiche Erzählungen speziell in seinem Buch Geheimwissenschaft im Umriss, die seiner als Philosoph aufgestellten Maxime eines Verzichts auf ‘außermenschliche’ und ‘außerweltliche’ geistige Kräfte zu widersprechen scheinen.” (ebd., 87f.)

Auch die Vorstellung der Reinkarnation wird zwar ästhetisch bejaht, aber ontologisch depotenziert: ob man nun wirklich und wörtlich wieder geboren wäre, das scheint dem Info3-Chefredakteur nicht so wichtig zu sein. (ebd., 75f.) Heisterkamps Ansatz scheint mir unter allen referierten der sympathischste, denn er verfährt dezidiert ekklektisch: “‘Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden’ – diese von Steiner selbst formulierte Lebensregel gilt es auch im Blick auf sein eigenes Werk zu beherzigen.” (ebd., 36) Hier wird Steiner unter weitgehender Ausklammerung der theosophischen Inhalte (nicht aber aller esoterischen) richtiggehend umgeschrieben. Das hat große Vorteile, weil Heisterkamp etwa Rassismus und Antisemitismus verabschiedet, die in der gegenwärtigen orthodoxen Anthroposophie entweder noch virulent, oder zumindest ein latenter Fundus sind. Das zeigt die empörte Reaktion des Kreuzritters Holger Niederhausen auf Heisterkamps Buch: „Eine konkrete geistige mit realen Wesen wird also einfach nicht mehr ertragen. Ebenso wenig aber eine konkrete Geschichte, die neben der Bewusstseinsgeschichte sehr wohl immer bestimmte Völker kannte, die jeweils spezifische Impulse in die Menschheitsentwicklung einfließen ließen. Aber all dies ist ja „diskriminierend“…“, so Niederhausen.

Interpretative Folgen

Die Parallelen zwischen Clement, Hau, Gronbach und Heisterkamp sind schlagend: Steiners „Erforschung“ geistiger Welten wird zum Bild, zur Metapher, zur Einkleidung für Positionen, die er vor oder um 1900 vertreten hat. Das Spätwerk Steiners wird so radikal depotenziert, dass es nur aufgrund des philosophischen Frühwerks (oder was in dieses so hineingelegt wird) überhaupt noch legitim angegangen werden kann. Alle vier würden es als lächerlich verwerfen, wenn man glaubte, Steiner habe wirklich von Engeln gesprochen. Hinzu tritt ein merkwürdiger Begriff von Monismus, der angeblich mit Engeln unvereinbar sein soll. Tatsächlich ist die „Geistige Welt“, die Steiner ab 1903/4, beispielsweise im ersten Fragment seiner „Geheimwissenschaft“ (vgl. GA 89), entfaltete, kein ontologischer Widerpart zu Materie oder zum menschlichen Bewusstsein, sondern die letzteren können sich als Teil des binnendifferenzierten monistischen Geisterkosmos erkennen.

Diese Umdeutung Steiners ist selbst Anthroposophie. Anthroposophie, der die Widersprüche von Steiners Früh- und Spätwerk bewusst geworden sind und die deshalb letztlich versucht, das Inkommensurable am zugänglichsten Schopf zu packen und den Widerspruch durch eine exegetische Monopolstellung des „frühen“ Steiner auszutreiben. Das orthodoxe Lager steht Steiner zwar näher, insofern es das esoterische Weltbild ernst nimmt, verfolgt aber die liberalen Steinerdeuter mit großer Wut. Die wird psychologisch zu erklären sein, denn an den wie auch immer falschen Pointen Neo-Anthroposophie wird deutlich, dass Steiners Werk Interpretation erfordert – während die Orthodoxen sich im Aberglauben wiegen, dass aus Steiners Worten unvermittelt “die Wahrheit sofort hervorginge.” (Niederhausen: Unwahrheit und Wissenschaft, 29) Gegenüber solchem Unsinn zeigt sich das doch hohe reflexive Niveau, das die reformierten von den traditionalen Anthroposophen scheidet.

Natürlich kaufen die orthodoxen Steinerverehrer sich munter Steiners Rassismus und seine Verschwörungsideologie ein. Christian Clements Steiner-Edition wird in den Augen ihrer anthroposophischen Möchtegernkritiker zum diabolischen Plan mormonisch-jesuitisch-freimaurerischer Weltverschwörungen, die natürlich nichts besseres zu tun haben, als zur Zerstörung der Anthroposophie häretische Steinerinterpretationen auf den Markt zu werfen. (vgl. Willy, Thomas und der Wolf im Schafspelz)

Denkend begreifen statt hellseherisch wahrnehmen

Mögen Info3 und Clement die prominentesten Sprachrohre der neuen Steiner-Leküre sein, so sind die ihr zugrundeliegenden Probleme doch auch einigen anderen Anthroposophen bewusst. David Marc Hoffmann, Leiter des Steiner-Archivs (und vormals des Basler Schwabe-Verlags, dem wir übrigens eine exzellente Untersuchung von Steiners Beziehung zum Nietzsche-Archiv verdanken) versucht ebenfalls, durch das „Frühwerk“ Schneisen ins esoterische Spätwerk zu schlagen. Hoffmanns Ausführungen gehören, das sei klargestellt, zu den besten im anthroposophischen Milieu seit Steiners Zeiten überhaupt. Er erkennt „eklatante Widersprüche“ an und geht methodisch viel sorgfältiger vor als Clement. Auch Hoffmanns Feindbild heißt Dualismus, auch er hält es für nötig, Steiners Monismus zu beweisen, auch er will Steiner aus der esoterischen Ecke holen. Hoffmann sieht jedoch Steiners esoterisches Gedankengebäude nicht unbedingt als „Verbildlichung“ vorher ausgearbeiteter Inhalte, sondern hofft Kontinuität zu stiften, indem er die „höhere Erkenntnis“ des „späten“ Steiner als inhaltliche Erweiterung unter den methodischen Prämissen des „frühen“ ausgibt:

„Die eklatanten Widersprüche zwischen Steiners früherem Atheismus und seinem späteren esoterischen Christentum erscheinen unter dem Aspekt der Methode in einem ganz anderen Licht. Wenn Wahrnehmung und Begriff als Maßstab für die Erkenntnis gelten, dann ist alles bloß eine Frage der Grenzen der Wahrnehmungen und des verwendeten Begriffsinventars des erkennenden Individuums. Bei erweiterten Wahrnehmungen und neuen Begriffen ist plötzlich erkennbare Realität, was vorher unwahrnehmbar und undenkbar war – ohne dass die anerkannte Erkenntnismethode preisgegeben wurde. Unter diesem Gesichtspunkt kann auch die (vermeintliche) Esoterik der Anthroposophie relativiert werden. Wenn die Anthroposophie einem Unvorbereiteten oder naiv Gläubigen als Spiritualismus oder gar Dualismus erscheinen mag, kann sie sich bei näherer Betrachtung als monistisches Verständnis der Welt entpuppen … In diesem Sinne lässt sich die geistige Seite der Welt denkend begreifen statt hellseherisch wahrnehmen.“ (David Marc Hoffmann: Rudolf Steiners Hadesfahrt und Damaskuserlebnis. Vom Goetheanismus, Individualismus, Nietzscheanismus, Anarchismus und Antichristentum zur Anthroposophie, in: Uhlenhoff: Anthroposophie in Geschichte und Gegenwart, 118)

In gewisser Hinsicht hat man es hier durchaus mit einer anthroposophischen Graswurzelrevolution zu tun. Bereits Steiner selbst betonte notorisch, er wolle verstanden statt gläubig verehrt zu werden. Natürlich würden aber orthodoxe Anthroposophen genau das auch betonen, ohne einen einzigen Buchstaben seines Werks in Frage zu stellen. Das gelingt den Neo-Anthroposophen durchaus glaubwürdiger, weil sie mit der Negation einer objektiv existenten „Geistigen Welt“ nur noch eines haben: das von Steiner gleichfalls beschworene Individuum, dem sich um so mehr annehmen wollen – statt auf die ontologische Struktur der Geistwelt muss der Adept nun auf die methodische Struktur seines Denkens hoffen.

Mysterium von Golgatha

Diese Subjektivierung wird auch auf Steiner selbst übertragen. Der beschreibt in seiner Autobiographie seine geistige Wende nach der Jahrhundertwernde zwar nicht als solche, aber durchaus, wie er sich aus inneren Krisen und dämonischen Kräften durch Vertiefung in’s esoterische Christentum rettete, das er natürlich schon hellseherisch wahrnehmen konnte:

„In der Zeit, in der ich die dem Wort-Inhalt nach Späterem so widersprechenden Aussprüche über das Christentum tat, war es auch, daß dessen wahrer Inhalt in mir begann keimhaft vor meiner Seele als innere Erkenntnis-Erscheinung sich zu entfalten. Um die Wende des Jahrhunderts wurde der Keim immer mehr entfaltet. Vor dieser Jahrhundertwende stand die geschilderte Prüfung der Seele. Auf das geistige Gestanden-Haben vor dem Mysterium von Golgatha in innerster ernstester Erkenntnis-Feier kam es bei meiner Seelen-Entwickelung an.“ (GA 28, 388)

Bei unseren anthroposophischen Reformern wird das visionäre „Gestanden-Haben vor“ zu einer Art psychologischem Hindurchgegangensein-durch das „Mysterium von Golgatha“. Statt dass Steiner nach absolvierter Seelenprüfung die Opferung Christi geschaut habe, ja selbst zum Diener der Christus-„Wesenheit“ geworden sei, wird diese autobiographische Äußerung zum biographischen Narrativ. Steiners geistige Kehre um 1900 kulminiert in dieser Deutung nicht in seiner geistigen Präsenz auf Golgatha. Sondern Kreuzigung, Tod und Auferstehung Christi werden zum Muster psychologisiert, nach dem auch Steiners früher Idealismus durch einen atheistischen „Tod“ hindurchgegangen sei, um als neuer Idealismus nach 1900 aufzuerstehen. Hoffmann bedient sich des auch von Clement zum neuen Kanon erhobenen Buchs „Das Christentum als mystische Thatsache“, um Steiners viel spätere autobiographische Behauptung zu deuten.

„Was Steiner in den beschriebenen ‚Ismen‘ (Monismus, Individualismus, Egoismus, Anarchismus) und seiner Opposition zum Christentum erfahren hat, ist ein vollständiger Verlust aller alten Werte, ein Verlust von Mensch und Welt, ein Moment, ‚wo der Geist für ihn alles Leben für Tod erklärt‘. Steiner hat eine derart beschriebene Hadesfahrt durchlebt. Dass sich ihm eine neue Welt, eine neue Sonne und eine neue Erde aufgetan haben, kann man als eine Art Damaskuserlebnis bezeichnen.“ (Hoffmann: Rudolf Steiners Hadesfahrt, a.a.O., 112)

Auch János Darvas, der Kritik am anthroposophischen Antisemitismus übt und gegen diesen eine supra- oder interreligiöse Anthroposophie zu stellen versucht, sieht das ähnlich:

„Rudolf Steiner hat in seiner Freiheitsphilosophie und den anderen erkenntnistheoretischen Schriften eine völlige Ausklammerung aller vorangegangener Tradition vollzogen. Das geschah nicht bloß im Sinne einer methodischen Voraussetzungslosigkeit intellektueller Art, sondern als ein durchaus existenzielles Abkoppeln … Ist ein solches Abkoppeln in diesem existenziellen Sinn vollzogen, dann ist ein totaler Nullpunkt erreicht, der zunächst Determinationen vorausliegender Prägungen durch die Tradition auslöscht. In der Art indes, wie dieser Nullpunkt erlebt wird, bleibt er von dieser Tradition mitgeprägt … Es [Steiners ‚Mysterium von Golgatha‘] ist selbst als Null und Anfang zu erfahren. Dem spirituellen Todeserlebnis im Hindurchgehen durch die Nacht des agnostischen, existenziell erfahrenen ‚Gott-ist-tot‘ steht das ‚Gott-ist-tot‘ des Gekreuzigten auf Golgatha als Entsprechung gegenüber, freilich so, dass in der Überwindung dieser Situation auch eine Qualität erlebt wird, die im christlichen Sprachgebrauch als Auferstehung bezeichnet wird.“ (Darvas: Gotteserfahrungen. Perspektiven der Einheit. Anthroposophie und der Dialog der Religionen, Frankfurt am Main 2009, 21f.)

Steiner selbst spricht davon, dass er sich aus geistigen Krisen durch Vertiefung ins Christentum rettete, das er in den Bekenntnissen nirgends gefunden, sondern aus der geistigen Welt geholt habe. Sein „Gestanden-Haben“ ist ein punktuelles, aber bahnbrechendes Ereignis: Die Auflösung der Krise und die Frucht der Vertiefung ins Christentum. Darvas und Hoffmann dehnen das Muster von Tod und Auferstehung zur Allegorie für Steiners geistige Biographie aus. Auch damit ist eine Depotenzierung, hier des „Mysteriums von Golgatha“, verbunden. Christus, auf den orthodoxe Anthroposophen nichts kommen lassen, ist nicht mehr der Fluchtpunkt von Steiners geistiger Entwicklung, sondern Tod und Auferstehung sind bloß noch Metaphern für Phasen von Steiners Leben. Steiners Goetheanismus, Nietzscheanismus, Theosophie usw. sind keine ernst zu nehmenden Positionen mehr, die Steiner wirklich vertreten hätte, sondern symptomatische Stufen auf dem Bogen durch Nullpunkt/Hadesfahrt und Auferstehung/Damaskuserlebnis.

Anthroposophische Reformation. Eine erste Zwischenbilanz

Über die Folgen der solcherart reformierten Anthroposophie kann man immer wieder erfreut und erleichtert sein. (vgl. Die Scheidung der Geister) Aus diesem Lager wird man wohl kaum über Wurzelrassen, atlantische Planeten-Orakel und Nazi-Mysterien belehrt werden. Dafür hört man aber immer mehr zur „Philosophie der Freiheit“, die transzendentalphilosophisch entkernt und existenzialistisch gewendet wird. Dass im Info3-Verlag mein Buch zu Steiners Rassenlehre wie die kommentierte Edition von Hans Büchenbachers „Erinnerungen“ erscheinen konnte, liegt auch daran, dass die nationalistischen, konspirationstheoretischen und rassistischen Ideologeme dort als überflüssiger Ballast für die „echte“ Anthroposophie gesehen werden. Dass Christian Clement eine solide kritische Edition von Steiners Hauptwerken herausgibt, wie auch immer entstellt das Steinerbild seiner Vorwörter ist, liegt daran, dass die konkreten esoterischen Inhalte für Clement uneigentlichen Charakter gegenüber der „ideogenetischen“ „Bewusstseinsphilosophie“ Steiners haben, die in ihnen lediglich illustriert würde.

Orthodoxe Anthroposophen, und dort vor allem das „Europäer“-Milieu mit seiner Neigung zu antiamerikanistischen Verschwörungsthesen, halten Clement für einen „Vernichter“ Steiners und haben immer wieder den Ausschluss der Info3-Fraktion aus der Anthroposophischen Gesellschaft gefordert. Die Stoßrichtung ihrer Argumentation gegen Info3 entsprach dabei einem Fazit, das auch der Anthroposophiekritiker Andreas Lichte zu Jens Heisterkamps „Anthroposophischer Spiritualität“ zog: Da werde Steiner zur Unkenntlichkeit verdünnt. Lichte:

„… ‚dann mach ich mir ‘nen Schlitz ins Kleid und find es wunderbar‘: Herr Heisterkamp kann ja gerne versuchen – und sich dabei grossartig fühlen – seine EIGENE Anthroposophie zu erschaffen, nur sollte er ihr dann auch einen EIGENEN Namen geben – mit Rudolf Steiner hat das ganze nichts mehr zu tun.“ (Lichte, Kommentar vom 3.11.2014)

Anthroposophiekritik, die ihre Objekte bloß aufgrund einer mehr oder weniger engen Übereinstimmung mit Steiner zu kritisieren wüsste, wäre blind oder eben allenfalls so hilfreich wie die Kritik traditionaler Anthroposophen an ihren heterodoxen Glaubensgenossen. Natürlich muss Anthroposophiekritik den realen Steiner, soweit er sich quellentechnisch erschließen lässt, im Auge behalten. Aber erforderlich ist darüber hinaus, die Rezeption und Transformation des anthroposophischen Steinerbildes zu analysieren. Ich wage zu prognostizieren, dass Stimmen im Stile Heisterkamps und Clements in den nächsten Jahren lauter werden, jedenfalls am Rand des (bis heute vom traditionellen Lager dominierten und somit schrumpfenden) anthroposophischen Establishments. Das ist mit Blick auf Dogmatismus, Rassismus usf. im anthroposophischen Mileu auch äußerst begrüßenswert. Zugleich hat sich ein Gronbach’sches oder Clement’sches Steinerbild längst zum neuen Dogma aufgespreizt. Weiß der traditionale Steinerjünger sich von einer Beziehung zu den Engeln getragen, so der liberale, dass die Engel für „etwas“ „in mir“ stehen, mit dem ICH mich total radikal selbst, individuell, schöpferisch und in Weiheernst verbinden muss. Den anthroposophischen Reformern wäre gleichfalls nachzutragen, was Marx über Luther schrieb:

„Luther allerdings hat die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat den Menschen von der äußern Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum innern Menschen gemacht hat. Er hat den Leib von der Kette emanzipiert, weil er das Herz in Ketten gelegt. Aber, wenn der Protestantismus nicht die wahre Lösung, so war er die wahre Stellung der Aufgabe.“
(Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, 386)

Das trifft auch auf die reformierte Anthroposophie zu. Der „bilderreiche“ Ballast wird aus den „höheren Welten“ nur noch radikaler ins Individuum verlagert. Aber in zweifacher Hinsicht wird auch hier die Aufgabe richtig gestellt: Anthroposophiekritik darf nicht an Steiners albernen Proklamationen von Atlantis bis Zarathustra hängenbleiben, sondern muss die idealistisch-objektlose Innerlichkeit des Selbst ins Auge fassen, die als deren epistemische Grundlage vorausgesetzt und im ‚anthroposophischen Protestantismus‘ auf einen Sockel gestellt wird.

Auch der historischen Steinerforschung stellt die anthroposophische Reformation eine Aufgabe: Nicht nur, dass Christian Clements Steineredition die Textgrundlage auf eine neue Basis stellt. Vor allem David Hoffmanns Publikationen zu Steiner und dem Nietzsche-Archiv gehören zu den besseren Arbeiten zu Steiner überhaupt, sein zitierter Artikel über Steiners geistige Kehre ist im philologischen Sinne auch letztlich viel steinerkritischer als Clements Kommentare. Die Aufgabe, die ich sehe, besteht aber nicht darin, Texte von Steiner-Fans zur Kenntnis zu nehmen, auch vorher war die anthroposophische Literatur logischerweise Basis für die kritische Auseinandersetzung. Die Aufgabe mag mehr eine Warnung sein: Dass dem verklärten Steinerbild der orthodoxen Anthroposophie nun das gleichfalls verkehrte des „philosophischen“ Bilderbauer-Individualisten Steiner entgegengestellt wird, zeigt einmal mehr die Vielfalt ideologischer Umbrüche in seinem Werk, von denen jeder einzelne esoterisch hypostasiert werden kann. Dem Versuch einer vereindeutigenden Festlegung muss man widerstehen, wie das Beispiel von Clements Verwischung des übersinnlichen Erkenntnisanspruchs zeigt.

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18 Kommentare Add your own

  • 1. Andreas Lichte  |  13. Januar 2015 um 9:27 am

    Die „liberale Anthroposophie“ baut laut Ansgar Martins im wesentlichen auf Rudolf Steiners „philosophischem Frühwerk“ auf.

    Und wenn es gar kein „philosophisches Frühwerk“ Steiners gibt, nichts, das diese Bezeichnung rechtfertigen würde?

    Wenn Rudolf Steiner gar kein Philosoph ist? Wenn Steiner der Welt nicht eine einzige bedeutende philosophische Erkenntnis hinterlassen hat?

    Rudolf Steiner ist kein Philosoph, und das gibt – zum Beispiel – Christian Clement sogar zu, verklausuliert, er hat das mehrfach bei seinen Beiträgen bei den „Egoisten“ wiederholt, hier stellvertretend nur ein Beispiel:

    http://www.schiebener.net/wordpress/ein-fortgeschrittener-dunghaufen-ist-das-im-gehirn-sich-ausbreitende/comment-page-1/#comment-63424

    Antworten
    • 2. A.M.  |  13. Januar 2015 um 12:02 pm

      Sie meinen wohl folgende Aussage:

      „PdF als “Quellenbuch”: interessant, aber Quelle von was? Doch nicht für philosophische Positionen, denn die werden von Steiner extrem verkürzt und oft verzerrt dargestellt. Über Spinoza, Hegel, Kant usw., erfährt man in Steiners philosophischen Texten wenig, denn er behandelt sie meist wie Strohpuppen, die er nur benutzt, um seine eigene Position zu profilieren. Wenn also als Quelle, dann doch wohl nur für das Studium des “sich zur Freiheit durcharbeitenden Rudolf Steiner”.”

      Dem kann man nicht entnehmen, dass Steiner kein Philosoph sei, sondern allenfalls, er sei ein schlechter Philosoph. Am interessantesten ist jedoch der letzte Satz des Zitats, denn mit dem sind wir wieder mitten im Kerndogma der liberalen Anthroposophie: Quelle des „sich zur Freiheit durcharbeitenden Steiner“ – nach dem Motto: das möge alles ganz falsch sein, und sogar das Ziel verfehlt, aber worauf es ankomme, das sei doch das individuelle, kreative, freie „Sich durcharbeiten“. Wo es keine Objekte mehr gibt, hallt die objektlose Innerlichkeit leer vor sich hin.

  • 3. Andreas Lichte  |  13. Januar 2015 um 12:51 pm

    @ A.M.

    ja, ich meine die von Ihnen zitierte Aussage von Christian Clement, und ich bin mit Ihrer Zusammenfassung [Rudolf Steiner ist in diesem Zitat] „ein schlechter Philosoph“ einverstanden.

    Ich sagte aber auch, dass dieses Zitat nur EIN Beispiel sei, schauen Sie sich selbst die verschiedenen Beiträge von Christian Clement auf dem „Egoisten“-blog an – was bleibt da noch vom „Philosophen“ Rudolf Steiner? Nichts.

    Für mich aber am vielsagendsten, wie viele Worte Christian Clement braucht, um einer klaren, einfachen Frage auszuweichen:

    Ideologische vs. ideogenetische Steiner-Deutung

    „4. Andreas Lichte | 28. November 2014 um 9:24 vormittags

    ich habe Christian Clement gerade eine Frage gestellt …:

    http://www.schiebener.net/wordpress/ein-fortgeschrittener-dunghaufen-ist-das-im-gehirn-sich-ausbreitende/comment-page-1/#comment-63442

    @ Christian Clement

    mit Ihren eigenen Worten:

    was “erblicken Sie Positives” an Steiner ?

    fangen wir mit Steiners Philosophie an:

    welche bedeutende, philosophische Erkenntnis hat Steiner der Welt geschenkt ?“

    .

    Ideologische vs. ideogenetische Steiner-Deutung

    „Christian Clement | 28. November 2014 um 8:34 nachmittags

    Zu Herrn Lichtes Frage:

    Meine Allgemeine Antwort: Philosophen schenken der Welt keine Erkenntnisse; sie geben neue und spannende Beispiele dafür, wie man sich im Denken bewegen und orientieren kann. Diese Denkwege kann man dann selbst begehen, ihnen mitgehen, sie nachgehen, in ihnen aufgehen oder auch vergehen, sie anders gehen, aber auch sie übergehen oder umgehen – dann aber entgeht einem, was sie uns zu bieten haben – nämlich Gegegenheiten, im Selbergehen auch selber Erkenntnisse zu machen. Wer Erkenntnisse fertig verpackt geliefert haben will, sollte es bei amazon versuchen, aber nicht bei den Philosophen.

    Meine spezielle Anwort: was ich Positives an Steiner sehe, kann man den Einleitungen der beiden Bände von Steiners Werkausgabe entnehmen, die bisher herausgekommen sind – sowie den 6 noch folgenden.“

    Antworten
  • 4. Andreas Lichte  |  13. Januar 2015 um 12:58 pm

    @ A.M.

    Ansgar Martins über Christian Clements Zitat, oben:

    „… hallt die objektlose Innerlichkeit leer vor sich hin.“

    Stimmt.

    LEER.

    Antworten
  • 5. Ton Majoor  |  16. Januar 2015 um 1:04 pm

    „In der Tat versucht Clement, Steiner mit seiner Mystik-Schrift von 1902 zu lesen, nach der die mystischen Inhalte menschliche Projektionen seien, in denen doch ein Universales mitschwingt …“

    Erklärt dieses Universale (katholon) den Realitätsanspruch der Clementschen Projektionen? Steiner zitierte 1902 sich selbst mit dem ‘Zipfel‘-Zitat aus PdF und erwähnte ein Doppelleben (‘einmal bin ich Individuum, beschränktes Ich; das andere Mal bin ich allgemeines, universelles Ich‘). Deutet Clements ‘universell-absolutes’ Wesen, das Universalsubjekt, nicht auf ‘das Denken‘ (noein), daß die Realität höherer Wesen und Welten bürgen soll (Steiners meist verblüffenden Claim)?

    Antworten
  • 6. Sangaran  |  26. Januar 2015 um 8:31 am

    Anthroposophische Reformation. Dogmen der liberalen Anthroposophie
    Schon seit der Kindheit begleitet Steiner viele Interessenten der Anthroposohie. Vater betet zu den Mahlzeiten, liest Baumsprüche oder aus der Bibel vor während Mutter Lamm brät, Gemüse kocht oder den Honig für die Behinderten auf den Tisch stellt. Gärtnerei, Schusterei und Buchbinderei als Heilpädagogische und Sozialtherapeutische Arbeit in Einrichtungen, auf Höfen oder einem Schloss. Die Waldorfschule als Entlastung für die Eltern während der Arbeit und als Bildung für die Zukunft der Kinder.
    Mit der Anthroposophie stellt Steiner Darwins Evolutionstheorie in Frage. Der Begriff Anthroposophie wählte Steiner im Kontrast zur Anthropologie des erfolgreichen Familienvaters. Er betrachtet die Verwendung der viele Lebensbereiche auf eine natürliche Art. Er schuf die allumfassende Lehre mit Medizin, Landwirtschaft und Finanzwirtschaft erleuchtet.
    Das durch den dramatisch Tod gestorbenen Descarte bekannt gewordene Ich, das Bewusstsein, verwendet Steiner meist in Erzählungen über das Leben. „Ich war voller Fragen; und musste diese unbeantwortet mit mir herumtragen. So wurde ich acht Jahre alt. —“
    Aber Introspektive Vermutungen, lautes Denken sind sehr unzuverlässig. Betrachtet man Steiners Vorträge fällt es einem schwer zu verstehen welche Begrifflichkeit er damit formte. Die Vielfältigkeit seiner Vorträge lässt das Ziel vermissen dem er sich nähern wollte.
    Und die Individualität des Werkes lässt manch einen als Außenseiter und Dilettant dastehen. Individualität ist ein kreativer Wettbewerbsvorteil, erkennt man immer wieder bei Konkurrenten.
    Steiners Versuch Neuerungen zu schaffen sind bewundernswert. Seit der Nutzung des Feuers aus der Natur wurden viele Lebensmittel nutzbar gemacht.

    Antworten
    • 7. A.M.  |  26. Januar 2015 um 2:41 pm

      Na, wenn Sie das sagen…

    • 8. Andreas Lichte  |  26. Januar 2015 um 2:44 pm

      cogito ergo summ, summ, summ – sagte die Biene (to bee or not to bee)

  • 9. Andreas Lichte  |  26. Januar 2015 um 2:51 pm

    @ Ansgar Martins

    hier:

    http://www.schiebener.net/wordpress/ansgar-martins-christian-clement-und-die-richtige-kritik-an-rudolf-steiner/comment-page-1/#comment-64688

    habe ich noch einmal etwas zu Christian Clement, den Autor der neuen Steiner Märchen geschrieben – “Des Steiners neue Kleider” – über Ihren Kommentar würde ich mich freuen !

    Antworten
  • 10. Holger  |  1. Februar 2015 um 6:51 pm

    @ A. Martins
    Es ist mir schon klar, dass sie das nicht veröffentlichen werden, aber sie werden es zumindest lesen.
    Wenn ich mir die Kommentare anschaue die Lichte hier mit ihrer Unterstützung abgeben darf und die ich wirklich niveaulos finde, frage ich mich, wie sie dazu kommen, jemanden der offensichtlich niveaulos ist und nur von beleidigenden paste und copy lebt als einen Anthroposophie- Kritiker hochstilisieren zu wollen.

    Ich bin jemand, der sich deutlich von Steiners rassendiskriminierenden Aussagen distanziert, wie der Großteil der Anthroposophen, die ich kenne – aber letztendlich ist das, was sie hier mit Lichte betreiben im Habitus doch sehr ähnlich – frei nach der Devise: die Kritiker der Elche sind leider selber welche.

    Im Übrigen würde ich dann auch eher wie Zander formulieren: Ich distanziere mich ausdrücklich von diesen Aussagen Steiners, halte Steiner übrigens nicht für fehlerfrei;
    „würde das ganze aber auch mehr im historischen Kontext sehen wollen.“ – Zander

    Und solange sie nicht genau darauf hinweisen und auch relativieren und z.B. ein wenig die Rassentheorien oder Verfehlungen anderer Philosophen hier nennen, nehme ich ihnen ihr „Leitbild“ nicht ab.
    Gehen Sie ruhig weiter mit dem Demagogen Lichte Spaghetti essen; das wirft schon ein besonderes Licht auf Sie.

    Ich bin einfach verärgert, dass sie sich wie ein kleiner Junge instrumentalisieren lassen von Lichte und einem Übervater Staudenmeier hinterlaufen.

    PS:
    Vielleicht mal von Interesse für Sie: Lesen sie sich doch einfach mal den Wiki – Eintrag zu Richard von Weizäcker durch, insbesondere das Verhältnis zu seinem Vater aber auch zu seinem Doktorvater – so sehen die Dinge in der Realität aus – und ich werde hier nicht vor einem Spinner wie A. Lichte zu Kreuze kriechen und ihn auch noch für sein Demagogentum belohnen – das überlasse ich ihnen.

    Passen Sie auf, das sie nicht zu einem Berufskritiker werden – das hat fatale Folgen.

    Alles Gute!

    Antworten
    • 11. A.M.  |  1. Februar 2015 um 8:23 pm

      Na wenn Sie das sagen… falls Sie tatsächlich Interesse an einer historischen Kontextualisierung der Steinerschen Rassenlehre haben, finden Sie die mit Abstand ausführlichste in meinem Buch von 2012.

    • 12. Andreas Lichte  |  2. Februar 2015 um 8:34 am

      @ Holger

      Sie erklären den Lesern sicher gern, welche “bedeutende philosophische Erkenntnis” Rudolf Steiner Ihnen ganz persönlich geschenkt hat – Danke !

  • 13. Michael  |  2. Februar 2015 um 9:38 am

    Ohne jetzt von Steiners zu kritisierenden und nicht nachvollziehbaren Aussagen ablenken zu wollen:

    Warum weisen sie denn Andreas Lichte nicht ab und zu mal auf diesen Kontext hin? Z.B. auf die Aussagen Kants oder Marx’s:

    „Die politische Emanzipation des Juden, des Christen, überhaupt des religiösen Menschen, ist die Emanzipation des Staats vom Judentum, vom Christentum, überhaupt von der Religion. […] Welches ist der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus des Judentums? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld. Nun wohl! Die Emanzipation vom Schacher und vom Geld, also vom praktischen, realen Judentum wäre die Selbstemanzipation unsrer Zeit. […] Die Judenemanzipation in ihrer letzten Bedeutung ist die Emanzipation der Menschheit vom Judentum.“
    – Karl Marx, 1843[9]

    Auch in seiner 1796/97 entstandenen, damals am weitesten verbreiteten, Spätschrift Anthropologie in pragmatischer Hinsicht klassifizierte Kant die Menschen nach Race. Einteilungen aufgrund der Hautfarbe habe Kant auf diese Weise mit den Weihen der Wissenschaftlichkeit versehen.[12] Ebenso naturalisiere er die FRAUEN, denen er eine eigenständige Vernunft abspricht.[13] Juden werden von ihm als „Betrüger“ gekennzeichnet, denen nicht einmal die Fähigkeit sich „emporarbeiten“ zu können, um Staatsbürger zu werden, zugesprochen wird.[14]

    oder

    Hegels Antisemitismus oder Heideggers Aussagen zum Rassenprinzip!

    Das nur mal so für die Leser, die Ihr Buch aus 2012 nicht zur Hand haben.

    Warum ist denn die Überschrift dieses Blogs nicht Kritik an Antisemitismus und Rassismus mit einem g e w o l l t besonders kritischem Fokus auf die Rolle der Anthroposophie?

    …. Mal geschweige denn die Rolle der beiden großen Kirchen, die hier volkommen außer Acht gelassen werden.

    Wie gesagt, es geht nicht um Ablenkung sondern um Kontextualisierung und Relativierung.
    Ziel muss oder sollte sein: Frieden und Vergebung!

    Richard von Weizäcker hat ja auch seinen Vater und seinen Doktorvater vergeben. Beide waren Nazis in führenden Positionen und haben bei den Nürnberger Prozessen mit auf der Anklagebank gesessen……

    Ich habe die Befürchtung, so lange es mit einseitiger Kritik weitergeht, ist Frieden noch in weiter Ferne.
    Bei Herrn Lichte kann ich nur Hass und Verachtung lesen, und ich meine schon Antennen dafür zu haben, wie jemand schreibt.

    Antworten
    • 14. Andreas Lichte  |  4. Februar 2015 um 2:15 pm

      @ Michael

      nur 2 Kriterien, die für die Bewertung von Rassismus im Werk eines Autors von Bedeutung sind:

      1. – wann hat der Autor gelebt? Welche Kenntnis der Welt konnte er haben?

      2. – welche Position nimmt der Rassismus im Werk des Autors ein? Ist der Rassismus zentral – “sinnstiftend” – für das Werk, oder nur eine Randerscheinung?

      1. – Rudolf Steiner lebte von 1861 bis 1925. Große Teile von Steiners Werk entstanden erst im zwanzigsten Jahrhundert, zu einer Zeit, als der von Rudolf Steiner verachtete Albert Einstein seine die Welt verändernde Relativitätstheorie entwickelte. Steiner war mit seiner eklektischen Esoterik schon zu Lebzeiten ein Anachronismus – und ein unverbesserlicher Rassist, der es hätte besser wissen müssen, ein Zitat von 1897:

      “There are many humorous things in the world, among them the white man’s notion that he is less savage than the other savages.”

      Mark Twain, Zitat aus: “Following the Equator”, 1897

      2. – Historiker wie Peter Staudenmaier und Helmut Zander stellen die Rassenlehre Rudolf Steiners als ZENTRAL für die Anthroposophie heraus. Steiners esoterische Evolutionslehre – die „Menschheitsentwickelung“ – ist Beweggrund und Ziel der Anthroposophie, Zitat Staudenmaier:

      „Ausgehend von Blavatskys4 entwicklungstheoretischem Ansatz baute Steiner eine Evolutionslehre der Völker- und Rassengruppen auf, wonach die menschliche Seele durch aufeinanderfolgende Verkörperungen in immer ‘höheren’ Rassen geistig wie leiblich fortschreitet. Diese Stufenleiter der Rassen steht IM MITTELPUNKT von Steiners esoterischem Verständnis der Gesamtentwicklung der Menschheit, vom Verhaftetsein in der Materie hin zur geistigen Vervollkommnung.”5

      Zum Vergleich Helmut Zanders zusammenfassende Darstellung von Rudolf Steiners Rassenlehre, Zitat Zander:

      „Steiner ordnete die Rassen einer Fortschrittsgeschichte zu, in der beispielsweise heutige Indianer als ‘degenerierte Menschenrasse’ im ‘Hinsterben’ (GA 105,106.107 [1908]) oder schwarze Afrikaner als defiziente Spezies der Menschen- und Bewußtseinsentwicklung, als ‘degenerierte’, ‘zurückgebliebene’ Rasse (ebd., 106) erschienen. Umgekehrt habe die weiße Rasse ‘das Persönlichkeitsgefühl am stärksten ausgebildet’ (GA 107,288 [1909]). Dies sind nur Kernsätze einer Rassentheorie, die Steiner 1904 erstmals formulierte, um sie 1910 in einem komplexen System und in zunehmender Abgrenzung zu theosophischen Positionen auszufalten. Mit seinem Ausstieg aus der Theosophie hat er diese Vorstellungen keinesfalls über Bord geworfen, sondern sie 1923 nochmals in Vorträgen vor Arbeitern des Goetheanum in vergröberter, ‘popularisierter’ Form wiederholt, aber ohne Revision im inhaltlichen Bestand. Die weiße war nun ‘die zukünftige, die am Geiste schaffende Rasse’ (GA 349,67 [1923]).“6

      „Steiner formulierte mit seinem theosophischen Sozialdarwinismus eine Ethnologie, in der die Rede von ‘degenerierten’, ‘zurückgebliebenen’ oder ‘zukünftigen’ Rassen keine ‘Unfälle’, sondern das Ergebnis einer konsequent durchgedachten Evolutionslehre waren. Ich sehe im Gegensatz zu vielen Anthroposophen keine Möglichkeit, diese Konsequenz zu bestreiten.“7

      Quellenangaben für die Zitate von Peter Staudenmaier und Helmut Zander hier: http://www.ruhrbarone.de/geschichte-in-der-waldorfschule-atlantis-und-die-rassen/49644

  • 15. Harald  |  5. Februar 2015 um 4:49 pm

    Ja, Ansgar Martins, lassen wir es mal gut sein. Ich habe bereits auf eineigen blogs gelesen, dass hier selektiert wird und nicht veröffentlicht wird.
    Du kannst davon ausgehen, dass auch solche Dinge, ihre Wirkung auf geistiger Ebene haben.

    Wer hier einseitig einen Hassprediger wie Lichte zitieren lässt, ohne ihn für seine in der Vergangenheit gehaltenen Hasspredigten zur Rechenschaft zu ziehen oder ihn zumindest darauf aufmerksam zu machen und in einem Atemzug von Ken Jebsen als rechtslastig oder ähnlich spricht – da fehlen mir die Worte. Das ist ja dann auch eine gute Möglichkeit hier aufzuhören.

    Antworten
    • 16. A.M.  |  5. Februar 2015 um 5:06 pm

      Wie schön, dass Sie lieber auf anderen Blogs über meinen als auf meinem Blog lesen. Wenn Ihnen danach ist, können ja auch Sie mal einen Artikel von mir kommentieren (statt die Kommentare). Wenn Sie allerdings auf Ken Jebsen stehen, freut mich Ihre Ablehnung meines Blogs überaus. Dafür dann vielen Dank!

  • […] im deutschsprachigen Internet darstellt. Die “Egoisten” kann man insgesamt der liberal-anthroposophischen Spielart zuordnen, was nicht heißt, dass dort Anthroposophie light betrieben würde. Zu beobachten sind […]

    Antworten
  • […] Goetheanum“, der mittlerweile in Peking lebt. Nachdem Jens Heisterkamp, Chefredakteur der liberalen anthroposophischen Zeitschrift „Info3“, sich jüngst von neurechten […]

    Antworten

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Hallo allerseits,
Ich bin Ansgar Martins, geb. 1991 und war bis Juni 2010 Schüler an der FWS Mainz. Inzwischen studiere ich Religionsphilosophie, Soziologie und Geschichte in Frankfurt a. M. Dieser Blog ( dessen "Leitbild" ganz oben rechts ) ist mein persönliches Projekt, um die oft einseitigen und selbstgerechten Pro- und Contra-Positionen in der Debatte um die Waldorfpädagogik und Anthroposophie kritisch zu kommentieren. Ich hoffe, das gelingt, und freue mich über Rückmeldungen jeder Art!

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Da ich dieses Risiko gerade bei den bekannten Verstiegenheiten anthroposophischer Websites nicht eingehen will, distanziere ich, Ansgar Martins, mich hiermit vorsorglich von ausnahmslos allen Gestaltungen und Inhalten sämtlicher fremder Internetseiten, auch wenn von meiner Seite ein Link auf besagte Internetseite(n) gesetzt wurde.

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